Der Name Lexicon ist ein besonders klangvoller in der Tonstudiotechnik. Er ist untrennbar mit der digitalen Hallerzeugung in bester Qualität verbunden. Wie viele andere Veteranen der Branche musste auch Lexicon den veränderten Bedingungen in den Tonstudios der 2000er-Jahre Tribut zollen und neue Produktgruppen schaffen. Mit dem Plug-In-Bundle PCM Native Reverb scheint die Übergangszeit überwunden und Lexicon im Hier und Jetzt angekommen. Ich habe mir angesehen, wie sich der aktuelle Top-Lexicon-Hall in der Praxis macht.
Lexicon hat in den vergangenen 10 bis 15 Jahren auf dem Sektor „Tonstudio im Computer“ nicht immer glücklich agiert. Das Unternehmen war für seine überragenden Hallgeräte berühmt, die in den renommierten Tonstudios der ganzen Welt zu finden waren und sind. Es gibt nur wenige andere Firmen, denen es geglückt ist, den Firmennamen sozusagen als Synonym für eine Gerätegattung zu etablieren. Lexicon ist Hallgerät, Neumann ist Mikrofon, SSL und Neve sind Mischpult und Studer war Bandmaschine, um ein paar Beispiele zu nennen. Das in den 80er Jahren entwickelte Lexicon 480 L war länger als eine Dekade der unantastbare Standard im Bereich Hallgerät – sowohl klanglich als auch preislich.
Ende der 90er Jahre zeichnete sich in den Tonstudios der Übergang von Hardware-Einzelkomponenten wie Bandmaschine, Mischpult und Effektgerät zu Software-Komponenten im Rechner ab. Auch Lexicon hatte die Zeichen der Zeit erkannt und zwei Antworten parat: Fast zur gleichen Zeit brachte man das LexiVerb-Plug-In für Pro Tools TDM und ein eigenes Harddisk-Recording-System namens Core 32 auf den Markt. Eines der Alleinstellungsmerkmale des Core-32-Systems sollte der mitgelieferte Lexicon-Hall sein, der Ressourcen-schonend auf speziellen DSPs der Hardware berechnet wurde. Wie sich dieser Anspruch mit dem Pro-Tools-Plug-In vertrug, war eine der Schwierigkeiten, mit denen sich das Marketing herumschlagen musste. Aber: Das Core-32-System hatte eine Reihe ganz anderer Kompatibilitätsprobleme und war mit dem Abgang von Windows 98 SE und Mac OS 9 selbst dem Untergang geweiht.
In den letzten zehn Jahren gab es immer wieder mehr oder weniger halbherzige Versuche, sich den guten alten Markennamen zu nutze zu machen. Manche Produkte trugen dabei jedoch eher dazu bei, den guten Markennamen in Misskredit zu bringen.
Das Lexicon PCM96
Vor gut drei Jahren horchte ich dann erstmals wieder bei einem Lexicon-Produkt auf, und zwar beim PCM-96. Dies ist ein Effektgerät, das sich über eine Firewire-Schnittstelle mit einem Mac verbinden lässt. Dabei werden zwar die Effekte in der Lexicon-Hardware berechnet, aber die Steuerung aller Einstellungen wird über ein mitgeliefertes Plug-In im Sequencer vorgenommen. Immerhin ist das PCM-96 damit das einzige mir bekannte Gerät, das die Stärken von Hard- und Software in einer Lösung zu verbinden versucht.
Das Plug-In-Bundle
Das PCM Native Reverb Bundle begründet in der Lexicon-Tradition so etwas wie eine neue Ära. Vor allen Dingen Liebhaber der Hallgeräte hatten über die Jahre den Mythos aufgebaut, dass die berühmt berüchtigten Lexichips, die den Nachhall in der Hardware berechneten, den Unterschied ausmachen würden. Bei den Lexichips handelt es sich um digitale Signalprozessoren (DSPs), wie sie zum Beispiel von Firmen wie Motorola und Analog Devices hergestellt werden. DSPs sind im Unterschied zu Computer-CPUs mit relativ wenig Rechenleistung ausgestattet. Eine Taktrate von 150 oder 200 MHz ist hier normal. Aber: Sie sind auf wenige Aufgaben optimiert und erledigen diese sehr schnell. Lange Zeit galt daher, dass ein Windows-PC oder Mac diese konzentrierte Leistung nicht schnell genug erbringen könne.
Offensichtlich haben sich die Zeiten geändert, denn ein Lexicon-Entwickler hat in einem Internet-Forum den Mythos der Spezial-DSPs selbst entzaubert: „Die CPUs aktueller Computer sind so schnell und der Zugriff auf den Speicher ist so unmittelbar, dass zahlreiche Plug-In-Instanzen des PCM Native Reverb ohne hohe CPU-Last möglich sind. Und dabei müssen wir in der Qualität keinerlei Kompromisse eingehen.“ Im weiteren Verlauf seiner Äußerungen bestätigte er, dass die Algorithmen des PCM Native Reverb mit denen der Hardware PCM 96 identisch seien. Klangliche Unterschiede seien unwahrscheinlich, wenn der Native-Reverb-Benutzer eine ordentliche Audio-Hardware verwenden würde. Das Geheimnis guten Halls liege in den Algorithmen. Lexicon-Hall in höchster Qualität ist mittlerweile also mit jedem halbwegs aktuellen Mac oder Windows PC möglich.
