“Camou… wie bitte?” Ich darf mich kurz erklären: Das V96c sieht zwar wie ein gewöhnliches dynamisches Bühnenmikrofon aus, arbeitet aber mit Kondensatortechnik. Erkennbar ist das für diejenigen, die mit der Nomenklatur des Herstellers vertraut sind, an der Produktbezeichnung, die mit einem c (für “Condenser”) abschließt. Dynamische Tauschspulenmikros von Beyerdynamic enden auf d, Bändchen auf r (wie “Ribbon”). In der Bauform eines üblichen Bühnenmikrofons versteckt sich also eine Kondensatorkapsel, die von einem kräftigen Gitter umschlossen wird. Äußerlich zeugt nichts davon, dass im Inneren statt einer trägen Membran mit aufgebrachter Metallspule ein dünnes Häutchen die Signale entgegennimmt.
Kondensatormikrofone sind auch im Bühnenbetrieb keine absolute Seltenheit mehr, wenngleich sie üblicherweise deutlich teurer sind und trotz enormem Herstellungsaufwand nicht die Robustheit von dynamischen Mikrofonen erreichen. Ob die Vorteile des Kondensatorprinzips auf der Bühne dessen Nachteile rechtfertigen, hängt natürlich vom Einsatzzweck, persönlichen Vorlieben und nicht zuletzt der Stimme ab. Es ist kaum davon auszugehen, dass der Death-Metal-Shouter mit einem solchen Werkzeug liebäugeln wird.
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DETAILS
Im soliden Metallkörper des in Deutschland handgefertigten Beyerdynamic TG V96c ist die recht komplexe Elektronik untergebracht. Kann das 330 Gramm schwere Mikrofon nicht wenigstens 11 Volt Phantomspeisung aus dem XLR-Kabel nuckeln, bleibt es stumm. Im Betrieb überträgt es 1 Pascal mit 4 mV und verfügt über einen Geräuschspannungsabstand von 64 dB (CCIR). Der Grenzschalldruckpegel ist mit 150 dB beziffert (ohne %THD-Angabe), sodass diesbezüglich eigentlich nichts dagegenspricht, auch dem eingangs beschriebenen Shouter ein V96 in die Hand zu drücken. Will dieser möglichst bassstark rüberkommen, ist er gut beraten, den Abstand zur DGE-Kapsel einigermaßen gering zu halten, um den ausgeprägten Nahbesprechungseffekt zu nutzen. Im Nahbereich bietet das Nierenmikro einen Frequenzgang von 20 Hz bis 20 kHz, bei einem Meter Abstand findet man den -3dB-Punkt bei 50 Hz. Typisch für vokaloptimierte Mikrofone sind leichte Anhebungen um 3 und 10 kHz, was darauf schließen lässt, dass das Beyer recht luftig und präsent klingt und nicht zu anfällig für S-Laute ist. Oberhalb von 10 kHz geht es mit der Frequenzgangkurve deutlich dem Keller entgegen.
Schraubt man den Metallgitterkorb ab, findet man einen weiteren Schutz aus Gaze unterschiedlicher Maschenweite. Dieser ist Bestandteil eines ausgefuchsten Prinzips zur Unterdrückung von Popplauten. Außerdem wird mit den akustischen Optimierungen die Rückwärtsdämpfung erhöht und der Klang beeinflusst– anders als der Membranschutz aus Bronze, welcher laut Handbuch “akustisch neutral” arbeitet. Diesen sieht man jedoch auch nach Abnahme von Korb und Käfig nicht, denn auf die Oberseite der Kapsel ist ein Material aufgebracht, das echtem Kaviar ähnelt. Ich revidiere die Überschrift: Kaviatormikrofon.
Wie man es von Beyerdynamic kennt, springt auch das TG V96c nicht sofort ins Auge, sondern hält sich durch vornehmes Understatement optisch im Hintergrund. Eine gute Entscheidung, wie ich finde, denn schließlich soll man auf den Sänger oder die Sängerin achten und nicht auf das Mikrofon. Spaß macht die grandiose Verpackung, die auch einige andere Beyer-Mikrofone beheimatet: Es ist ein Plastik-Metalltubus, der auseinandergeschraubt werden muss. Darin lässt sich das 96er immer sicher zum Gig transportieren; es ist eine preiswerte und funktionelle Alternative zum Köfferchen, denn einer simplen Tasche will man ein Mikrofon für 500 Euro dann doch nicht anvertrauen, so robust es auch wirken mag.
