sE Electronics RNT Test

Das „RNT“ in der Produktbezeichnung des Röhrenmikrofons „sE Electronics RNT“ steht offensichtlich für „Rupert Neve“ und „Tube“.

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„Sir Rupert Neve“ wäre wohl der am häufigsten genannte Name, wenn Tontechniker und Musiker auf der ganzen Welt die Person nennen müssten, die die wichtigsten Entwicklungen im Bereich der Tontechnik zu verantworten hat. AMS Neve, Focusrite, Amek, RND – alle diese Firmen sind ohne Mr. Neve nicht vorstellbar. Seit einer Weile verdingt sich der mittlerweile nicht mehr allzu junge gebürtige Engländer (der mittlerweile Texas seine Heimat nennt) auch an Mikrofonen. Das umschaltbare Studio-Röhrenmikrofon RNT trägt seine Handschrift (nicht nur im übertragenen Sinne), gefertigt wird es in sE Electronics’ eigener Fabrik in Shanghai. Dass es in China hergestellt wird, bedeutet nun nicht, dass es besonders preiswert ist: 2990 Euro sind schon eine Ansage – damit liegt das Mikrofon in Preisbereichen der bekanntlich sehr hochwertigen Tube-Mics aus deutscher Fertigung.  

Details

Speiseteil mit neun Patterns

Absolut klassisch ist das Prinzip des RNT: Vom Mikrofon aus geht ein Multipinkabel zum Speisenetzteil, an dem die beiden Kapselsignale verschaltet werden können – zu Kugel, Niere, Acht und jeweils drei Zwischenstellungen. 40 oder 80 Hz beträgt die Grenzfrequenz des zweipoligen Hochpassfilters, welches mit einem kleinen Knebel auf dem Netzteil geschaltet wird.  

Fotostrecke: 4 Bilder Die Frontplatte des Netzteils spricht die RND-Designsprache.

OP-Amp: 5088

Zwar liefert das Röhrennetzteil die Versorgungsspannung für die im Body verbaute 12AU7/ECC82, doch kommen auch Operationsverstärker in einer späteren Stufe innerhalb der Power Supply zum Einsatz. Dort ist zudem das Gain schaltbar – von Neutralstellung auf -12 und +12 dB. Die Operationsverstärker tragen die Bezeichnung 5088 – ein Kürzel, welches auch in Rupert Neves Analogkonsole 5088 und den Derivaten wie RND 5060 Centerpiece oder RND 5059 Satellite verwendet wird, weil diese massive Verwendung dieser mit ±36 Volt versorgten OP-Amps machen. Vor allem aber macht ein Übertrager nach Neves Vorstellungen einen der wichtigsten Anteile am Gesamtsound aus. sE Electronics verwendet nach eigenen Angaben hoch selektierte, rauscharme Bauteile in der Class-A-Elektronik. Dementsprechend lesen sich auch die Daten: 16 mV/Pa Übertragungsfaktor sind zwar nicht massig viel, doch auf der anderen Seite stehen dafür 151 dB SPL (0,5 % THD+N) als Maximalpegel. Das ist sicher mit einem Gain von -12, doch auch 139 ist ein sehr ordentlicher Wert. Das Eigenrauschen ist mit 18 dB(A) absolut in Ordnung für ein Röhrenmikrofon.  

Fotostrecke: 12 Bilder sE-Logo und Ruperts Unterschrift auf einem Gehäuse

Riesengroßer Koffer

Dem Mikrofon und dem Netzteil wird ein geradezu gigantisch großer Koffer zum Übernachten mitgegeben, in welchem auch das Röhrenmikrofonkabel, das Netzkabel, die elastische Halterung und die Kabel ihren Platz finden.  

Lang erwartet: sE Electronics' RNT. Wie es wohl klingt?
Lang erwartet: sE Electronics’ RNT. Wie es wohl klingt?

Praxis

Das Netzteil sieht gut aus …

Man soll ja weder vom Äußeren auf die inneren Werte schließen noch ist es sinnvoll, als Produkttester das altbekannte China-Fass aufzumachen – dass das Land nicht nur als Produktionsstätte, sondern auch in Forschung und Entwicklung nicht mehr ganz nackt dasteht, muss man in der Audiobranche sicher nicht mehr in aller Ausführlichkeit erklären. Allerdings fällt auf, dass es bezüglich der Verfügbarkeit von Materialien, in der Qualität der Ausführung und vielleicht auch im Fertigungsanspruch durchaus noch kleine, aber feine Unterschiede gibt. Ich habe auch schon an Mikrofonen von mitteleuropäischer, schwedischer oder japanischer Herkunft kritisierbare Punkte gefunden. Aber wenn ich mein Microtech Gefell UM 92.1S gegen das etwa gleich teure sE RNT halte, dann weiß ich, wer von mir einen Punkt für Wertigkeitsgefühl bekommt. Nichts Schlimmes (so manches englische oder amerikanische Mikrofon wirkt ja sogar durchaus „grob“ ausgeführt), aber bei einer nicht unerheblichen Investition finde ich das nicht ganz so tofte, wenn nicht alles wirklich absolut top-notch wirkt. Und, na ja, also so richtig „schön“ finde ich die Formgebung auch nicht. Das Netzteil mit seinem Rupert-Neve-Designs-Look und dem Hammerschlag hingegen stelle ich mir gerne gerne ins Blickfeld.

Hinten: Recht schönes Netzteil. Vorne: Mikrofon.
Hinten: Recht schönes Netzteil. Vorne: Mikrofon.

