Wenn’s doch mal kracht – Bandkonflikte

Ob Proberaum, Tourbus oder Studio: Wo kreative Menschen zusammenarbeiten, sind Konflikte vorprogrammiert. Verschiedene Persönlichkeiten, oft knappe Budgets und hoher Druck können selbst die beste Band-Beziehung ins Wanken bringen. Jochen Reich weiß, wie man solche Situationen entschärft. Der Hamburger Musiker, systemische Coach M.A. (DGfC) und zertifizierte Mediator hat sich auf Konfliktmanagement spezialisiert und das auch ganz speziell für Musikgruppen. Beim Reeperbahn Festival sprach ich mit ihm darüber, warum Streit nicht nur zerstören, sondern auch Kreativität freisetzen kann.

Bonedo: Wie kamst du selbst vom Musiker zum Konfliktcoach und wann hast du gemerkt, dass gerade Bands deine Beratung brauchen?

Jochen: Ich habe selber bereits als Jugendlicher angefangen, in Bands zu spielen, und habe so auch immer Erfahrungen mit Konflikten in Bands gesammelt. Dabei hatte ich übrigens oft die Rolle des „Dritten“. Das bedeutete, dass ich zwischen den Stühlen stand und das ich von den unterschiedlichen Seiten im Konflikt immer viel mitbekommen habe – alle haben sich gerne bei mir ausgequatscht.

Nachdem ich über 25 Jahre hauptberuflich als Musiker und Musikpädagoge gearbeitet habe, war, begann für mich vor etwa zehn Jahren eine Phase der beruflichen Neuorientierung. Seitdem arbeite ich als systemischer Coach und in der Organisationsentwicklung. Vor einigen Jahren habe ich dann noch die Ausbildung zum Mediator gemacht und seitdem widme ich mich mit Freude meinem Schwerpunktthema: der Konfliktkultur in Teams, Unternehmen und auch in der Musikbranche.

Bandkonflikte vs andere Branchen

Bonedo: Unterscheiden sich Bandkonflikte im künstlerischen Umfeld von denen in „klassischen“ Unternehmen?

Jochen: Grundsätzlich tauchen kleine und große Konflikte überall dort auf, wo Menschen zusammenarbeiten. Das gilt für kleine und große Unternehmen. Das ist in jeder Plattenfirma und auch bei jeder Band erst einmal so. Menschen in kreativen und künstlerischen Berufen sind meist innerlich sehr stark mit ihrer Arbeit verbunden. Da ist immer viel Persönlichkeit mit im Spiel. Das geht auch gar nicht anders, denn sonst ist es wohl kaum möglich, einen guten Song zu schreiben oder ein berührendes Bild zu malen. Wir Menschen sind sehr vielschichtige Wesen und in künstlerischen Berufen spielen alle diese Schichten gleichermaßen eine Rolle. Das ist jetzt nicht unbedingt der Fall, wenn ich einen Job habe, der klar abgegrenzt ist und ich eine klar definierte Aufgabe habe, wie zum Beispiel, wenn ich im Supermarkt an der Kasse sitze, oder wenn ich eine Versicherung verkaufe.

Eine weitere Besonderheit ist, dass Musikgruppen sich meistens aus einer Freundschaft heraus entwickeln. Man startet also aus der Liebe zur Musik und aus emotionaler Verbundenheit zueinander. Wenn diese Verbundenheit gestört wird, dann ist das für die betroffenen Personen oft besonders dramatisch. Denn es ist nicht nur der Job in Gefahr, sondern auch die emotionale Verbindung zueinander und die Verbindung zu dem, was den meisten Menschen in der Branche am wichtigsten ist: die Musik. In schweren Konflikten steht dann häufig gleich vieles auf dem Spiel: Die Karriere, die Existenz und die Freundschaft.

Wie entstehen Bandkonflikte?

Bonedo: Welche typischen Auslöser für Streit in Bands begegnest du am häufigsten?

Jochen: Auslöser für Streit kann glaube ich so ziemlich alles sein. Und meistens geht es auch überhaupt nicht um die Situation, die das ausgelöst hat. Die meisten Bands schleppen einen ganzen Sack (manchmal auch einen ganzen Container) an unausgesprochen Konflikten mit sich herum. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Ein häufiger Grund ist einfach die Konfliktvermeidung. Viele Menschen wissen nicht, wie sie mit Konflikten umgehen sollen, und sie haben auch wenig positive Erfahrung im Umgang mit Konflikten. Das spielen Ängste eine Rolle. Angst vor Eskalation, Angst davor, dass alles noch schlimmer wird, wenn ich etwas anspreche, Angst davor, dass wir uns vielleicht trennen, wenn wir ehrlich zueinander sind.

