Warm Audio WA-19 Test

Warm Audio WA-19 Test: Vermutlich hat keine andere Firma so stark vom Vintageboom profitiert wie Warm Audio aus Texas, von den Plug-in-Herstellern mal abgesehen. Das Erfolgsrezept geht so: man schnappe sich die begehrtesten Audiogeräte und Mikrofone des vergangenen Jahrhunderts, lasse sich stark von deren Konstruktion und Formensprache inspirieren und gebe den eigenen Produkten dann einen Namen, der keinen Zweifel am Vorbild läßt. Dann lasse man die Teile möglichst zahlreich herstellen und verkaufe sie zu einem Bruchteil der oft unbezahlbaren Originale. Jetzt hat Warm Audio wieder zugeschlagen und die Interpretationen zweier Klassiker vorgestellt. Eine davon haben wir heute zum Test da, nämlich das WA-19.

Warm Audio Vintage D19

Quick Facts zum Warm Audio WA-19

  • inspiriert vom AKG D19 der 60er Jahre
  • gedacht als Instrumenten- und Gesangsmikrofon
  • stufenloser, mechanischer Lowcut bei 50 Hz

Vorbild AKG D19

Moment, 19? Bei 87, 84 oder 47 ist die Sache klar, aber welches legendäre Mikrofon der Vergangenheit hatte doch gleich die 19 im Namen? Wer jetzt an seinen historischen Mikrofonkenntnissen zweifelt, ist vermutlich nicht allein, denn das AKG D19 und seine zahlreichen Varianten gehören nicht zu den Mikrofonen, bei denen Sammler und Retro-Fans schwitzige Hände bekommen. Trotzdem gibt es Gründe, warum Bryce Young, Chef von Warm Audio, genau dieses Mikrofon als den ersten „Dynamiker“ der Firma auserkoren hat. Da wäre zunächst die Tatsache, dass das D19 in den Abbey Road Studios der 60er Jahre über Ringo Starr’s Drumset gehangen hat. Weiterhin galt das D19 schon damals als ungewöhnlich brilliant klingendes dynamisches Mikrofon, hinzu kommt ein mechanisches, stufenloses Low Cut Filter. Warm Audio bietet das Mikrofon in zwei Finishes an, Black und Nickel. Wie sich unser schwarzes WA-19 am Drumset anhört und wie es gegen die moderne Konkurrenz dasteht, lest ihr auf den folgenden Zeilen.

Fotostrecke: 7 Bilder WA-Logo in der Mitte des Grills

Das Gehäuse des WA-19 weist Luftschlitze auf

Das WA-19 wird in einer kleinen Pappschachtel geliefert, zusammen mit einer Halterung, einer Transporttasche und einer kurzen Anleitung. Wer das Original nicht kennt, dürfte von der kompakten Größe überrascht sein. Abgesehen vom oberen Teil, entspricht diese ziemlich genau jener eines Kleinmembranstäbchens, die Länge beträgt 15,5 Zentimeter. Mit Ausnahme des abgeflachten Grills samt mittigem Warm Audio Logo, stechen zwei Merkmale ins Auge. Eines davon ist der silberne Ring unterhalb des Mikrofonkopfes. Darauf befinden sich ein roter Strich sowie das Symbol für ein Low Cut. Dreht man den Ring, sorgt eine innenliegende Mechanik für eine stufenlose Absenkung der Frequenzen unterhalb von 50 Hertz. „Stufenlose Bassblende“ hat AKG das damals genannt.

Und hier kommt das zweite Merkmal ins Spiel, nämlich die längs des Korpus verlaufenden Luftschlitze. Das WA-19 ist nämlich – wie das Vorbild – als Nierenmikrofon ausgelegt, rückwärtige Öffnungen sind eine Voraussetzung für die Richtwirkung. Die „Bassblende“ soll durch mechanisches Verschließen zu einem Abfall tiefer Frequenzen unterhalb von 50 Hertz führen, 0 bis -10 dB gibt Warm Audio an, was dem Original entspricht.

Die Kapsel des WA-19 soll Frequenzen zwischen 30 und 18 000 Hertz übertragen können und besitzt eine Empfindlichkeit von etwa 2,3 mV/Pa. Typisch für ein dynamisches Mikrofon ist außerdem die Unempfindlichkeit für sehr hohe Schalldrücke, 145 dB SPL gibt Warm Audio hier an.

