Sennheiser MD 421 Test

In einem Anfall von Miesepetrigkeit habe ich das Sennheiser MD 421 einmal als das “hässlichste Mikrofon, das ich je gesehen habe” bezeichnet. Ich muss gestehen, dass dieser Aussage genau so viel jugendlicher Leichtsinn wie juvenile Unwissenheit zugrunde lag. Bis dato hatte ich nämlich tatsächlich nicht wirklich verstanden, was dieser Schallwandler zu leisten imstande ist. Ich hoffe inständig, dass man mir bei Sennheiser die Überheblichkeit eines damals auf dem Gebiet der Tontechnik absolut unbedarften Teenie-Trommlers verzeiht und mildernde Umstände walten lässt. Das Alter macht ja nicht nur Frauen faltig und Männer dickbäuchig, sondern quasi als ausgleichende Gerechtigkeit die meisten Menschen auch ein Stück weiser. So dauerte es bis zu meinem Studium, bis eine umfangreiche Bekanntschaft mit dem 421 dafür sorgte, dass ich diese Worte heute zutiefst bereue.

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Nicht, dass ich das Mikrofon heute als Design-Landmark bezeichnen würde, aber zumindest habe ich mittlerweile verinnerlicht, dass man Werkzeuge nicht aufgrund ihrer Optik abstempeln sollte – schließlich könnte man etwas verpassen. Das MD 421 gehört in die Liste klassischer Tauchspulenmikrofone wie Schwarztee in die Liste der wichtigsten Getränke der Welt. Anders als viele andere Vertreter seiner Klasse ist das “Vierzwoeins” zwar ein flexibles Arbeitsgerät, aber dennoch ein Soundmaker – und hat sich damit seinen Platz in besagter Liste redlich verdient.

Details

Populäres Mikrofon mit Wiedererkennungswert

Auch Menschen, die nicht unser Schicksal teilen und sich Tag und Nacht mit Musik und den dafür notwendigen Werkzeugen beschäftigen, ist das Mikrofon aus Wedemark in der Nähe von Hannover schon begegnet – wenn auch nicht unbedingt bewusst. Einmal, weil es oft auf Studio- und Livebildern bei der Abnahme von Amps, Trommeln und Bläsern zu sehen ist. Aber auch, weil es lange Jahre für die Übertragung von Sprache und Gesang populärer Bildschirmgiganten verantwortlich war – man denke nur an Legenden wie Dieter Thomas Heck oder Udo Jürgens. In seiner hellbeigen Urversion ist das MD 421 zudem das klassische “Pastorenmikro”. Der Einsatz mit der Stimme ist in den letzten beiden Jahrzehnten deutlich zurückgegangen, was sicher nicht der Klangqualität geschuldet ist, sondern schlicht den Tatsachen, dass es als kabelgebundenes und recht großes Mikro zur alten Garde gehört. Und unter den Nicht-Funken haben viele weitaus billigere Tauschspulenmikrofone den Markt erobert.

Frequenzgang mit Charaktereigenschaften

Allerdings gibt es einige Eigenschaften des Mikrofons, die dessen Einsatz im Studio und Live bis heute nicht nur rechtfertigen, sondern geradezu verlangen. Dies ist zum einen der erstaunlich lineare Frequenzgang vom Bassbereich bis 1 kHz. Das Klangbild ist weiterhin geprägt von einem ordentlich unterfütterten Bereich oberhalb dieser Marke. Um die 4 kHz befindet sich das Maximum des enormen Boosts, der dem Mikrofon seinen Charakter verleiht. Oberhalb von 15 kHz geht es massebedingt mit der Kurve gen Fußboden.

Der 5-stufige Bassschalter zur Anpassung an Musik und Sprache
Der 5-stufige Bassschalter zur Anpassung an Musik und Sprache