Konflikte werden außerdem gemieden, weil sie eher als uncool gelten. Wer hat schon gerne Konflikte und gibt das auch noch zu? In der Musikbranche ist das aus meiner Sicht besonders verbreitet. Man gibt sich gerne als easy und locker und legt großen Wert darauf, dass sich alle gut verstehen. Konflikte werden dann lieber beharrlich weggeschwiegen und ignoriert, als konstruktiv gelöst.

Und dann ist eigentlich egal, was der Auslöser ist, irgendwann ist der Druck zu hoch und das Fass läuft über.

Bonedo: Gibt es Frühwarnzeichen, an denen Mitglieder merken: „Jetzt wird’s kritisch“?

Jochen: Immer, wenn du das Gefühl hast, wir reden mehr übereinander als miteinander, dann ist Vorsicht geboten.

“Red-Flags” beim Probespiel

Bonedo: Gibt es „Red-Flags“ wie beim Dating, die man auf der Suche nach Bandmitgliedern beachten sollte?

Jochen: Da sollte jede*r auf sein/ ihr persönliches Bauchgefühl hören, denn das Bauchgefühl hat meistens recht. Wenn du das Gefühl hast, dass eine Verbindung zu einem Menschen nicht bereichernd für dich ist, sondern dir eher schadet, dann solltest du diese Verbindung gar nicht erst eingehen.

Davon abgesehen wird es aber eh früher oder später zu Bandkonflikten kommen. Denn überall dort, wo Menschen zusammenarbeiten, kommt es nun mal auch zu Konflikten. Das ist vollkommen normal. Das ist in jeder Freundschaft, in jeder Familie, in jedem Team so. Und natürlich auch bei Bands!

Bonedo: Du sprichst von „konstruktiver Konfliktkultur“. Wie kann eine Band so etwas konkret aufbauen?

Jochen: Jede Band hat bereits eine Konfliktkultur! Konfliktkultur können wir übersetzen mit: „Die Art und Weise, wie wir mit Konflikten in unserer Gruppe umgehen.“ Um diese Art und Weise ist gegeben, sei es durch Schweigen, sei es durch Konflikte unter den Teppich kehren und behaupten, dass wir gar keine Konflikte haben oder auch wenn Konflikte regelmäßig eskalieren und die Band kurz vor der Auflösung steht. All dies ist gelebte Konfliktkultur.

Die Frage ist natürlich, ob die aktuell gelebte Konfliktkultur passend ist, oder ob da vielleicht etwas anders und besser gemacht werden könnte.

In einer konstruktiven Konfliktkultur werden Spannungen proaktiv angesprochen, und es gibt die passenden (zeitlichen) Räume für Konflikte. Was das dann konkret bedeutet, kann sehr unterschiedlich sein, denn es muss natürlich zu den individuellen Menschen passen. In meiner Arbeit helfe ich Musikgruppen, die passende Konfliktkultur aufzubauen.

Die Entwicklung von Konfliktkultur, egal ob in Unternehmen oder in einer Band braucht etwas Zeit. Das ist nichts, was man so in ein bis zwei Workshops abhaken kann.

Routine gegen Streit

Bonedo: Welche einfachen Routinen helfen, dass Spannungen gar nicht erst eskalieren?

Jochen: Eine einfache Routine kann zum Beispiel ein bewusstes Check-In sein, was ihr zu Beginn jeder Probe und jedes Meetings macht. Check-In bedeutet, dass ihr euch bewusst einen Moment füreinander nehmt, um gemeinsam in einer Situation (Studio, Probe, Meeting) anzukommen. Das sind z.B. Fragen wie: „Wie bist du heute hier?“, „Welches Thema hat deine Aufmerksamkeit?“, „Brauchst du noch etwas, um gut starten zu können?“ Und bevor ihr auseinander geht, macht ihr dann ein Check-Out, mit Fragen wie: „Was nimmst du von heute mit? / Was willst du hierlassen?“, „Gibt es noch etwas, was du sagen möchtest?“. Beides kostet nicht viel Zeit, ist aber sehr effektiv, um sich einzustimmen und auch wieder auseinanderzugehen.

