Propellerhead Thor for iPad Test

Thor mag zwar nicht der mächtigste aller indogermanischen Götter sein, mit der Befehlsgewalt über Blitz und Donner ist er aber in jedem Fall der lauteste. Der von Propellerheads geschaffene Hybrid-Synthesizer gleichen Namens darf sich dagegen durchaus rühmen, innerhalb der DAW „Reason“ nicht nur laut, sondern auch ziemlich multifunktional zu sein.

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Denn das bei ihm realisierte Konzept von drei Oszillatoren, die – jeder für sich – eine andere Synthese-Spielart beinhalten können, ist fraglos eine ziemlich mächtige Waffe, um so ziemlich jedes mögliche (und unmögliche) Klangereignis zu formen – auch jenseits von Blitz und Donnersounds. Was ist die iPad App im Stande zu leisten?

Details

Konzept


Thor ist formal der Kategorie der subtraktiven Synthesizer zuzurechnen – sprich: In drei Oszillatoren werden Schwingungsspektren erzeugt, die durch Hüllkurven, Filter und Modulatoren geformt in klassischer Synthese-Sprache „subtrahiert“ werden. Der Begriff der Subtraktion erklärt sich daraus, dass durch den Einsatz von Filtern (u.a. High-, Low-, Band-Pass) und Hüllkurven, der Klangrohling, der die Oszillatoren verlässt, in Bezug auf die Lautstärke aber auch das Frequenzspektrum so lange gefiltert/reduziert wird, bis er den gewünschten Vorstellungen entspricht. Dass diese Klassifizierung in Anbetracht von Resonanzfiltern, deren Selbstoszillation oft als eigenständiger Klang genutzt wird (und den Klang eher „anreichern“) und Effekten, die das Signal mächtig aufblasen können, nicht immer ganz trennscharf ist, liegt in der Natur der Sache. Aber als grobe Einteilung hat der Begriff nach wie vor seine Gültigkeit.

Das „Original“: Thor innerhalb von Reason

Das „Original“: Thor innerhalb von Reason


Installation


Nachdem man sich mit dem im App-Store angezeigten Preis von 13,99 Euro angefreundet hat, findet die gerade einmal zwei Megabyte große Applikation mit einem Klick auf „kaufen“ ihren Weg auf das beliebte Frühstücksbrettchen. Auf einem iPad der ersten Generation konnte ich bei einigen, aufwändigeren Sounds Audioaussetzer hören, weshalb man mindestens ein iPad 2 einplanen sollte, um den Ressourcenhunger der App zu befriedigen. Noch CPU-intensiver wird die Sache natürlich, wenn man Thor im „Audiobus“-Verbund mit anderen Apps kommunizieren lässt.


Thor kann in die App “Audiobus” eingebunden werden


Thor kann in die App “Audiobus” eingebunden werden


Klangerzeugung


Wie bei nahezu jedem in diesem Sektor der Galaxis gebräuchlichem Synthesizer, ist die kleinste Einheit eines Klanges auch in Thor der Oszillator. Davon hat er allerdings direkt drei mit auf den Weg bekommen, wovon jeder für sich mit einem von (derzeit) sechs verschiedenen Oszillator-Typen bestückt werden kann. Der so geformte Klangrohling wandert dann in frei mischbarem Verhältnis in wahlweise eine oder zwei Filterstufen (seriell/parallel), die wiederum jede für sich mit einem von vier Filtermodulen ausgestattet werden können (Low Pass Ladder, State Variable, Comb und Formant Filter). Im Anschluss zwingt eine optionale Sättigungs-/Shaper-Einheit dem Klanggebilde eine markante Signatur auf

Drei getrennte Oszillatoren warten in Thor auf ihren Einsatz
Drei getrennte Oszillatoren warten in Thor auf ihren Einsatz

Analog


Ein klassischer „Analog“-Oszillator mit den drei Grundschwingungen Rechteck (inklusive Pulsbreitenmodulation), Sinus, Sägezahn und Dreieck.



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Audio Samples
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Analog OSC – 4 Waves

Wavetable


Schon die hellblaue Farbe verweist auf PPG und spätestens der Blick in den Wellenformvorrat zeigt, dass hier der legendäre Wave Pate gestanden hat.