So klingt das Warm Audio WA-19 als Mono-Overhead

Wenn dynamische Tauchspulenmikrofone damit beworben werden, dass sie auch als Overheads eine gute Figur machen, weckt das sogleich mein Interesse. Das komplexe Gemenge aus breitem Frequenzbereich, schnellen Transienten und hoher Dynamik stellt viele dieser Mikros nämlich vor Herausforderungen, wenn es um mehr gehen soll als „Flavor-Sounds“ mit ordentlich Kompression. Also baue ich mein 1979er Yamaha Recording Drumset auf und platziere das WA-19 95 Zentimeter über der Snare als Mono-Overhead, zunächst ohne am Rad zu drehen – entschuldigung: das Filter zu aktivieren. Als Vergleichsmikrofon kommt mein treues Beyerdynamic M201TG zum Einsatz, übrigens ebenfalls als Allrounder mit Overhead-Kapazitäten empfohlen.

Overhead AKG D19
Als Mono-Overhead soll das Vorbild AKG D19 an Ringos Drumset gute Dienste geleistet haben.

Das Ergebnis fällt recht klar zugunsten des M201 aus, welches über den gesamten Bereich solider klingt. Es holt das Floortom näher heran und besitzt eine bessere Tiefenstaffelung, im Mix klingt es insgesamt natürlicher. Trotzdem höre ich heraus, warum das WA-19 unter Retrofreunden Punkte machen könnte. Die leicht brüchigen, verbreiterten Transienten erzeugen eine „gemütliche“ Räumlichkeit, die durch den Einsatz eines Kompressors noch verstärkt werden dürfte.

Das Aktivieren des Low Cuts auf die Maximalstellung, also – 10dB, liefert eine Überraschung, denn der Effekt ist alles andere als subtil. Der eh schon schlanke Bassbereich glänzt jetzt durch nahezu vollständige Abwesenheit, was die Vermutung nahelegt, dass dieses Low Cut wesentlich höher ansetzt.

Audio Samples
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Mono Overhead, im Mix Mono Overhead, solo Mono Overhead, Low Cut, im Mix Mono Overhead, Low Cut, solo Beyerdynamic M201TG, Mono Overhead, im Mix Beyerdynamic M201TG, Mono Overhead, solo

An Snaredrum und Racktom

Ausdrücklich empfiehlt Warm Audio das WA-19 auch an der Snaredrum, also positioniere ich das kompakte Mikro etwa drei Zentimeter über den Rand auf die Fellmitte zeigend. Als Referenz, wie könnte es anders sein, darf natürlich das gleichermaßen geliebte und geschmähte, aber immer obligatorische Shure SM57 fungieren. Die bereits oben bemerkte Bassarmut zeigt sich auch hier und zwar ohne aktiviertes Filter. Gleichzeitig tritt ein recht ausgeprägter „Dosencharakter“ hervor, welcher wiederum einen gewissen Retrocharme hat, für die moderne Allround-Anwendung meiner Meinung nach aber nur eingeschränkt taugt. Im Mix fällt auch die recht intensive Einsprechung aus der Hi-Hat auf. Hier wirkt das SM57 wesentlich griffiger und besitzt mehr „Wumms“.

AKG D19 Clone Warm Audio AW-19 an der Tom
Gute Resultate liefert das WA-19 auch am Racktom.

Dass es dem anschließend abgenommenen 12“ x 8“ Racktom ebenfalls an Fundament mangelt, überrascht also wenig, allerdings passt der Charakter des WA-19 trotzdem sehr gut zu offen gestimmten Toms. Der Anschlag klingt klar aber nicht aufdringlich und die leichte Brüchigkeit verleiht der Trommel einen sehr transparenten Ausklang. Zum Vergleich habe ich euch mein Electro-Voice N/D 468 aufgenommen.

Audio Samples
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Snaredrum, im Mix Snaredrum, solo SM57, Snaredrum, im Mix SM57, Snaredrum, solo 12“ Racktom, im Mix 12“ Racktom, solo EV 468, 12“ Racktom, im Mix EV 468, 12“ Racktom, solo

Als Bassdrum-Mikro: dünne Bässe, transparente Mitten

Auch an der Bassdrum musste sich das Warm Audio WA-19 beweisen und, wen wundert es, auch hier fällt natürlich der sehr schlanke Bass ins Ohr. Sehr gut gefällt mir allerdings der transparente, luftige Mittenbereich, der das „Atmen“ der Trommel sehr schön abbildet. In Kombination mit einem weiteren Mikrofon, zum Beispiel einem Subkick, Großmembraner oder Bändchen, kann ich mir so sehr gute Resultate vorstellen.