Bonedo: Welche Methoden aus der Mediation lassen sich in einer Bandprobe anwenden, ohne dass sofort ein Coach dabei sein muss?

Jochen: Eine sehr wirksame und einfache Methode ist der „verlangsamte Dialog“.

In einer Situation sagt Person A sagt etwas mit dem ich nicht einverstanden bin. Und das regt mich auf.

(Bevor ich antworte, atme ich erst einmal durch. 😉)

Statt jetzt direkt zu antworten (und zum Gegenangriff überzugehen), fasse ich einmal in meinem Worten zusammen, was ich verstanden habe und was bei mir angekommen ist und frage die Person A, ob sie das so gemeint hat.
Person A anwortet, dann entweder mit JA, das ist das, was ich sagen wollte. Oder sie antwortet mit NEIN, ich wollte eigentlich etwas anderes sagen, nämlich …
Dieses Vorgehen wird auch in der Mediation genutzt, wenn sich Konfliktparteien gegenseitig hochschaukeln. Es nimmt Tempo aus der Situation und es sorgt dafür, dass wir besser ins gegenseitige Verstehen kommen.

Gesprächsführung für Bandkonflikte

Für eine detaillierte Anleitung hat uns Jochen sein PDF zum Thema Gesprächsführung bereitgestellt. Zu der Website gelangst du hier.

Bonedo: Gibt es ein „Notfall-Protokoll“, wenn ein Streit im Tourbus oder Backstage hochkocht?

Jochen: 1. Wenn wirklich etwas überkocht, dann braucht es erst einmal Abstand und Abkühlung. Deeskalation geht immer vor Lösung! Denn Lösung ist erst möglich, wenn wir emotional dazu in der Lage sind.

2a. Keine grundsätzlichen Bandkonflikte ansprechen kurz bevor ihr auf die Bühne geht. Konflikte brauchen Zeit und Raum. Stattdessen kannst du dich fragen, wann ist der richtige Zeitpunkt um in Ruhe in’s Gespräch zu gehen? Gibt es einen zeitlichen Puffer danach? Und wo ist der geeignete Ort dafür? Und am besten verabredest ihr euch dann auch direkt. Dann wissen alle was los ist und es schafft Verbindlichkeit.

2b. Keine Bandkonflikte direkt nach einer Show ansprechen. Nach einem aufregenden Konzert ist unser Körper mit der Regulierung von Botenstoffen wie z.B. Adrenalin beschäftigt, diese müssen erst einmal abgebaut werden. Dabei helfen Routinen zum Runterfahren, z.B. Duschen, Essen, ein ruhiges Gespräch, Frischluft). Zum Runterfahren brauchen die meisten von uns so 60-90 Minuten. Und erst danach denken wir wieder klar und können unseren unsere Kommunikation steuern.

3. Wartet nicht auf den Notfall. Geht mutig und offen mit euren Spannungen um. Nehmt euch Zeit, um Raum um die Dinge, die euch nerven, in Ruhe anzusprechen. Beginnt damit heute!

Wie man Bandkonflikte managet

Bonedo: Du sagst, Konflikte seien auch Innovationstreiber.

Jochen: Bandkonflikte lösen heißt immer nach vorne schauen. Zuerst müssen wir aber den Konflikt verstehen, und für starten wir in der Vergangenheit. „Was wurde gesagt, was wurde getan, was für dich nicht in Ordnung ist? Welches Verhalten hat dich z.B. verletzt oder enttäuscht? Wenn das geschafft ist und alle sich verstanden fühlen in dem, was sie sagen wollen, dann ist es möglich aus diesem Verständnis heraus ganz neue Lösungen zu kreieren. Diese neuen Lösungen sollten dann für die Beteiligten besser funktionieren als vorher. Dieses finden von wirklich neuen Lösungen ist ein sehr kreativer und freier Prozess. Musiker*innen und andere Kreative haben dort ganz klar einen Vorteil. Denn sie sind Experten für Kreativität und sind es gewohnt, frei und offen zu denken.

Vom Streit zum Durchbruch

Bonedo: Kannst du ein Beispiel nennen, wo aus einem Streit ein künstlerischer Durchbruch entstand?

Jochen: Ein künstlerischer Newcomer-Durchbruch ist mir nicht bekannt. Es gibt aber eine Band, die gezeigt hat, was sich durch Mediation und Konfliktbearbeitung erreichen lässt und das ist Metallica. Der Film-Doku „Some Kind of Monster“ ist dazu sehr sehenswert.

