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Interview mit Billy Cobham –„Im Negativen steckt immer Positives“

Auch wenn Billy Cobham, mittlerweile 81 Jahre alt, in den letzten Jahren einige gesundheitliche Schwierigkeiten bewältigen musste und derzeit am Stock auf die Bühne geht, ist er, sitzt er einmal an seinem Drumset, nach wie vor schlicht unverwechselbar: Diese tiefen, satten, energiegeladenen Grooves, diese manchmal bis zum Überquellen dichten Fills, das kann eigentlich nur Cobham. Generationen von Drummern (und nicht nur diese) hat er in den rund sechs Jahrzehnten, die er bereits auf der Bühne steht, geprägt. Ohne ihn ist ein Begriff wie „Fusiondrumming“ mehr oder weniger undenkbar. Derzeit ist Cobham mit seiner Band Time Machine auf Tour, und wir haben ihn bei den Leverkusener Jazztagen zum Gespräch getroffen. 

Billy Cobham Live 2025
Alle Fotos: Ingo Baron

Wie geht’s dir derzeit gesundheitlich? 

Derzeit durchlebe ich die wahrscheinlich sensibelste Periode in Sachen Gesundheit seit der Army-Zeit Mitte der Sechzigerjahre. Damals hatte ich schon mit Rückenschmerzen zu tun und war in Behandlung. In den letzten 15 Jahren musste ich einiges infrage stellen – zunächst durch meine Prostataerkrankung 2010. Nach der Operation war alles wieder in Ordnung, aber ich wusste, dass zum Beispiel mein Vater Probleme mit dem Rücken und den Hüften hatte. Also war ich da schon ein wenig vorgewarnt, vor allem nach der vorangegangenen Operation. Daher habe ich 15 Jahre lang ziemlich auf mich aufgepasst. Zu alledem kamen die gesellschaftlichen Entwicklungen, vor allem in den Vereinigten Staaten, die mich nachdenklich gemacht haben – diese unterschwellige Dauerherausforderung, das alles als Menschheit in die Reihe zu bringen und die Kontrolle zu behalten. Das hat mich fast ein wenig zum Zyniker gemacht, obwohl ich das gar nicht wollte.

In welcher Hinsicht? 

Na ja, die gesamte Situation macht nicht gerade optimistisch. Das alles kam jedenfalls zusammen mit meiner gesundheitlichen Lage, die sich 2022 merklich verschlechterte, kurz nach Covid. Die Hüften taten immer mehr weh. Bei einer Untersuchung stellte sich heraus, dass beide Seiten operiert werden mussten. Es wurde zunächst die linke Seite gemacht. Mittlerweile habe ich Titangelenke, und zwar auf beiden Seiten. Mein Problem war aber irgendwie komplizierter, denn es gab zu der Zeit – auch aufgrund von Covid – einfach nicht genug Ärzte, die die Folgeoperation hätten machen können. Also ging’s erst 2024 statt direkt ein Jahr nach der ersten Seite los. Dadurch ist natürlich Zeit verloren gegangen, in der ich auch nicht viel spielen konnte. Diese ganze Situation hat mich schon mitgenommen.

Bei all der abgefahrenen Spitzenforschung, die wir heute so betreiben, brauchen wir eben auch Leute, die sich um die Grundlagen kümmern. Über die Mentalität mancher Zeitgenossen allgemein kann ich manchmal nur den Kopf schütteln. Ich denke, die junge Generation hat es heutzutage schon sehr schwer, überhaupt ein irgendwie ruhiges Leben zu führen. Dafür brauchst du Vorbilder, die dich immer wieder ermutigen – auf der Bühne und davon abgesehen. Manchmal scheint der Kampf für Frieden, persönlich oder allgemein, nahezu aussichtslos, denn man muss das Yin und das Yang irgendwie zusammenbekommen. In einer Welt voller künstlicher Intelligenz fehlt aber entweder das Eine oder das Andere. Gerade diese Balance ist jedoch das Wesentliche an einem runden Gesamtbild. Ich finde es schlicht wundervoll, solche Dinge nicht zu benutzen und so die Möglichkeit zu haben, Fehler zu machen. 

Das Spielen mit vier Sticks hat nicht nur Showgründe, sondern entlockt Cobhams Drumset einen ganz besonderen melodischen Reiz. Foto: Ingo Baron
Das Spielen mit vier Sticks hat nicht nur Showgründe, sondern entlockt Cobhams Drumset einen ganz besonderen melodischen Reiz. Foto: Ingo Baron

Das ist ja gerade das Wesentliche an Musik… 

Ja klar. Musik ist zutiefst menschlich, und du kannst nicht das schreiben oder spielen, was du nicht weißt. Wenn du einen Song wie „Total Eclipse“  [vom gleichnamigen Album, 1974] nimmst, dann können wir ihn nur so spielen, wie wir’s eben können, und das hängt jeweils von der Persönlichkeit ab. Die äußerliche Form mag die gleiche sein, aber 50 Jahre später spielst du einen Song einfach anders als früher, selbst wenn die Zusammenstellung der Band mehr oder weniger die gleiche ist. 

