Chandler TG Microphone Test

Das Chandler TG Microphone ist wohl die von vielen Engineers langersehnte, röhrenlose und bezahlbarere Alternative zum REDD Microphone. Wie andere Produkte aus Chandlers TG-Serie ist es an die Klangwelt der sagenumwobenen Produkte der vor allem für das Abbey Road Studio entwickelnden und produzierenden EMI-Werkstätten in Hayes, London angelehnt.

Chandler_TG_Microphone_17

Entsprechend trägt das Chandler TG Microphone ein Kleid in den Farben der TG12345-Konsole und der Chandler-TG-19“-Geräte. In typischem Gelb und weiß sind das „TG“- und das „EMI“-Logo aufgebracht, zudem das aktuelle Label der Abbey Road Studios. Was für Namen also, welch eine Historie! Wie viel davon ist im käuflichen Produkt zu spüren?

Details

Kein Röhrenmikrofon, trotzdem ein Netzteil

Es ist eher selten, dass röhrenlose Mikrofone eigene Netzteile besitzen. Die 130V-Mikrofone von DPA beispielsweise müssen mit einer erhöhten Spannung versorgt werden, die die Phantomspeisung so nicht zu liefern vermag. Natürlich wird das Mikro nicht rein zum Spaß mit einem speziellen Netzteil zwangsernährt. Im TG Microphone ist es aktive Elektronik, für die die üblichen 48 Volt nicht ausreichen. Dementsprechend ist ein Netzteil dabei. Korrigiere: Netzteilchen, denn dieses ist wirklich winzig. Mit einer vierpoligen XLR-Verbindung zwischen Mikrofon und Netzteil, einem externen Steckernetzteil für das eigentliche Mikrofon-Netzteil (!) und anschließend dem üblichen XLR-Kabel zum Preamp ist der Aufbau-Aufwand höher als bei einem Röhrenmikrofon.

Fotostrecke: 3 Bilder Bitte mal in der Buchse nachzählen: Es sind vier Pins.

Systemfrage

Zum einen ist da per Knebelschalter die Wahl zwischen „System A“ und „System B“. „B“ ist die cleanere Variante und verträgt höheren Schalldruck, „A“ hingegen ist reicher und färbender. Zum anderen finden sich auf der Rückseite des TG vier zuschaltbare „Tape Equalizer“-Kurven. Diese an die Anpassungskurven der TG Mastering Console angelehnten EQ-Schaltungen ermöglichen die Veränderung in den Höhen und Tiefen. Dort wird in unterschiedlichen Kombinationen und Stärken geboostet. Statt die Eigenschaften deutlich zu kennzeichnen, sind jedoch die originalen Standards der Aufnahme-Wiedergabe-Emphasis und Bandlaufgeschwindigkeiten in „ips“ („inches per second“) gewählt. Allerdings handelt es sich nicht um Bandsättigungsseffekte, sondern lediglich um EQs. Eine zusätzliche Möglichkeit zum Verändern des Frequenzgangs ist eine profane, weil bekannte und weit verbreitete: Ein Low Cut kann bei 50 oder 90 Hz Grenzfrequenz ansetzen.

Fotostrecke: 4 Bilder Aus dieser Perspektive sieht noch alles “wie üblich” aus.

4 Räder…

Ein Pad ist eine weitere Wahlmöglichkeit, es dämpft um zehn Dezibel. Und da es sich um ein Doppelmembran-Mikrofon handelt, dessen rückseitige Membran einen eigenen Kondensator bildet, kann neben der Niere auch die Kugel als Richtcharakteristik ausgewählt werden. Eine Acht gibt es jedoch nicht. Wie üblich bei Chandler, sind die technischen Spezifikationen, wie etwa ein Polardiagramm, eher spärlich zu finden – oder eben gar nicht. So ist zu Dingen wie Frequenzgang, Verstärkung, Rauschen und Verzerrungen nichts zu erfahren. Die Ausgangsimpedanz ist mit 200 Ohm angegeben, aber das ist in etwa so, als würde man bei einem Familienauto angeben: „Räder: 4“.  

Richtcharakteristika: Kugel, Niere, A… – Moment: Kugel und Niere.
Richtcharakteristika: Kugel, Niere, A… – Moment: Kugel und Niere.

Kein Koffer

Zum TG Microphone gehören eine Spinne im Neumann-Stil, in welcher der Mikrofontubus eingesetzt wird (von unten, da ansonsten die Bedienelemente im Weg sind oder Schaden nehmen können), eine Holzschatulle (nur für das eigentliche Mikrofon – es gibt keinen Koffer!), das Netzteil, das Netzteil des Netzteils sowie das Vierpol-XLR-Kabel von 25 Fuß (etwa 7,5 Meter) Länge.

