Chandler Limited Abbey Road EMI RS124 Compressor Test

Mit der Vorstellung des langersehnten Nachbaus dieses legendären EMI-Designs hat Chandler Limited eines der letzten großen Kompressorgeheimnisse unserer Branche gelüftet. Was kann dieser legendäre „Beatles-Limiter“?

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Um zu verstehen, was es mit diesem Gerät auf sich hat, müssen wir weit über ein halbes Jahrhundert zurückblicken. Mit Aufkommen der der klassischen Popmusik in den 50er Jahren mussten die Verantwortlichen in den britischen EMI-Hauptquartieren – beziehungsweise in den Abbey Road Studios – einsehen, dass die Audiotechnik aus britischer Fertigung ins Hintertreffen geraten war. Bandmaschinen und Mikros, ja sogar Mischpulte wurden aus Deutschland importiert. Die Kooperation mit den Capitol Studios brachte den Engländern Zugang zum amerikanischen Markt. Inbesondere mit den Dynamiktools aus eigenem Hause war man in London unglücklich, und so wurden 1959 eine Reihe von Altec-Geräten aus den USA importiert – sowie einige Jahre später die Fairchild-Limiter, die in der Historie des Abbey Road und der Fab Four ebenfalls eine eine große Rollen spielen würden. Es folgte jedoch schnell die Ernüchterung: Die Altec 436B, die für den Einsatz in den EMI-Studios bestimmt waren, erfüllten mitnichten die hohen Ansprüche, die an einen zeitgemäßen Limiter gestellt wurden. In der Folge durchliefen die Geräte ein umfassendes Redesign, bei dem fast alle Komponenten der Originale auf den Kopf gestellt wurden. Es wurden die Schaltkreise erweitert und ergänzt, Funktionen (wie etwa eine Einstellmöglichkeit für den Release-Parameter) hinzugefügt, Komponenten bis hin zu den Röhrensockeln ausgetauscht, und schließlich erhielten die Geräte nicht nur eine neue Frontplatte, sondern auch einen neuen Namen: Fortan hörte der Altec/EMI-Hybrid auf den Namen RS124.
Anfang der 60er in den Dienst gestellt, wurden die Geräte laufend weiterentwickelt und modifiziert. Sie erfreuten sich mehr als ein Jahrzehnt großer Beliebtheit und prägten den Sound der Fab Four wie kein anderer Limiter – allenfalls der Fairchild 660 muss hier noch genannt werden. Auf den Ausgängen 1 und 2 des Mischpultes eingesetzt, lief zunächst stets die Rhythmusgruppe der Fab Four über zwei RS124 zur Vierspurmaschine. Das Gerät spielte nicht zuletzt eine zentrale Rolle bei den Bass-Aufnahmen, bei denen das Signal bisweilen dreimal hintereinander durch den EMI-Altec geschleift wurde. Die Bass-Spuren auf „Sgt. Pepper“ sind hier ein hervorragendes Klangbeispiel.

Modifizierte Altecs im Abbey Road Studio in London
Modifizierte Altecs im Abbey Road Studio in London

Wie alle EMI-Hardware-Designs wurden die Geräte jedoch nur für die hauseigenen Studios hergestellt und niemals auf dem freien Markt angeboten. Das erklärt die (selbst für Vintage-Maßstäbe) enorme Seltenheit der Original-Units, welche zum Legendenstatus sicherlich beigetragen hat. Abgesehen von wenigen handgefertigten Clones und den sehr übersichtlich gesäten Originalen waren keine RS124 in nennenswerter Anzahl im Umlauf – bis jetzt, da die Amerikaner von Chandler Limited wiederum in Kooperation mit dem Abbey Road eine Neuauflage wagen. Hohe Erwartungen, Vorschusslorbeeren, große Aufregung: Löst sich der „Grail-Faktor“ des RS124 ein? Kann nun jeder (zumindest jeder, der den Kaufpreis aufbringen kann) Beatles-Feenstaub über seine Produktionen streuen?  

Details

Attackzeiten bei den drei Original-RS124 unterschiedlich

Auf zwei Höheneinheiten und mit grauem Industrie-Charme kommt der RS124 mit den typischen Basis-Features eines Vollröhrenkompressors aus den späten 50ern daher: Vari-Mu-Design auf Basis einer 6BC8-Doppeltriodenröhre, Push/Pull-Röhrenausgangsstufe, Audio-Übertrager, Input- und Output-Regler wie beim 1176. Letztere waren beim Original-RS124 Drehschalter, beim Chandler kommen sie standardmäßig als Potis, wobei die Drehschalter gegen Aufpreis geordert werden können. Dazu kommt ein Release-Schalter mit den sechs Stufen des Originals, als Erweiterung des Vintage-Designs lässt sich auch der Attackparameter in neun Schritten justieren. Bei den Originalen war dieser Parameter fest eingestellt, jedoch von Gerät zu Gerät unterschiedlich – und so finden sich auf der Skala des Chandler auch die drei Werte der der drei Original-Einheiten, die sich heute noch im Besitz des Abbey Road befinden. Sie sind mit den Seriennummern der entsprechenden Geräte gekennzeichnet.

