Sonic World goes Plugins! Mit dem Telsie S legt der deutsche Hersteller eine modern-erweiterte Plugin-Version des legendären “Aktiv-Entzerrers” Siemens W295b vor – einem der charaktervollsten EQs der deutschen Rundfunkgeschichte. Der W295b kann dabei durchaus als API-550A-Pendant der Sitral-Ära bezeichnet werden, nur mit mehr Vintage-Farbe, so grob zwischen Neve und Pultec.

- Authentischer Siemens W295b Sound
- Musikalischer 3-Band-EQ mit Extras
- Intuitives Shaping mit Harmonics
- kein Contra

Der originale Siemens W295b stammt aus der Ära der Sitral-Kassetten und Broadcast-Pulte der 1960er- und 70er-Jahre – der ersten großen Transistor-Generation im deutschen Rundfunk. Siemens löste damit die berühmten V72/V76-Röhrenmodule ab und schuf extrem stabile, rauscharme und hochaufgelöste Studiotechnik.
Technisch gesehen ist der EQ ein diskreter Class-A-Verstärker, trafosymmetriert und mit üppigen Headroom dank +24-V-Single-Rail. Seine 15k-Höhen und 40Hz-Bässe arbeiten fix und breit als sogenanntes RC-Netzwerk. Diese sorgen für musikalisches Shelving mit bis zu 15 dB Hub.
Die Mitten wiederum werden durch eine RLC-Ressonanzglocke bedient, die “Präsenz und Absenz” mit bis zu +/- 8dB bietet. Dazu werden entsprechende Kondensatoren parallel zu einer “passiven” Induktion geschalten – ideal zum Formen, Verdichten und subtilen Veredeln.
Man beachte außerdem: der voll-parametrische Equalizer war noch nicht erfunden. Das das Plugin-Erstlingswerk von Sonic World nun genau diesen Siemens-EQ emuliert überrascht nicht. Jean Hund hat mit seiner Marke lange Zeit entsprechend viele 19-Zoll-Racks für alte Sitral-Kassetten verkauft.
DETAILS
Warum klingt Sitral so gut?
Weil hier klassische deutsche Rundfunk-Ingenieurskunst mit übertriebenen Aufwand auf überdimensionierte Hardware trifft: diskrete Silizium-Transistorstufen (SI-TRAl), kombiniert mit großzügig ausgelegten Haufe-Trafos am Ein- und Ausgang – und das alles ganz streng-konservativ nach ARD/ZDF-Pflichtenheft zusammengebastelt: entwickelt für den 24/7-Betrieb, gebaut für maximale Stabilität sowie mit ordentlich Schub garniert, damit die langen, analogen Leitungswege in den Rundfunkanstalten auch ordentlich glühen!

Die festen Shelving-Kurven des W295b sind außerdem sehr weich und sozusagen “programmtauglich” ausgelegt – man kann die Höhen ziemlich kräftig boosten, ohne dass es harsch oder gar schrill wird. Und der Bass zaubert traumhafte Sähmigkeit durch seine leichte Sättigung in den unteren Mitten! Dazu kommt die typische Sitral-Signatur: minimal verdichtend, leicht rund gelutschte Höhen sowie weiches Clipping bei Vollaussteuerung – genau der Mix, der modernen Plugins eben oftmals fehlt!
Was kann das Telsie S Plugin mehr ?
Der Telsie S greift die alte Siemens-Sitral-DNA auf, erweitert sie aber gekonnt und macht den „German Broadcast Sound“ so als Plugin deutlich flexibler als die ollen Kassetten.
Das Low-Band bietet so zwar weiterhin den klassischen 40-Hz-Shelf, ergänzt ihn aber außerdem um Peak-Filter bei 40, 60, 100, 160 und 220 Hz – das alles mit proportionalem Q, wodurch die Bandbreite bei stärkeren Eingriffen automatisch schmaler wird. Das eröffnet wesentlich mehr Kontrolle!

Auch das High-Band zeigt sich zunächst originalgetreu: der 15-kHz-Shelf liefert die typischen luftigen Höhen und wird mit dem AIR-Schalter nochmals erweitert, was den Hochfrequenzgang – vor allem bei höheren Samplerates – nochmal deutlich öffnet. Zusätzliche Peak-Frequenzen bei 12 und 14 kHz ergänzen seine Flexibilität.
Das Mittenband bleibt sich indes gänzlich treu und bietet nur die klassischen festen sechs Kondensatoren äh Frequenzen zur Auswahl: 0.7k, 1k, 1.5k, 2.3k, 3.5k und 5.6k kHz, und diese mit maximal ±8 dB Gain.
Noch mehr Filter ?!
Beim analogen W295b greifen die Low- und High-Shelfs breit ins Signal und beeinflussen sich dadurch gegenseitig. Der 40-Hz-Shelf wirkt bis knapp 2 kHz, der 15k Shelf wiederum bis auf 200 Hz herunter. Der Telsie S umgeht dieses etwa lästige Verhalten über zwei zusätzliche X-Over-Regler, die definieren, wo die EQ-Bänder tatsächlich ineinander übergehen.

Die Übergänge liegen ab Werk bei 500 Hz und 7 kHz, lassen sich aber verschieben – ideal, um die Shelfs einzuengen und das Mittenband zu entlasten. In der Praxis ermöglicht das etwa, bei 220 Hz Fundament aufzubauen, ohne den 400-Hz-Mumpf mitzuziehen, falls man den Low/Mid-X-Over entsprechend absenkt. Genauso lassen sich auch Höhenboosts präzisieren, indem man beispielsweise den High-X-Over oberhalb der 7 kHz positioniert.
Und noch mehr Harmonics!
Jedes EQ-Band besitzt eine eigene Harmonics-Sektion mit DRIVE und OUT – eine Simulation des überfahrenen Ausgangsübertragers. Bei den Originalen führt genau das zu jenem legendären „Übertrager-Singen“, bei dem man die Musik tatsächlich leise aus dem Modul hört. Kein Scherz.
Drive regelt die Intensität der erzeugten Obertöne, Out kompensiert den Pegelanstieg – daher sind beide Parameter standardmäßig verlinkt. Und falls die „klassischen“ 15 dB Gain eines Bandes nicht reichen, lässt sich hier zusätzlich Schub holen.
Wichtig: Die Harmonics reagieren auf die X-Over-Filter. Damit kann man z. B. Bass-Sättigung bewusst abdunkeln oder Mitten-Drive stärker aushöhlen. Wer neu einsteigt, sollte daher etwas Zeit investieren, um das Zusammenspiel aus Gain, Drive und X-Over pro Band wirklich zu verstehen – es lohnt sich.

Schade ist, dass es für die einzelnen Bänder aktuell keine Solo- oder Mute-Schalter gibt. Das würde die kleine Klang-Forschungsreise deutlich verkürzen. Man kann sich jedoch leicht behelfen: Einfach den LINK im Drive-Modul deaktivieren und den OUT herunterziehen.
So hört man das Bass-Band beispielsweise solo und kann in Ruhe mit Drive und X-Over experimentieren. Der Aha-Moment kommt dabei meist sehr schnell.
Ergänzend bietet der Telsie S final einen Low- und High-Cut zum Scoopen des Gesamtsignals. Die Grenzen sind frei einstellbar und arbeiten mit sanften 12-dB/Oktave, sodass sie sich organisch fügen.




















