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Microtech Gefell UM 930 twin Test

Es hat zwar den Namenszusatz “twin”, doch so richtig “doppelt” sieht es nicht aus, das UM 930 twin von Microtech Gefell. Wird die 2 in der Produktbezeichnung eines Mikrofons untergebracht, fällt das nicht weiter auf, denn Nummern wie 421 und 201 gibt es zuhauf. Bei einem “Zwilling” aber wird suggeriert, dass etwas doppelt vorhanden ist und der allgemeinen Auffassung nach eineiig – also weitestgehend identisch. Doch das neue 930 von MG ist kein Koaxialmikrofon, wie man vielleicht tippen würde, wenn man das Produktfoto nicht vorliegen hätte. Nein: Es ist ein Doppelmembran-Kondensatormikrofon üblicher Bauart. Dass zwei identische DGE-Nierenkapseln – miteinander verschaltet – verschiedene Richtcharakteristiken ergeben, ist aber nun beileibe nichts Neues. Daher wird es nicht allein dieser Umstand gewesen sein, der dem bekannten Traditionsunternehmen aus Gefell diese Bezeichnung wert war.

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Die Besonderheit liegt woanders: Anders als sonst üblich lassen sich bei Bedarf die beiden Kapselsignale des Mikrofons getrennt ausgeben und aufnehmen. Dadurch wird eine nachträgliche Festlegung der Richtcharakteristik ermöglicht – also zeitlich versetzt! Doch schön der Reihe nach! Denn neben dieser Erweiterungsmöglichkeit für den Arbeitsablauf eines Engineers wird es sicher auch weitere Aspekte an diesem Kondensatormikrofon geben, die untersuchenswert sind. Immerhin handelt es sich bei dem am Georg-Neumann-Platz (aha!) in Gefell ansässigen Hersteller um ein weltweit für seine Mikrofonbaukunst angesehenes Unternehmen.

Details

Edler optischer Gesamteindruck

Es geht auch ohne das allgegenwärtige Silber oder Schwarz: 930er sind neben “Nickel matt” auch in einem wirklich wundervollen dunklen Bronzeton erhältlich. Letztgenannter sieht wirklich gut aus und unterstreicht die hohe Klasse, in der sich das Mikrofon befindet. Um den edlen optischen Gesamteindruck nicht schon durch die elastische Halterung zu zerstören, ist die Spinne EA 92 im identischen Farbton erhältlich. Spätestens an dieser wird wirklich jedem Gefells nahes Verwandtschaftsverhältnis mit Neumann-Mikrofonen deutlich. Im Lieferumfang befindet sie sich nicht, was wohl darauf zurückzuführen ist, dass MG dem Mikrofon auch den ordentlichen Betrieb ohne Spinne zutraut: Die Kapseln sind elastisch gelagert.

Das umschaltbare Kondensatormikrofon UM 930 twin mit Dualkapselanordnung erschließt neue Anwendungsmöglichkeiten der Aufnahmetechnik.
Das umschaltbare Kondensatormikrofon UM 930 twin mit Dualkapselanordnung erschließt neue Anwendungsmöglichkeiten der Aufnahmetechnik.

