Arturia iSEM Test

Nachdem 2003 French Fries in Freedom Fries unbenannt wurden, ist der iSEM ein versöhnliches Beispiel französisch-amerikanischer Kooperation. Die Entwickler aus Grenoble haben den amerikanischen Synthesizer-Klassiker Oberheim SEM von 1974 als iOS Version ins Leben zurückgerufen, wobei der iSEM keine hundertprozentig exakte Nachbildung eines historischen Gerätes ist, aber wir wollen hier keine Haare spalten, denn Emulationen haben es auch nicht leicht!

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Mein Korg Polysix von 1981 und die von bonedo bereits getestete iOS Version iPolysix haben klanglich eigentlich überhaupt keine Übereinstimmung, was allerdings im Umkehrschluss nicht bedeutet, dass die iPad-Variante nicht doch gewinnend in Musikproduktionen eingesetzt werden kann! Das liegt u.a. daran, dass derartige Nachbildungen realer und historischer Geräte oftmals mit weiteren Features wie zusätzlicher Polyphonie, Effekten, Sequencern etc. „aufgebohrt“ werden. So geschehen auch bei Arturias iSEM, bei dem mir mangels entsprechender Hardware kein klanglicher Vergleich zum Vorbild möglich ist. In diesem Testbericht wollen wir ausschließlich herausfinden, wie viel Spaß, Sound und Inspiration der iSEM bietet.

Details

Der virtuell analoge iSEM ist ein typischer Vertreter der subtraktiven Synthese. Für seinen Einsatz benötigt man als Mindestvoraussetzung ein iPad2 unter iOS 5.1.1/ iOS6 (Quelle: Arturia). Die Eckdaten der Klangerzeugung sehen wie folgt aus:

  • 2 synchronisierbare Oszillatoren (Sägezahn, pulsbreitenvariabler und -modulierbarer Rechteck)
  • Suboszillator (Sinus, Sägezahn, pulsbreitenvariabler Rechteck)
  • Rauschgenerator (nicht gleichzeitig mit Suboszillator nutzbar)
  • 2 ADS Hüllkurven
  • 2 LFOs (LFO1 Sinus, LFO2 Sinus, Sägezahn, Rechteck)

Die Zuweisungen (Hüllkurven/LFOs), die im Hauptfenster vorgenommen werden können, zeigt die folgende Abbildung.

Die Hauptansicht
Die Hauptansicht

Weitere Verknüpfungen von „Controllern“, Hüllkurven und den LFOs zu Klangparametern können in der umfangreichen Modulationsmatrix vorgenommen werden.

Die Modulationsmatrix
Die Modulationsmatrix

Effekte

Die Effekt-Sektion des iSEM bietet die Effekte Overdrive, Chorus und Delay, deren On/Off-Status und Dry/Wet-Verhältnis in fast allen Fenstern eingestellt werden kann, während für weitere Effektparameter ein eigenes Fenster (FX) vorhanden ist. Weiterhin ist die Soft Clip-Funktion verfügbar, die vor Pegelspitzen schützt und für eine subtil-angenehme Sättigung sorgt. 

Die FX-Page
Die FX-Page

Alles unter Kontrolle

Am virtuellen Keyboard des iSEM lassen sich, wie inzwischen bei vielen iOS Synths üblich, verschiedene musikalische Skalen einstellen und der Tastaturbereich zoomen. Weiterhin gibt es praktische Funktionen wie Chord (-Memory) und Hold. Links neben der Tastatur befinden sich die vertrauten Controller für Pitchbend- und Modulation-Wheel, die hier kurioserweise wie beim historischen Vorbild in umgekehrter Richtung funktionieren, was allerdings in den Voreinstellungen geändert werden kann, sofern es stören sollte.

Die Keyboard Performance
Die Keyboard Performance

Die obige Abbildung zeigt außer dem Touch Keyboard das Performance Fenster, in dem vier großzügig dimensionierten Slidern diverse Klangparameter zugeordnet werden können.
Für die Kontrolle durch externe MIDI-Controller ist ebenfalls gesorgt. Die Betätigung des Connect-Buttons (oben rechts) ermöglicht die Einstellung diverser MIDI Parameter, berührt man die virtuelle MIDI-Buchse, öffnet sich das Fenster zum Erstellen eines kompletten MIDI-Mappings der Klangparameter.

