Als sich am 9. April 2017 im Pageant Theater von St. Louis der Sargdeckel langsam senkt, geht ein Raunen durch die Menge: „Oh mein Gott, sie schließen den Sarg mit einer Gitarre darin?!“ Rund 500 Gitarristen sind gekommen, um Chuck Berry, dem Vater des Rock ’n’ Roll, die letzte Ehre zu erweisen – und sie trauen ihren Augen kaum.

Tatsächlich liegt dort eine Gitarre im Sarg: eine kirschrote Gibson ES-355 mit Maestro Vibrola, exakt die Gitarre, wie sie Chuck Berry jahrzehntelang spielte. Eine immerwährende Hommage an den Mann, der mit seiner Rockmusik elektrisierte wie kaum ein anderer. Und zwischen den Saiten steckt ein weißes Plektrum mit dem Bild des jungen Chuck.
Die Gitarre im Sarg ist die Entscheidung seiner Familie
Es ist eine Idee von Berrys Tochter Melody. „Kann man ihn mit einer Gitarre beerdigen? “, fragt sie das Bestattungsinstitut. Bruder Charles ist zunächst skeptisch, denn wie soll man eine Semi-Hollow-Gitarre in einen Sarg einpassen. Aber schließlich überzeugt ihn die Entschlossenheit seiner Mutter und seiner Schwester und er ruft Tom Murphy an, den Chef des Gibson Custom Shops. Und dessen Antwort ist unerwartet klar: „Charles, dein Vater ist für uns ein unschätzbares Juwel. Wir schicken dir eine neue Gitarre, die du so verwenden kannst, wie du es für richtig hältst.“ Wenig später liegt eine ES-355 bereit und der Sargbauer entscheidet sich für ein Modell mit ausreichend Platz für Chuck und sein Instrument.
Ein Abschied voller Respekt
Die Trauerfeier gerät ohne Übertreibung zu einem historischen Moment. Musiker, Freunde und Prominente erweisen Chuck Berry die letzte Ehre. Gene Simmons von Kiss hält eine spontane Laudatio und die Rolling Stones schicken einen Blumenkranz in Gitarrenform mit den Worten: „Danke für die Inspiration.“ Und es werden Briefe von Paul McCartney, Bill Clinton und Little Richard vorgelesen. Als jemand Berrys Frau fragt, ob die Gitarre vor der Beisetzung entfernt wird, ist ihre Antwort eindeutig: „Nein, sie muss mit ihm gehen.“
Die ewige Gibson ES-355
Chuck Berry besaß viele Gitarren aus der ES-Reihe – 335, 345 und immer wieder die 355. Schon bei seinem ersten Hit Maybellene (1955) nutzte er eine Gibson ES-350T, deren übersteuerter Sound als Vorläufer der Rock-Verzerrung gilt. Dieses Exemplar steht heute im Smithsonian-Museum in Washington.
Sein Sohn Charles erinnert sich besonders an die 345er und 355er-Modelle mit Varitone-Schaltung und Stereoausgang. „Nach 1968 spielte er mit zwei Fender Dual Showman-Amps, jeden Pickup in einen eigenen Verstärker. Das Varitone war seine Geheimwaffe.“ Gibson würdigte diese Liebe 2021 mit der Neuauflage einer Murphy-Lab-Version der ES-355, angelehnt an Berrys legendäres Modell der Siebziger.
Ein Erbe, das bleibt
Berry schrieb nicht nur Songs, er definierte eine Ära. Ohne ihn gäbe es die Beatles nicht in dieser Form, die Stones vielleicht gar nicht. John Lennon, Keith Richards, Paul McCartney, George Harrison, die Beach Boys, Bob Dylan – sie alle bedienten sich seiner musikalischen Sprache. Sein legendärer „Duck Walk“ wurde zur Geste des Rock’n’Roll schlechthin und schaffte es sogar ins große Kino: In „Zurück in die Zukunft“ spielt Michael J. Fox alias Marty McFly den Titel „Johnny B. Goode“ – natürlich auf einer Gibson ES.
Ein stilles Finale
Viele von Berrys Gitarren sind verschwunden oder in Museen gelandet. Doch eine, die wohl wichtigste, liegt an einem anderen Ort und an der Seite des Mannes, der ihr eine Stimme gab. Seit 2017 ist sie still. Doch jeder, der dabei war, weiß: Wenn irgendwo da oben eine Jam-Session startet, wird diese rote ES-355 das Intro übernehmen.