Grandiose Rauschwerte und hervorragende Dynamik

Das Großmembranmikrofon erzielt mit 7 dB(A) bei Nierencharakteristik grandiose Rauschwerte, mit 20 mV/Pa Übertragungsfaktor wird erst bei 142 dB der Grenzschalldruckpegel (0,5% THD) erreicht. Bezüglich der Dynamik wird man sich also keine Sorgen machen müssen. Der Frequenzgang des UM 930 twin wird von Microtech Gefell im Handbuch mit 40 Hz bis 18 kHz angegeben – nicht unüblich für Großmembraner. Das typische Absacken im Air-Band erklärt das Durchlaufen des -3dB-Punktes vor der magischen 20kHz-Grenze, doch zuvor gibt es eine deutliche Pegelüberhöhung bei etwa 14 kHz. Der oft kritische Bereich um 6 kHz ist leicht bedämpft, zu den Bässen hin geht es kontinuierlich, aber sehr sanft abwärts. Erst unterhalb von 80 Hz wird es ein wenig steiler. Man geht offensiv mit den Eigenschaften des Mikrofons um, denn man hat ja nichts zu verbergen, Linearität ist hier gar nicht gewünscht und die Eigenarten eines Doppelmembran-Druckgradientenempfängers sind nun einmal vorhanden. Aus diesem Grund findet man in den Frequenzgang-Diagrammen auch die Kurve für die Off-Axis, denn wer glaubt, dass eine auf 180° besprochene Niere wirklich nichts überträgt, der vertut sich gewaltig. Keine Besonderheiten sind folgende Informationen: Das Kondensatormikrofon ist transformatorlos und benötigt eine 48V-Speisespannung, die Mittenkontakt-Kapseln arbeiten nach dem Druckgradientenprinzip und verfügen über ein Laufzeitglied, damit die Nierencharakteristik des Braunmühl-Weber-Systems erreicht werden kann.

Fotostrecke: 6 Bilder Schaltbare Richtcharakteristiken: Kugel, Breitniere, Niere, Superniere, Acht.

Neben der klassischen Umschalttechnik gestattet das UM 930 twin alternativ die gleichzeitige Aufnahme mit zwei unterschiedlichen Richtcharakteristiken.

Eingangs wollte ich mit dieser Besonderheit natürlich nicht hinterm Berg halten, doch hier noch einmal in aller Ausführlichkeit: Über einen XLR-Anschluss mit fünf Pins wird ein spezielles Breakout-Kabel angeschlossen, das zwei unterschiedliche Signale auf männliche Dreipol-XLR-Buchsen weiterleitet. Eine der beiden Buchsen führt immer das Signal der vorderen Kapsel. Das zweite Signal ist entweder das Signal der rückwärtigen Nierenkapsel oder die am Mikrofonkorpus mittels Drehring eingestellte Richtcharakteristik. Man hat also die Wahl: Entweder nutzt man einfach nur die Charakteristik Niere und führt beide Kapselsignale getrennt in Pult, DAW oder sonst wohin, um im Nachhinein durch Mischungsverhältnis und Polarität die resultierende Charakteristik festzulegen, oder man stellt die gewünschte Richtcharakteristik wie gewohnt direkt am Mikrofon ein. Wer es nicht kennt: Um andere Charakteristiken als Niere zu erhalten, wird das Signal der hinteren Nierenkapsel dem der vorderen zugemischt. Werden beide zu gleichen Anteilen gemischt, erhält man eine Kugel, der Bereich zwischen Kugel und Niere ist eine “Breite Niere”. Invertiert man die Phase des zugemischten Signals, erhält man beim Hochziehen des Faders Superniere, Hyperniere und schließlich bei identischen Pegeln die Acht. Das passiert mikrofonintern nach dem gleichen Prinzip. Außer für die Nutzung der Twin-Funktionalität benötigt man also nur ein einziges normales XLR-Mikrofonkabel. Dies ist ein entscheidender Vorteil gegenüber dem Kleinmembranmikrofon Sennheiser MKH 800 TWIN, das ebenfalls getestet wurde. Das Microtech 930 ist übrigens auch ohne die Einzelsignal-Funktionalität erhältlich, es verzichtet dabei auf den “Zwilling”-Namenszusatz. Bei beiden findet man weder Hochpassfilter noch eine Pad-Schaltung.

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Praxis

Gleichzeitige Aufzeichnung unterschiedlicher Richtcharakteristiken mit einem Mikrofon

