Sennheiser Evolution e906 Test

Der Test des dynamischen Instrumentenmikrofons Sennheiser Evolution e906 beginnt für mich mit einem interessanten Gedanken.

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Denn es erscheint kurios: Während sich das Leben in sämtlichen Bereichen permanent zu beschleunigen scheint, die Menschheit mit dem Gedanken spielt, sich auf dem Mond anzusiedeln und Kühlschränke wissen, wann Milch gekauft werden sollte, bleibt die Antwort auf eine andere lebenswichtige Frage seit Jahrzehnten dieselbe. Sie lautet: Welches Mikro eignet sich für die Abnahme von Amps und Trommeln gleichermaßen gut? Obwohl es mittlerweile eine kaum zu überblickende Menge an Alternativen gibt, wird als Antwort doch immer wieder dieses eine Modell mit der 57 im Produktnamen genannt. Das dürfte nicht nur daran liegen, dass dieser Klassiker nun einmal den Sound einer ganzen Generation geprägt hat, sondern auch daran, dass er unkaputtbar und dazu erschwinglich ist.
Trotzdem gibt es natürlich wie fast immer im Leben Alternativen, wie das Sennheiser Evolution e906 mit seiner flachen Bauform und seinem unkonventionellen EQ-Schalter schon seit einigen Jahren unter Beweis stellt. Wir haben das beliebte Mikrofon an Snares und Toms gestellt und vor den Gitarren-Amp… gehängt.

Details

Leicht, flach, stabil

Aus der Pappschachtel genommen, präsentiert sich das e 906 als kompaktes und leichtes Mikrofon. Anders als das bekannte und für die gleichen Anwendungen geschätzte Sennheiser MD-421 merkt man dem e906 die Verwandtschaft mit dem Sennheiser MD-409 deutlich an, dass es mit einer anderen Zielsetzung entwickelt wurde. Wo Mikros im bekannten Handheldstil relativ lang gebaut sind, fällt das e906 kurz und flach aus, damit es auch in enger gestellten Drumsets leicht untergebracht werden kann. Ein besonderer Vorteil soll jedoch in der Möglichkeit bestehen, das Mikro nur am Kabel vor einen Gitarrenlautsprecher hängen zu können. Das Gehäuse besteht komplett aus Metall, nur der Rahmen, der die beiden Drahtgitter miteinander verbindet, ist aus Kunststoff gefertigt. Um Fehler bei der Bedienung auszuschließen, ist die Einsprechseite mit der Aufschrift „Front“ versehen, die Rückseite des Korbs ziert das bekannte „e“ der Evolution-Serie. Unterhalb des Logos befindet sich auch der einzige Schalter des e906, zu dessen Funktion wir im nächsten Abschnitt kommen. 

Fotostrecke: 3 Bilder Sennheisers e906 kommt als eine Art eckiger Lolli daher.

Mit dem Höhen-EQ hebt sich das e906 von der Konkurrenz ab

Hinter dem Metallgitter arbeitet eine Tauchspulenmembran in Supernieren-Charakteristik, welche die Richtwirkung des e906 noch stärker fokussiert als die Niere und somit Umgebungsgeräusche effektiver ausblenden soll. Eine Empfindlichkeit von 2,2 mV/Pa ist der Bauart und dem Einsatzbereich in lauten Umgebungen angemessen, was auch für den Übertragungsbereich von 40 bis 18000 Hertz gilt. Der Hauptgrund für die Popularität des Testobjektes unter Gitarristen ist jedoch der bereits angesprochene Schalter auf der Rückseite. Anders als zunächst vermutet, handelt es sich bei der dreistufigen Konstruktion nicht um eine Bassabsenkung, stattdessen verbaut Sennheiser einen – per spitzem Gegenstand bedienbaren – Präsenzschalter, mit welchem sich der so wichtige Bereich zwischen 4000 und 5000 Hertz formen lässt. Laut Sennheiser liegt die Center-Frequenz bei 4200 Hertz. In der Mittelstellung bleibt der natürliche Frequenzgang des e906 unangetastet, schiebt man ihn nach oben, wird die Frequenzkurve um etwa 3 dB angehoben, in der unteren Stellung werden 3 dB abgesenkt. Laut Bedienungsanleitung eignet sich die Neutralstellung beispielsweise gut für Classic Rock, die Erhöhung soll Rhythmusgitarren in Metalgenres zu mehr Biss verhelfen, während die Absenkung bei der Realisierung eher warmer Blues- und Jazzsounds funktionieren soll. Im Praxisteil werden wir das ausprobieren, außerdem wollen wir wissen, ob das Mikrofon auch an Toms und Snaredrums gut klingt. 

Fotostrecke: 4 Bilder Im Profil kommt das e906 sehr flach daher.

