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Bitwig Studio 5 Test

Bitwig Studio 5 erfüllt einige lang ersehnte Community-Wünsche. So gibt es nun MSEGs, also komplexe Hüllkurven, und noch mehr Modulationsziele. Außerdem hat Bitwig den Browser überarbeitet und die DAW durch zusätzliche Clip Actions live-tauglicher gemacht. Wir haben uns die Beta-Version genauer angesehen. 

Ungewöhnlich lang ließen sich die Berliner dieses Mal für die nächste Version ihrer Modulations-DAW Zeit. Wo es in früheren Release-Zirkeln teilweise zwei, drei Updates im Jahr gab, herrschte seit Juli 2022 mehr oder weniger Stille. Das dürfte auch mit dem PR-Debakel der Spectral Suite im Oktober 2022 zu tun haben. 

Das Wichtigste in Kürze

  • MSEGs für komplexe Hüllkurven bei der Modulation
  • neue Browser zeigt Devices kontextabhängig
  • ALT- und Release-Actions
  • Projektweite Modulation

Bitwig hatte das Pack damals als kostenpflichtige Erweiterung veröffentlicht. Das sorgte bei vielen zahlenden Abonnenten für Unverständnis. Laut AGB habe man als Abonnent Anrecht auf alle Updates und Erweiterungen, die Bitwig veröffentlicht, erinnerten die User.

Ein tagelanger Shitstorm tobte in Foren, in den Kommentarspalten in den sozialen Medien und auf YouTube. Kleinlaut zog Bitwig die Spectral Suite als Bezahlvariante zurück und veröffentlichte sie in Form des Bitwig Studio 4.4 Update – kostenlos für alle Abonnenten. Seitdem: Stille. Nun also Bitwig Studio 5.

DETAILS 

Multi-Segment Envelope Generators

MSEGs – Multi-Segment Envelope Generators – waren eines von mehreren Features, das die Bitwig Community in den letzten Jahren mit am meisten gefordert hat. Wem der Begriff neu ist: Hier geht es schlicht um komplexere Hüllkurven, die mehr als die vier Parameter Attack, Decay, Sustain und Release mitbringen.

Modulator „Segments“ in Bitwig Studio 5
Mit einem Klick auf die Wellenform öffnet sich (links) das Pop-Out-Fenster.

Eine DAW wie Bitwig Studio 5, die von komplexen Modulationen lebt, ist wie gemacht dafür. Wie so oft erfüllt Bitwig nicht einfach einen Community-Wunsch, sondern führt das Feature auf seine ganz eigene Weise ein. So gibt es nicht ein MSEG-Modul, sondern gleich fünf, in denen man komplexe Kurven selbst gestalten kann.

„Segments“ ist ein Modulator mit vier Modi. Im Modus „One Shot“ feuert die komplexe Kurve für jede MIDI-Note einmal ab; der Modus „Hold“ lässt „Segments“ so lange bei einem vordefinierten Punkt in der Sustain-Phase stehen, wie die MIDI-Note läuft; im „Looping“-Modus wiederholt sich die komplexe Kurve immer wieder von vorne, solange eine MIDI-Note spielt. Bei „Ping Pong“ durchfährt „Segments“ die MSEG-Kurve vorwärts und rückwärts um Wechsel. 

Mit dem zweiten neuen Modul „Curves“ nutzt man die komplexen, selbst gezeichneten Kurven ähnlich wie bei „Curve“ in Phase Plant als LFO synchron zum Songtempo der Modulation. Dann eröffnet der Oszillator „Scrawl“ in The Grid und Polymer die Möglichkeit, eigene Wellenformen zu zeichnen und sie zur Klangerzeugung zu nutzen – ähnlich wie im Ableton Synth Operator.   

„Slopes“ Module in The Grid in Bitwig Studio 5
MSEG Modul „Slopes“ mit Browser in The Grid.

Auch mit „Slopes“ kann man sich kreativ und zeichnerisch bei der Modulationskurve austoben. Dieser Sequencer für The Grid erinnert an die „Performer“-Module in Massive X. Mit ihm zeichnet man sehr komplexe Kurven und verwendet sie zum Modulieren. Beschleunigende Rhythmen wie im heutigen Deep House sind damit ein Leichtes. Fünfter MSEG im Bunde ist „Transfer“, ein Waveshaper-Effekt für The Grid. Hier dient die selbst gezeichnete Kurve als Wavefolding-Distortion-Effekt. 