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Audio Samples
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Wavetable OSC – 4 Waves w/ Position

Phase Modulation


Was seinerzeit einmal eine eher exotische Klangerzeugung beispielsweise im Hause Peavey und Casio war, findet nun einen Neustart im Thor: Die Rede ist von der kraftvollen Phasenmodulationssynthese, die problemlos in der Lage ist, extrem durchsetzungsfähige und bissige Klangspektren zu generieren.



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Audio Samples
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Phase Modulation

FM Pair


Auch der guten alte Frequenzmodulationssynthese wurde in Thor ein Modul gewidmet. Und wie schon in Yamahas DX7, obertönt es hier in allen Facetten von glockig bis metallisch.



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Audio Samples
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FM Pair

Multi Oscillator


Im Grunde handelt es sich hier um einen Analog-Oszillator mit einer nachgeschalteten Detune-Schaltung, die mit wählbarer Stärke und Skalierung den Klang anreichert.



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Audio Samples
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Multi Oscillator


Noise


Ein auf den ersten Blick vielleicht unspektakulärer, nichtsdestotrotz extrem nützlich, denn man will ja auch mal eine Snare oder Hihat erzeugen: der Rauschgenerator.

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Audio Samples
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Noise

Filter


Auch die Filter-Abteilung von Thor ist bestens ausgestattet. Vier Module stehen hier bereit, um dem Klang ordentlich auf die Pelle zu rücken.

Fotostrecke: 4 Bilder Low Pass Ladder Filter
Audio Samples
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Propellerhead Thor iPad: Low Pass Ladder Filter
 Propellerhead Thor iPad: State Variable Filter
 Propellerhead Thor iPad: Comb Filter
 Propellerhead Thor iPad: Formant

Praxis

Es erzeugt bei mir auf Anhieb ein herzerwärmendes Gefühl, als der mächtige Synthesizer aus Reason nach der Installation plötzlich mit allen Potis, Fadern und Tastern auf dem Apfel-Tablett erscheint. Und wie bei fast allen iPad-Apps geht vom Prinzip der Touch-Bedienung auf Anhieb ein hoher „Damit-rumspielen-wollen“-Faktor aus. Die App befördert diesen Spieldrang durch eine trickreiche Touch-Umsetzung: „Fasst“ man nämlich ein Element wie etwa einen Fader an und bewegt sich ohne abzusetzen davon weg, wird der Parameter quasi „mitgenommen“ – gerade beim exzessiven Drehen und Schrauben eine praktische Sache, zumal es mir auch mit größter Fingerakrobatik nicht gelang, an die Grenze der gleichzeitig anfassbaren Parameter zu kommen. „Gespielt“ wird Thor dann wahlweise über einen entsprechend konfigurierten MIDI-Controller oder – was natürlich wesentlich naheliegender ist – über die einblendbare On-Screen-Tastatur. Neben virtueller Anschlagsdynamik wurde ihm ein so genannter „Strum-Modus“ mit auf den Weg gegeben, der bewirkt, dass man auf dem Keyboard gedrückte Tasten wie Gitarrensaiten anschlagen kann. Ein ziemlich ausgefuchster Akkord-Assistent kann ebenfalls zur Hilfe gerufen werden und darüber wachen, dass der iPad-Keyboarder nur tonal passende Tasten betätigt. Neben verschiedenen spieltechnischen Grundeinstellungen wie etwa Pitchbend-Bereich, Mono/Legato, Portamento und Polyphonie hält die Keyboard-Ansicht neben dem Master-Volume zusätzlich noch zwei frei adressierbare Potis und zwei Taster bereit.



Thor iPad gibt sich alle Mühe, dem Keyboarder das Spielen auf dem iPad zu erleichtern.

Thor iPad gibt sich alle Mühe, dem Keyboarder das Spielen auf dem iPad zu erleichtern.


Die zweite aufrufbare Ansicht (von dreien) ist das Knobs-Fenster, die Ansicht also, wo der Frosch die Locken hat, sprich: die gesamte Syntheseeinheit. Angenehm hier: Alle virtuellen Potis, Taster und Fader wurden (im Gegensatz zu der je nach Auflösung des Monitors manchmal etwas klein geratenen Darstellung in Reason) äußerst großzügige Abmessungen spendiert, so dass man die Elemente zielsicher mit den Fingern betouchen kann. Nachteil dieser augenschonenden Lösung: Es passen nicht alle Sektionen (Oszillatoren, Filter, Hüllkurven, Effekte) auf das kleine Display des iPads, weshalb hier ein Expand-Taster eingebettet wurde, bei dessen Betätigung die gerade benötigte Einheit aufklappt. Im Ergebnis klappe und wurschtel ich beim Sounddesign relativ häufig zwischen den Panels hin und her, so dass ich mir nach kurzer Zeit bereits wünsche, man hätte bei Propellerhead auf eine Ein-Bildschirmlösung gesetzt, die man durch einfachen Fingerstreich von links nach rechts verschieben kann. Das sollte nicht allzu aufwändig umsetzbar sein, weshalb es bei mir ganz oben auf der Update-Wunschliste steht (möglichst mit der Option zwischen beiden Modi wechseln zu können). Bis dahin vergebe ich einen halben Minuspunkt für Unhandlichkeit.