Einbindung

Neben der vollwertigen MIDI-Integration ist das Vorhandensein der etablierten iOS Standards (siehe Features) eine gute Vorraussetzung, den iSEM mit anderen Apps zu verbinden. Positiv anzumerken ist die neben Audiobus bereits vorhandene Kompatibilität mit Apples neuem Inter-App Audio Standard (erfordert iOS7), was eine unkomplizierte Integration in iOS DAW-Anwendungen, wie beispielsweise Steinberg Cubasis Projekten ermöglicht.

Sonstiges

Ergänzend zu dem Arpeggiator gibt es den sogenannten 8 Voice Programmer. Hier können acht aufeinanderfolgenden Noten, unabhängig davon, ob diese per Hand/MIDI oder vom Arpeggiator gespielt werden, Offsets sämtlicher Klangparameter zugeordnet werden. Durch den Parameter „VCO1+VCO2 COARSE“-Offset können auch Melodien getriggert werden. Insgesamt sind 6 Parameter gleichzeitig steuerbar, wodurch sich komplexe und inspirierende Gebilde erschaffen lassen.

Der Voice Programmer
Der Voice Programmer

Praxis

Sound

Gemäß seines Vorbilds deckt Arturias iOS Synth das Klangspektrum ab, das man von einem subtraktiven Synthesizer erwartet. Durch den Rauschgenerator, der meines Wissens beim analogen Vorbild nicht vorhanden ist, eignet sich der iSEM auch hervorragend für Drum- und Effektsounds. Im folgenden Audiobeispiel sind verschiedene Schwingungsformen in folgender Reihenfolge zu hören:

  • Sägezahn
  • Rechteck
  • Rechteck mit variabler Pulsbreite
  • Rechteck mit Pulsbreitenmodulation durch LFO1, variable Intensität
  • Sinus des Sub Oszillators
  • Rauschen
Audio Samples
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Die Wellenformen

Im nächsten Audiobeispiel 2 hören wir das Rauschsignal durch verschiedene Filtereinstellungen in folgender Abfolge:

  • Tiefpass: Resonanz auf Minimum, dann auf Maximum
  • Bandpass: Resonanz auf Minimum, dann auf Maximum
  • Hochpass: Resonanz auf Minimum, dann auf Maximum
  • Notch Filter: Resonanz auf Minimum

Beim Notch Filter wirkt sich die Erhöhung der Resonanz nur marginal auf das klangliche Ergebnis aus, daher ist es nur das Klangbeispiel mit minimaler Resonanz vertreten. Eine Besonderheit des Filters ist die stufenlose Überblendung zwischen Tiefpass, Notch und Hochpass.

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Filtertypen – Noise Sequenz – Tiefpass

In Audiobeispiel 3 hören wir den musikalischen Einsatz des 12 dB Tiefpass-Filters, zunächst mit dezenter, dann mit maximaler Resonanz.

Im Folgenden habe ich verschiedene Kategorien der umfangreichen Werkspresets kurz angespielt, Band läuft …

Audio Samples
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Bass Brass Arpeggio Sequence FX Sounds

Als vielseitiger virtuell analoger Synthesizer erzeugt Arturias iSEM seine Soundpalette im musikalisch relevanten Bereich mit genügend Präsenz und Tragfähigkeit ab, um auch professionellen Musikproduktionen gerecht zu werden, ein gewisser unaufdringlicher Vintage-Charakter ist in der Tat vorhanden. In Audiobeispiel 9 hören wir ein kleines Arrangement, in dem ausschließlich Sounds und Effekte des iSEM zu hören sind. Ich habe die Spuren als Audiofile in Apple Logic aufgenommen und lediglich Lautstärken- und Panorama-Einstellungen vorgenommen. Auf dem Summensignal kommen ein Multibandkompressor und ein Limiter zum Einsatz. 

