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Orange OR100 Test

Das Orange OR100 Röhrentopteil im bonedo-Test  –  Wenn etwas in den 60er und 70er Jahren auf jeder Rock ‘n’ Roll Bühne zu Hause und absoluter Kult war, dann waren es die Verstärker von Orange, die nicht nur so hießen, sondern auch so aussahen, wie sie hießen. Dann kamen die Achtziger, ein dunkles Jahrzehnt nicht nur für die Popmusik. Auch das flippige englische Unternehmen wäre im Bundfaltenhosen- und Plastikpopzeitalter beinahe völlig von der Bildfläche verschwunden. Mit der Wiedergeburt des Röhrenverstärkers in den Neunzigern entspannte sich die Lage und heute erfreut sich das englische Unternehmen wieder bester Gesundheit. Mit den richtigen Produkten und der entsprechenden Qualität schaffte es Clifford Cooper, seines Zeichens Vater der kultigen Amps, die Marke wieder in den Fokus der Gitarristengemeinde zu schieben. Dass Orange Amps in der Regel gut klingen, wissen nicht nur Stars wie Jimmy Page, Noel Gallagher von Oasis oder Glenn Hughes. Die Verstärker spielen ohne Zweifel in derselben Liga wie Marshall oder Vox und brauchen sich in puncto Authentizität und Sound keinesfalls vor den beiden Platzhirschen zu verstecken.

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Mit dem Orange OR100H hat sich ein Topteil zum bonedo-Test angesagt, das auf dem sogenannten „pics only“-Verstärker von 1972 basiert. Pics only deshalb, weil sich Orange ab diesem Zeitpunkt die Verwendung von Buchstaben bei den Bedienelementen sparte und stattdessen deren Funktion mit Pictogrammen anzeigte. Auch unser Testkandidat kommt ohne Beschriftung aus, deshalb lassen wir jetzt einfach die Röhren sprechen.

Details

Konzept

Der Orange OR100 ist ein Röhren-Gitarrentopteil mit einer Leistung von 100 Watt, und das zeigt uns der Amp schon beim Auspacken. Dass wir es hier mit einem ausgewachsenen Röhrenboliden zu tun haben, steht bei knapp 24 Kilo außer Frage. Neben dem schweren Holzgehäuse mit dem typischen orangefarbenen Vinyl-Bezug sorgen auch Trafo und Ausgangsübertrager für ordentlich Zug am Griff. Diese Teile wachsen bei Röhrenverstärkern proportional mit der Leistung, und 100 Röhrenwatt sind nun einmal kein MP3-Player. Um auch bei geringeren Lautstärken in den Genuss des fetten Endstufensounds zu kommen, lässt sich die Leistung bei Bedarf auf 70, 50 oder 30 Watt drosseln. Der Amp ist mit zwei Kanälen ausgestattet, die entweder direkt am Verstärker oder mit einem optional erhältlichen Fußschalter umgeschaltet werden können. Ein serieller, röhrengepufferter Einschleifweg rundet das Bild ab.

Fotostrecke: 4 Bilder Typisches Orange-Design

Die Front

Unter dem charakteristischen Orange Comic-Schriftzug befindet sich das Bedienpaneel des Verstärkers. Neben dem Instrumenteneingang auf der rechten Seite liegen die Regler des cleanen Kanals, bestehend aus Gain, Bass und Treble. Anstelle „normaler“ Beschriftungen findet man hauseigene Hieroglyphen über den Potis und Schaltern.
Bei Orange ist eben alles irgendwie anders. Das zeigt sich auch bei der Auswahl der Potiknöpfe, denn die Volume- und Gainpotis sind im Gegensatz zur Klangregelung mit riesigen Exemplaren besetzt. Der EQ des verzerrten Kanals besitzt im Gegensatz zum cleanen Kanal neben Bass- und Trebleregler ein sehr gut abgestimmtes Mittenpoti, das besonders bei hohen Gaineinstellungen sehr viele Klangnuancen ermöglicht. Die beiden verbleibenden großen Regler sind für den Verzerrungsgrad und Mastervolume des Kanals zuständig. Auf der linken Seite liegt die Schaltzentrale des Amps. Zwischen der Kanalumschaltung und dem ON/OFF-Schalter findet man den Standbyschalter, der hier drei Positionen hat. In der Mitte ist der Amp stummgeschaltet, nach oben arbeitet er mit voller Power, nach unten nur noch mit halber Leistung.