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PRAXIS
Das V96c liegt nicht wie einige andere Bühnenmikrofone in der Hand wie ein steinzeitlicher Faustkeil, sondern macht einen fast schon grazilen Eindruck. Dafür verantwortlich ist in erster Linie der leicht konische Korpus, der vor dem Kragen, der in die Kapsel mündet, nur 2,6 cm Durchmesser aufweist. Am Fuß des Mikrofons sind es 2,4 cm.
Klanglich wird nach dem Einschalten der Phantomspeisung schnell klar, dass es sich um ein Kondensatormikrofon handelt: Wie bei einem Studiomikrofon werden auch absolute Feinheiten übertragen wie Atmen und Kleiderrascheln, und das im Detail. Im Vergleich zu dynamischen Mikrofonen zeigt sich der Vorteil der Kondensatortechnik sofort, denn Tauchspulenmikrofone bekommen davon im Regelfall nichts mit, weil die Membran aufgrund der höheren Masse durch die angeklebte Spule weitaus träger ist. Gute und wichtige Nachricht: Gegen Griffgeräusche ist das Mikrofon sehr unempfindlich!
Bei mittlerem und weitem Besprechungsabstand wirkt der Klangcharakter des 96 über eine P.A. und Monitoranlage zunächst recht natürlich. Zudem ist das Signal durchsetzungsfähig, ohne dabei zu nerven, sämtliche Feinheiten der Stimme werden übermittelt und kommen auch beim Konzertbesucher (und über das Monitoring bei allen Musikern) an. Das kann so kein dynamisches Mikrofon leisten. Sänger und Sängerinnen mit interessanten Aspekten im oberen Frequenzspektrum der Stimme sollten also grundsätzlich überlegen, ob sie der schweren Mikrofonmembran eines dynamischen Mikrofons erlauben, diese Bestandteile herauszufiltern. Nähert man sich dem Mikrofonkorb, tritt ein Nahbesprechungseffekt ein, der allen Gesangsstimmen einen ordentlichen Schub im tieffrequenten Bereich verleiht. Je nach Stimme und Umgebung wird dadurch die Aktivierung von Low-Shelf oder -Cut nötig, insgesamt arbeitet der Proximity-Effekt jedoch deutlich runder und angenehmer als bei vielen anderen Mikros. Der “kristalline” Charakter bleibt erhalten, Nahbesprechung führt also nicht zwangsläufig zu einem Sound, der wie durch einen Samtvorhang aufgenommen klingt. Gut! Und noch etwas: In der Praxis zeigte sich das TG V96c nicht so rückkopplungsfreudig, wie man auf den ersten Blick vielleicht befürchten könnte.
Audio
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V96c Gesang fernV96c Gesang nahSM58 Gesang fernSM58 Gesang nahStudio-Großmembrankondenser fernV96c Sprache fernV96c Sprache nah
Bei ganz genauer Betrachtung über gute Studioabhöre fällt auf, dass die absoluten Höhen etwas farbig und “künstlich” klingen. Dies lässt sich möglicherweise auf die umfangreichen akustischen Maßnahmen vor der Membran zurückführen. Ab dem Präsenzbereich aufwärts empfinde ich die Höhen als etwas unecht und bearbeitet. Diese Assoziation steht im Gegensatz zu dem, was ich über das 96c aussagen kann, wenn es an eine Anlage angeschlossen ist. Und schließlich ist auch dieses TG ein Bühnenmikrofon, sodass diese Zusammenhänge nicht so sehr ins Gewicht fallen. Diese leichte Merkwürdigkeit fällt nur unter Studiobedingungen auf, im Livebetrieb “versendet” sie sich – nicht jedoch die generellen Feinheiten des Signals. Die Tatsache, dass über hochwertige Abhöre Zusammenhänge auffallen, die auf den meisten Live-Anlagen untergehen, ist technisch erklärbar und bestätigt sich immer wieder. Also ist im Grunde alles im grünen Bereich für das V96c. Nur wer glaubt, mit einem Bühnenkondenser zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können und damit gleichzeitig ein Studiomikrofon sein Eigenen zu nennen, begeht einen logischen Fehler. Das 96 ist für den Live-Vocaleinsatz gebaut worden und für nichts anders.
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