Praxis

Die Form des Sennheiser e906 erweist sich im Einsatz als praktisch

Natürlich sollte der Klang eines Mikrofons bei der Auswahl an erster Stelle stehen, wer allerdings täglich mit verschiedenen Instrumenten arbeitet, lernt schnell eine gute Positionierbarkeit schätzen. Und die ist (mit kleinen Einschränkungen) beim Sennheiser e906 gegeben. Die kurze, flache Bauweise mit seitlicher Einsprechrichtung funktioniert sowohl an Toms und Snares gut, sofern man das Mikro nicht zu weit zur Fellmitte hin bewegt. Möchte man das trotzdem machen, empfiehlt es sich, es aus einer aufrechten in eine seitliche Position zu drehen, dann nimmt es allerdings auch mehr Platz weg. An Gitarrenverstärkern funktioniert das Testobjekt auch einfach am Kabel hängend, das spart nicht nur das Stativ, sondern mit ihm auch potenzielle Stolperfallen auf engen Bühnen. In der Praxis zeigt sich allerdings, dass sich so ein Kabel gerne mal dreht und damit auch das Mikrofon selbst. Gitarrist Michael Krummheuer hat sich also mit einem Streifen Gaffa beholfen. Klanglich präsentiert sich das e906 modern und griffig. Ich habe es mit insgesamt drei Referenzmikros am Gitarren-Amp, der Snare und einem 12er-Racktom getestet.

Fotostrecke: 3 Bilder Diesen Anblick kennt wohl fast jeder: Sennheiser e906 im “Abhäng-Modus”.

Dank Präsenzschalter sehr vielseitig vor der Gitarrenbox

Warum das e906 so gerne von Gitarristen verwendet wird, macht der Check vor einem Budda-Combo mit 2x12er-Bestückung schnell klar. Als Referenz kam das obligatorische SM57 zum Einsatz, welches immer noch eines der meistgenutzten Amp-Mikrofone sein dürfte. In Sachen Flexibilität hat es jedoch einen schweren Stand gegen das Testobjekt. Dieses klingt im Clean-Modus griffig und solide und besitzt mehr Glanz als das SM57, welches die typische, mittige „Knorzigkeit“ besitzt, für die es bekannt ist. Greift man beim e906 zum EQ-Schalter und beschneidet die Präsenz, werden sich beide Mikros ähnlicher, der Boost hingegen hebt die Griffbrett- und Fingergeräusche noch stärker hervor. Gut gefällt mir, dass die Anhebung relativ subtil ausfällt, das Mikro bleibt ausgewogen und tendiert nicht ins Schrille. 

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Gitarre clean, Sennheiser e906 neutral Gitarre clean, Shure SM57 Gitarre clean, Sennheiser e906 Presence Cut Gitarre clean, Sennheiser e906 Presence Boost

Bei steigender Zerre tritt der Presence Boost stärker hervor

Je mehr die verzerrten Anteile im Sound zunehmen, desto deutlicher macht sich der aktivierte Anstieg im 5000-Hertzbereich bemerkbar. Beim Wechsel in den Crunch-Modus ist zunächst derselbe Effekt wahrzunehmen wie bei der cleanen Verstärkereinstellung. Der Presence Cut nähert das e906 klanglich etwas an das leicht nölig-selbstbewusste SM57 an, wohingegen die Neutralstellung zeigt, dass das Testmikro eben objektiv ausgewogener und frischer klingt. Der Boost hebt sich am klarsten ab, der Crunchsound wird damit zackiger und dreidimensionaler, im Mix dürfte sich damit eine bessere Ortung des Instruments herstellen lassen. Am deutlichsten treten die Effekte des EQ-Schalters jedoch im Hi-Gain-Setting hervor. Moderne Metalsounds dürften sich mit dem e906 wesentlich schneller herstellen lassen als mit dem Klassiker SM57. Hier hört ihr auch deutlich die unterschiedliche tonale Charakteristik der beiden Mikros. Während das SM57 im Vergleich wesentlich belegter und mittiger wirkt, macht das e906 einen direkteren, weniger „hohlen“ Eindruck. Wem also tendenziell eher moderne, präsente bis aggressive Sounds zusagen, dürfte mit dem e906 besser bedient sein.