Musik und Sprache

Das MD 421 wäre nicht das MD 421, hätte es nicht seinen berühmten M-S-Schalter. Dieser liegt ringförmig als Drehschalter um die XLR-Buchse und ist fünfstufig von “M” bis “S” schaltbar. Des Rätsels Lösung in Kurzform: “M” steht für “Musik” und “S” für “Sprache”. Hinter den etwas krude anmutenden Bezeichnungen verbirgt sich nachvollziehbare Technik, denn es handelt sich um einen Bass-Roll-Off. Auf “M” gestellt, ist die Filterung deaktiviert, “S” bewirkt die stärkste Absenkung der Bässe. Diese Absenkung hat übrigens eine sanfte Shelving-Charakteristik, geht also nicht sonderlich brutal zu Werke. Ob die Bezeichnungen M und S nun sinnvoll gewählt sind oder nicht, darüber lässt sich trefflich streiten, denn auch Sprache soll mit ordentlich tiefen Frequenzen schon ganz gut geklungen haben. Andererseits soll mancher musikalischen Anwendung eine Tiefenabsenkung durchaus gut zu Gesicht stehen. Und was ist eigentlich mit Gesang? Ist dieser nun eher als Musik oder Sprache zu klassifizieren? Und wie klingt eine Mischform von Sprache und Gesang auf Position drei? Haben die deutschen Ingenieure etwa schon zur Wirtschaftswunderzeit Rap und Hip-Hop vorausgesehen? Ok, genug auf einem Schalter herumgehackt, zurück zur Tagesordnung. Fakt ist natürlich, dass es im Studio- und Livealltag ungemein praktisch ist, eine hochwertige Frequenzgang-Anpassung direkt am Mikrofon einstellen zu können, beispielsweise bei Snare oder Blechbläsern.

Der Mikrofonkorb mit der umlaufenden Plastikstoßstange und dem Sennheiser-Schriftzug - hier geht´s rein!
Der Mikrofonkorb mit der umlaufenden Plastikstoßstange und dem Sennheiser-Schriftzug – hier geht´s rein!

Nur wenn vorne etwas reingeht kommt hinten etwas raus!

Ein ungeschriebenes Gesetz besagt, dass die Hauptaufsprechrichtung eines Mikrofons sich dort befindet, wo das Firmenlogo aufgedruckt ist. Daran halten sich – soweit möglich – so gut wie alle Hersteller, aber bei Weitem nicht alle Benutzer. Ich habe mehrmals erlebt, dass das arme MD 421 ausgerichtet wurde wie ein Großmembran-Kondenser und seitlich besprochen wurde. Auch in diversen Film- und TV-Ausschnitten war das schon zu beobachten. Ich konnte mir den resignierten Tonmann (“Auf mich hört hier ja eh keiner”!) wirklich plastisch vorstellen. Also: “Vorne” befindet sich beim MD 421 genau gegenüber der Kabelbuchse.  
Sennheiser verbaut hinter dem Grill mit der umlaufenden Plastik-Stoßstange eine Druckgradientenkapsel, deren Wandlerprinzip nach der bewährten und robusten Tauchspulentechnik arbeitet. Je hochfrequenter die Singalanteile, desto stärker richtend wirkt die typische Nierencharakteristik. Frontal mit 1000 Hz beschallt, liegen am Ausgang des Sennheiser 2 Millivolt pro Pascal Schalldruck an, die Impedanz des Mikrofons wird vom Hersteller mit 200 Ohm angegeben. 

Die Halterung mit dem Verschlussmechanismus ist leider bruchgefährdet, wenn man nicht richtig damit umzugehen weiß
Die Halterung mit dem Verschlussmechanismus ist leider bruchgefährdet, wenn man nicht richtig damit umzugehen weiß

Praxis

Darüber lässt sich sprechen

Nicht umsonst ist das 421 eines der am weitesten verbreiteten dynamischen Mikrofone. Wenn man sich anhört, wie flexibel man alleine aufgrund des Bass-Roll-Offs damit arbeiten kann, weiß man, wieso das so ist. Im Song-File, in dem wirklich alle zu hörenden Signale mit dem gleichen Mikrofon aufgenommen wurden, erkennt man durch die Addition der Eigenschaften, wie sehr im oberen Mittenbereich Klangformung betrieben wird. Ich muss sagen, dass mir das Endergebnis überhaupt nicht gefällt. Es wäre aber auch keine gute Idee, so im Studio in einer echten Produktion vorzugehen. Vielmehr wird hier klar, was für einen Sound man erhält, wenn man ein MD 421 statt eines eher verhalten klingenden Mikrofons benutzt. Besonders Bassdrum, Snare, Hi-Hat und verzerrte Gitarre werden so präsent, dass die Mischung ohne den brutalen Einsatz von EQs nicht funktionieren kann.
Der Gesangsstimme steht der Sound nicht sonderlich gut zu Gesicht, das ist meine Erfahrung auch mit anderen Sängern und Sängerinnen. Wird gesprochen, sieht die Welt jedoch direkt ganz anders aus, denn durch den schon angesprochenen Boost erhöht man die Sprachverständlichkeit und Durchsetzungsfähigkeit der menschlichen Stimme. In einem Song fällt besonders bei geballtem Vorkommen der Anhebung auf, dass die Signale dadurch an Natürlichkeit vermissen lassen. Bei Toms etwa, für die das Mikrofon wirklich grandios ist, ist das nicht weiter tragisch – im Gegenteil.