Neue Modulationsziele & vereinfachter Browser 

Bisher gab es Modulatoren wie LFOs und Remote Controls nur innerhalb eines Devices oder einer Device-Kette in Bitwig. Version 5 hat jetzt eine extra Ebene mit Remote Controls und Modulatoren für die gesamte Spur im Gepäck – und zieht eine weitere Ebene mit Remote Controls und Modulatoren für das gesamte Projekt ein. Mit den Track Remote Controls legt man bis zu acht Makro-Regler an, die direkt im Mixer zu sehen sind – sehr praktisch für die Live-Performance. Auf Projektebene steuert man so die Lautstärken von bis zu acht Spuren gleichzeitig fern.

Datei- und Instrumenten-Browser in Bitwig
Der neue Browser in Bitwig Studio 5

Bitwig hat auch den Browser zum Laden von Instrumenten, Effekten und Clips überholt. Je nachdem, an welcher Stelle man ihn einblendet, zeigt er andere Devices und Presets an. Im Vergleich zu früheren Versionen ist die Ansicht vereinfacht, nur noch ein Such- und ein Ergebnisfenster gibt es, keine verschachtelten Kategorien mehr. Über Tags und verschiedene bunte Symbole für Clips, VSTs, Loops oder Effekte grenzt man die Suchergebnisse schnell ein. 

Bitwig Studio 5: neue Clip Launcher Optionen 

Bitwig Studio 5 führt zwei große Neuerungen bei den Clip-Start-Optionen im Clip Launcher ein. Vergleichbar sind sie mit den Follow Actions in Ableton Live. Damit bestimmt man, wohin die DAW nach dem Ende eines Clips automatisch wechseln soll, falls sie ihn nicht loopt. Die neuen Funktionen sind vor allem für Live Performances sehr praktisch. Es gibt zum Beispiel für den Start und den Play-Modus jedes Clips eine ALT-Action, also eine zweite Launch-Option, die man temporär mit gedrückter ALT-Taste aktiviert (oder über das zugewiesene Pad auf dem MIDI-Controller). 

Einstellungen in der DAW Bitwig Studio 5
Die neuen Clip Actions für ALT und Release.

Auf diese Weise stoppt man beispielsweise einen Clip, dessen normale Clip-Aktion das Loopen wäre, temporär per ALT-Aktion und feuert direkt einen anderen Clip ab. Ist die ALT Clip Action zu Ende, geht es dann automatisch zurück zur eigentlichen Clip Action (beispielsweise Weiterspringen zum nächsten Clip).  Außerdem kann man nun auch Release Actions einstellen – man wechselt also zum Beispiel automatisch zu einem anderen Clip, sobald man den gerade gewählten loslässt. Beide Funktionen laufen sowohl global für alle Clips als auch für jeden einzeln. 

Kleine Neuheiten und Verbesserungen in Version 5

Der verbesserte Modulator Keytrack+ erlaubt ausgeklügelte Keytracking-Modulationen. Das Keytracking verwendet den Notenwert, also C3 oder D4 als Modulator. Damit kann man nun wie bei den MSEGs sehr komplexe Kurven einzeichnen. Alle Noten im Bereich C3 bis C4 senden so beispielsweise fast denselben Wert und ändern ein Modulationsziel wie den Filter-Cutoff nur marginal. Geht es dann aber eine Oktave höher, kann man mit Keytrack+ bestimmen, dass sich die Modulationswerte drastischer unterscheiden und den Cutoff viel stärker schließen oder öffnen sollen. 

Keytrack+ Modulator in Bitwig Studio.
Oben die Track Remotes, in der Mitte Keytrack+ und unten die Project Remotes. 

Bitwig hat dazu auch die Transienten-Erkennung bei Audio-Clips verbessert. Loops werden im Browser beim Vorhören nun außerdem von vornherein temposynchron abgespielt, nicht nur optional. In Bitwig Studio 5 gibt es nun auch neue Sprachpakete für Spanisch und Südkoreanisch. 

