Sennheiser MK 4 Test

Was vor Jahren noch als undenkbar galt, ist heute Wirklichkeit: Viele traditionelle Mikrofonhersteller sind mit preiswerten Großmembran-Kondensern auf dem Markt. Und so stehen gewichtige Namen zunehmend auch auf Mikrofonen, die für Einsteiger preislich erreichbar sind.

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Selbst Neumann bietet mit dem TLM 102 mittlerweile einen erstaunlich günstigen Vertreter dieser Gattung an. Sennheiser (übrigens Neumanns unternehmerisches Mutterschiff) hat vor allem dank seiner beliebten Evolution-Serie wertvolle Erfahrungen in der Herstellung qualitativ hochwertiger und dennoch erschwinglicher Schallwandler gesammelt. Deshalb ist es nachvollziehbar, dass auch bei dieser Marke ein Studio-Großmembrankondenser der Budget-Klasse nicht ewig auf sich warten lässt.

Auf der Musikmesse haben wir von bonedo.de eine redaktionelle Vorhut an den Stand des Unternehmens geschickt, um den Neuling nicht nur flott in Augenschein zu nehmen, sondern ihn einzutüten und in unserer Testumgebung zu quälen. Kondensatorkapsel, Sennheiserlogo, UVP von 350 Euro: Passt das zueinander?

Details

Made in Germany

In der Vorstellungsrunde (“Erzähl doch mal was von dir, MK 4”…) wird das Sennheiser-Mikrofon keine ausladenden Geschichten von sich geben können, denn es ist nicht gerade mit Features vollgepackt. Das muss aber beileibe keine nachteilige Auswirkungen haben!
Wie so oft kann ein kurzer Hinweis auf die Verwandtschaftsverhältnisse nicht falsch sein. Der Aufdruck “Made in Germany” legt nahe, dass das MK 4 in ähnlichen oder sogar den gleichen automatisierten Produktionsstraßen im niedersächsischen Wedemark produziert wird wie die Evolution-Serie. Die Kapsel des Bühnen-Gesangsmikrofons e 965 aus eben jener Serie lieferte die Vorlage für die Kapsel des MK 4. Diese hat bei unserem Kandidaten einen Durchmesser von einem Zoll, eine feste Nierencharakteristik, ist mit Gold beschichtet und elastisch gelagert, damit Körperschall nicht so mir nichts, dir nichts in die Signalwege huschen kann.
Das bekannte Sennheiser MKH 800 ist trotz ähnlichem Produktkürzel nur ein entfernter Verwandter. Zwar ist auch jenes ein Großmembran-Mikrofon, doch verfügt es über zwei Kapseln und die von Sennheiser entwickelte aufwendige Hochfrequenz-Technik – und einen Preis in deutlich höheren Gefilden.

Fotostrecke: 4 Bilder Der stabile Mikrofonkorb des Kondensatormikrofons schützt die dahinter liegende Kapsel.

Solides Metallgehäuse und kräftiger Schraubverschluss

Dem geringen Betrag vor dem Eurozeichen zum Trotz verfügt das MK 4 über ein solides Metallgehäuse, ein stabiles, schwarzes Metallgitter und einen kräftigen Schraubverschluss. Der hilft beim Aufsetzen auf den mitgelieferten Halter, der übrigens mit Doppelgewinde ausgestattet ist und deshalb ohne nerviges Reduziergewinde auskommt, oder auf eine optional zu erstehende Mikrofonspinne. Neben dem Mikro, dem Halter und dem Manual findet der Käufer im Karton einen kleinen Stoffbeutel, der das Schätzchen bei Nichtbetrieb vor bösem Staub schützen soll. Auch wenn man nicht immer Mikrofon, Kabel und Ständer demontieren möchte, ist es ratsam, “den Wellensittich-Trick” zu machen und den mitgelieferten Beutel über das Mikrofongitter zu ziehen. Staub ist nie gut, Staub ist “bäh”.

