STFJ SynthPond Test

Unter dem Namen “SynthPond” kann man sich eine Menge vorstellen, beispielsweise eine interaktive Syntheseform, die durch Koi-Karpfen im Gartenteich gesteuert wird. O.k., das ist Spinnerei. Ganz weit davon entfernt ist das App von STFJ-Programmierer Zach Gage aber nicht: Auf einer zweidimensionalen Fläche kann der Anwender kleine “Nodes” setzen, die konzentrische Kreise aussenden und von solchen getriggert werden. Das Prinzip ähnelt ins Wasser geworfener Steinchen, die auf der Oberfläche Ringe bilden.

Mit einem einfachen Fingerzeig kann man derartige Nodes einfügen, verschieben und editieren. Externe Klangerzeuger sind im Grunde nicht notwendig, da jeder dieser Nodes eine Voice selbst generiert. Ob SynthPond zu mehr als nur zum Zeitvertreib im verspäteten Personennahverkehr taugt, habe ich ausführlich untersucht.

Details

SynthPond liegt ein innovatives Sequencing-Konzept zugrunde, nicht wie gewohnt eines mit linearem Zeitlinear, sondern eines mit einer zweidimensionalen Fläche als Leerdokument, auf der mit einfachem Fingerdruck kleine Punkte (“Nodes”) eingefügt werden können. Als “Afflecter” senden diese in zwei wählbaren Grundrhythmen (jeder Schlag oder jeder zweite Schlag im gewählten Tempo) Wellen aus, die daraufhin “Reactor”-Elemente anregen. Zudem erzeugt jeder Afflecter ebenfalls beim Aussenden einen Ton, jeder einmal getriggerte Reflector sendet wiederum eigene Wellen aus.

Die Reaktoren erzeugen einen sinusähnlichen Ton, dessen Lautstärke und Abklingen von der Entfernung zum Wellen aussendenden Afflekter abhängig ist – mit der Entfernung nehmen beide Parameter ab. Alle Wellen haben im Pond eine begrenzte Lebensdauer: Sind zwei Nodes weit genug voneinander entfernt, beeinflussen sie sich nicht. Bei beiden Arten von Nodes öffnet sich mit einer längeren Berührung eine Seite, auf der Einstellungen vorgenommen werden können. Hier lassen sich beispielsweise mit Farben codiert die jeweiligen Tonhöhen eingeben – „chromatisch“ im wahren Sinne des Wortes! Außerdem kann hier mit “Color Sequence” jede Node eine eigene Sequenz spielen. Es ist dadurch möglich, eine Reihenfolge von bis zu 20 Tonhöhen (= Farben) wiederzugeben. Pausen sind per “Rest” ebenfalls möglich, andere Rhythmen als die beiden eingangs beschriebenen jedoch nicht. “Al-le mei-ne Ent-chen” wird sich also nur bis zu “Ent-” programmieren lassen, denn diese Silbe wird bekanntlich mit einer doppelt so langen Zählzeit gesungen und gespielt wie ihre Vorgänger. Allerdings können die Afflecter auch mit einer einfachen Berührung manuell getriggert werden. Um aber etwas mehr Bewegung in die ganze Chose zu bringen, kann für jede Node das “Orbiting” aktiviert werden. Zu diesem Zweck kann eine weitere Node ausgewählt werden, um die fortan gegen den Uhrzeigersinn gekreist werden soll. Das funktioniert auch dann, wenn diese Node selbst als “Planet” eine andere “Sonne” umkreist, so dass schon mit drei Einheiten sehr vielschichtige Bewegungen möglich sind.

Wenn man sich jetzt noch vor Augen hält, dass es natürlich nicht nur ein Afflecter-Reactor-Pärchen gibt, sondern dass Reflektoren auf sämtliche sie berührende Wellen reagieren, kann man sich vorstellen, dass mit nur sechs oder sieben Nodes schon äußerst komplexe Soundscapes möglich sein werden (zumal man alle Nodes immer auch frei verschieben kann). Und das kleine App kann noch viel mehr! So ist ein 3D-Sound-Modus wählbar, bei dem Spatial-Effekte zum Einsatz kommen. Das kleine Kreuz im Zentrum der Kreise auf der Grundfläche bezeichnet den Hörer (der übrigens verschoben werden kann). Was sich links von dem Hörer befindet, wird auch dort geortet. Was sich auf dem Screen unter dem Zeichen befindet, wird hinter ihm geortet, was darüber ist, wird vorne geortet. Dies ist keine Hexerei und auch keine Erfindung des Programmierers, sondern schon lange eine bekannte Technik. Wir Menschen haben unter anderem durch die Form unserer Ohrmuscheln eine so genannte “Vorne-Hinten-Ortung” (sogar eine “Oben-Unten-Ortung!”). Die spezifischen Verzerrungen durch unsere Muscheln können nachgeahmt werden und erzeugen dabei diesen Eindruck. Im 3D-Modus spielt zudem die Entfernung eines Schallereignisses vom Hörort eine Rolle – wie in der Wirklichkeit auch. Wenn man nun kleinlich wäre, müsste man sagen, dass der 3D-Modus genaugenommen nur zweidimensional ist, da die Median-Ebene (“oben/unten”) dort fehlt. Es gibt in SynthPond außerdem einen 4D-Modus, bei dem nicht wirklich eine weitere Dimension eröffnet wird, sondern die Wellen als Schallquelle durch den Hörer hindurch fliegen. So richtig advanced ist dann folgende Spielform: Im 3D- und im 4D-Modus kann zudem ein “Pitch Vector” kreiert werden, der in Pfeilrichtung liegende Töne nach oben moduliert, auf der Gegenseite liegende nach unten. Außerdem lässt sich die Stärke und Richtung in Echtzeit einstellen. Doppler-Effekt für Fortgeschrittene! Für alle diese Ortungsspäße ist es allerdings mehr als sinnvoll, mit einem Kopfhörer zu arbeiten.