Fotostrecke: 4 Bilder On/Off-Schalter, Standby/Leistung und Kanalwahl

Die Rückseite

Hinter einem orange lackierten Schlitzblech befinden sich gut belüftet die Röhren des OR100. Von hinten betrachtet könnte der Amp auch als Bassverstärker durchgehen. Die ganze Konstruktion ist massiv und wertig und man hat das Gefühl, dass der Amp für die Ewigkeit gebaut und eine Anschaffung fürs Leben ist.
Kommen wir zu den Anschlüssen und Schaltern. Neben dem Output Valves Toggle Switch, der zur Reduzierung der Ausgangsleistung bei Bedarf zwei der vier Endstufenröhren abschaltet, befinden sich drei Lautsprecheranschlüsse. Man kann hier entweder eine 16 Ohm oder bis zu zwei 8 Ohm Boxen anschließen. Drei weitere Buchsen dienen dem Anschluss von Fußschaltern, die leider nicht zur Grundausstattung des Amps gehören. Neben der klassischen Kanalumschaltung gibt es eine Buchse für eine globale Lautstärkenanhebung und eine weitere für einen Gain Boost. Vor allem auf der Bühne erhält man so eine fast perfekte Kontrolle über seinen Sound. Der Boostpegel und die Gainanhebung sind intern festgelegt und lassen nicht ändern. Ich finde die Einstellungen jedoch sehr gut gewählt und praxisorientiert.
Weiter geht es mit dem seriellen Einschleifweg, bestehend aus je einer Send- und einer Returnbuchse. Seriell bedeutet, dass der Preampsound komplett durch das angeschlossene Equipment geschleust wird. Ein wirklich gutes Effektgerät ist hier angesagt, damit Dynamik und der spritzige Sound des OR100 nicht plattgemacht werden. Alte Analogschleudern aus den 80ern sind hier fehl am Platz, es sollten moderne und gute Geräte wie beispielsweise die von Eventide oder TC Electronic sein.  Ich habe den Amp im Proberaum mit dem Eventide Timefactor getestet, was wirklich zu erstklassigen Soundergebnissen geführt hat. Zu guter Letzt bleibt noch die obligatorische Euro-Netzbuchse mit der dazugehörigen Sicherung zu erwähnen.

Fotostrecke: 4 Bilder Die Rückansicht
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Praxis

Ich habe meine ersten Erfahrungen mit Verstärkern von Orange vor einigen Jahren bei einem Testbericht gemacht und bin seitdem immer wieder aufs Neue von den Orangenkisten entzückt. So auch vom OR100. Der Amp generiert eine geschmackvolle Mixtur aus klassischen und modernen Sounds , die man so nur selten zu hören bekommt. Die Klangregelung des verzerrten Kanals ist wirklich klasse und bietet genau das, was man braucht, um zwischen Rock- und Metallsounds stufenlos wählen zu können. Dabei bringt die Endstufe einen ungeheuren Schub, mit dem man sich locker auf jeder Bühne durchsetzen kann. Damit meine ich nicht nur die massive Lautstärke, denn auch leise klingt der Amp sehr „groß“. Er reagiert unglaublich schnell auf den Spieler, ähnlich wie ein Auto mit vielen Pferdestärken, das jede Veränderung des Gaspedals sofort registriert. Gleichzeitig wird beim OR100 nichts schöngefärbt und alle Nuancen des Spielers werden gnadenlos zutage gebracht.
Der Amp bietet diverse Möglichkeiten, die Ausgangslautstärke zu drosseln, allerdings bleiben diese Bemühungen nicht ohne Nebenwirkungen. Schon beim Abschalten zweier Endstufenröhren mit dem rückseitig gelegenen Output Valves Toggle Switch geht ein kleiner Teil der Dynamik flöten und der Amp klingt etwas kleiner – was nicht dem Weniger an Lautstärke geschuldet ist. Damit kann ich aber gut leben, denn je nach Stilistik ist man ganz froh, wenn der Sound etwas gezähmter daherkommt. Das ist für mich beim OR100 aber die einzige noch vertretbare Art der Drosselung, denn wenn man am Bedienpaneel auf 30 Watt schaltet, klingt es für meinen Geschmack einfach zu kastriert.
Der entscheidende Regler im High Gain Bereich ist das Mittenpoti. Hier kann man quasi stufenlos von fusiger Flitzefingerzerre über klassischen Rock bis hin zu Metallsounds den wichtigen Frequenzbereich je nach Einsatzgebiet sehr feinfühlig featuren oder aber herausdrehen – je mehr Mitten, um so besser fürs Solieren. Im umgekehrten Fall lässt ein Mittenloch mehr Platz für den Gesang oder andere Leadinstrumente. Um die Wirkungsweise des Mittenpotis zu demonstrieren, habe ich ein Lick mit drei unterschiedlichen Mitteneinstellungen eingespielt. Die verwendete Gitarre ist eine Stratocaster mit einem Seymour Duncan Jeff Beck in der Stegposition.

Audio Samples
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Max Gain, Mitten 9 Uhr, Strat HB Max Gain, Mitten 12 Uhr, Strat HB Max Gain, Mitten 15 Uhr, Strat HB

Der OR100 reagiert sofort auf die jeweilige Gitarre und auf den Ausgangspegel der Pickups. Als ich meine Les Paul mit den eher schwachen Dommenget-Pickups anschloss, wurde der Sound sofort klassischer. Im Gegensatz zum mittigeren  Humbucker meiner Strat kommt die Saitentrennung hier trotz hoher Gaineinstellung noch besser zur Geltung.