Man soll ja auch in Testberichten nicht alles Pulver zu Beginn verschießen. Ich tue es einfach trotzdem und beginne mit den Nutzungsmöglichkeiten der getrennten Outputs. Mit einem Wort: Klasse! Nicht nur, dass man den Freiraum hat, nach der Aufnahme die Richtcharakteristik in feinster Abstufung am Pult oder in der DAW einzustellen, man kann auch ganz einfach darauf verzichten, wenn man diese Option nicht nutzen will. Nur die Niere verwenden? Kein Problem! Ganz sicher eine Acht haben wollen, um ein S-Signal zu generieren? Auch kein Problem! Der erhöhte Ressourcenbedarf durch die getrennten Kapselsignale wird also nur “auf ausdrücklichen Wunsch” in Anspruch genommen. So und nicht anders sollte Twin-Funktionalität gelöst sein! Zum Vergleich habe ich Soundbeispiele beigefügt, die in der DAW gemischt wurden und solche, die das Mikrofon intern gemischt hat. Außerdem lag im Paket aus Gefell noch ein normales 930. Da habe ich es mir nicht nehmen lassen, auch von diesem Files zu erstellen. Die Unterschiede, die bei Hörtests zwischen analoger und digitaler Summierung auffallen können, kann man hier kaum wahrnehmen. Schließlich sind es maximal zwei Signale, die miteinander gemischt werden – bei DAW-/Summierer-/Pult-Vergleichen sind es einige Busse oder sogar viele Kanäle. Auch schön ist es, sich darin sicher zu sein, dass beim Verschalten der Kapseln auch innerhalb des 930 nicht ”gemogelt” und das Signal verändert wird, wie es bei preiswerten Mikrofonen manchmal festzustellen ist. Etwas schade, dass man bei der wunderschönen dunklen Lackierung je nach Lichtverhältnis etwas Mühe hat, die eingestellte Charakteristik für den zweiten Output zu erspähen, vor allem, wenn das UM seinen Dienst in außergewöhnlichen Positionen verrichtet. Dennoch: Ein großes Lob verdient die Verarbeitung des Schallwandlers. Vom Drehring bis zur Lackierung ist alles genau so, wie man es von einem High-End-Gerät erwarten kann.

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Das Mikrofon ist für den universellen Einsatz besonders geeignet.

Was bringt schon hohe Flexibilität, wenn der Sound Käse ist? Keine Angst: Von vergorener und verschimmelter Milch ist der Klang meilenweit entfernt, denn Microtech Gefell hat mit dem UM 930 twin ein absolutes Meisterstück entwickelt. Die Geschwindigkeit ist atemberaubend, selbst brutale Pegeländerungen überträgt die bronzefarbene Schönheit ohne Wimpernzucken. Verdichtungen oder ein Schmieren auszumachen ist fast unmöglich, lediglich im Höhenbereich werden Signale etwas breiter. Das passiert allerdings recht unabhängig vom Pegel und ist nicht negativ: S-Laute erhalten das Minimum an notwendiger “Verdickung”, jedoch ohne die Transparenz und Feinheiten negativ zu beeinflussen. Insgesamt behält das Mikrofon seine Dynamik und seine Geschwindigkeit, der Einsatz als Allrounder ist also in keinem Fall gefährdet. Das gilt auch für den Frequenzgang. Zwar wird auf Linearität gepfiffen, doch genau das macht das 930 aus: Es hat einen deutlichen Großmembrancharakter, der sich vor allem in den Höhen durch leichte Wellen und die Abwärtsbewegung im Air Band bemerkbar macht, doch immer in Maßen, immer passend. Wem das nicht gefällt, der sollte sich ein Kleinmembranmikrofon kaufen, sich aber vorher überlegen, warum es wohl Großmembraner gibt.

Audio Samples
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female, 10cm female, 30cm female, 50cm male, 10cm male, 30cm Bahar Bahar (Signal der hinteren Membran)

Versierte Sänger können den Nahbesprechungseffekt gezielt einsetzen

Der Nahbesprechungseffekt des UM 930 ist deutlich, aber ausgewogen, tief genug und nicht sprunghaft – somit kann er bewusst genutzt werden, ohne den Kopf des Sängers in einem Drahtgestell vor dem Mikrofon fixieren zu müssen. Mit einer etwas verbreiterten Niere erhält man eine hohe Flexibilität bezüglich des Winkels. Die Kugel klingt genau so offen und luftig, wie man es von ihr erwartet, in den Off-Axis-Signalen herrscht kein Tohuwabohu, sondern eine recht gleichmäßig zunehmende Höhendämpfung. Hervorragend ist auch der Klang bei phaseninvertierter Zumischung des Signals der rückseitigen Kapsel. Phasenprobleme und Löcher? Nein: Die Acht klingt im Grunde wie von einem einmembranigen DGE ohne Laufzeitglied, auch in den Höhen. Perfekt!

