Rupert Neve Designs Portico II Channel Test

RND Portico II Channel im Test bei bonedo – Rupert Neves Premiumlinie umfasst nicht nur ein Mastering-Tool, sondern auch einen bemerkenswert üppig ausgestatteten Aufnahme-Kanalzug. Es ist kein Geheimnis, dass eine Produktion nur dann wirklich gut klingt, wenn man sich nicht bloß auf die abschließende Politur verlässt, sondern sich von Anfang an um edlen Sound kümmert.

Mit dem Master Buss Processor und vor allem der beeindruckenden 5088-Konsole hat der Portico II Channel dabei einige grundlegende Gemeinsamkeiten: Es handelt sich wie bei allen Designs von Rupert Neve um transistorisierte Class-A-Schaltkreise, die in diesem Fall aber besonders hochvoltig betrieben werden und dementsprechend ausgesprochen sauber klingen sollen. Von der sämig-satten Klangfärbung seiner Designs aus den späten 60er- und frühen 70er-Jahren hat Rupert Neve schon lange Abstand genommen: Damals waren es unvermeidliche Nebenprodukte von aus heutiger Sicht recht archaischer Technik, dem großen Ziel der verzerrungsfreien Signalverarbeitung kann man mit aktuellen Schaltungsmerkmalen bedeutend näher kommen. Nichtsdestotrotz vereint die Portico-II-Serie gewissermaßen das Beste beider Welten. Denn neben aller Sauberkeit greift der Kanalzug in bestimmten Merkmalen auf die Eigenschaften von Rupert Neves legendären 1066/1073/1084-Kassetten zurück – er verfügt auch über die bei aktuellen RND-Geräten unvermeidliche „Silk“-Schaltung, mit der sich Sättigungsprodukte aus der Recording-Urzeit in das eigentlich cleane Klangbild integrieren lassen. Es gibt nur wenige Channelstrips, die wirklich Vollausstattung bieten, neben dem Preamp auch über einen EQ, Kompressor und De-Esser verfügen. Zu dieser Feature-Königsklasse zählen beispielsweise die Manley Voxbox, der Pendulum Audio Quartet und eben auch der Portico II Channel.

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Details

Alles in einer Kiste

Und dieses Gerät bietet nicht nur diese vier Basis-Bausteine, sondern es stellt diese auch noch einer üppigen Parametrisierung zur Verfügung, bei der nun wirklich kaum noch ein Wunsch offen bleiben sollte. Zwar kann man heute beliebig viele Prozessoren kombinieren (was Dank nicht zuletzt auch des 500-Formats sehr platzsparend gelöst werden kann), aber dennoch bietet ein integrierter Kanalzug einen ganz bestimmten Vorteil: Nur so lässt sich ein (sehr) kurzer Signalweg realisieren, bei dem die Line-Stufen an den Ein- und Ausgängen von vier separaten Prozessoren entfallen.

Preamp in Vollausstattung

Dem grundsätzlichen Anspruch, wirklich all das zu bieten, was beim Recording nötig sein könnte, trägt bereits die Preamp-Sektion Rechnung: Der Mic-Input bietet 66 dB Gain und dann nochmals ±6 dB mittels eines zusätzlichen Trimmers, welcher auch für die Anpassung des Line-Inputs zuständig ist. Phasendrehung und Phantomspeisung sind Standards, eine zusätzliche Pegelabschwächung benötigt der Vorverstärker aufgrund der Auslegung seiner Schaltung nicht. Als angenehmes zusätzliches Feature wurde aber ein Mute-Schalter integriert, welcher den Ausgang des Channels stummschaltet. Diesen kann man beispielsweise nutzen, um zu vermeiden, dass Störgeräusche beim Aktivieren der Phantomspeisung in voller Lautstärke über die Abhöre geblasen werden. Der D.I.-Input verfügt nicht nur über einen frontseitigen Groundlift, sondern sogar über eine Thru-Buchse, mit der beispielsweise ein Gitarrensignal zum Amp weitergeleitet werden kann: So wird die parallele Aufzeichnung eines D.I.-Signals für späteres Re-Amping leichtgemacht! Schließlich zeigt noch eine LED an, wenn Signal am Eingang anliegt – nützlich nicht zuletzt bei der Suche nach Routing-Fehlern…

Fotostrecke: 7 Bilder Der Portico II Channel zählt wie der Master Buss Processor und die 5088-Konsole zu Rupert Neves aktueller Premium-Linie.