Metallica befand sich zu Beginn der 2000er Jahre in einer existenziellen Krise und hätte sich fast aufgelöst. Durch einen Mediator (Phil Towle) schaffen es die starken Persönlichkeiten der Band neue Verbindungen zueinander aufzubauen und sich neu aufzustellen. Heute ist Metallica immer noch unterwegs und die noch laufende M72 World Tour ist sicherlich einer der größten Erfolge der Band. Das beweist, was mit externer Unterstützung in dem Bereich möglich ist!

Wann muss man getrennte Wege gehen?

Bonedo: Wie erkennt man, ob ein Konflikt lösbar ist oder ob sich die Wege besser trennen sollten?

Jochen: Das ist leider nicht so einfach zu sagen. Natürlich gibt es auch unüberbrückbare Differenzen zwischen Menschen. Vertragen um jeden Preis funktioniert nicht. Eine Trennung ist grundsätzlich immer auch eine Option.

Sicher ist aber, dass Menschen in schwerwiegenden Konflikten eine stark eingeschränkte Sicht auf mögliche Lösungen haben. „Solange der nicht AB macht, mache ich auch nicht XY!“ oder „Sie wird den Punkt CD sowieso nie verstehen können.“ Das sind typische Annahmen, die Betroffene typischerweise haben und das erschwert es in einen Lösungsraum zu kommen. Im Konflikt werden wir im wahrsten Sinne des Wortes engstirnig. Zusammen mit einer Person von aussen, z.B. einem Mediator / einer Mediatorin ist es leichter und schneller Klarheit zu finden und dann auch die beste Entscheidung zu treffen.

Wenn du also aus deiner Band aussteigst, wenn ihr ein Bandmitglied rausschmeißt oder ihr gleich die ganze Band auflöst, so tretet ihr damit in der Regel viele Jahre an Aufbauarbeit in die Tonne! Trefft so eine Entscheidung nicht in einer emotionalen Belastungssituation, die durch eure Bandkonflikte entstanden ist. In so einem Fall würde ich immer sagen: Lasst euch unterstützen, von jemandem der/die sich damit auskennt. Und nehmt dann am besten jemand der auch tatsächlich und gut ausgebildet ist im Bereich Konfliktmanagement und Mediation.

Feiert eure Konflikte!

Bonedo: Wenn du Musiker*innen nur einen Rat für langfristig gesunde Zusammenarbeit geben dürftest, welcher wäre das?

Jochen: Feiert eure Bandkonflikte!

Das klingt vielleicht ein bisschen schräg, aber es hilft ungemein und bringt euch Leichtigkeit in ein ernsthaftes Thema. Konflikte haben bedeutet, dass euch etwas wichtig ist und das solltet ihr ernst nehmen.

Wenn ihr das ignoriert und auch eure Bandkonflikte ignoriert, dann wirkt sich das immer negativ auf euch aus. Dann belastet das eure Gesundheit, eure Verbindungen untereinander und auch eure Musik und die Arbeit rund um die Musik, die auch wichtig für eure Karriere ist – egal auf welchem „Karriere-Level“ ihr unterwegs seid

Wenn ihr es hingegen schafft gut mit euren Bandkonflikten umzugehen und diese konstruktiv und kooperativ bearbeitet und löst, dann werdet ihr die Energie der Konflikte nutzen für eure Entwicklung können. Konflikte haben Kraft!

Bonedo: Hast du einen Lieblingsmoment aus deiner Arbeit, der zeigt, dass Konfliktmanagement wirklich etwas verändern kann?

Jochen: Vor ein paar Monaten hat eine Band, mit der ich arbeite, ihr neues Album veröffentlicht. Ich habe zum Release eine kurze Nachricht geschrieben, sinngemäß in etwa „Ich hoffe, dass ihr diesen besonderen Tag zusammen genießen könnt.“ Als Antwort kam: „Es fühlt sich sehr gut an. Und dafür bist auch du mitverantwortlich. Danke Jochen!“

Und das ist für mich das schönste überhaupt: Ich kann positiv in der Musikbranche wirken und einen Beitrag leisten. Nur sitze ich jetzt nicht mehr am Drumset, sondern ich habe als Mediator und Konfliktcoach eine neue Rolle gefunden, die ich mit Freude ausfülle. Und das fühlt sich richtig und gut an.

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