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Wie siehst du heute die Musik, die du vor 50 Jahren gemacht hast? 

Die Plattform für Unterhaltung ist sehr dünn und eindimensional. Die wesentlichen Dinge sind immer an Personen gebunden: Es geht eigentlich immer um Leute, die Leute kennen, die dich vor möglichst viele andere Leute bringen. Diese Leute verdienen Geld, was im besten Fall dazu führt, dass du ebenfalls Geld verdienst. Darum geht es fundamental. Das hat sich keinen Zentimeter verändert. Schon in der Zeit vor Mahavishnu war es in meiner musikalischen Umgebung eigentlich immer so, dass es jemanden gab, der der Boss war. Ich denke, du kannst die junge Generation von damals mit der Gen Z von heute vergleichen: Auch sie wirkt ein wenig verloren, möchte geistig eigentlich irgendwo anders sein und sucht nach einem Weg, wie man das erreichen kann. Vor der Flower-Power-Generation galt das im Übrigen auch für die Hochzeit des Jazz.

Manchmal versuchte man das natürlich auch über illegale Substanzen, die zu einer Zeit oder der anderen noch als „medizinisch“ galten. Dann gab’s aber Gesetze, die das alles verboten und Menschen, die daran wiederum Geld verdient haben. So festigt sich eine Szene, und dann gibt es natürlich Menschen, die das alles kontrollieren und möglichst stabil halten wollen. Wenn es aber immer so weitergeht, dann entwickelt sich nichts Neues.

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Es gilt also, etwas dagegenzusetzen, und das kann eben auch ich als Drummer in einer Band machen, vor allem dann, wenn man seine eigene Musik schreibt. Wer sagt denn, dass Drummer keine Musik schreiben können? Manche aus der jungen Generation haben das noch immer nicht begriffen. Es geht nicht darum, seine Rudiments oder was auch immer bis zum Abwinken zu üben. Das ist nur ein kleiner Teil der Sache, mit dem sich aber viele als deren Ganzheit beschäftigen. Die eigentliche Schönheit von Musik hat sich für mich erst in dem Moment erschlossen, in dem ich angefangen habe zu komponieren. Fehler und alles andere gehören dazu. Dabei habe ich nur so weit geschrieben, wie ich eben konnte. Wenn man schlau war, hat man die Ideen damals zur Seite gelegt und gewartet, bis sich das richtige Puzzleteil ergänzen ließ. Dafür musste ich mich als Komponist und Musiker weiterentwickeln. Viele meiner Songs haben ihre Wurzeln also ganz tief in der Vergangenheit, und ich habe sie in der Zwischenzeit nicht mehr angeguckt. 

„Die eigentliche Schönheit von Musik hat sich für mich erst in dem Moment erschlossen, in dem ich angefangen habe zu komponieren“, sagt Cobham.
„Die eigentliche Schönheit von Musik hat sich für mich erst in dem Moment erschlossen, in dem ich angefangen habe zu komponieren“, sagt Cobham.

In welcher Hinsicht komponierst du heute anders als damals? 

Ich habe einfach mehr zu erzählen, mehr Erfahrung und mehr Material, auf das ich zurückgreifen kann. Ob du das jetzt Licks oder was auch immer nennen willst, ist eigentlich egal. Diese Ideen passen jedenfalls an Stellen, von denen ich zu Beginn meiner Karriere nicht gedacht hätte, dass sie dort hinpassen. Ich wusste ja teilweise nicht einmal, dass sie überhaupt existierten. So was muss man lernen. Dazu muss man nicht unbedingt streng mit sich sein, aber auf die Einfälle, die man so hat, langsam aufbauen, manchmal dafür eben auch Sachen zur Seite legen und darauf vertrauen, dass sich etwas dazu Passendes entwickeln wird. Das kann dann auch schon mal zehn, zwanzig Jahre dauern. Manchmal passiert auch gar nichts, und der Song verschwindet in der Schublade.

Die äußerliche Form mag die gleiche sein, aber 50 Jahre später spielst du einen Song einfach anders als früher.

Es gibt zum Beispiel einen Song namens „A Days Grace“, den ich 1977 oder ’78 – wie alles damals – am Klavier geschrieben habe. Heute gibt’s ja Synthies und Computerprogramme wie Sibelius. Den haben wir seinerzeit auch live gespielt, aber irgendwie lief das Ding gegen die Wand. Es gab einfach mehr, das da noch entdeckt und erarbeitet werden wollte. 2008 habe ich den Song dann noch mal aufgenommen. In der Zwischenzeit musste er reifen. Manchmal geht’s dann letztendlich sogar wieder sehr plötzlich weiter. 