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Was bringen komplexe Hüllkurven in der Praxis?  

Zwar kann man mit dem Modulator Wavetable-LFO und den einfachen Hüllkurven bereits sehr komplexe Modulationsbewegungen erzeugen. Der genaue Verlauf einer Modulation Lässt sich mit so allerdings nicht bestimmen. Dafür sind die neuen Modulatoren in Bitwig Studio 5 Multi-Segment Envelope Generators´(MSEG) geeignet. Der Workflow ist bei allen fünf MSEG-Modulen ähnlich. Klickt man auf die eigentliche Kurve im Modul, öffnet sich ein Pop-Out-Fenster. In diesem kann man die Kurve entweder frei oder im Raster zeichnen, Zeichenvorlagen wie Sägezahn- oder Rechteckskurven nutzen oder eines der Presets laden. 

Modulator „Curves“ in Bitwig Studio 5
Modulator Curves mit dem neuen Browser und allen Kurvenvorlagen in Bitwig.

Praktischerweise kann man jede selbst erstellte Kurve als „BWCurve“-Datei speichern und später in allen fünf MSEG-Modulen weiternutzen. Persönliches Highlight der fünf Module ist für mich der „Curves“-LFO. Hier kann ich komplexe Kurven frei, temposynchron, zur Groove/Shuffle-Funktion oder zufällig neustartend erzeugen und abspielen – und damit in wenigen Schritten endlose Variationen erzeugen (vor allem bei CLAP-fähigen Plugins wie U-he Diva). 

Fernsteuerung und Modulation: global oder pro Spur für mehr Sounddesign

Nützliche Tools für abgefahrenes Sounddesign und ungewöhnliche Live-Effekte sind die neuen „Track Remotes“, die „Project Remotes“ und die jeweiligen Modulations-Slots. Lädt man zum Beispiel einen Modulator in einem Projekt-Modulations-Slot, steuert er die Spurlautstärke, das Pannings und die Sendregler aller Spuren – außerdem dient er auch zur Modulation des Projekttempos. Alles ist möglich: das Panning aller Spuren subtil modulieren, rhythmisches Gating bei einer Gruppe Pad-Sounds mit einem Segments-Modulator erzeugen oder mit einem LFO vollends akustisches Chaos hervorrufen. 

MIDI-Spur mit Modulatoren in Bitwig Studio
Der Beat LFO im Bereich „Project“ moduliert die Lautstärken und Pannings aller Spuren.

Wer möchte, kann jeden Modulator auch direkt durch Pads oder MIDI-Noten vom eigenen Controller aus aktivieren – für Live-Performances ein mächtiges Tool. Dazu gibt es die Möglichkeit, die Devices in einer Spur selbst mit den Projekt- oder Track-Modulatoren zu deaktivieren. So kann ich drei unterschiedliche Effektketten auf einer Spur mit einem Drumloop laden und sie im Wechsel durch einen LFO oder einen MSEG aktivieren und deaktivieren – ruckzuck ist ein komplexer Multi-Effekt wie Cableguys Shaperbox 3 oder Infiltrator 2 von Devious Machines gebaut. 

Der Browser-Workflow: reduzierter und ausbaufähig

Die Arbeit mit dem neuen Browser hinterlässt mich zwiegespalten. Einerseits ist die kontextabhängige Anzeige eine echte Beschleunigung. Wenn ich einen Effekt lade, will ich ja nur die internen und externen Effekte sehen und nicht auch noch Clips und Instrumente. Liebe DAW-Konkurrenz: Bitte nachmachen! Auch der Fakt, dass man nun endlich jedes Soundpack von Bitwig einfach durchstöbern und die jeweils mitgelieferten Loops synchron zum Songtempo vorhören kann, ist eine echte Erleichterung. Aber der Sprung vom vorherigen Workflow ist groß. 

Neuer Sound Browser in der DAW Bitwig Studio
(1) Der alte Browser von Bitwig 4.4 und (2) der neue Browser von Bitwig Studio 5.