In dieser Ansicht fehlt die Holzschatulle für das Mikrofon.
In dieser Ansicht fehlt die Holzschatulle für das Mikrofon.

Im mechanischen Aufbau gibt sich das Chandler sehr klassisch mit Tubus und Metallgewebegrill im U47-Stil. Die Qualität der Gehäusebauteile ist einfacher Standard, wie etwa die Verchromung des unteren Grillrings zeigt. Auf der Platine finden sich gute, groß dimensionierte Bauteile. Die Kapsel ist beidseitig randkontaktiert, mit Gold besputtert und zeigt Standard-Äußeres, wurde aber laut Datenblatt speziell für Chandler hergestellt („custom spec.“).

Fotostrecke: 4 Bilder Nacktes TG

Praxis

LED it Be!

Grundgütiger! Sobald das Chandler TG Microphone durch das kleine Netzteilchen mit Spannung versorgt wird, leuchtet im Korb eine LED. Ich will mich hier nicht schon wieder ausführlich echauffieren und weiß auch, dass es diesbezüglich unterschiedliche Meinungen gibt. Mir persönlich gefällt das gar nicht – aber immerhin ist die LED rot, nicht blau.  

So sieht es eigentlich noch ganz hübsch aus. Im aktiven Zustand mit LED-Beleuchtung nicht mehr. Zum Glück kann man die LEDs innen abkleben…
So sieht es eigentlich noch ganz hübsch aus. Im aktiven Zustand mit LED-Beleuchtung nicht mehr. Zum Glück kann man die LEDs innen abkleben…

Schärfedip

Natürlich versuche ich zunächst, den grundsätzlichen Charakter des TG Microphone zu erfahren. „System B“ verstärkt ein wenig schwächer als „System A“, besitzt aber definitiv den klareren Klang und die etwas feinere Detaildarstellung. Doch neutral ist das Signal auch hier nicht, sondern klingt aus dem Stand recht „teuer“ und charaktervoll. Allgegenwärtig ist ein ausgewachsener Schärfedip, der besonders für etwas bissige Stimmen/Aussprachen eine Wohltat ist. Für manche Signale, besonders Instrumente, denen Prägnanz im Mix guttut, etwa manche cleanen oder crunchy E-Gitarren, ist diese Rücknahme schnell etwas zu viel des Guten. Dadurch ist die Eignung als flexibles Allrounder-Mikrofon eher gering. Das Mojave MA-201FET klingt etwas weniger edel in den Präsenzen und Schärfen, spielt jedoch alles andere als in einer geringeren Klasse. Und der Preis des Mojave liegt fast 2000 Euro unter der UVP für das TG. „System A“ hat deutlich mehr Mojo als „System B“, weshalb ich diesen Pfad für Vocals eher empfehlen würde – wenn beides klangästhetisch zusammen und zum geplanten Klangbild im Mix passt.  

Audio Samples
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Chandler TG, System A, Niere, 20cm Chandler TG, System B, Niere, 20cm Mojave Audio MA-201FET, 20cm

Patternstabilität und Bassigkeit

Die Bassanhebung durch den Nahbesprechungseffekt ist gut regelbar, einerseits über den Besprechungsabstand, andererseits natürlich durch die zahlreichen Filter. Der Sweet Spot ist zwar recht groß, aber es erscheint ratsam, sich auf einzelne Signale bei der Aufzeichnung zu beschränken. Jenseits der 45 Grad Besprechungswinkel ist das TG ein Stück weit davon entfernt, wie beispielsweise ein Audio-Technica AT5045 zu performen. Aber Patternstabilität ist auch keine Paradedisziplin des REDD Microphone gewesen, hier sind einfach die Prioritäten anders gesetzt. Die Kugel fällt klanglich etwas gegen die Niere ab, vielleicht hätte eine prägnante Acht dem Nutzer hier mehr Vorteile gebracht.

Audio Samples
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Chandler TG, SysA, Niere, 10 cm Chandler TG, SysA, Niere, 10 cm, HPF 90 Hz Mojave Audio MA-201FET, 10 cm Chandler TG, SysA, Niere, 70 cm Chandler TG, SysA, Niere, 20 cm, 45 Grad Chandler TG, SysA, Kugel, 20 cm Chandler TG, SysB, Kugel, 20 cm

Bandlaufgeschwindigkeiten im Mikrofon?