Präsente Gesangsstimmen-Optimierung

Weder unter dem ausladend nach unten gezogenen Gitter auf der Vorderseite noch auf der Rück- oder Unterseite finden sich Schalter oder Knöpfe. Es ist also kein Hochpassfilter in den Signalweg schaltbar, auch auf eine Vordämpfung muss verzichtet werden. Doch auch ohne Pad erreicht das mit 10 dB(A) nur moderat rauschende Werkzeug einen Grenzschalldruckpegel von 140 dB SPL. Leider wird nirgends vermerkt, was das MK 4 bei diesem Schalldruck an THD produziert, und auch nicht, wie die oft verwendete Angabe 20 Hz – 20 kHz für den Frequenzgang zu deuten ist. Ohne die Angabe von Dämpfungswerten bei den Eckfrequenzen oder die Nutzung der üblicherweise benutzten -3dB Punkte ist diese Aussage so belastbar wie eine Langzeit-Wettervorhersage. Doch Sennheiser liefert im Manual auch Informationen für die, die es genauer wissen wollen. In Form eines klassischen, grafischen Frequenzgangs erfährt man, dass wie üblich für Großmembrane im Druckgradientenempfänger-Design eine deutliche Abschwächung der tiefen Frequenzen stattfindet. Unterhalb von 100 Hz geht es leicht abwärts, aber erst jenseits der 50 Hz bewegt sich die Kurve richtig deutlich in den Keller. Bei der Aufnahme menschlicher Stimmen ist dieser Bereich herzlich egal. Ebenfalls gängig bei Großmembranmikros ist, dass sich die Frequenzgangkurve oberhalb von 10 kHz stetig nach unten bewegt. Auffällig ist jedoch, dass es bei 1,5 kHz eine deutliche und zwischen 4 und 10 kHz eine geradezu monströse Erhebung gibt. Man braucht weder Hellseher noch alter Studiohase zu sein, um vorauszusehen, dass dieses Mikrofon äußerst präsent klingen wird. Ganz klar: Wir haben es hier definitiv mit einer Gesangsstimmen-Optimierung zu tun! Um bei scharfen S-Lauten dem Tontechniker nicht Zahnschmerzen zuzufügen und den De-Esser nicht zum Standard-Werkzeug werden zu lassen, ist der Support im relevanten Bereich von 6 bis 8 kHz nicht so sehr ausgeprägt. So, bis jetzt habe ich bereits jede Menge technischer Daten in den Text eingewoben, eine relevante Angabe fehlt der Vollständigkeit halber aber noch: Die Empfindlichkeit des Mikrofons wird vom Hersteller mit 25 mV/Pa angegeben, was keinerlei Besonderheit darstellt. 
Die bonedo-Versuchskaninchen in Gestalt von Sänger Goldie und Sängerin Alice warten auch diesmal darauf, dieses Mikrofon in der Praxis zu testen. Wenn ihr die Testmarathons von Studio-Großmembrankondensern und viele weitere Produkttests bei bonedo.de kennt, sind euch die Stimmen nicht neu, sodass es euch relativ leicht fallen sollte, das Testobjekt klanglich einzuordnen. Aber ich bin ja auch noch da und werde mit meiner Meinung bestimmt nicht hinterm Berg halten. Auf geht’s!  

Praxis

Deutsche Wertarbeit

Ich nehme das Mikrofon in die Hand, drehe und wende es mit prüfendem Blick. Blöder Begriff aus der Wirtschaftswunderzeit, doch “deutsche Wertarbeit” zu diesem Gerät zu sagen, das passt wie die vielzitierte Faust auf’s Auge. Keine Kritikpunkte. Natürlich ist ein Mikro ohne Spinne äußerst flott montiert, und dass die Halterung beide Gewindestandards gleichzeitig anbietet, ist wirklich eine Wohltat.

Fotostrecke: 2 Bilder Eine fest verschraubbare Halterung sorgt für sichere Verbindung mit dem Mikrofonstativ

Wo ist vorne, wo ist hinten?

