Anzeige

Shure 55SH II Test

Dass das Shure 55SH II wohl in nicht unerheblichen Stückzahlen von Elvis-Imitatoren für eine authentische Optik, von Fotografen und Requisiteuren für ihren Accessoire-Fundus („altes Mikro“) und sicher auch von nicht musikalisch aktiven Retro-Liebhaber als Designstück gekauft wird, soll uns von einem Test nicht abhalten.

Shure_55SH_II_Elvis_Mikrofon_6

Schließlich wird der Fingerzeig eines jeden Verkäufers reflexartig auf das 55SH II erfolgen, wenn man in einen Musikladen stapft und die beiden Worte „Elvis“ und „Mikro“ in dieser Reihenfolge hintereinander sagt.
Unter den drei aktuell verfügbaren 55er-Mikrofonen ist das Shure 55SH II das preiswerteste – und das unauffälligste, wenn man in Anbetracht der prägnanten Form überhaupt davon reden darf. Das Super 55 kostet fast hundert Euro mehr und ist mit blauer Auskleidung noch weniger zurückhaltend, das 5575 LE Unidyne basiert auf dem bulligen Fatboy-Design und ist mit rotem Schaumstoff ein absoluter Hingucker.

Details

Das unauffälligste der Auffälligen

Für gut 150 Euro kann man ein „Elvis“-Mikrofon erwerben, und zwar das offizielle Nachfolgeprodukt mit dem Firmenlogo, auf das Herr Presley bei vielen seiner Auftritten geschielt haben wird. Shure ist dafür bekannt, mit Material nicht zu geizen und haltbar zu verarbeiten. Dieser Ruf ist nicht zuletzt auf das Gehäuse der 1939 eingeführten Unidyne-55-Serie zurückzuführen. Das 55SH nutzt wie fast alle Mikros im Elvis-Style das 55S-(“Baby Unidyne“-)Gehäuse, welches kleiner als das des ursprünglichen Designs ist. „S“ wie „small“ also. Und auch heute noch besteht der Mikrofonkorb aus zwei massiven Metalldruckguss-Blöcken, die verchromt und, im Fall des 55SH II, gebürstet sind. 

40, 80 und 90 Grad

Der schwere Kopf ist neigbar, um 40 Grad kann er nach vorne und sogar um ganze 80 Grad nach hinten gekippt werden. Blickt man von hinten auf das Mikrofon, erkennt man die mit einem Metallschlauch geschützte Signalverbindung zum Fuß des 55SH, welcher den Audio-Anschluss und das Stativgewinde gleichermaßen beherbergt. Auf „europäischen“ Mikrofonstativen ist ein Reduziergewinde vonnöten, die XLR-Buchse, die in den 70er-Jahren die vierpolige Amphenol-Variante abgelöst hat, ist um 90 Grad gedreht verbaut. Der Lösemechanismus ist also seitlich.

Shure_55SH_II_Elvis_Mikrofon_2

180 Grad

Genau rückseitig, also bei 180 Grad, befindet sich die Off-Axis des Elvis-Mikrofons. Das Richtdiagramm ist demnach eine Niere. Allerdings ist für das resultierende Polar-Pattern nicht nur die Kapselkonstruktion verantwortlich, das Gehäuse spielt ebenfalls eine nicht unerhebliche Rolle. Die rückseitige Dämpfung beträgt nur etwa 15 dB, sodass man eher von einer breiten Niere sprechen muss. Im Bass und in manchen Frequenzbereichen der Höhen beträgt die rückwärtige Dämpfung sogar nur etwa 6 dB, womit das Mikrofon dort annähernd Kugelcharakteristik besitzt. Wer jetzt zu schimpfen beginnt, sollte nicht vergessen, es hier mit einem viele Jahrzehnte alten Gehäusedesign zu tun zu haben, welches nicht nur Nachteile liefert: Es hat enorme Auswirkungen auf den Sound! Und das 55 wird ja nicht nur für sein Äußeres geliebt.

Frequenzgang „etwas unstet“

Das Shure 55 wird für seinen linearen Frequenzgang geschätzt… Schmarrn: Natürlich ist das 55SH II alles andere als linear. Sein charakteristischer Sound ist nicht zuletzt auf den Pegelfrequenzgang zurückzuführen, welcher sich eben durch eine Reihe von Unebenheiten auszeichnet. Neben eher schwacher Basswiedergabe bei nicht allzu naher Besprechung ist die Senke zwischen 0,5 und 1 kHz bemerkenswert, besonders aber der Anstieg zu den Präsenzen und der enorme Peak unter 10 kHz. Wie bei dynamischen Mikrofonen mit großer Membran und aufgeklebter Tauchspule üblich, ist oberhalb von 10 kHz nicht mehr allzu viel Pegel vorhanden. Shure gibt im Datenblatt als 3dB-Punkt 15 kHz an. Typisch ist auch, dass in den Höhen recht hohe Abweichungen auftreten und Pegel wie Phase eine ständige Auf- und Abfahrt vollziehen. Der Grund sind vor allem Beugungseffekte durch das Gehäuse und Interferenzen durch das grobe Gitter mit seinen konstanten Öffnungsgrößen. ­Die dynamische Kapsel, auch „Motor“ genannt, hat keinen besonders hohen Output: Lediglich 1,3 mV/Pa setzt sie um, was aber ein absolut typischer Wert für diese Konstruktion ist. 

