Die Magie von Fehlern in Songwriting und Produktion

Einleitung

Die Gitarre ist verstimmt, der Gesang klingt schief, das Schlagzeug holpert und gerät aus dem Rhythmus – Situationen, die wir Musiker/innen stets zu vermeiden versuchen, weil sie uns falsch und fehlerhaft erscheinen. Die Menschheit neigt heutzutage immer mehr zur Selbstoptimierung und Perfektion. Dabei vergessen wir, dass die Imperfektion in der Popkultur den Karrieregrundstein diverser Künstler darstellt und Fehler uns sowohl im Studio als auch im Songwriting als Türöffner und Kreativitätsquelle dienen können. Die kryptischen Sample-Welten eines James Blake, das ruckelige Schlagzeug der Black Keys oder das kantige Gitarrenspiel von Feist … Das Unperfekte als Erfolgsrezept – woher kommt dieses Phänomen? Wie kann man es nutzen? Wir haben die Magie von Fehlern genauer untersucht und sind dabei auf interessante Erkenntnisse gestoßen.

(Bild: © Shutterstock, Bild von andersfoto, James Blake DJ beim Traffic Festival 2012 in Turin)
(Bild: © Shutterstock, Bild von andersfoto, James Blake DJ beim Traffic Festival 2012 in Turin)

Was ist ein Fehler?

Es ist schwer zu sagen, was genau einen Fehler in der Musik definiert, aber einen Versuch ist es wert: Ein Fehler beschreibt die unbewusste oder absichtlich inkorrekte Ausführung einer musikalischen Vorgabe – beispielsweise ein bestimmter Rhythmus oder eine Melodie. Die Vorgaben sind geprägt durch Jahrhunderte alte Lehren und Konventionen in Tonalität und Rhythmus, die tief in unserer Kultur verankert sind und unser musikalisches Grundverständnis prägen. Natürlich gibt es hier je nach Kultur und Genre Variationen. Im Bereich der klassischen Musik sind Fehler oft eindeutig identifizierbar, denn wir können uns dabei auf vorgegebene Noten berufen. Die Noten selbst können aber auch fehlerhaft sein, wenn sich der Komponist bereits beim Schreiben des Stückes vertan hat.
Ganz anders verhält es sich wiederum in der Popmusik, die ihre Herkunft im energetischen Jazz und Blues hat, wo sich Genauigkeit und Ordnung Improvisation und Emotion unterordnen. Die musikalischen Vorgaben basieren hier weniger auf Noten, sondern eher auf einem lang entwickelten universellen Konsens in Groove, Tonalität und Phrasierung. Diese Parameter lassen sich bis ins kleinste Detail variieren, was eine klare Bewertung als richtig oder falsch oft unmöglich macht, speziell im Bereich der Improvisation.
“Do not fear mistakes, there are none…It’s not the note you play that’s the wrong note – it’s the note you play afterwards that makes it right or wrong.” – Miles Davis, Interview, unbekannte Quelle

Die Magie von Fehlern

Wenn wir heutzutage Musik im Computer programmieren, bietet die Software sogenannte Randomize- oder Humanize-Funktionen, die unsere exakt einprogrammierten Noten im System leicht verschieben. Dadurch sind sie eigentlich rhythmisch ungenau, aber klingen plötzlich viel mehr so, als hätte ein Mensch sie eingespielt. Selbst dann empfinden wir Menschen das tatsächlich eingetrommelte Schlagzeug als wohlklingender und richtiger, wie Wissenschaftler/innen des Max-Planck-Instituts der Uni Göttingen herausgefunden haben. Die Ursachen dafür liegen auf der Hand: Musik lebt von Emotionen,und diese sind menschlich. Zu viel Perfektion wird als unemotional empfunden, also als nicht mehr menschlich. Aber auch beim Erlernen eines Instrumentes sind Verspieler ein wichtiger Teil des Lernprozesses, wie die Instrumental-Pädagogin Adina Mornell auf einem Symposium der Musikhochschule München erklärt:
Ich erfahre über den Fehler etwas über meinen Umgang mit dem Stück. Ich erfahre etwas über meine Aufmerksamkeit, über die Ablenkung, die ich erlebe, über neue Ideen, die ich beim Stück habe, die dazu führen, dass meine Finger etwas anderes spielen als ich eigentlich gewollt habe. Diese Art von vermeintlichen Fehlern ist notwendig für das Lernen, denn wenn ich immer nur perfekt spiele, habe ich gar keine Möglichkeit etwas zu verbessern.
(Aus dem sehr lesenswerten Beitrag von Deutschlandfunk Kultur: “Ode an den Fehler – Über den Reiz musikalischer Unschärfen”)
Das Unperfekte des Menschen verleiht der Musik erst ihre Emotion und Tiefe, die persönliche Note macht die Performance oder das Songwriting einzigartig und besonders. Punk-Musik beispielsweise lebt von ihrer Attitüde. Unbeabsichtigte Fehler und eine gewisse Roughness gehören hier zum Programm. Im Pop hingegen sind solche Eigenschaften eher sanfter ausgeprägt, während im Jazz meist eine bewusste Intention damit einhergeht. Je nach Art und Größe von Fehlern kann deren Magie aber auch umschwenken und eher störend wirken, wenn beispielsweise die genaue Befolgung der Noten Voraussetzung für ein funktionierendes Zusammenspiel ist. Wenn nun Bass und Gitarre völlig unterschiedliche Noten spielen, wird im Extremfall aus einem charmanten Patzer ein offensichtlicher Störenfried. Das mag vielleicht auf der Pop-Bühne ungewünscht sein, aber kann im Studio und Songwriting-Prozess Wunder wirken. Fehler können euch neue musikalische Welten eröffnen, die über angelernte Konventionen hinausgehen. Dafür müsst ihr nur eure Ohren aufmachen!