Hier die Möglichkeit zu bekommen, zwischen altem und neuem Workflow zu wechseln, stünde weit oben auf meinem Wunschzettel. Denn so verschachtelt der alte Browser auch ist, selbst ich als Ableton-User hatte mich durch gelegentliches Sounddesign und die Tests an den Workflow gewöhnt.

Teilweise habe ich minutenlang nach Optionen gesucht, mir eben nur Dritt-Anbieter-Plugins oder nur Loops anzeigen zu lassen, ohne One-Shots zu sehen. Im alten Browser war das alles sichtbarer. Da wäre es praktisch, zwischen beiden Ansichten umschalten zu können, bis man sich daran gewöhnt hat. 

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Fazit: Bitwig Studio 5

Bitwig Studio 5 erfüllt Community-Wünsche, verbessert den Workflow und macht die DAW ein ganzes Stück erwachsener. Mit den MSEGs und der globalen Modulation bleibt für die Sounddesign-Wundertüte kaum noch ein Wunsch offen. Zu 100 Prozent gelingt die Innovation des neuen Browsers aber noch nicht. An diesem gilt es noch etwas zu feilen. Und es bleibt zu hoffen, dass die Berliner nicht über den Fluch eines Abo-Systems stolpern, das sie dazu zwingt, in (manchmal vielleicht zu) kurzen (oder eben zu langen) Abständen Updates veröffentlichen zu müssen. 

Was hier gewachsen ist, stellt eine der Innovationsmaschinen der letzten Jahre im Bereich Musikproduktion dar. Bitwig Studio 5 setzt sich ab, verfolgt seinen eigenen Pfad, ohne aber die Konkurrenz zu ignorieren. 

Features

  • plattformübergreifende DAW (Windows, OS X, Linux)
  • Sequenzer zum linearen Arrangieren
  • Clip-Mode zum nicht-linearen Songaufbau
  • Comping zum Zusammenschneiden von Audioaufnahmen
  • Neuer Browser für schnellere Suche nach Instrumenten, Effekten und Presets
  • 4 Operatoren für Loopvarianzen
  • volle Multi-Core- und Multi-Prozessor-Unterstützung
  • The Grid: eigene Instrumente, Effekte und (neu) MIDI-Devices aus 184 Modulen erzeugen
  • VST3 Support
  • CLAP Support
  • MPE Support
  • integrierte 32/64-Bit-Plug-in-Bridge
  • Sandbox als Plug-in-Crash-Schutz
  • Multi-Display-Unterstützung für bis zu drei Bildschirme
  • unbegrenzte Audio-, MIDI- und Effekt-Spuren
  • 42 Modulatoren (Neu dabei Segments, Curves, Keytrack+)
  • 46 Audio-Effekte (Neu: Transfer)
  • 13 Software-Instrumente (Neu: Oszillator Scrawl)
  • 17 Container
  • 24 Noten-Effekte
  • 8 Hardware Devices (Für CV und Clock)
  • Projekt-Import: .als-Dateien von Ableton Live (ab 8.1), .flp-Dateien von FL Studio
  • PREISE:
  • Vollversion: 399,- EUR 
  • Bitwig Studio 16 Track (abgespeckte Version): 99,- EUR
  • Upgrade von Bitwig Studio 16 Track auf Vollversion: 280,- EUR
  • Upgrade-Plan (alle Updates für die nächsten 12 Monate): 159,- EUR
  • Upgrade Plan für 16 Track: 49,- EUR
Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
  • Multi-Segment Envelope Generators erlauben noch komplexere Modulationen
  • globale Modulationen möglich (u.a. Spurlautstärke und BPM)
  • Clip Actions für ALT und Release für kreativeres Clip Launching
  • Vorhören bei Loops temposynchron
Contra
  • Workflow des neuen Browsers stolpert etwas
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Bitwig Studio 5 Test
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Thomas K sagt:

#1 - 15.02.2024 um 14:25 Uhr

0

Guter Test soweit. Was ich absolut und komplett nicht verstehe ist, warum wird in jedem Bericht und allen Tests kein Wort darüber verloren, daß man in der Pianorolle keine Noten per Keybord, Schrittweise eingeben kann ? Das können die bei Bitwig doch nicht ernst meinen. Es gibt diese Funktion nicht.

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