Kick Drum Vintage Style AKG D19
An der 22“ x 14“ Yamaha 9000 Bassdrum: Für die meisten Ohren vermutlich zu schlank.
Audio Samples
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Bassdrum, im Mix Bassdrum, solo Electro-Voice N/D 868, im Mix Electro-Voice N/D 868, solo

Warm Audio WA-19 für Sprache

Das Vorbild D19 wurde damals auch als Sprechermikrofon verwendet, ein Tischfuß war oft dabei. Ich bin weder Sprecher noch Sänger, für die Demo dürfte es jedoch reichen. Ich habe den Fokus hier jedoch auf den Filter und die Bedienung als Handheld-Mikro gelegt. Wie ihr hören könnt, erzeugt das WA-19 in Neutralmodus einen recht retro-inspirierten Broadcast-Sound, mit aktiviertem Filter entzieht es dem Signal jedoch jegliche Bässe. Mit einem Software-EQ nachgebaut, muss man das Neutralsignal bei satten 280 Hertz absenken, um auf ein ähnliches Ergebnis zu kommen. Und auf noch etwas solltet ihr achten: das Umfassen des Schaftes mit der Hand verschließt die seitlichen Öffnungen und zerstört damit die Richtwirkung. Das Resultat klingt wenig schmeichelhaft.

Audio Samples
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Sprache, neutral Sprache, mit voll aktiviertem Filter Sprache, seitliche Öffnungen durch Handballen verdeckt

Alternativen zum Warm Audio WA-19

Eine auch preislich passende Alternative zum WA-19 zu finden, ist gar nicht so einfach. Das liegt nicht nur am einzigartigen Low Cut Filter, sondern auch am speziellen, stark auf Retro getrimmten Sound. Shure hat mit dem 545 ein ähnliches Konzept im Programm. Wer einfach einen sehr gut klingenden Instrumenten-Allrounder (mit ebenfalls bis in die 60er Jahre zurückreichender Historie) sein Eigen nennen möchte, sollte sich das Beyerdynamic M201TG anschauen.

Test des Warm Audio WA-19: Fazit

Das WA-19 ergänzt das mittlerweile sehr umfangreiche Warm Audio Sortiment um das erste dynamische Tauchspulenmikro der Marke. Wie bei den anderen Warm Audio Produkten geht es um die Wiederbelebung eines bekannten Designs, hier jenes des AKG D19. Im Praxistest zeigt das Mikrofon einen auffallend schlanken Sound, wie beim Original soll damit sehr nahes Close Micing ohne Nahbesprechungseffekt ermöglicht werden. Für moderne Ohren ist das etwas zuviel des Guten, zumal auch der manuelle Filter deutlich höher als bei den genannten 50 Hz ansetzt. Der generelle Klangeindruck weist deutlich in eine etwas nasale Richtung, die Solidität einiger Vergleichsmikros erreicht es nicht. Trotzdem dürfte es seine Berechtigung haben, wenn matschige Bässe und Tiefmitten schon an der Quelle vermieden werden sollen. Im Handheld-Betrieb sollte darauf geachtet werden, dass die Öffnungen nicht verschlossen werden, sonst leidet die Richtwirkung. Wer schon über einige modernere Allrounder verfügt und seine Sammlung um ein Charakter-Mikro erweitern möchte, sollte sich das WA-19 mal anhören.

Review
  • dynamisches Tauchspulenmikrofon
  • Richtcharakteristik: Niere
  • Besonderheiten: mechanischer Low Cut Filter bei 50 Hz, Regelbereich 0 bis – 10 dB
  • Empfindlichkeit: 2,3 mV/Pa
  • Frequenzgang: 30 bis 18000 Hertz
  • Lieferumfang: Halterung, Tasche, Anleitung
  • hergestellt in: China
  • Webseite: warmaudio.com
  • Preis: € 219,– (Straßenpreis am 22.6.2024)
Unser Fazit:
4 / 5
Pro
  • Klangfärbung mit deutlichem Retro-Einschlag
  • kein Nahbesprechungseffekt
  • gute Verarbeitung
  • recht preisgünstig
Contra
  • sehr schlank im Bassbereich
  • Low Cut deutlich höher als 50 Hz
Artikelbild
Warm Audio WA-19 Test
Für 209,00€ bei
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Profilbild von Gunther Mai

Gunther Mai sagt:

#1 - 15.07.2024 um 19:54 Uhr

0

Der Tester darf sich gerne mal ins Thema VariableD einlesen, um zu verstehen, was man da hört.

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