Praxis

Der Spielzeugfaktor ist schon einmal sehr groß. Es kann ohne jegliche Vorbildung wirklich jeder sofort mit ein paar Berührungen des Bildschirms Klanglandschaften zaubern und diese verändern. Ich finde sogar, dass es vom didaktischen Gesichtspunkt her höchst interessant ist, Musik einmal mit der Zeit, ohne die sie bekanntlich nicht existieren kann, auf diese Art und Weise in Verbindung zu bringen. Es ist ja immer so, dass Technik und Kreativität sich gegenseitig befruchten – hier hat sich ganz offensichtlich der Programmierer Zach Gage (seines Zeichens ausnahmsweise mal kein Musiker) den großen Pott mit dem Blütenstaub vom Regal geholt. SynthPond ist nicht mehr ganz neu, aber fast jeder Musiker, dem ich diese App gezeigt habe, hat mit der gleichen Begeisterung auf dieses frische, spielerische Konzept reagiert. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. Es waren übrigens nicht die klassischen Musiker, die die App als “dummes Zeug” abgetan haben. Aus dem auch bei mir zu Beginn überwiegenden infantilen Herumgedrücke ist nach einiger Zeit ein tieferes Verständnis für SynthPonds Herangehensweise entstanden. Hat man das Konzept einmal verinnerlicht, kann man mit der App schnell und sicher arbeiten. “Hey Timothy Leary, wer braucht schon LSD, um sich in einer Welt zu befinden, die aus bunt pulsierenden Kreisen und Kästen besteht, die ätherische Töne von sich geben?” Außerdem ist SynthPond nachgewiesenermaßen besser für die zukünftige Lebensgestaltung als synthetische Drogen.

Fotostrecke: 5 Bilder Gleicher Abstand von Afflecter zu den Reactors: So programmiert man einen suimultanen Dreiklang.

Die App ist wirklich abgefahren, der Umgang mit dem unüblichen Konzept lässt sich leicht erlernen. Man sollte allerdings nicht vergessen, dass man es schon bei nur wenigen Nodes mit sehr komplexen Zusammenhängen zu tun hat und daher zielgerichtetes Arbeiten fast unmöglich ist. Dennoch lassen sich Soundscapes erstellen, die einem gewissen harmonischen Schema folgen. So ist es vor allem zu Beginn keine schlechte Idee, nur Farben (= Tonhöhen) eines bestimmten Akkordes zu wählen, also etwa C-Es-G-B. Mit den Sequenzen lässt sich sogar einstellen, dass nach ein paar Durchläufen alles auf A-C-E-G oder dergleichen springt. Anstrengend ist dabei jedoch, dass nur ein einziger zusätzlicher Trigger die Reihenfolge durcheinander bringen kann, denn globale Sequenzen sind leider nicht einstellbar. Rhythmisch nicht in Chaos und Belanglosigkeit zu versinken, ist ebenfalls mit ein paar Vorsichtsmaßnahmen möglich. Zu diesem Zweck sollte man mit räumlich gleichen Abständen der Nodes beginnen, wobei die konzentrischen Kreise auf der zweidimensionalen Spielfläche eine gute Hilfestellung bieten. Sobald man mit Orbits oder unterschiedlich schnell aussendenden Afflecter- und Reactor-Nodes arbeitet, erhält man Patterns, die über nachvollziehbare Polyrhythmik weit hinausgehen. Ihr merkt, ich versuche das Wort “Chaos” zu vermeiden. Für etwas gemäßigtere Ergebnisse, die sich attraktiver in Songs einbinden ließen, wünsche ich mir ein wie auch immer geartetes Timing-Raster. Auch die Möglichkeit, unterschiedliche Settings umschalten zu können, wäre sehr angenehm; gerne auch mit der Fähigkeit zum Editieren eines momentan nicht aktiven Sets, in das dann geschaltet (oder noch besser: gemorpht) werden kann. Wo ich gerade meine Wünsche ausbreite: Im Live-Betrieb ist es schon anstrengend, dass eine erstellte Node sofort aktiv ist und schon fröhlich mitdudelt, bevor man die Chance hat, sie zu konfigurieren. Selbst die Wahl, ob Afflecter oder Reactor, erfolgt nachträglich! “Mute” ist zwar eine sehr simple Funktion, doch wird ihr selbst an den fetten Analogmischpulten immer ein prominenter Platz zugestanden – warum wohl? Also: Ich will eine “Mute when set”-Option! Zum wirklichen Zusammenspiel mit anderen Systemen sollte überdies noch die Synchronisation des Tempos möglich sein. Mir ist klar, dass die Abarbeitung dieser Anliegen die App komplexer machen würde, doch hätte sie damit die wirkliche Chance zu einer großen Verbreitung – selbst, wenn sie dann vielleicht über fünf Euro kosten würde.