Nicht kreuzbrav, aber auch nicht warm und wohlig

In jedem Fall ist das sE RNT ein groß und edel klingendes Mikrofon. Rupert Neve scheint hier etwas spendabler als in seinen aktuellen Geräten mit dem klanglichen Farbeimer zu hantieren. Und die „Sprache“ der Rupert-Neve-Serie bei sE Electronics erscheint schlüssig, stimmig und homogen. Denn genau wie bei den von uns getesteten sE RN17 klingt es ein wenig so, als habe man ein sehr hochwertiges Mikrofonsignal nicht mit einem kreuzbraven, sondern mit einem etwas rock’n’rolligen Preamp in den mittleren bis oberen Bereichen der Trafosättigung verstärkt. Im Ergebnis entsteht dadurch ein Klang, der beispielsweise auf Stimmen und auch Akustikgitarren für den edlen Glanz sorgt, den man auf vielen Signalen gerne hat. Wirklich schwer, warm und „beefy“ ist der Sound aber nicht. Eigentlich etwas schade, denn ein bisschen höhere Anreicherung auf tieffrequenten Signalen hätte dem sE RNT gut zu Gesicht gestanden, wie ich finde. Die Färbung ist aber in jedem Fall gut berechenbar und schon Bestandteil des Signals bei geringen Pegeln. Diese Konstanz über den abbildbaren Pegelbereich sorgt auch dafür, dass bei hohen Pegeln die Harmonischen nicht überschlagen oder die Dynamik gedrückt wirkt. Besonders deswegen möchte ich das RNT-Mikrofon als wirklich pegelfest loben. Und bei allen Dynamikstufen, vom sehr homogenen, unauffälligen und dunklen Rauschteppich bis nach ganz oben ist die Detailabbildung wirklich gut!  

Audio Samples
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RNT_10N.wav RNT_30N.wav RNT_70N.wav RNT_10N_HPF.wav RNT_30K.wav RNT_30A.wav RNT_30N45.wav RNT_30N_m12.wav RNT_30N_p12.wav UM92_310N.wav UM92_30N.wav UM92_70N.wav UM92_30K.wav UM92_30A.wav UM92_30N45.wav

Acht gefällt besser als Kugel und Niere

Niere und Kugel wirken etwas entfernter als die Acht, welche deutlich präsenter und „in your face“ rüberkommt – und mir deswegen auch besser gefällt als die anderen Polar Patterns, die ein wenig reservierter, aber auch kantiger, bissiger und kälter klingen. Die Acht des RNT klingt dadurch auch mehr nach klassischem Röhrenmikrofon, näher, etwas dichter und griffiger. Vor allem Vocals lassen sich so besser im Mix platzieren. Doch auch die Zwischenstufen zur Niere, also Super- und Hypernierenstellungen, können von diesen Eigenschaften sehr profitieren. Bezüglich der Konstanz der Richtcharakteristik zeigt sich das sE Electronics RNT als klassisches Doppelmembranmikro. Es besitzt zwar auch die typische Achtneigung der Kugel in den Höhen, aber überall sind die starken Pegeländerungen im Rahmen. Einzig der vielleicht doch recht schmale „Beam“ der Kapseln zwingt bei wichtigen Signalanteilen im zweistelligen Kilohertzbereich zur sehr genauen Ausrichtung und guten Mikrofondisziplin. Allerdings ist die Übertragung der höchsten Höhen etwas gedämpft, wie man es von Großmembranern gewohnt ist. Doch auch hier: Der Höhenabfall ist recht konstant und berechenbar, die Spotwirkung der Polar Patterns ebenso. Was ich vorhin leicht mokiert habe, zeigt sich als Vorteil bei naher Besprechung: Selbst in geringem Abstand bleibt das RNT knackig und neigt nicht zum Schwimmen oder Wummern. 

Fazit

Das sE Electronics RNT ist zweifelsohne ein wirklich sehr gut klingendes Mikrofon. Trotz seiner hochwertigen Klangfärbung ist es doch recht universell zu nutzen und kann mit verschiedenen Aufgaben im Studioalltag betraut werden. Wirklich ausstechen kann es seine ähnlich teuren Mitbewerber aber nicht: Ein wenig mehr Grandezza im Klang würde ihm guttun, besonders die Niere ist mir ein wenig zu unpräsent. Gleichzeitig kann das RNT bisweilen etwas scharf wirken. Würde das Mikrofon 1500 Euro kosten, könnte man jetzt an dieser Stelle eine Lobeshymne lesen, so aber tue ich mich schwer mit überschwänglichem Lob für das RNT.

Unser Fazit:
4 / 5
Pro
  • edle Grundfarbe
  • detailreich
  • pegelfest
  • gleichbleibender Klangcharakter über den gesamten Dynamikbereich
Contra
  • Preis-Leistungsverhältnis
Artikelbild
sE Electronics RNT Test
Für 2.990,00€ bei
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FEATURES UND SPEZIFIKATIONEN
  • Membrangröße: groß, mittenkontaktiert
  • Empfängerprinzip: Doppelmembran-Druckgradientenempfänger
  • Richtcharakteristiken: Kugel, Niere, Acht und je drei Zwischenstufen
  • Wandlerprinzip: Kondensator
  • Betriebsspannung: über Speisenetzteil
  • Frequenzgang: 20 Hz – 20 kHz
  • THD+N: 18 dB(A-bewertet)
  • Übertragungsfaktor: 16 mV/Pa
  • maximaler Schalldruckpegel: 151 dB (0,5% THD+N)
  • Hochpassfilter: 40/80 Hz, 12 dB/oct
  • Pegel schaltbar: -12 dB / 0 dB / +12 dB
  • Preis: € 2995,– (Straßenpreis am 10.06.2018)
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