Die Expand-Taster geben den Blick auf die drei Sektionen Oszillator, Filter und Envelope/Effekte frei!
Die Expand-Taster geben den Blick auf die drei Sektionen Oszillator, Filter und Envelope/Effekte frei!

Propellerhead Thor iPad: Knobs-Ansicht



Das dritte Fenster ist den Themen Routing und Stepsequencer gewidmet und entschädigt den Anwender für die etwas unhandliche Knobs-Ansicht, denn hier sind alle Bedienelemente auf einen Blick und gut erreichbar untergebracht. Die Möglichkeiten des Routings lassen sich auf die schlichte Formel bringen „alles geht“. Denn hier darf mit wählbarer Intensität so ziemlich jede denkbare Quelle auf jedes Ziel adressiert werden und das dank der übersichtlichen tabellarischen Ansicht äußerst komfortabel.


Routing und Stepsequenzer teilen sich den Bildschirm
.

Routing und Stepsequenzer teilen sich den Bildschirm
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Die untere Hälfte des Bildschirms wurde vom Stepsequencer angemietet, der ein mehr als ausgebuffter Vertreter seiner Gattung ist, denn neben den Standards wie Velocity, Gate und Stufen-Dauer (metrisch) befehligt er noch in jeder seiner sechzehn möglichen Steps noch zwei weitere, frei adressierbare Parameter. Dabei läuft er in frei wählbarer metrischer Geschwindigkeit und das vorwärts, rückwärts, alterierend und sogar zufällig: Da geht was. Und entsprechend ist hier auch ein idealer Zeitpunkt, um in einige der hunderte, hervorragend programmierten und in Gruppen geordneten Werkspresets hineinzuhören.

Audio Samples
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Glitchy Pad
 
Clippy Filters
 Babble Harp
 Sequences TeeBee
 Thoric Acid
 Animated Pad
 Epic Pad
 Deep Bells
 Choir Vibes 

Pathetic Choir
 Absolute FM Ramper


Spätestens hier wird eindrucksvoll klar, dass Thor zur Gattung der Eierwollmilchsäue gehört und dabei muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich nicht mal die ganzen Polysynths, Lead-Sounds oder hervorragenden FM-E-Pianos vorgestellt habe. Was allerdings auch daran liegt, dass sich mit dem On-Screen-Keyboard Akkorde nur sehr qualvoll greifen lassen. Wer Thor wirklich „spielen“ will, kommt also um den Einsatz eines externen Keyboard-Controllers nicht herum. Aber egal, wie man ihn am Ende betätigt, Thor ist mit seiner wandlungsfähigen Oszillator- und Filtersektion ein Synth für so ziemlich jeden Einsatzbereich. Vom handfesten Wobble-Bass über ätherische Flächen bis hin zu Effekt- und Drumsounds. Dabei kann der Klang meistens überzeugen, besonders dann, wenn man zu externer Wandler-Hardware greift und die Audiodaten nicht von der eher bescheidenen Apple Hardware an die Außenwelt übermitteln lässt.
Etwas gestört haben mich die in Extremeinstellungen manchmal auftretenden Aliasing-Artefakte. Die sind mir in dieser Deutlichkeit innerhalb von Reason so nicht aufgefallen – möglicherweise haben die Programmierer bei der Portierung auf das iPad zu Gunsten eines geringeren Ressourcenhungers die Genauigkeit des internen Oversamplings ein bisschen heruntergefahren. An der Engine selbst wird es wohl nicht liegen, denn die Sounds sind zwischen Desktop- und iPad-Version vollständig kompatibel und können über den – immer etwas lästigen – Weg der iTunes-Synchronisation hin und her geschoben werden.