Wenn ich mich jedoch in einen Anfänger hineinversetze, der zum ersten Mal ein derartiges Werkzeug benutzen will, dann gibt es doch etwas, das ich hier ansprechen muss. Ein ungeschriebenes Gesetz besagt, dass die Haupteinsprechrichtung eines Mikrofons durch den Schriftzug oder das Logo gekennzeichnet ist. Sennheiser macht die Verwirrung perfekt: Dort, wo wirklich “vorne” ist und der Korb etwas weiter in den Korpus hineinreicht, ist das stilisierte Logo mit dem Großbuchstaben “S” zu erkennen. Auf der Rückseite hingegen sieht man Logo und Sennheiser-Schriftzug. Das ist vielleicht nicht so schlimm, denn dort findet man auch CE-Logo, die Seriennummer und “Made in Germany”, was bei eigentlich allen Elektronikprodukten “hinten” markiert. Aber: Der vertikal das schwarze Gitter umlaufende Bügel trägt ebenfalls das Logo und den Schriftzug. Das weitverbreitete MD 421 beispielsweise wird an genau dieser Stelle besprochen – es ist sogar vom gleichen Hersteller! Nun gut: Wer weiß, was eine Mikrofonmembran ist und wie sie aussieht, der lugt einfach durch das Metallgitter und weiß Bescheid. Doch wir reden hier über ein Anfängermikrofon – didaktisch klug ist der inflationäre Gebrauch von Schriftzug und Logos nicht gerade. 
Doch richtig wichtig ist, was das Mikrofon weiterreicht, wenn es mit seinem 48V-Lebenssaft versorgt wird. Das Sennheiser MK 4 macht zunächst einen frischen und klaren Eindruck – kein Kunststück, wenn man sich den Frequenzgang vor Augen führt. Die Akustikgitarre erinnert klanglich dadurch fast an eine Kleinmembran-Niere, so schnell, spritzig und drahtig, wie sie daherkommt. Wenn für die Musikproduktion nichts dagegenspricht, würde ich mich in diesem Fall klar für das Sennheiser entscheiden statt für das Referenzmikrofon – oder gleich Kleinmembrane benutzen, denn diese würden auch im Air-Band (also kurz vor den 20 kHz) noch mehr liefern können.

Audio Samples
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Akustikgitarre MK 4 Akustikgitarre TLM 103 männliche Vocals MK 4 männliche Vocals MK TLM 103 männliche Vocals nah MK 4 männliche Vocals nah TLM 103 weibliche Vocals MK 4 weibliche Vocals TLM 103

Das Sennheiser versucht “mix-ready” zu sein

Bei den Stimmen ist es eine Frage des Standpunktes: Dick aufgetragene Präsenzen können auch als fundamentlos und kalt interpretiert werden. Das Neumann TLM 103 wirkt beim ersten Umschalten vielleicht etwas schaler, weniger bissig und geradezu langweilig, doch bin ich nach längerem Hören der Meinung, dass es mit beiden Stimmen besser harmoniert. Das Sennheiser versucht etwas zu sehr, “mix-ready” zu sein und das EQing vorwegzunehmen. Das ist vielleicht ein nett gemeinter Zug und auch bei vielen anderen neuen Mikrofonen dieser Preisklasse zu beobachten, doch fühle ich mich als Engineer dadurch zu sehr bevormundet: Ich will meinen Equalizer benutzen, wie ich es will und nicht, um Frequenzgangverzerrungen wieder rückgängig machen zu müssen. Dass derartig starker Support sowohl zur aufzunehmenden Stimme als auch zum Mix passt, halte ich für eher unwahrscheinlich. Dennoch fügt das Sennheiser nicht zu viele Harmonische hinzu (wie es viele Gesangsmikros mit “Modesound” leider tun). Und das ist in dieser Preisklasse auch gut so.

Die im Vergleich zum generellen Präsenzboost etwas geringere Erhöhung im Frequenzband scharfer Zischlaute funktioniert übrigens tatsächlich: Ich hätte mit Problemen in diesem Bereich gerechnet, doch das MK 4 überträgt nicht so scharf, dass ich Augen und Zähne zusammenkneifen müsste. Erstaunlich! Auch sonst kann ich dem Sennheiser guten Gewissens viele Punkte geben. Es gibt nichts, was man technisch bemäkeln könnte. Störgeräusche, enorme Popp-Anfälligkeit oder sonstige Ungereimtheiten sucht man vergeblich, bezüglich der Verarbeitung von Transienten kann das Nierenmikrofon mit deutlich teureren Schallwandlern mithalten. Im Direktvergleich mit dem nicht ohne Grund hochgelobten TLM 103 fällt der minimal “fahrlässigere” Umgang mit attackreichen Signalen nur auf, wenn man die Ohren spitzt und sich die Präsenzanhebung “wegdenkt”. 