Equalizer

Der Vierband-EQ kann global aktiviert werden und auf Wunsch vor oder hinter der Kompressor-Sektion eingesetzt werden. Der EQ bietet mehr Flexibilität als ein gewöhnlicher Mischpult-Kanalzug-Entzerrer, ist aber kein bis in den letzten Winkel vollparametrisches Design. Das macht aber nichts – in der Praxis gibt es kaum eine Situation, wo der gebotene Funktionsumfang nicht ausreichen sollte.

Flexible 4-Band-EQ-Sektion: Das HM-Band kann auf Wunsch als De-Esser arbeiten.
Flexible 4-Band-EQ-Sektion: Das HM-Band kann auf Wunsch als De-Esser arbeiten.

Dynamics

Schließlich steht auch noch ein umfangreich parametrisierter VCA-Kompressor zur Verfügung, um das Signal dynamisch zu verfeinern. Neben den Parametern Threshold, Attack (20-80 ms), Release (0,1-3 s), Ratio (1:1-40:1) und Gain (-6 bis +20 dB) bietet diese Einheit auch ein Blend-Poti für Parallelkompression. Der Kompressor kann im Feedback- und Feed-Forward-Modus betrieben werden, per Schalter (und rückwärtiger Kabelbuchsen) mit anderen Portico-II-Channel-Comps gelinkt werden und bietet Peak- sowie RMS-Detektion. Das ist auch deshalb besonders wichtig, weil die schnellste Attackzeit im RMS-Modus mit 20 ms für die meisten Tracking-Jobs einfach viel zu lang ist. Im Peak-Modus verkürzt sie sich auf 0,1 ms. Dennoch bleibt dies die einzige wirkliche Achillesferse des Channels. Hier ist der Blick ins Manual zwingend erforderlich (sonst übersieht man dies einfach), und es leuchtet an dieser Stelle erst recht nicht ein, warum RND seinen VCA-Comp nicht wenigstens im Recording-Channel durch und durch auf schnelle Ansprechzeiten optimiert – mit einem VCA-Comp sind diese nämlich problemlos möglich und in vielen Aufnahmesituationen eben auch erforderlich.

Flexibler VCA-Kompressor
Flexibler VCA-Kompressor

Praxis

Insgesamt fünf Processing-Bausteine (wenn man De-Esser und Silk-Funktion mitzählt), 21 Potis/Drehschalter sowie 20 Schaltfunktionen bedeuten, dass hier funktionell eine Menge geboten wird – und kontrolliert werden will. Die 2HE-Frontplatte ist dicht gedrängt mit Bedienelementen, hier wird Flexibilität ganz klar sehr groß geschrieben. Das gegenüber den allerersten Rupert-Neve-Designs-Geräten deutlich verbesserte Design der aktuellen Portico-Units sorgt jedoch nicht nur dafür, dass der Portico Channel II ziemlich ansprechend aussieht, er schafft es auch, diesen großen Strauß an Funktionen sehr übersichtlich rüberzubringen. Allein schon die Tatsache, dass die Schalters mit internen LEDs beleuchtet werden, vereinfacht die Bedienung ungemein.

Rupert Neve Designs Portico II Channel im Praxistest: Was leisten Preamp, EQ und Dynamics?
Rupert Neve Designs Portico II Channel im Praxistest: Was leisten Preamp, EQ und Dynamics?