Diese Aussage ist wenig überraschend, wenn man sich verdeutlicht, dass sich ein Lexicon 480 L mit der Rechenleistung zufrieden geben musste, die Mitte der 80er Jahre zur Verfügung stand. Und das war an heutigen Maßstäben gemessen nicht besonders viel.
Im ersten Moment bin ich darüber gestolpert, dass es sich um ein Plug-In-Bundle handelt. Das Lexicon PCM Native Reverb besteht aus sieben Plug-Ins, je eines pro Algorithmus. Alle haben jedoch die gleiche Oberfläche, die vor allen Dingen von neun Fadern in der unteren Hälfte dominiert wird. In der Standard-Ansicht „Soft Row“ werden die wichtigsten Parameter des jeweiligen Algorithmus angezeigt, aber selbstverständlich ist es möglich, noch tiefer in die Programmierung einzugreifen. Ein Klick auf den Button „Edit“ unter den Fadern zeigt mehrere Karteireiter-ähnliche Felder, die Algorithmen-spezifische Parameter auf die Fader legen. Im Vergleich zu älterer PCM-Hardware fällt die Parametrisierung viel übersichtlicher aus. Ich erinnere mich noch gut an das alte PCM-90, dessen Baumdiagramm Lexicon zur Darstellung der Parameterstruktur mithilfe ausklappbarer Seiten im Handbuch realisierte. Ein Albtraum…
Im oberen Bereich aller Plug-In-Fenster gibt es je einen Equalizer für die Early Reflections und den Nachhall sowie eine Echtzeit-Anzeige für den Verlauf der Nachhallkurve und des Frequenzspektrums in verschiedenen Ansichten. Dieses Display lässt sich auch abschalten, etwa um Rechenleistung zu sparen. Dazu ein Beispiel: Auf meinem betagten Pro-Tools-G5-Rechner beanspruchte eine Lexicon-Instanz nur die Hälfte an Rechenpower, wenn die Echtzeit-Anzeige ausgeschaltet und das Plug-In-Fenster geschlossen war. Ebenfalls im oberen Bereich findet die Auswahl der Kategorie und der Presets statt. Durch die Kategorie-Vorwahl bleibt die Preset-Anzahl übersichtlich.
In der Fader-Belegung „Soft Row“ werden typischerweise Parameter wie Pre-Delay, Raumgröße und Nachhallzeit mit anderen Algorithmus-spezifischen Einstellmöglichkeiten dargestellt. Die Belegung lässt sich im Edit-Modus ändern und als User-Preset speichern. So hat man jederzeit Zugriff auf die eigene Parameter-Auswahl. Neben dem Button „Edit“ gibt es noch „Compare“ zum Vergleich des Presets mit den eigenen Modifikationen und „Store“ zum Speichern eigener Kreationen.
Im Edit-Modus lassen sich zum Beispiel die Parameter für die Schnellzugriffsebene „Soft Row“ zuordnen.
Die glorreichen Sieben
Lexicon hat für jeden Algorithmus ein eigenes Plug-In spendiert. Im Einzelnen handelt es sich um: Chamber, Concert Hall, Hall, Plate, Random Hall, Room und Vintage Plate. Jeder hat seine individuellen Stärken.
Der Chamber-Algorithmus bildet kleine Räume mit vielen Reflexionen nach, wie sie zum Beispiel früher in Studios als so genannte Hallkammern (Echo Chambers) existierten. Die drei verschiedenen Hallen (Hall, Concert Hall, Random Hall) bilden den räumlichen Klang einer Konzerthalle nach. „Hall“ ist dabei sehr realistisch, während die beiden anderen immer etwas übernatürlich und larger than life klingen. Der dichte, fette Ausklang von Random Hall eignet sich sehr gut für dicke Streicher-Arrangements oder andere Gruppen klassischer Instrumente.
Der Room-Algorithmus ist das klassische Werkzeug, um einzelnen Instrumenten oder einem kompletten Mix eine Basis-Räumlichkeit zu vermitteln. Die klassische Nachhallfahne kreiert man in der Regel mit den anderen Algorithmen. Für die drei Kategorien Small, Medium und Large gibt es jeweils zahlreiche verschiedene Early-Reflection-Muster, die den Raumklang prägen.
Plate-Algorithmen werden bevorzugt für Drums und Percussion sowie Vocals eingesetzt. Sie haben in der Regel einen hellen, leicht metallischen Klang und erzeugen die typische Hallfahne, die aber keinen wirklichen Raum definiert. Lexicon bietet zwei Varianten, wobei Vintage Plate paradoxerweise die neuere ist.
Für jeden Algorithmus gibt es eine Plug-In-Instanz. Das Lexicon-Bundle kommt also mit sieben Plug-Ins daher.