Audio Samples
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Song männliche Vocals MK 4 Song männliche Vocals TLM Song weibliche Vocals MK 4 Song weibliche Vocals TLM

Transparenter und klarer Sound

Mikrofone, die unter 300 Euro gehandelt werden, weisen neben anderen Problemen oft auch eine ungelenke Dynamik auf. Oft knicken sie im Bereich hoher Pegel zu schnell ein – die Signale klingen dann wie durch einen schlecht eingestellten Kompressor. Das MK 4 hingegen wirkt transparent und linear. Ähnlich verhält es sich mit dem Nahbesprechungseffekt. Dieser ist über den Abstand hervorragend regelbar, ohne Sprünge aufzuweisen und wirbt für sich mit einem breitbandigen, immer noch sehr natürlichen Klang.

Fazit

Mit dem MK 4 verlässt ein Produkt die Sennheiser-Fertigungshallen, das den Namen des Unternehmens zu Recht trägt. Es ist technisch absolut einwandfrei, das gilt für die Materialien und ihre Verarbeitung genauso wie für die Klangqualität. Für einen wirklich moderaten Preis erhält man ein ordentliches Mikrofon, welches sinnvollerweise auf Ballast verzichtet und stattdessen gute Qualität liefert. Statt Doppelmembran, Hochpassfilter, Pad, Mikrofonkoffer oder Spinne erhält man ein Nierenmikrofon mit hochwertiger Kapsel. Meiner Meinung nach hat es Sennheiser in einem Punkt jedoch übertrieben: Der Frequenzgang ist recht stark dahingehend optimiert worden, dass er Stimmen schmeicheln soll. Anfänger mögen sich darüber freuen, doch bei wachsender Erfahrung diesen Wandler möglicherweise wieder aus ihrem Gerätepark entfernen, da man mit neutraleren Mikros ganz einfach flexibler ist und selbstbestimmter arbeiten kann. Ein Allrounder und Arbeitspferd ist dieses Großmembran-Kondensatormikrofon also nicht. Allerdings ist dies eine Entwicklung, die man bei vielen Herstellern beobachten kann. Wer jedoch genau die Klangeigenschaften des MK 4 sucht, der kauft mit dem Sennheiser ein preiswertes Mikrofon, das technisch und klanglich jeden Euro wert ist.

Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
  • Dynamikverhalten, Transparenz
  • Material und Verarbeitung
  • Preis
Contra
  • Präsenzbetonung auf Kosten der Flexibilität
Artikelbild
Sennheiser MK 4 Test
Für 379,00€ bei
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Technische Spezifikationen
  • Membrangröße: groß (1″)
  • Empfängerprinzip: Druckgradientenempfänger (mit Laufzeitglied)
  • Richtcharakteristik: Niere
  • Wandlerprinzip: Kondensator (nicht vorpolarisiert)
  • Betriebsspannung: 48V Phantomspeisung
  • Frequenzgang: 20 Hz – 20 kHz
  • Übertragungsfaktor: 25 mV/Pa
  • THD+N: 10 dB(A-bewertet)
  • maximaler Schalldruckpegel: 140 dB SPL
  • Ausgang: XLR male
  • Preis: € 355,81 (UVP)
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Profilbild von fr33

fr33 sagt:

#1 - 26.09.2011 um 14:17 Uhr

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mir gefaellt der Grundklang von dem Mikro nicht so. Ich finde auch nicht, dass der Sound sich jetzt von anderen Mikros in der Preisklasse positiv abhebt. - Ich dachte erst, dass das "Neumann TLM 102" Mikrofon eine Mogelpackung ist, aber wie man auch hier in diesem Vergleich mit dem Sennheiser MK4 hoert, bekommt man mit dem TLM102 wirklich einen sehr "wertigen", runden Sound, der von Mikrofonen bis 600 EUR sonst nicht erreicht wird. Ich wuenschte es waere anders. ;) Falls Jemand einen Geheimtipp hat, immer her damit! :)

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