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Arrangement

Bedienung/GUI

Arturia-seitig ist an der Benutzeroberfläche nichts auszusetzen, im Gegenteil! Haptisch und seitens der Bedienlogik ist auf einem iPad normaler Größe alles top! Notorische Nörgler oder Anwender mit Riesenhänden werden sich über das Performance Fenster freuen, hier hätte man sich vielleicht sogar die Effektansicht anstelle zwei weiterer Fader sparen können. Erfreulich ist die übersichtliche Gestaltung des Arturia-typischen Preset-Browsers mit der Möglichkeit, eigenen Kreationen eine Kategorie zuordnen zu können.

Lediglich einige Regler-Anordnungen im Main Fenster sind gemäß der Hardware-Vorbilder etwas ungewöhnlich, wenn man sich aber eingearbeitet hat, auch sehr effizient wie z.B. die VCO Mixer, die mit nur einem Poti die gleichzeitige Anwahl von Schwingungsform und entsprechender Lautstärke ermöglichen.  

Gewöhnliches Keyboardspielen gehört m.E. nicht zu den Paradedisziplinen von Touchscreens. Eine vertikale Vergrößerungsmöglichkeit der Tastatur wäre durchaus vorteilhaft, wenn man kein externes MIDI-Keyboard zu Verfügung hat.

Sonstiges

Die App läuft in sämtlichen Anwendungskonstellationen vorbildlich stabil und Benutzer der schon etwas länger existierenden Plug-in-Variante können per iTunes Filesharing oder per E-Mail ihre Soundprogramme transferieren.

Fazit

Der Arturia iSEM ist ein durchaus gelungener iOS Synthesizer mit Vintage Charakter, der musikalisch vielfältig einsetzbar ist und sich durch die Implementierung der etablierten Standards hervorragend in iOS-Produktionen und via Core MIDI selbstverständlich auch in DAW Produktionen einbinden lässt. Im direkten Vergleich zu anderen iOS Synths wie auch dem hauseigenen iMini wirkt er auf mich etwas LoFi-mäßiger, schrulliger und atmosphärischer, worin ich angesichts des „No-Brainer“ Preises von knapp 9,- Euro allerdings eher eine sinnvolle Ergänzung als einen Kritikpunkt sehe. Ein sehr inspirierendes Feature ist die Verbindung von Arpeggiator und dem 8 Voice Programmer, womit sich interessante musikalische Cluster kreieren lassen. Nicht zuletzt aufgrund seiner übersichtlichen Bedienung – wenn man die anfangs ungewöhnliche Anordnung der Parameter verinnerlicht hat – gehört Arturias iSEM zu den klangerzeugenden Apps, die ich am häufigsten einsetze.

PRO:
  • produktionstaugliche Soundqualität
  • Vintage Charakter
  • übersichtlicher Preset-Browser
  • Performance Controller
  • einfaches MIDI-Mapping
  • effiziente Bedienung
  • überwiegend gute Haptik
CONTRA:
  • teilweise gewöhnungsbedürftige Anordnung der Bedienelemente (entsprechen der Hardware)
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FEATURES:
  • polyphoner virtuell analoger Synthesizer für iPad
  • TAE Analog Modeling
  • polyphon
  • virtuelles Keyboard
  • 4 zuweisbare Performance Controller
  • 8 Voice Programmer
  • Arpeggiator
  • Inter-App Audio
  • Audiobus Support
  • Background Audio
  • WIST Clock Sync Support
  • Multimode 2-Pol Filter(LP/HP/BP/Notch)
  • Flexible Modulationsmatrix
  • Core MIDI
  • umfassendes MIDI-Mapping
Preis:
  • EUR 8,99 im App Store
Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
  • produktionstaugliche Soundqualität
  • Vintage Charakter
  • übersichtlicher Preset-Browser
  • Performance Controller
  • einfaches MIDI-Mapping
  • effiziente Bedienung
  • überwiegend gute Haptik
Contra
  • teilweise gewöhnungsbedürftige Anordnung der Bedienelemente (entsprechen der Hardware)
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Arturia iSEM Test
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