Bändchenmikrofone sind seit einigen Jahren wieder definitiv “en vogue”, doch sieht man sie fast ausschließlich im Studio-Einsatz. Neben den beiden auf diesem Feld wohl wichtigsten Herstellern – den amerikanischen Unternehmen AEA und Royer – produziert ein deutsches Unternehmen mit großer Beständigkeit hervorragende Bändchenmikrofone: Beyerdynamic. Die unscheinbaren M130, M160 und M500 haben sich schon tausendfach bewiesen und zählen nicht ohne Grund zu den Klassikern. So ist es eigentlich naheliegend, dass Beyer auch in der aktuellen “Touring Gear”-Serie ein Mikrofon mit dem eher ungewöhnlichen Prinzip auf dem Markt hat.
Dass Bändchen als höchst empfindliche Werkzeuge im rauen Bühnenalltag nichts zu suchen hätten, ist eine Weisheit, die für heutige Produkte in diesem Umfang nicht mehr gilt. Beim TG V90r ist die kleine Bandmembran dennoch von wuchtigem Metall umgeben, das Mikrofon ist ein richtig schwerer Koloss. Doch halt! Ich bin ja schon mittendrin in der Beschreibung, dabei ist diese Aufgabe bei bonedo doch traditionell unter “Details” beheimatet.
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DETAILS
Wo war ich? Ach ja: Das V90r ist ein wirklich massives und ordentlich schweres Mikrofon. Ich habe direkt eine Assoziation mit dem Stereotyp eines englischen Fussballfans – etwas gedrungen, kugelrundes Haupt, kein Hals. Damit sieht es um einiges bulliger aus als sein Vorgänger, das M500. Auf dem sich verbreiternden Schaft thront der große, exakt kugelförmige Korb mit seinem blitzblanken Metallgitter.
Auf der Webseite des Herstellers aus Heilbronn ist angegeben, dass das V90r derzeit das einzige Bühnen-Bändchen für Vocals ist. Tatsächlich fällt mir auch kein anderes ein. Ich habe mal ein Coles 4038 im Live-Einsatz gesehen, allerdings war das vor einer Jazzsängerin positioniert, die beide Hände brauchte, um sie langsam-lasziv wie in einer Gehbewegung vor- und zurückzuschaukeln – das Mikro empfing ihre Stimme festgepfropft auf einem Mikrofonstativ. Ein V90r hingegen will in schwitzenden Händen von einer Seite der Bühne zur anderen befördert werden. So zumindest die optische Botschaft, die es aussendet.
Ribbon-Mics wie dieses sind zwar dynamische Wandler, haben aber eine weitaus geringere Membranmasse als die verbreiteteren Tauchspulen-Mikrofone. Daher wird man auch vom V90r erwarten können, Transienten flott und spritzig zu übertragen. Kernstück der Kapsel ist eine zwei Mikrometer dünne Aluminium-Membran, die umgeben ist von einem komplexen System von Elementen zur Schallleitung. Dies führt beim Testling zur beliebtesten aller Richtcharakteristiken, der Niere. Zusätzlich übernehmen die Akustikelemente noch weitere Aufgaben, darunter den Schutz vor Poppgeräuschen und gewollte Resonanzen im Höhenbereich. Ein linearer Frequenzgang ist von einem Mikrofon dieser Bauart natürlich nicht zu erwarten – und wer will das schon bei einem Bändchen für Gesang? Charakteristisch ist das eingeschränkte Spektrum, das im Bass mit einem nur sehr gemächlichen Anstieg beginnt. Erst im Grundtonbereich von Gesang und Sprache wird der -3dB-Punkt überschritten. Am anderen Ende des Spektrums sieht es nicht viel anders aus: Von 10 bis 20 Kilohertz geht es mit dem Frequenzgang so rapide abwärts, dass Beyerdynamic dort 14 kHz als obere Grenze angibt – obwohl sich um die 10 kHz eine fette Beule im Frequenzgang befindet. Eine weitere, aber kleinere Nase befindet sich um 4,5 kHz herum. Die 0,9 mV/Pa Feldleerlaufübertragungsfaktor werden schon von den meisten Tauchspulenmikrofonen überboten. Ein geringer Output ist für Bändchen üblich, aber wir sind hier ja nicht beim Quartettspielen. An einen rauscharmen Preamp mit mindestens 60 dB Gain sollte das V90r aber doch angeschlossen werden.