Shure_55SH_II_Elvis_Mikrofon_8

Schalter

Hochpassfilter oder Pad gibt es nicht, die einzige Schaltfunktion hat enorme Auswirkungen auf den Sound: Es ist ein On-/Off-Switch, welcher in das Fußteil eingelassen ist. Ich halte Schalter meist für verzichtbar, da heute Systeme generell nicht mehr so stark rauschen und meist auch ein „Mann am Mischpult“ bei Bedarf für Ruhe sorgen kann. Ich will jetzt aber nicht wieder ein Fass aufmachen. Wer sich für den Inhalt dieses Fasses interessiert, kann in diesem Test nachlesen.

Anzeige

Praxis

Kein Mikrofon, sondern ein Statement

Es gibt wohl kaum ein anderes Mikrofon, welches auf einer Bühne ein derartiges Markierungsobjekt für eine musikalische Ära darstellt, wie ein Shure 55SH II. Schon bei einer vor dem Auftritt noch leeren Bühne kann man heutzutage mit dem richtigen Mikro ankündigen, dass gleich etwas aus den 1940ern, 50ern oder frühen 60ern zu hören sein wird. Die Optik ist also 1A vintage. Kein Wunder, schließlich ist es kein Retro-Gehäuse, sondern schlichtweg das gleiche wie Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Und da sage noch einer, die USA hätten keine Traditionen!

Shure_55SH_II_Elvis_Mikrofon_10

Good ol’ times – auch der Sound

Auch wenn man eine Kleinmembran-Kondensatorkapsel in das Mikrofon einbauen würde, einige Eigenschaften des Sounds wären die gleichen wie mit der verbauten Tauchspulen-Niere. Die Gehäuseform und das starre, gleichförmige Gitter erzeugen Unebenheiten, die jedoch nicht per se „schlecht“ sind. In den Höhen unterhalb von 10 kHz ist das stark präsenzbetonte Klangbild ein wenig phasig und resonierend, die Hochmitten scheppern ein wenig blechern. Ein K.O.-Kriterium? Mitnichten! Ein Stück weit dengelig und hohl, das ist es, was den klanglichen Charme der 55er ausmacht und für den historischen Charakter sorgt. Das 55SH II klingt so, wie ein Schwarzweißbild aussieht. Wenn man es mag, ist es genau richtig, wenn nicht, hat man im Zweifel einfach nur den Fehler gemacht, das falsche Mikrofon gekauft zu haben. Für meinen Geschmack ist der Old-School-Sound des SH II dennoch zu viel des Guten, meine Präferenzen liegen eher beim Super 55 und dem 5575 LE.

Wenn ich euch gerade einen Floh ins Ohr gesetzt haben sollte: Für das 55 ist mir außer Eigenbaulösungen nichts derartiges bekannt, aber Wes Dooley bietet von seinen AEA-Mikrofonen, das sind Nachbauten der RCA-Ribbon-Klassiker, doch tatsächlich ein Leergehäuse namens R44SM an, in welchem ein Schoeps-Kleinmembranmikro mit seitlich zu besprechender MK-Kapsel eingebaut werden kann.

Proximity und Popp

Bei etwas weiterem Abstand mag man vielleicht ein wenig Fülle und Kernigkeit vermissen. Hier zeigt sich, dass das Mikrofon zwischen 500 und 1000 Hz ein wenig absenkt. Rückt man dem 55SH aber näher auf die Pelle wie der lederbejackte Rockabilly der Petticoat-Dame auf dem Jahrmarkt, dann macht sich das aber bezahlt. Der Sound bekommt durch die Bassbetonung aufgrund des Proximity-Effekts eine angenehme Nähe, wird aber keineswegs mumpfig oder dröhnig. Ein schmeichelndes „Baby“ à la Elvis klingt perfekt. Vorsichtig sollte man aber mit Poppgeräuschen sein, für die dieser Mikrofontyp recht empfindlich ist. Insofern ist das lässige Etwas-von-der-Seite-Singen gar nicht so verkehrt.

Diagnose: Sie haben eine Kugelniere.