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Max Gain, Mitten 13 Uhr, Les Paul

Dreht man den Gain weiter zurück, erhält man weniger Zerre und gleichzeitig mehr Dynamik. Bei Halbgasgain werden sich AC/DC Fans und Riffgitarristen wie Fische im Wasser fühlen. Der Amp drückt hier mehr als amtlich und die Interaktion mit dem Anschlag ist in dieser Einstellung auf dem Höhepunkt des OR100.

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Half Gain, EQ Regler alle 12 Uhr

Weiter zurück, wie man vielleicht erwarten könnte, in eine „voxige“ Zwischenwelt, in der man nicht genau weiß, ob der Sound noch clean oder doch schon angezerrt ist, kommt man mit dem Gainpoti nicht. Der Ton verliert allmählich an Substanz und wirkt schließlich bröselig. Für mich liegen hier klar die Schwächen des OR100. Aber auch das finde ich nicht wirklich schlimm, denn der Amp ist weder eine eierlegende Wollmilchsau noch eine Voxkopie. Trotzdem wollte ich diesen Bereich einmal abchecken und bin in einer Einstellung etwa bei der 10 Uhr Position des Gainreglers gelandet.

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Gain 10 Uhr, Treble 14, Mid 12, Bass 13

Kommen wir zum cleanen Kanal des OR100. Auch hier verhelfen die Röhrenschaltung und die fette Endstufe dem Amp zu einem mächtigen und klaren Sound. Die Klangregelung, bzw. der Höhenregler, zeigt sich sehr weich und muss mit der Les Paul komplett aufgerissen werden. Clean präsentiert sich unser Kandidat ohnehin sehr viel softer als vergleichbare Röhrenamps, das Gegenteil wäre in diesem Fall der Fender Twin, der im oberen Frequenzbereich wesentlich schärfer daherkommt. Der Kanal hat übrigens keinen Masterregler und lässt sich daher nur unter verschärften Bedingungen mit einer höllischen Lautstärke zum Zerren bewegen. In den beiden cleanen Soundbeispielen hört ihr eine Vintagestrat, die mit Kloppmannpickups bestückt ist. Bei ihr konnte ich im Gegensatz zur Les Paul den Trebleregler auf die 15-Uhr-Position zurücknehmen. Der Sound ist röhrenmäßig fett, aber klar, ohne steril zu wirken.

Audio Samples
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Clean 1, Treble 15, Bass 12 Clean 2, Treble 15, Bass 12
Der Orange OR100 konnte im Test überzeugen
Der Orange OR100 konnte im Test überzeugen
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Fazit

Der Orange OR 100 ist ein mächtiges Röhrentopteil, das nicht nur optisch ein eigenes Universum darstellt. Klanglich kann der Amp absolut überzeugen, besonders wenn es um erstklassige cleane und verzerrte Sounds geht. Nicht nur solide Rocker und Fusionflitzefinger kommen hier also auf ihre Kosten, auch Metallarbeiter werden sich mit dem Amp pudelwohl fühlen. Er klingt mit herausgedrehten Mitten und viel Gain nicht nur fett, sondern  immer noch unglaublich transparent, eine Eigenschaft, die vielen Metal-Amps fehlt. Impulsverhalten und Dynamik sind vorbildlich, lediglich angezerrte Sounds wollen nicht wirklich gut gelingen. Ansonsten ist der Orange OR100 ein absolut empfehlenswerter Gitarrenamp, der allerdings auch seinen Preis hat.

Unser Fazit:
5 / 5
Pro
  • Verarbeitung
  • Sound
  • Klangregelung
  • Dynamik
  • Authentizitätsfaktor
Contra
  • Leicht angezerrte Sounds
Artikelbild
Orange OR100 Test
Für 1.299,00€ bei
Der OR100 ist ein orangenes Kraftpaket
Der OR100 ist ein orangenes Kraftpaket
Facts
  • Typ: Röhren-Gitarrentopteil
  • Kanäle: 2 (Clean, Dirty)
  • Leistung: 100 Watt Class A/B (schaltbar auf 70/50/30 Watt)
  • Röhrenvorstufe: 4 x 12AX7
  • Röhrenendstufe: 4 x EL34
  • Röhre FX Loop: 1 x 12AT7
  • Eingänge: Input
  • Ausgänge: 2 x 8 Ohm, 1 x 16 Ohm Speaker Out, Channel Switch, Boost Global Switch, Gain Boost Switch
  • Regler Clean-Kanal: Volume, Bass, Treble
  • Regler Dirty-Kanal: Volume, Bass, Middle, Treble, Gain
  • Schalter: On/Off, Full/Half, 4 Output Valves/2 Output Valves
  • Effektweg: seriell
  • Maße (B/H/T): 55 x 27 x 28 cm
  • Gewicht: 23,84 kg
  • Preis: 1.699,00 Euro
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