Der Equalizer, der in der legendären Transfer Console (von denen übrigens auch unweit von Köln eine im ständigen Einsatz ist!) zum Angleichen unterschiedlicher Entzerrkurven (IEC und NAB) und 2TK-Bandlaufgeschwindigkeiten verwendet wurde, stand Pate für den Klangwahlschalter auf der Rückseite des Mikrofons. Hier und bei den beiden „Systems“ Klartext zu sprechen, würde jedem mit dem Chandler TG Microphone noch unerfahrenen User entgegenkommen, so ist es ein Trial and Error für denjenigen, der nicht mit dem Manual in der Hand die ersten Variationen ausprobieren möchte. Klanglich sind sie durchaus vernünftig, die Filtereinstellungen, ändern die Gewichtung in den Bässen und Höhen in ordentlichem Maße. Allerdings muss ich etwas entromantisierend hinzufügen: Zusätzlichen Elfenstaub erhält das Mikrofonsignal dadurch nicht, und für einen derartigen Klangeingriff benutzt man meist einen Equalizer, der im Mixdown bequem und sehr gezielt angepasst werden kann. Bei gleichem Grundcharakter sind die verschiedenen Einstellungen dann und wann ganz praktisch, aber kaum ein wesentliches Kaufargument.

Audio Samples
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flat NAB/IEC 7,5 ips NAB/IEC 15 ips IEC/NAB 7,5 ips IEC/NAB 15 ips

Ein wenig Philosophie…

Die wesentliche Frage, die gestellt werden muss, lautet: „Wer braucht das Chandler TG Microphone?“ Ich finde: so gut wie niemand, zumindest nicht zwingend. Will man wirklich ein einziges Frontend nutzen, welches quasi out-of-the-box einen warmen, reichen Sound liefert, dann ist das TG vielleicht eine Idee. Konsequent wäre dann noch ein USB-Port und ein Headphoneamp mit Monitoring gewesen – und ein geringerer Preis. Was beim REDD Microphone noch wirklich viele Möglichkeiten eröffnet hat, ist beim TG eher ein Abklatsch geworden und riecht eher nach Marketing als nach tontechnisch hohem Nutzwert. Ich will es anders ausdrücken: Würde das Chandler TG Microphone ein dreistelliges Preisschild haben, würde mein Fazit sicher anders ausfallen. So bin ich fast geneigt, es trotz generell ordentlichen Klangeigenschaften als fragwürdiges Konzept abzutun.
Das Chandler TG Microphone zeigt aber auch, dass es aus Sicht vieler Hersteller nicht ausreichend ist, gut oder auch einfach „besonders“ klingende Mikrofone auf den Markt zu bringen, sondern mit Flexibilität zu versuchen zu punkten, neuartige Wege und Kombinationsmöglichkeiten auszuprobieren. Aston Stealth und Aston Starlight sind dafür genauso Hinweise wie die beiden Chandler-Großmembrane. Das ist einerseits mutig, andererseits entstehen so zumindest diskussionswürdige Geräte.

Das TG klingt wirklich ordentlich, die Features wirken aber doch etwas gewollt.
Das TG klingt wirklich ordentlich, die Features wirken aber doch etwas gewollt.

Fazit

Das Chandler TG Microphone schlägt andere Wege ein als die meisten anderen Studiomikros. Eigentlich freue ich mich immer über Individualität. So richtig begeistern kann mich das Chandler TG Microphone aber nicht. Und: Es steht funktionell und klanglich doch sehr im Schatten das REDD. Es ist dabei jedoch keineswegs „schlecht“: Das Signal aus dem TG klingt wirklich nach einem hochwertigen Schallwandler, ist besonders unter System A reichhaltig und fleischig und besitzt eine gute Detailtreue. Die klangliche Flexibilität ist jedoch nicht so hoch, dass sich für meine Arbeit – und sicher die vieler anderer Mikrofonnutzer – der Preis-, Verkabelungs- und Einstellungsaufwand wirklich lohnen würde. Gleichwohl will ich es auch niemandem ausreden, wer auf die Möglichkeiten geradezu gewartet hat und wem der Klangcharakter voll zusagt, der findet vielleicht auch mit dem TG sein Traummikrofon.

Unser Fazit:
3,5 / 5
Pro
  • generelle Klangqualität ordentlich
  • klangliche Flexibilität durch „System A/B“
  • gewisse klangliche Flexibilität durch „Tape EQ“
Contra
  • Gerätekonzept diskussionswürdig
  • hoher Preis
Artikelbild
Chandler TG Microphone Test
Für 2.349,00€ bei
Chandler_TG_Microphone_6
Features und Spezifikationen
  • Großmembran-Kondensatormikrofon
  • Richtcharakteristika: Niere und Kugel
  • zwei “Systeme” unterschiedlicher Klangcharaktere wählbar
  • vier Equalizerkurven einstellbar
  • Hochpassfilter: 50 und 90 Hz
  • Pad: 10 dB
  • Lieferumfang: TG Microphone, Holzschatulle, Mikrofonspinne, vierpoliges XLR-Kabel, Netzteil, Steckernetzteil
  • Preis: 2199,– (Straßenpreis am 24.9.2019)
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