Nach meiner Auffassung hervorragend. Es stellt sich sofort das Lexicon-Gefühl ein: Die Plug-Ins erzeugen einen dichten Hall, ohne das Eingangssignal zu vermatschen. Der Sound bleibt selbst dann noch transparent, wenn man einen Schuss mehr Hall zugegeben hat, als der gute Geschmack erlaubt. Die Verbindung zwischen trockenem Signal und Nachhall gelingt bei Lexicon immer besonders gut, während manch anderer Reverb so richtig „drangeklebt“ klingt. Und der Nachhall klingt selbstverständlich langsam und natürlich ab, so wie man es auch von Top-Lexicon-Hardware gewohnt ist. Bei günstigen bzw. schlechten Hallalgorithmen hat man beim Nachhall ja häufig das Gefühl, dass ab einer bestimmten Stelle lediglich noch ein schlechtes, unnatürlicher Hall-Loop abläuft – das ist hier definitiv nicht der Fall. Eine besondere Bedeutung kommt auch den sehr gelungenen Early Reflection-Mustern zu, die vor allem beim Algorithmus Room ihre Natürlichkeit unter Beweis stellen.
So habe ich es auch in dichten Mixen mühelos geschafft, die Drums mit einem Raum vom Rest abzusetzen und damit den Mix in der Tiefe zu staffeln.
Die neueren Algorithmen Room und Hall klingen etwas realistischer als einige der alten Klassiker und wetteifern mit Faltungshall-Plug-Ins um die Herrschaft im Bereich natürliche Raumnachbildung. Die alten Klassiker sind aber das Salz in der Suppe im Bereich Musik. Sie klingen etwas dicker, auch durch die Modulationen in der Hallfahne. Und: Wir sind einfach alle sehr an diesen Klang gewöhnt. Lexicon-Hall gehört durch die Dominanz der Marke mittlerweile zu den Hörgewohnheiten vieler Menschen auf der Welt.
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Nylon – DryNylon – Large HallWestern – DryWestern – Cathedral
Die kleinen Einwürfe der akustischen Gitarre im Song-Klangbeispiel sind dafür ein typisches Beispiel: Durch den Lexicon-Hall gewinnt der Sound an Durchsetzungskraft und erhält etwas mehr Sustain. Aber auch langgezogene Gesangstöne oder Gitarrensoli gleiten geschmeidig wie Surfer auf der weichen Lexicon-Welle.
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Song – DrySong – DrumroomSong – Guitar Hall 2 sec.Vocal – DryVocal – Medium Hall
Zusammengefasst klingt das Bundle in allen Anwendungsbereichen hervorragend, vom Innenraum eines Autos bis zur großen Konzerthalle und riesigen Fantasiegebilden.
Wie ist der Ressourcenverbrauch?
Wie oben kurz erwähnt, habe ich das Plug-In-Bundle zum Beispiel auf meinem etwas betagten Apple G5 getestet. Eine Instanz verbrauchte dort etwa zwischen 50 und 90 Prozent der Ressourcen eines Prozessors. Auf einem aktuellen Mac Pro waren es höchstens 10 bis 15 Prozent eines Prozessorkerns. Da geht also schon einiges. Je aktueller und schneller der Rechner, desto mehr Spaß wird man an dem Plug-In haben.
Fazit
Nativen algorithmischen Hall bietet heute jede DAW in halbwegs passabler Qualität, und auch von Drittanbietern gibt es einige sehr gute Produkte. Aber: Am liebsten benutzen wir doch alle das Original, und das kommt nun einmal von Lexicon. Ich kenne zwar einige wenige Hall-Plug-Ins, die mit dem PCM Native Reverb mithalten können, aber alle basieren auf DSP-Karten. Zum Beispiel die Powercore-Produkte TC Electronic VSS 3 und DVR 2 (auch für Pro Tools TDM) oder Plate 140 für die UAD-Karten. Eine weitere, nicht zu unterschätzende Konkurrenz sind Hall-Plug-Ins auf Basis von Faltung, allen voran Audio Ease Altiverb mit der hervorragenden Library an Impulsantworten.
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Und an dieser Stelle kommt eben auch der Preis ins Spiel. Lexicon verlangt 1279 Euro (Straßenpreis) für das PCM Native Reverb Bundle. Es gibt nicht viele Plug-Ins, die sich in diesem Preisbereich tummeln. Den Profi mag diese Summe nicht schrecken, denn erstens ist dieser Lexicon-Hall günstiger als PCM-Hardware und zweitens lassen sich auf einem schnellen Computer zahlreiche Instanzen der Plug-Ins gleichzeitig nutzen. Ob sich auch Projektstudio-Besitzer zu dieser Investition hinreißen lassen, wird sich noch zeigen. Lexicon-Hall ist offensichtlich ein Markenartikel, der seinen Preis hat.
Zusammenfassend kann ich sagen: Ein hervorragendes Produkt, das für meinen Geschmack allerdings zu teuer ausgefallen ist.
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