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930 Twin, Acht, intern gemischt 930 Twin, Acht, in DAW gemischt 930, Acht, intern gemischt 930 Twin, Kugel intern gemischt 930 Twin, Kugel, in DAW gemischt 930, Kugel intern gemischt 930 Twin, Automation der Richtcharakteristiken

Nicht gerade preiswert – aber seinen Preis wert!

Es bleibt mir im Grunde nichts anderes übrig, als das UM 930 twin als unfassbar hochwertig klingendes Mikrofon zu ehren. Es vereint dabei den zu erwartenden Klangcharakter eines Großmembran-Kondensers klassischen deutschen Typs mit dem, was heute technisch möglich ist: Geschwindigkeit, Feinheit, Spektrum, Rauschen, Verarbeitung, all das ist absolute und unbestreitbare Weltspitze. Gekrönt werden diese Eigenschaften durch die eingehend beschriebene Flexibilität. Klar, das kostet! Manchmal könnte ich den bekannten Spruch, dass für gute Produkte eben auch gutes Geld bezahlt werden muss, mit dem übelsten Vokabular verfluchen. Und mein Vokabular kann sehr übel sein.

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Fazit

Jawoll! Genau so baut man ein Mikrofon, das einerseits gängige Anforderungen, Wünsche und Gewohnheiten der Anwender und in letzter Instanz der Hörer bedient und andererseits mit wirklich sinnvollen Alleinstellungsmerkmalen aufwartet. Die Flexibilität der Richtcharakteristiken ist genau so hervorragend wie die Verarbeitung und das sicherlich wichtigste bei einem Mikrofon, der Sound. Er erscheint keinesfalls leblos und ist weit entfernt von einer reinen Dokumentation der akustischen Geschehnisse. Doch trotz des ganz deutlich klassischen Großmembran-Klangs, der sich vor allem in den Höhen bemerkbar macht (obwohl diese für diese Membranoberfläche auffallend schnell und transparent sind), ist es nie zu viel an Charakter, was das 930 zum Sound beiträgt.  
Das Microtech Gefell UM 930 twin ist ein Werkzeug, das ohne jede Einschränkung der absoluten Luxusklasse unter den Großmembranmikrofonen angehört. Ich bin geneigt, es auch unter klanglichen Gesichtspunkten als einen der besten Allrounder bezeichnen, den ich bislang kennenlernen durfte. Im Idealfall besitzt ein Studio zwei Stück davon, ist damit dann aber auch direkt einen fünfstelligen Eurobetrag los.

Pro
  • hervorragender Klang
  • hohe Funktionalität bei der Richtcharakteristikwahl
  • Verarbeitung
  • Dynamikumfang
Contra
  • keins
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Technische Spezifikationen
  • Membrangröße: groß
  • Empfängerprinzip: Druckgradientenempfänger
  • Richtcharakteristik: über ein XLR-Kabel immer die Niere der vorderen Kapsel, über das andere die gegenphasige (der rückseitigen Membran) oder die am Korpus eingestellte Charakteristik Kugel, Breite Niere, Acht, Superniere)
  • Wandlerprinzip: Kondensator
  • Betriebsspannung: 48V Phantomspeisung
  • Frequenzgang: 40 Hz – 18 kHz
  • Übertragungsfaktor: 20 mV/Pa
  • THD+N: 7 dB(A-bewertet)
  • maximaler Schalldruckpegel: 142 dB SPL (0,5 % THD)
  • Ausgang: 5-pin XLR male, Adapterkabel auf 2 x 3-pin XLR im Lieferumfang
  • Preis: € 5176,-(UVP)
Unser Fazit:
5 / 5
Pro
  • hervorragender Klang
  • hohe Funktionalität bei der Richtcharakteristikwahl
  • Verarbeitung
  • Dynamikumfang
Contra
  • keins
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Microtech Gefell UM 930 twin Test
Für 222,00€ bei
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