Eine weitere Eigenschaft des Elvis-Shures, mit der man sich auseinandersetzen muss, ist seine doch recht hohe Feedbackanfälligkeit. Selbst bei Verwendung einer Kapsel mit perfekter Nierencharakteristik ist es aufgrund des am Rücken komplett geschlossenen Mikrofonkorpus nicht möglich, diese auch tatsächlich zu erhalten. Und tatsächlich ähnelt das resultierende Polar-Pattern einem Zwischending zwischen Niere und Kugel. „Kugelniere“ ist nicht der richtige Begriff, korrekt nennt man es „breite Niere“. In der Konsequenz bedeutet dies, dass das Shure 55SH II deutlich früher zu koppeln beginnt als andere typische Bühnenmikros. Im Praxistest mit einem („SM58-Setting“ 180 Grad hinter dem Mikrofon) und zwei Wedge-Monitoren konnte man nur deutlich geringeren Pegel auf die Boxen geben als mit einem SM58 oder einem M88. Ein bisschen hilft es da aber schon, dass man den Swivel-Mount auch nach hinten schwenken kann. Es ist sicherlich machbar, das Monitoring auf der Bühne so zu gestalten, dass man die Koppelanfälligkeit in Grenzen hält, doch ist der typische Performer mit einem 55er nicht gerade dafür bekannt, wie angewurzelt vor dem Mikro herumzustehen, sondern es am galgenlosen Mikrofonständer mit auf die Reise über die Bühne zu begleiten. Unter diesen Vorzeichen wird man sich über den On-/Off-Schalter vielleicht sogar freuen. Und noch etwas: Griffgeräusche werden von moderneren Mikrofonen dieser Preisklasse meist weniger stark übertragen.

Audio Samples
0:00
30 cm, axial 30 cm, 45 Grad 2 cm im Kontext

Alternativen und alternative Einsatzmöglichkeiten

Am Gitarrenamp sind Feedbackanfälligkeit und Nonlinearität streckenweise herzlich egal, hier gefällt mir das 55SH II sogar besonders gut. Es erscheint für eigentlich jedes Studio als durchaus sinnvoll, ein 55er im Fundus zu haben, vor allem, wenn man den geringen Preis des SH II bedenkt. Ich habe schon durchscheinen lassen, dass mir der 2009er-Nachfolger Shure Super 55 etwas besser gefällt als das 55SH II. Wer es noch ein wenig moderner mag, aber optisch ganz klar vergangenheitsorientiert bleiben will, der könnte sich beispielsweise das Shure 545SD ansehen. Das Vorläufermikrofon des SM57 sieht ebenfalls umwerfend aus und ist mit dem Windschutz A2WS als Gesangsmikrofon spitze geeignet. 

Anzeige

Fazit

Wer ein Shure 55SH II anschafft, der weiß genau, was er will: Authentischen Look und authentischen Sound. Und beides bekommt man mit dem Erwerb, der zudem keine Krater ins Portemonnaie reißt. Das 55SH II hat sicher den „originalsten“ Sound, man muss aber eben die zugehörigen Nachteile in Kauf nehmen: Das Spektrum ist recht begrenzt, es hat einen blechernen und phasigen Touch. Was sich zunächst schlimm liest, transportiert aber hervorragend das, was man gerne „vintage“ nennt. Und an Gitarrenamps benötigt man oftmals einen derartigen Charakterkopf. Ein anderes Problem ist das des Feedbacks, weshalb man mit dem Live-Tontechniker eher nicht der beste Freund wird. Ich würde für Livegigs besonders aus diesem Grund eher zum Super 55 raten.

Unser Fazit:
4 / 5
Pro
  • authentisches Design
  • klassisches Klangbild
  • großer verfärbungsfreier Besprechungsbereich
  • preisgünstig
  • robust
Contra
  • etwas blechern
  • rückkopplungsanfälliger als übliche Bühnenmikros
  • Schalter
Artikelbild
Shure 55SH II Test
Für 192,00€ bei
Shure_55SH_II_Elvis_Mikrofon_7
Features und Spezifikationen
  • Wandlertyp: dynamisch (Tauchspule)
  • Empfängertyp: Druckgradientenempfänger
  • Richtcharakteristik: Niere
  • Frequenzgang: 50 Hz – 15 kHz
  • Übertragungsfaktor: 1,33 mV/Pa
  • Metall-Druckgussgehäuse mit Neigungsvorrichtung
  • Preis: € 169,– (UVP)
Hot or Not
?
Shure_Unidyne55_SH_2 Bild

Wie heiß findest Du dieses Produkt?

Kommentieren
Schreibe den ersten Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Bonedo YouTube
  • Epiphone IGC Hummingbird Deluxe EC | NOT a Reissue! | Sound Demo
  • Sweet Chords on the Epiphone IGC Hummingbird Deluxe EC!
  • The Cornerstone Imperium V2 – Sweet Overdrive Magic!