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PRAXIS
Was die hiesigen Paketversender befördert haben und danach noch funktioniert, muss eigentlich nicht mehr separat auf Bühnentauglichkeit getestet werden. Ich habe das trotzdem gemacht und das Beyerdynamic dabei weder beschädigt noch zerstört – trotz wenig zimperlichem Umgang. Zugegeben, es wurde nicht gerade im Wahn gegen die Wand geworfen. Trotzdem ist festzustellen, dass das Mikrofon samt Korb sehr stabil ist, die Verarbeitung würde sicher als Aushängeschild für “Deutsche Wertarbeit” auf der ganzen Welt anerkennende (oder neidische) Blicke ernten. Allerdings sollte auch ein Bändchenmikro robustester Bauart nicht unbedingt auf den Boden fallen – das könnte im ungünstigsten Fall das Ende der kleinen Aluminiummembran sein. Das Handling des Mikrofons macht Spaß, denn es ist wirklich ordentlich schwer und dick. Am Fuß, in dem der XLR-Stecker versenkt wird, misst der konische Korpus 2,3 cm, um bis auf 4,5 cm unterhalb des Korbes anzusteigen. Der Korb selbst hat einen wuchtigen Durchmesser von 5,7 cm. Ich assoziiere Bändchen klanglich eher mit Frauen- als mit Männerstimmen, das kann ich von der Hardware des 90r nicht behaupten. Kleinere Hände können das Mikrofon nicht so gut umgreifen, und sich den (meiner Meinung nach etwas zu auffällig glitzernden) Korb des sehr schweren Mikros während eines eineinhalbstündigen Konzerts vor die Nase zu halten, ist auch ohne Singen und Tanzen schon Sport.
Wer übrigens befürchtet, dass Phantomspeisung das arme Bändchen unumkehrbar dem Bändchenhimmel zuführt, der kann beruhigt sein: Nö. Gut, denn viele Mischpulte bieten leider nur eine blockweise Zuschaltung der 48 Volt, außerdem ist schnell die falsche Buchse auf der Stagebox erwischt. Ob aber Kabelwackler und An- und Abstecken bei geschalteter Speisung ebenfalls immer glimpflich überstanden werden, gilt es bei Bedarf noch zu erfahren. Klanglich entspricht das Beyerdynamic dem, was man sich aus dem Frequenzgang und der Kenntnis um das Empfängerprinzip ableiten kann. Der sanft abfallende Frequenzverlauf im Bassbereich kann einigen Stimmen sicher guttun, der Sängerin für die Testfiles würde ich im Livebetrieb vielleicht eher ein anderes Mikrofon in die Hand drücken. Ich finde beispielsweise nicht, dass man ihren Grundtonbereich auf der Bühne einschränken müsste, aber das hängt natürlich auch von der Instrumentierung und vielen anderen Faktoren ab. Und damit sind wir bei einem wichtigen Thema: Es gibt Stimmen und Einsatzzwecke, da ist das V90r die absolut goldrichtige Lösung. Der Höhenbereich erscheint mir sehr charmant, denn die vielbeschworene Seidigkeit der Bändchen lässt sich auch hier ausmachen, außerdem ist das Mikro sehr schnell. Durch die starke Überhöhung bei 10 kHz und den daraufhin starken Abfall wirkt das Signal über eine PA angenehm und gleichzeitig durchsetzungsstark, ohne einerseits zu kratzen und zu britzeln oder andererseits dumpf und intransparent zu wirken. Man könnte bei ausreichendem Mikrofonabstand fast schon von “Luftigkeit” sprechen. Nähert sich der Vokalist dem V90r, greift der Nahbesprechungseffekt. Die resultierende Bassanhebung ist meiner Meinung nach kein Glanzstück, klingt etwas unausgewogen und schnell störend. Bei weiteren Abständen gefällt das Mikrofon deutlich besser, lädt aber aufgrund seiner Bauform zur nahen Besprechung eher ein als ein schlanker Vertreter. Selbst bei entfernter Besprechung zeigt sich unter Umständen ein weiterer Nachteil des Bändchenprinzips: Trotz guter Gegenmaßnahmen seitens des Herstellers erfordert es im Betrieb erhöhte Vorsicht, Popplaute zu verhindern. Zieht man die Anschaffung eines derartigen Spezialisten in Erwägung, sollte man sich natürlich überlegen, welche Gründe es dafür gibt, dass das V90r das einzige Bändchen-Livemikrofon ist.
Audio
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V90r Gesang fernV90r Gesang nahSM58 Gesang fernSM58 Gesang nahV90r Sprache fernV90r Sprache nah
Eine erwähnenswerte Sache noch am Rande: Die Richtungsempfindlichkeit V90r ist trotz der im Gegensatz zu üblichen Mikrofonen nicht runden Membranfläche offensichtlich absolut rotationssymmetrisch. Wie man das Mikro in der Hand auch dreht (also das schmale Bändchen ausrichtet), klanglich ändert sich dadurch überhaupt nichts.
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