Audio Samples
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Dreiklang Dreiklang + Orbiter Colour Sequence Multi-Orbit Chaos Parameter-Variation 1D, 3D und 4D

Ein guter Schritt in diese Richtung ist der OSC-Support, denn mit klaren Worten gesprochen: Dieser gesichtslose Sound langweilt nach einer Zeit enorm. Was man auch programmiert, es klingt doch irgendwie alles gleich, zumal nichts charakterloseres gibt als Sinus-Gedudel. Mit OSC an MaxDSP gehängt, steht einem die ganze Welt an Sounds zur Verfügung. Die offene Plattform Cycling 74 ist ja schließlich nicht gerade für begrenzte Möglichkeiten bekannt. Eine höhere Variationsmöglichkeit innerhalb der App und eine Rendering-Funktion hätten jedoch einen sehr hohen Praxisnutzen bei der ausschließlichen Arbeit auf dem iPhone. Vielleicht noch zwei weitere nicht so erfreuliche Nachrichten: SynthPonds Pause-Button friert zwar pflichtbewusst sämtliche Wellen ein, unterbindet aber manchmal nicht zuverlässig die Soundausgabe. Bei mir wurde das Überprüfen von Mails, das Lesen von Kurznachrichten oder die Recherche mit Safari mit SynthPond im Hintergrund gerne einmal von einem leisen “Mööööö…” der Klangerzeuger begleitet (nerv!). Es ist zwar erstaunlich, welch komplexe Abhängigkeiten von Nodes so ein iPhone-Prozessor in Klänge verwandeln kann, doch wenn er beginnt, sich an seinen Aufgaben zu verschlucken, wird man auf äußerst rüde Art darüber in Kenntnis gesetzt: Man sieht auf einmal wieder die Standard-Bedienoberfläche des iOS. Klare Sache: SynthPond hat sich mit einem Absturz verabschiedet, wie er im Lehrbuch steht. Trotz aller Hürden muss ich konstatieren: SynthPond ist einfach klasse!

SynthPonds Sequencing-Ansatz ist wirklich klasse und macht einfach nur Spaß! Die letzte Softwarelösung, die mich in dieser Hinsicht begeistern konnte, kommt von Ableton und heißt “Live”, das ist aber auch schon zehn Jahre her. Mit Reactable gibt es zwar ein Hardware-System, welches in manchen Belangen dem SynthPond ähnlich ist, aber auch schlicht und einfach richtig viel Geld kostet. SynthPond kostet so viel wie eine Kugel Eis mit Sahne. Als vollwertiges Mitglied im Club der professionellen Musiksoftware aufgenommen zu werden, wird für die App zum jetzigen Zeitpunkt noch recht schwer sein, denn OSC-Support alleine reicht kaum aus, um SynthPond im entsprechenden Umfeld einsetzen zu können. Die Mauer, die einen daran hindert, ist oftmals einfach zu hoch. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Um ein Zitat Ronald Reagans zweckzuentfremden: “Mister Zach Gage, tear down this wall” und hebe dein Programm auf das nächste Level! Die iOS-Gemeinde wird es dir danken!

Unser Fazit:
4 / 5
Pro
  • interessantes, angenehm frisches Sequencing-Konzept
  • einfach zu bedienen
  • gute Spatial-Effekte
  • OSC-Support
Contra
  • im reinen Mobilbetrieb keine Aufnahme- und Editierfunktion der Steuerdaten und des Sounds
  • keine Möglichkeit, mit verschiedenen Parts zu arbeiten oder Songs zu morphen
  • kein Tempo-Sync
Artikelbild
STFJ SynthPond Test
suspended water drop
  • STFJ SynthPond 2.5
  • zweidimensionales Sequencersystem mit eingebauter Klangerzeugung
  • für iPhone, iPod Touch und iPad ab iOS 2.2.1
  • OSC-Support
  • 4,8 MB
  • Preis: EUR 1,59
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