Abgesehen davon spricht nichts dagegen, sich dem Processing Schritt für Schritt zu nähern. Zuallererst sollte man eine Aufnahme mit dem vollkommen neutral eingestellten Gerät wagen, um zu sehen, was die jeweilige Recording-Situation grundsätzlich auf den Tisch legt. Und von diesem Schritt aus lässt sich das Signal dann schrittweise verfeinern – entweder direkt bei der Aufnahme, oder aber später in einem weiteren Bearbeitungsschritt, je nach Geschmack.
An vielen Ecken und Enden fallen die durchdachten Extras auf, die hier einen wirklichen „Geht-nicht-gibt’s-nicht-Approach“ kommunizieren. Ob man hier die Thru-Buchse des DI-Eingangs hervorhebt, die Möglichkeit den Hochpass in den Comp-Sidechain zu schalten, ob man erst den EQ im Signalweg hat und dann den Kompressor oder umgekehrt, der Mute-Schalter für den Channel-Ausgang, oder, oder, oder… der Portico Channel II bietet eine Menge praxisnaher Details, die man schnell nicht mehr missen möchte.

Wie auch schon von anderen RND-Geräten bekannt, bietet der VCA-Kompressor viele Gestaltungsmöglichkeiten bei einem klaren, offenen, knackigen Grundsound. Während allerdings beim Master Buss Processor die ziemlich lange minimale Attackzeit von 20 ms noch einigermaßen verständlich ist, wünscht man sich bei einem Recording-Kanalzug doch (deutlich) schnellere Ansprechzeiten. Zwar kann man die 20 ms hier über den Peak-Detection-Modus noch eine ganze Ecke herunterschrauben, aber dennoch erschließt sich mir dieses Konzept trotzdem nicht so ganz. Die Vintage-Neve-Kompressoren zählen zwar auch nicht zu den allerschnellsten Konsorten, sie gehen aber doch immer noch recht zackig zu Werke, und VCA-Kompressoren wie im Portico Channel II können ebenfalls sauschnell zupacken – wenn man sie denn lässt. Über den Peak-Modus sind Attackwerte von bis zu 0,1 ms möglich, was ausreichend schnell ist, aber trotzdem erscheint mir das Layout an dieser Stelle zumindest unlogisch, ich würde die schnellen Attackwerte auch gerne bei RMS-Detection nutzen. Somit haben wir hier also den einzigen wirklichen Schwachpunkt des Gerätes an der Angel, bei dem ich mich wirklich frage, was hier beim Hersteller konzeptionell diskutiert wurde. Gerade weil der Rest des Channels wirklich durchdacht und toll konzipiert wurde, erschließt sich hier der Hintergrund nicht wirklich. Aber davon abgesehen liefert der Kompressor VCA-typisch klare und knackige Resultate, die sich beispieslweise auch Dank der Wet/Dry-Mixfunktion und der Feedback-Feed-Forward-Umschaltung sehr flexibel anpassen lassen. Insgesamt ist dies aber kein Soundmacher-Kompressor, sondern ein flexibles Arbeitstool, was an dieser Stelle in einem solchen Kanalzug auch völlig angemessen ist.

Mit seinen vier (semi-)parametrischen Bändern bietet der EQ all das, was man sich beim Recording zur Klanganpassung wünschen kann. Und auch im Mix kann ich mir kaum Situationen vorstellen, in denen die Flexibilität dieser Einheit nicht ausreichen sollte, erst recht, da mit dem Portico Channel II Aufnahmen in einer Grundqualität gelingen, die prinzipiell nur homöopathische Korrekturen erforderlich macht. Insbesondere beim Höhen-Shelving-Filter zeigt sich die Klasse eines EQs aus der Feder von Rupert Neve. Es ist ganz einfach toll, wie seidig sich hier der Klang öffnet! Die De-Esser-Abteilung ist eine nette Zugabe, die in der Praxis ebenfalls gute Dienste leisten kann. Ein ultraflexibler Plug-In-Desser wird hier vielleicht nicht in allen Fällen ersetzt, aber es gibt doch immer wieder Situationen, wo man in der analogen Domäne de-essen möchte, und da hat man hier ein durchaus mächtiges Werkzeug an der Hand. Da sich die EQ-Bänder allesamt recht weit überlappen, vermisst man dann auch nicht unbedingt das HMF-Band des EQs, viele Aufgaben lassen sich trotzdem über die LMF- und HF-Bänder abfedern.