Fehler nutzen: Songwriting

Es gibt diverse Methoden, Songs zu schreiben. Normalerweise starten wir beim Writing mit einer vagen Idee, die weiterentwickelt und geformt werden möchte. Da wir anfangs selten wissen, wo genau die Reise hingeht, ist das Songgerüst noch sehr offen und anfällig beispielsweise für unbeabsichtigte, tonart-fremde Akkorde oder ungewöhnliche Abläufe. Aufgepasst: Hinter jedem vermeintlich falschen Akkord könnte sich ein Stück Musikgeschichte verbergen! Um eure Musik interessanter und innovativ zu gestalten, hilft oft ein Bruch mit der Norm. Dieser kann bewusst konstruiert sein, oder euch aber in Form eines Fehlers über den Weg laufen.
Der deutsche Liedermacher Gisbert zu Knyphausen verwendet in seinem Song “Seltsames Licht” eine traditionelle Akkord-Reihenfolge, die auf eine Dur-Tonart hinführt. Stattdessen erklingt eine Moll-Terz, die uns zunächst ein Dorn im Ohr ist, da wir etwas anderes erwartet haben. Recht schnell gewöhnt man sich allerdings an diesen “falschen” Ton. Gisbert zu Knyphausen gibt der eigentlich konventionellen Akkord-Abfolge damit einen einzigartigen Twist.

Video: Gisbert zu Knyphausen – Seltsames Licht (Live)

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Ein rauschendes, unregelmäßig abreißendes Sample trägt den Song “I Only Know (What I Know Now)” von James Blake. Ein vermeintlicher Fehler wird durch Wiederholung und Betonung zum Kernmittel des Songs. Das Rauschen, diese Sample-Technik ist außerdem stilprägend für die Entstehung des Hip-Hop.

Video: James Blake – I Only Know (What I Know Now)

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Der Bruch mit der Konvention hebt euch von der Masse ab. Eine Songwriting-Session gewinnt dadurch, dass ihr euren Fehlern zuhört und offen dafür seid, euch von ihnen leiten zu lassen. Statt “Mist, ich habe mich verspielt” sollte es eher heißen “Oh, das ist vielleicht auch interessant”. Gleiches gilt für Melodien, Songabläufe, Rhythmen. Lasst gerade im Songwriting Fehler zu und versucht nicht sie zu vermeiden. So haltet ihr nicht nur eure Kreativität und Motivation bei Laune, sondern werdet auch noch mit einzigartigem Songmaterial belohnt.

Fehler nutzen: Studio

Ähnlich wie beim Songwriting könnt ihr auch im Tonstudio eure Fehler nutzen. Tatsächlich sind es eher technische Fehler, die einen besonderen Reiz ausmachen: Der markante Schlagzeug-Sound von Led Zeppelin, der für viele bis heute das Aushängeschild authentischer Drum-Recordings ist, basiert auf einem Zufall: Im Aufnahmeraum stand ein zusätzliches Mikrofon, welches nicht für die Schlagzeugaufnahmen vorgesehen war. Dennoch war der damalige Engineer Glyn Johns fasziniert von dem Sound-Gewinn durch das eigentlich fehlerhaft positionierte Mikrofon. Die Glyn-Johns-Methodewar geboren – nicht zuletzt auch dadurch, dass der Toningenieur den neuen, fehlerbasierten Sound begrüßte und nicht aus Prinzip verwarf.
Derartig nutzvolle Fehler gibt es zahlreiche im Bereich der Aufnahmetechnik. Ursprünglich unerwünschte Phasen-Auslöschungen sind hilfreich, wenn ein bestimmter Sound weniger voluminös und einnehmend sein soll. Der aus Versehen angezerrte Keyboard-Vorverstärker verleiht dem Synthesizer später im Mix seine Durchsetzungskraft.
Auf dem aktuellen Album “Pleasure” der Kanadierin Feist liegt ein auffällig lautes Rauschen über der gesamten Aufnahme. Hinzu kommen rohe Gitarrenverspieler, verzerrte Gesänge und weitere Störgeräusche. Feist hätte das Album auch ohne Rauschen und in moderner, sauberer Manier aufnehmen können. Allerdings entschied sie sich bewusst für diesen “rohen” Sound und schloss damit absichtlich “fehlerhafte” Elemente in ihre Produktion ein.

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Dieses bewusste Heraufbeschwören und Verstärken von Makeln und Unschärfen kann ebenso soundbildend sein wie zufällige Entdeckungen durch ungewollte Verspieler. Das schleppende Schlagzeug und der falsche Ton im Gitarrensolo sollten ebenso zugelassen werden wie ein unbeabsichtiger Tempowechsel. Hinter all diesen Dingen verbirgt sich die Emotion, Menschlichkeit und Einzigartigkeit, nach der wir in der Musik streben sollten.

Fazit

Fehler in der Musik sind keineswegs schlecht oder verwerflich. Im Gegenteil – sie sind dazu in der Lage, Emotionen zu verstärken und der Musik ihren ganz eigenen Charakter zu verleihen. Auch wenn im Live-Kontext das richtige Maß gefragt ist, dienen Fehler im Songwriting wie im Tonstudio als wichtige Inspirationsquelle, lassen uns neue Ufer erkunden und alte in Frage stellen. Deshalb sollten wir in jeder Situation offen gegenüber Fehlern sein und sie eher für uns nutzen, als uns über sie aufzuregen.

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(Bild: © Shutterstock, Bild von andersfoto, James Blake DJ beim Traffic Festival 2012 in Turin)

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von Tom Gatza

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