Hold-Funktion

Die Release bietet zudem noch die „Hold“-Funktion der Originale, bei der die Rückstellung der Kompression ausgesetzt, das Gerät praktisch in der Pegelreduktion „eingefroren“ wird selbst wenn kein Eingangssignal mehr anliegt. Dies kann nützlich sein um bei längeren Attackwerten den lauten Spike zu vermeiden, bis die Kompression einsetzt.

Die Sicherung, die keine Sicherung ist…

Dazu bietet die Frontplatte noch ein (unbeleuchtetes) VU-Meter, das ausschließlich die Pegelreduktion anzeigen kann, eine Betriebsleuchte, der Netzschalter sowie eine Sicherung, die gar keine ist. Halt – wie das denn? Nun, hinter dem vermeintlichen Sicherungshalter verbirgt sich ein ein weiterer Schalter, der das Gerät in den sogenannten „SuperFuse“-Modus versetzt, bei dem sich bestimmte Arbeitspunkte verschieben, ähnlich des All-Button-Modus’ beim 1176. Außerdem verfügt auch der Chandler über die Balance-Funktion des Originals, mit dem sich die Ausgangsstufe kalibieren lässt. Bei einer Push/Pull-Verstärkerstufe ist je ein Triodenelement für die positive und die negative Halbwelle zuständig. Sind beide Elemente nicht gut aufeinander eingestellt, kommt es am Nulldurchgang der Wellenfom zu Problemen. Sogenannte Übernahmeverzerrungen, also erhöhter Klirrfaktor sowie tieffrequentes Rumpeln können die Folge sein. Mit der Balance-Funktion kann dies Problem einfach und bequem minimiert werden: Drückt man den Knopf, so ertönt ein Klicken, das von beiden Röhrenelementen phasenverdreht wiedergegeben wird. Nun dreht man das Trimpoti, bis sich das Klicken größtmöglich auslöscht, also leiser wird. Je mehr dies gegeben ist, desto mehr gleicht sich die Wiedergabe beider Triodenelemente, desto besser klingt das Ausgangssignal. Heutige Präzision in der Halbleitertechnik hat solche Kniffe längst obsolet gemacht, aber in den frühen 60ern war dies ein genialer Einfall, denn das Gerät musste zur Kalibrierung nicht aus dem Rack ausgebaut und geöffnet werden, auch die Verkabelung konnte an Ort und Stelle bleiben.

Die Potikappen wirken ziemlich billig – das ist besonders angesichts des heftigen Preises ein Ärgernis.
Die Potikappen wirken ziemlich billig – das ist besonders angesichts des heftigen Preises ein Ärgernis.

Für ein 4000-Euro-Gerät etwas enttäuschend

Die gesamte Schaltung befindet sich in einem Chandler-typisch soliden Gehäuse mittlerer Bautiefe, auf dessen Rückseite wir die Netz- und Audioanschlüsse finden, sowie den „echten“ Sicherungshalter. Zusätzlich findet sich hier eine Buchse zur Verlinkung mehrerer Einheiten – ein Feature, das schon die Originale boten –, und die Ausgangsimpedanz lässt sich zwischen dem damaligen EMI-Standard 200 Ohm und für Vintage-Geräte allgemein typischeren 600 Ohm umschalten. Ingesamt präsentiert sich die Harware extrem robust, und auch die ausgesprochen übersichtliche, ja simple Schaltung selbst wurde nach allen Regeln der Kunst gefertigt. Hier gibt es keine „objektiven“ Kritikpunkte. Dennoch muss ich gestehen, dass ich von der Hardware von Chandlers RS124 etwas enttäuscht bin. Ich hatte bei verschiedenen Besuchen im Abbey Road Gelegenheit, die Vintage-Originale in Augenschein zu nehmen. Während der Chandler den Look der Originale auf den ersten Blick trifft, lässt er doch deren „Flair“ ziemlich komplett vermissen. Das Plastik der Potikappen und des VU-Meters sieht leider etwas billig aus, statt einer Gravur hat die Frontplatte nur einen Siebdruck verpasst bekommen. Insgesamt wirkt das Gerät dadurch sehr nüchtern. Nun könnte man argumentieren, dass dieses Punkte sind, die den Klang des Gerätes nicht beeinflussen und damit egal sein könnten. Ich finde aber, dass angesichts des Kaufpreises hier mehr drin gewesen wäre, zumal der Fertigungsaufwand der eigentlichen Audiowege angesichts der einfachen Schaltung nicht besonders hoch sein dürfte. Dass die Nadel des VU-Meters sich nicht exakt auf Null kalibrieren ließ und der Netzschalter etwas klapprig wirkt, ist nicht direkt geeignet, mich an diesem Punkt milder zu stimmen. Bei einem Listenpreis von deutlich über 4000 Euro brutto für einen Mono-Kompressor sollte das eigentlich nicht vorkommen. Eventuell sind diese Nickeligkeiten der Tatsache geschuldet, dass sich die Serienfertigung sich noch nicht hundertprozentig eingegroovt hat. Unterm Strich bleibt der Eindruck bestehen, dass die Hardware des RS124 zwar im Kern sehr solide ist, mich in der Kür trotzdem nicht vom Hocker gehauen hat. Würde ich das Gerät kaufen, würde ich als allererste Maßnahme die Potikappen austauschen.

Fotostrecke: 7 Bilder Sehr übersichtlich: Aufbau des RS
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