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Gilt das auch für die Organisation deines Drumsets? 

Etwa 1978 habe ich damit angefangen, das Drumset anders aufzubauen, um für mich während der Performance besser an gewisse tonale Charakteristika heranzukommen. Dabei ging es nicht immer um die reine Tonalität, sondern manchmal auch um die Tiefe und Individualität des Klangs. Dadurch hat sich wiederum meine Persönlichkeit als Drummer verändert. Als Rechtshänder so zu spielen, wie ich spiele, hat natürlich seine Auswirkungen. Hi-Hat und Ride mit der linken Hand zu spielen, war für mich aber eine logische Entwicklung. Die Arme zu kreuzen, das schien mir irgendwie komisch. Bei den Pauken in einem klassischen Orchester machst du das schließlich auch nicht sonderlich gerne. So kam bei mir eins zum anderen und passte irgendwie zusammen. 

Durch die Art und Weise, das Drumset zu organisieren, habe sich auch seine Persönlichkeit als Musiker verändert, erklärt Cobham.
Durch die Art und Weise, das Drumset zu organisieren, habe sich auch seine Persönlichkeit als Musiker verändert, erklärt Cobham.

Wie sehen deine Pläne für die Zukunft aus? 

Ich würde gerne am Leben bleiben [lacht]. Ich meine, noch ein paar Jahre wären schon schön. Wenn man älter wird, dann fragt man sich schon einmal, ob man das erreicht hat, was man in seinem Leben erreichen wollte. Davon abgesehen stelle ich mir als Beobachter auch öfter die Frage, ob die Menschen wirklich manchmal so einfältig sind, wie sie handeln. Manchmal scheint es so zu sein, und das liegt meiner Meinung nach daran, dass es anstrengend ist, sich selber seine Gedanken zu machen, Verantwortung zu übernehmen und sie nicht auf andere abzuwälzen. Das tut mir leid.  

Geht’s auch weiterhin auf Tour? 

Ja, auf jeden Fall. Was sollte ich denn sonst machen? Auch dabei geht’s um Balance. Es gibt Positives und natürlich auch Negatives – aber aus jedem Negativen entwickelt sich wieder etwas Positives. Immer!

Billy Cobham ist auch nach 60 Jahren auf der Bühne ein Energiebündel.
Billy Cobham ist auch nach 60 Jahren auf der Bühne ein Energiebündel.


Website: www.billy-cobham.com

Biografie: 

Billy Cobham wurde am 16. Mai 1944 in Panama geboren. In den späten Sechzigerjahren rief ihn kein Geringerer als Miles Davis in seine Band. Anschließend war es der Gitarrist John McLaughlin, der mit Cobham den Sound einer ganzen Ära mit dem Mahavishnu Orchestra prägte. Cobhams Soloalben wie „Spectrum“ (1973), „Crosswinds“ und „Total Eclipse“ (beide 1974) oder „Shabazz“ (1975) sind ebenfalls längst Klassiker. Seit rund sechs Jahrzehnten ist Billy Cobham als Leader oder Sideman auf den großen Bühnen der Welt unterwegs. Er spielt(e) mit George Benson, James Brown, Kenny Burrell, Ron Carter, Stanley Clarke, Larry Coryell, Gil Evans, Peter Gabriel, Freddie Hubbard, Milt Jackson, Quincy Jones, Horace Silver, McCoy Tyner, Miroslav Vitous, Sonny Rollins und ungezählten anderen. Seit einigen Jahrzehnten lebt Cobham bereits in der Schweiz und startet von dort aus seine internationalen Tourneen. 

Diskografie (Auswahl): 

  • solo: Spectrum (1973), Crosswinds (1974), Total Eclipse (1974), Shabazz (1975), A Funky Thide of Sings (1975), Life & Times (1976), Live On Tour In Europe with George Duke (1976) u. v. m. 
  • Miles Davis: Live-Evil (1970), A Tribute to Jack Johnson (1970), Big Fun (1974), Get Up with It (1974), The Complete Bitches Brew Sessions (1998)
  • Mahavishnu Orchestra: Inner Mounting Flame (1971), Birds of Fire (1973), Between Nothingness and Eternity (1973), The Lost Trident Sessions (1999)
  • u. v. m.
Ein Blick auf das Drumset von Billy Cobham. Foto: Ingo Baron
Das aktuelle Drumset von Billy Cobham.

Equipment: 

  • Drums: Tama „Star“ Bubinga
  • Cymbals: Sabian
  • Heads: Evans
  • Sticks: Vater

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