Audio Samples
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Gitarre crunch, Sennheiser e906 neutral Gitarre crunch, Shure SM57 Gitarre crunch, Sennheiser e906 Presence Cut Gitarre crunch, Sennheiser e906 Presence Boost Gitarre High Gain, Sennheiser e906 neutral Gitarre High Gain, Shure SM57 Gitarre High Gain, Sennheiser e906 Presence Cut Gitarre High Gain, Sennheiser e906 Presence Boost

Solide und griffig klingt das e906 auch an Snare und Tom

An meiner 14×4,5-Oriollo-Aluminiumsnare mit nahtlosem Kessel schlägt sich das e906 ebenfalls sehr anständig. Als Referenz kam diesmal allerdings nicht das SM57 zum Einsatz, sondern mein Telefunken M80, ein Mikrofon, welches nicht nur von mir als modernes, gut klingendes Snare-Mic geschätzt wird. Das e906 bildet in der Neutralstellung den Kesselton sehr schön ab und auch die Snareteppich-Ansprache kommt crisp und exakt rüber. Mit aktiviertem Präsenz-Boost gewinnt die Trommel etwas an Druck. Obwohl die Anhebung für den Snareteppich-Bereich etwas zu tief angesetzt ist, wirkt die Snare frischer und offener. Damit kann das e906 eine interessante Alternative für Drummer sein, die auf ein zweites Mikro unter der Trommel verzichten wollen. Trotzdem gefällt mir das M80 besser, er wirkt noch griffiger und trennschärfer, kostet jedoch auch deutlich mehr als das e906.

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Snare solo, Sennheiser e906 neutral Snare solo, Telefunken M80 Snare solo, Sennheiser e906 High Boost Snare im Kit, Sennheiser e906 neutral Snare im Kit, Telefunken M80 Snare im Kit, Sennheiser e906 High Boost

Offen und rund klingt das Testobjekt auch am 12er-Racktom

Als letzte Amtshandlung habe ich das e906 mit meinem Electro-Voice N/D 468 am 12er-Oriollo-Racktom aus Aluminium verglichen. Dieses Instrument klingt sehr warm und rund, dabei aber trotzdem offen und lebendig. Es zeigt sich, dass dieser Charakter dem e906 entgegen kommt. Von der Tonalität ähnelt es dem 468, hat allerdings einen etwas ausgeprägteren Nahbesprechungseffekt, wodurch es dem Tom mehr Fundament und Substanz in den unteren Mitten verleiht. Mit aktiviertem Boost wirkt es besonders im Verbund mit den anderen Mikrofonen am Kit präsenter und offener, in der Neutralstellung finde ich beide Mikros relativ ähnlich klingend. Wie auch bei der Snare, ist hier zu bedenken, dass Mikropositionen, die weiter in Richtung Fellmitte angesiedelt sind, schwerer zu realisieren sind.

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Tom solo, Sennheiser e906 neutral Tom solo, Electro-Voice N/D 468 Tom solo, Sennheiser e906 High Boost Tom im Kit, Sennheiser e906 neutral Tome im Kit, Electro-Voice N/D 468 Tom im Kit, Sennheiser e906 High Boost

Fazit

Seit einigen Jahren ist das Sennheiser e906 schon auf dem Markt und warum es sich besonders unter Gitarristen einiger Beliebtheit erfreut, wurde im Test deutlich. Es klingt kompakt, druckvoll und moderner als der Klassiker Shure SM57. Seine Form, die das stativlose Aufhängen vor einer Box ermöglicht, ist zweifellos ein Pluspunkt, die Möglichkeit, den wichtigen oberen Mittenbereich anzuheben oder abzusenken, dürfte allerdings für viele eine noch größere Überzeugungskraft besitzen. Im Hi-Gain-Betrieb lassen sich damit sehr durchsetzungsfähige Sounds realisieren, die in der Bearbeitung weniger Zuwendung benötigen als manch andere dynamische Mikros. Auch an Tom und Snare klingt das Testmodell sehr gut, ist jedoch teilweise umständlicher zu positionieren als Typen im Handheld-Stil. Der Preis ist moderat, die Verarbeitung sehr gut, und damit steht einer Empfehlung nichts mehr im Wege.

Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
  • Präsenz-EQ bietet zusätzliche Variabilität
  • sehr gute Ergebnisse am Gitarren-Amp
  • ausgewogen an Snare und Tom
  • gute Verarbeitung
Contra
  • eingeschränkte Flexibilität bei der Positionierung an Trommeln
Artikelbild
Sennheiser Evolution e906 Test
Für 169,00€ bei
Sennheiser_e906_Test_10
Features und Spezifikationen
  • Hersteller: Sennheiser
  • Bezeichnung: e906
  • Wandlerprinzip: dynamisch
  • Richtcharakteristik: Superniere
  • Impedanz: 350 Ohm
  • Frequenzgang: 40–18000 Hz
  • Finish: matt-schwarz lackiert
  • Ausgang: XLR
  • Besonderheit: High Cut und High Boost
  • Abmessungen : 5,5 x 3,4 x 13,5 cm
  • Zubehör: Halterung, EU-Reduziergewinde, Tasche, Anleitung
  • Herkunftsland: Deutschland
  • Preis: € 99,– (Straßenpreis am 13.11.2018)
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