Audio Samples
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Vocals MD 421 Vocals MD 441 Song MD 421 Song MD 441

Bassdrumsound mit Wiederekennungswert

Das Sennheiser MD 421 ist es übrigens auch, das am stärksten den “Plastic Punch” einer Bassdrum hinbekommt. Bei ihm ist dieser noch ein wenig auffälliger, breiter und etwas “matschiger” als beim dafür eigentlich bekannteren AKG D112. Will man den “Stiefel-in-festen-Schlamm-treten”-Sound auf die Spitze treiben, zieht man auf die Bassdrum noch ein doppellagiges Fell auf. Für das Beispiel wurde übrigens ein Aquarian Classic Clear auf einer 20” Hoshino-Bassdrum verwendet. Fest steht: So einen Bassdrumsound gibt es nur mit einem MD 421! Mit der Auswahl dieses Mikrofons stellt man soundmäßig Weichen, insbesondere bei Bassdrum und Toms sollte man sich seiner Sache aber sicher sein, denn der – durchaus moderne – Klang kann für manche Musikrichtungen und Soundvorstellungen absolut unpassend sein. Stellt euch beim Hören einfach einmal den Sound eines geprellten Basketballs vor! 

Audio Samples
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Bassdrum Schlagfell MD 421 Bassdrum Resonanzfell MD 421 Bassdrum Resonanzfell MD 421 – Schalter auf S Bassdrum Resonanzfell M 88 Snare MD 421 Snare MD 421 – Schalter auf S Hi-Hat MD 421

Das Signal sollte bearbeitet werden

Der Bass- und Tiefbassanteil des 421 ist beachtlich, besonders bei naher Besprechung erhält man ordentlich Pfund. Wird einem das zu bunt, ist der M-S-Schalter absolut Gold wert. Das gilt nicht nur in der Bassdrum, wo man beispielsweise das MD 421 am Schlagfell bassmässig etwas an der kurzen Leine lassen und den Tiefbass einem M88 oder einer Grenzfläche überlassen kann, sondern ist für Amp-Miking eine wirklich feine Sache. Doch auch hier gilt: Alle Signale vom Vierzwoeins aufzeichnen zu lassen wie im Beispielsong – das ist sicher keine sinnvolle Entscheidung.

Audio Samples
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Picking MD 421 Picking MD 441 Hits MD 421 Hits MD 441 Chords MD 421 Chords MD 441 Bass MD 421 Bass MD 441 Song MD 421 Song MD 441

Das MD421 ist ein Charaktermikrofon für jeden MIkrofonpark

Ich mosere hier zwar ein wenig herum, aber das nur, um zur Vorsicht im Umgang mit diesem Mikrofon zu mahnen. An und für sich generiert es einen sehr gut im Mix platzierbaren Klangcharakter, nur übertreiben sollte man seinen Einsatz nicht unbedingt. Dann ist man unter Umständen gezwungen, das Gedrängel um die 4 kHz nachher mit dem EQ auflösen zu müssen. Meiner Meinung nach sollte man auf jeden Fall ein MD 421 im Mikrofonpark haben – als erste Alternative zu verhalteneren Standards wie dem SM57.
Waren zeitweilig Exemplare auf dem Gebrauchtmarkt annähernd umsonst zu bekommen, gehört heute eine mittelgroße Tüte Glück dazu, ein altes Exemplar preiswert zu ergattern. “4-2-1-deins!” klappt also nur bei der Bereitschaft, einen Betrag zu bezahlen, der schon stark in die Richtung eines neuen tendiert. Es gibt Engineers, die auf die “alten” beigen 421er schwören. Sicher: Die Verfügbarkeit von Elektronikbauteilen hat sich verändert, aber auch der Alterungsprozess (dem die heute verfügbaren “alten” Mikros zweifelsohne unterlagen) sollte nicht außer Acht gelassen werden. Ich empfinde die Unterschiede allerdings nicht so gravierend, dass ich wie manche von “alten” und “neuen” MD 421 als “gänzlich unterschiedliche” Mikrofone sprechen würde.