Audio Samples
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Vocals Vocals, Lowcut bei 100 Hz Vocals, Lowcut, Comp (Fast Attack/Release, Ratio 2:1, Feedback, Peak Detection) Vocals, Lowcut, Comp, EQ (Shelving-Boost 12 kHz) Vocals, Lowcut, Comp, EQ, De-Esser (7,5 kHz) Vocals, Lowcut, Comp, EQ, De-Esser, Silk (Red)

Schließlich rundet noch RNDs altbekannte Silk-Funktion das Processing ab. Dadurch erhält der luftig-offen-klare Sound des Portico Channel II nochmals einen anderen Dreh, der Sound wird dichter, schwerer und reibeliger, gewinnt eine muskulöse Durchsetzungsfähigkeit. Somit lässt sich der Channel nicht einfach als Feingeist abstempeln, sondern er liefert auch – fein dosierbar – etwas von dem Vintage-Fairy-Dust, den man untrennbar mit dem Namen Rupert Neve verbindet.

Fazit

Als flexiber Recordingchannel mit rekordverdächtig umfangreicher Ausstattung bietet sich Rupert Neve Designs aktueller Premium-Kanalzug RND Portico II Channel für den anspruchsvollen Anwender an, der einerseits größten Wert auf Signaltreue und Sauberkeit legt, andererseits aber auch flexible Signalkontrolle benötigt. Mit großem funktionellem und schaltungstechnischem Aufwand wird hier ein Kanalzug präsentiert, bei dem die Phrase „Schweizer Messer“ mal wieder wie die Faust aufs Auge passt: Präzision, Funktionsvielfalt, Fertigungsqualität, da lässt sich eine Brücke von den Eidgenossen bis in die texanischen „Badlands“ schlagen. Da etwa durch die Silk-Funktion auch etwas herzhaftere Färbungen bedient werden, deckt der Portico Channel II tatsächlich ein großes Spektrum ab, das ihn als Allrounder präsestiniert. Der Preis ist nicht gering, aber addiert man Einzelkomponenten, dann landet man bei einer ähnlichen Hausnummer. Der Portico Channel II ist also eine echte Empfehlung!

Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
  • Klangeigenschaften
  • vielseitige Einstellmöglichkeiten
  • übersichtliches Frontplattenlayout
  • Fertigungsqualität
Contra
  • kürzeste Attackzeit im RMS-Mode 20 ms
Artikelbild
Rupert Neve Designs Portico II Channel Test
Für 3.399,00€ bei
Mit Preamp, EQ, De-Esser und Kompressor bietet der Portico II Channel wirklich alle Funktionsgruppen, die man sich in einem Kanalzug wünschen kann – in Spitzenqualität.
Mit Preamp, EQ, De-Esser und Kompressor bietet der Portico II Channel wirklich alle Funktionsgruppen, die man sich in einem Kanalzug wünschen kann – in Spitzenqualität.
Spezifikationen
  • Kanalzug mit Vollausstattung
  • Preamp mit Mic/Line/D.I.-Inputs
  • Vierband-EQ
  • flexibler VCA-Kompressor
  • De-Esser
  • Trittschallfilter
  • Sidechain-Inserts
  • Silk-Schaltung
  • hochvoltig betriebene Class-A-Schaltkreise
  • Ausgangsübertrager
  • Preis: € 3696,00 (UVP)
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