Fazit

Die Portierung von Thor auf das iPad ist durchweg als gelungen zu bezeichnen. Wenn man dann noch einen durchschnittlichen Gebrauchtmarktpreis unter 300 Euro für ein iPad 2 ansetzt, plus der 15 Euro, die man für die App zu entrichten hat, kann einem schon schummerig werden, was sich in den letzten Jahren im Bereich der Musikelektronik getan hat. Noch kurz vor der Jahrtausendwende hätte man für so ein Synthesemonster ohne mit der Wimper zu zucken einen vierstelligen Betrag aufrufen können. Und dabei rede ich noch gar nicht davon, dass es dann – falls überhaupt technisch machbar gewesen wäre – wahrscheinlich ein Gerät vor sich gehabt hätte, was über ein fisseliges Dot-Matrix-Display hätte bedient werden müssen und nicht mittels elegantem Fingerschwung.
Absolut perfekt ist das Benutzerinterface dennoch nicht. Denn da nicht alle Module gleichzeitig auf den iPad Bildschirm passen, hat man sich bei Propellerheads für eine „Aufklapp-Lösung“ der einzelnen Funktionen entschieden. Das aber bremst den Workflow und die Übersichtlichkeit bei der Klangentwicklung – fast unmerklich, in der Summe aber schon – erheblich. Von der eigentlichen Endgegnerwaffe in Reason, der Möglichkeit zum virtuellen Ziehen von Patchkabeln mal ganz zu schweigen. Hinzu kommt das iPad-immanente Problem des „wohin mit den fertigen Klängen“. Der Weg, sich über die iTunes Synchronisation die Sounds in den Rechner zu holen, funktioniert zwar bestens, erweist sich aber in der Praxis als zu unkomfortabel, um damit wirklich regelmäßig zu arbeiten. Das iPad-interne Produzieren via Audiobus ist ebenfalls problemlos möglich, kommt aber (derzeit noch) nicht an den Komfort und Leistungsfähigkeit von beispielsweise Rewire heran. Bleibt zuletzt noch die Option, Thor via MIDI anzusteuern und durch eine externen Wandler in den Rechner zu holen. Dann kann man allerdings auch direkt mit Reason auf dem Rechner arbeiten und sich diesen Umweg sparen.
Thor iPad hinterlässt also einen etwas zwiespältigen Eindruck: Auf der einen Seite ist die App fraglos ein hervorragend klingender, extrem vielseitiger und leistungsfähiger Synthesizer, für den man in Form einer eigenständigen Hardware problemlos einen vierstelligen Betrag aufrufen könnte, auf der anderen Seite ist das iPad im Kontext der täglichen Produktionspraxis nach wie vor eine Insellösung, die sich nicht wirklich geschmeidig in einen professionellen Workflow einbetten lässt. Wer allerdings einen langen Transatlantikflug oder eine Schiffspassage über den Pazifik vor sich und keine anregende Reisebegleitung an seiner Seite hat, der darf sich mit einem Paar guter Kopfhörer, einem iPad und dieser App auf unzählige Stunden Klangforschung in diesem inspirierenden Synthese-Kosmos namens Thor freuen.

Pro:

  • Mächtige Synthesemöglichkeiten

  • Umfassende Modulationsmatrix

  • Halbmodulares Konzept

  • Spielhilfen

  • Reason-Kompatibilität
Contra:

  • Soundexport umständlich
  • 
Aufklapp-Module in der Synthese-Sektion


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Drei getrennte Oszillatoren warten in Thor auf ihren Einsatz
Features:

  • Portierung des Thor Polysonic Synthesizer auf das iPad

  • Werkslibrary mit 1000 hochwertigen Presets

  • Freie Zusammenstellung mehrerer Oszillator- und Filter-Typen

  • Integrierte On-Screen-Tastatur mit umfassenden Spielhilfen

  • Patches sind zwischen iPad und Reason kompatibel und austauschbar

  • Über MIDI-In – ist Thor iPad von externen MIDI-Quelle spiel- und steuerbar

  • Audiobus kompatibel 

  • Background Audio

Preis: 

  • EUR 14,99 (UVP, via App-Store)

Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
  • Mächtige Synthesemöglichkeiten

  • Umfassende Modulationsmatrix

  • Halbmodulares Konzept

  • Spielhilfen
Reason-Kompatibilität
Contra
  • Soundexport umständlich

  • Aufklapp-Module in der Synthese-Sektion
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Propellerhead Thor for iPad Test
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