Fazit

Das Sennheiser MD 421 zählt klanglich zu meinen Lieblings-Dynamikern. Das tut zwar nichts zur Sache, doch bin ich mit dieser Meinung nicht alleine. Das optisch streitbare Mikrofon ist nicht zuletzt durch seinen Bass-Roll-Off ein im Studio und auf der Bühne äusserst flexibel einsetzbares Mikrofon, welches übersteuerungsfest ist und einen starken charakter hat. Sind Standardmikros nicht präsent genug, hilft der Griff zum 421. Allerdings ist das Mikrofon nicht gerade ein Schnäppchen, der (äusserst sinnvolle!) Satz 421er für die Toms kann schnell richtig viel Geld kosten. Aber auch ein einzelnes Exemplar kann mal den Bassdrum-Attack, mal die Snare, mal den Bass- oder Gitarrenamp, mal die Blechbläser aufzeichnen. Dass die Halterung eigenwillig und etwaige Instandsetzungsarbeiten aufwändig sind, ist nach einigen Jahrzehnten natürlich nicht mehr zu ändern. Das ist allerdings kein Grund, kein MD 421 zu besitzen. Ihr habt ein Studio und nehmt mehr als nur Vocals auf? Dann braucht ihr ein “unauffälliges” dynamisches Mikro und ein 421! 

Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
  • flexible Einsatzmöglichkeiten
  • Bass-Roll-Off
  • einzigartiger Klangcharakter
  • präsent
Contra
  • Halterung
  • etwas künstlich wirkende obere Mitten
Artikelbild
Sennheiser MD 421 Test
Für 375,00€ bei
Sennheiser_MD_421_4

Technische Spezifikationen

  • Empfängerprinzip: Druckgradientenempfänger (mit Laufzeitglied)
  • Richtcharakteristik: Niere
  • Wandlerprinzip: dynamisch (Tauchspule)
  • Frequenzgang: 30 Hz (ca. -8 dB) – 17 kHz (ca. -8 dB)
  • Übertragungsfaktor: 2 mV/Pa
  • Filter: schaltbare Tiefenabsenkung (4 Positionen + Aus)
  • Ausgang: XLR male
  • Preis: Euro 474,81 (UVP)
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Kommentieren
Profilbild von Gregor Marini

Gregor Marini sagt:

#1 - 28.01.2012 um 21:16 Uhr

0

Hi Nick!
Weißt Du inwiefern sich das MD 421 vom MD 521 unterscheidet ?
Nur der Lowcut ?
Danke u. Grüße

Profilbild von Nick

Nick sagt:

#2 - 30.01.2012 um 15:23 Uhr

0

Hi Gregor, genau: Soweit ich weiss, ist es der M-S-Schalter, der natürlich aufwendig und dadurch teuer ist. Ausserdem kann der natürlich auch mal defekt sein. Ich habe einmal mit einem 521 gearbeitet (soweit ich mich erinnere), aber nicht im Direktvergleich mit einem 421. Die technischen Daten scheinen weitestgehend identisch. Hier bekommst Du übrigens alle alten Manuals von Sennheiser: http://sennheiser.de/sennhe...
Beste Grüße,
Nick

Profilbild von Martin

Martin sagt:

#3 - 31.01.2012 um 01:07 Uhr

0

das 421 gehört bei mir zum Live-Setup: es steht seit Jahren im Rider für meine Bassbox Hughes&Kettner QS-410, die ich immer zusätzlich zum DI-Output auch per Mic abnehmen

Profilbild von Gregor Marini

Gregor Marini sagt:

#4 - 31.01.2012 um 17:27 Uhr

0

Hi Nick! Vielen Dank für den Link!
Leider ist das Handbuch vom MD 521 nicht dabei...ps.: Wie weit seid ihr denn mit dem Hi-End Mikrofon-Test?
Danke

Profilbild von Olli

Olli sagt:

#5 - 05.02.2012 um 20:28 Uhr

0

Hey, total toll geschreben , und jetzt weiß ich auch wie diese Roll off- absenkung funktioniert.....habe meins heute bekommen =)

Profilbild von Felix Gass

Felix Gass sagt:

#6 - 16.10.2012 um 17:27 Uhr

0

Super Produktbeschreibung, hat mir sehr geholfen, als Vorbereitung für schwierige Dreharbeiten. danke!

Profilbild von Peter

Peter sagt:

#7 - 01.12.2023 um 15:23 Uhr

0

Mit hat das Ergebnis der Aufnahmen mit dem MD421 immer sehr gut gefallen. Ich vermute mal, dass alle Aufnahmen des "BeatClub" von Radio Bremen damals damit gemacht wurden (mal auf Youtube rein schauen). Ich habe zwei dieser Mikrofone MD421N, das erste 1964 gekauft und das zweite gebraucht 1978. Beide klingen identisch.

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