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Radial Engineering Decoder Test

Die kanadische Firma Radial, welche uns bereits durch DI-Boxen und Reamping Syteme bekannt ist, nimmt sich nun mit dem Decoder des Themas MS-Stereofonie an.

Radials Decoder ist ein dreikanaliger Vorverstärker für Mikrofon- und Linepegel mit einer MS-Matrix vor dem Stereoausgang. Leider ist die Matrix nicht abschaltbar, was den Einsatz als reinen Vorverstärker sehr einschränkt. Es lassen sich zwar bis zu drei Mikrofone oder Linesignale anschließen, diese aber nur über die Matrix von MS-Stereo zu LR-Stereo dekodieren oder bis zu drei Signale zu einer Monosumme mischen. Es gibt keine Möglichkeit, die Signale der drei Kanäle einzeln abzugreifen.

Details

Kurze Einführung in die MS-Stereofonie

Für Aufnahmen in MS benötigt man, wie für andere Stereoverfahren auch, mindestens zwei Mikrofone. Im Unterschied zu den anderen Verfahren nimmt man hier aber die Mitte (M) mit einem Mikrofon mit Charakteristik nach Wunsch sowie die Seiten (S) mit einem Mikrofon mit Achtercharakteristik oder zwei nach außen gerichteten Nierenmikrofonen auf. In der Regel nimmt man für das Mittensignal einen Druckempfänger, also ein Mikrofon mit Kugelcharakteristik und für die Seiten einen Druckgradientenempfänger, also ein Mikrofon mit Achtercharakteristik. Das Mittenmikrofon wird direkt auf die Klangquelle ausgerichtet, während das Seitenmikrofon quer, also im 90° Winkel dazu aufgestellt wird. Die Kapseln der Mikrofone sollten so eng wie möglich zusammengebracht werden um Laufzeitunterschiede so gering wie möglich zu halten. Die MS-Stereofonie basiert nicht auf Laufzeit-, sondern ausschließlich auf Pegelunterschieden. Es handelt sich hierbei um eine Intensitätsstereofonie. Die Signale der Mikrofone können auf zwei Spuren aufgezeichnet und später, im Studio, bearbeitet werden. Unbearbeitet lässt sich das Ergebnis nicht in Stereo kontrollieren, dafür muss unsere Aufnahme erst “dekodiert”, also in ein linkes und ein rechtes Signal umgewandelt werden. Dies geschieht durch Summen- und Differenzbildung in einer Matrix. Statt einer Matrix kann auch ein Mischpult benutzt werden, das funktioniert auch mit dem Mischpult einer DAW. Dazu legt man das Signal des Seitenmikrofons auf zwei Kanäle. Einen dieser Kanäle routet man nach links, den anderen nach rechts. Jetzt muss in einem der beiden Kanäle die Phase gedrehet werden. Wenn man sich an die Norm hält, dreht man den rechten Kanal, es hängt aber davon ab, wie das Seitenmikrofon bei der Aufnahme zur Signalquelle stand. Wenn Ihr bei der Bearbeitung merkt, dass die Seiten vertauscht sind, ist es doch der andere Kanal, welchen Ihr drehen müsst. Anschließend mischt man das Signal des Druckempfängers, also der Mitte, dazu – und schon hat man ein vollständig monokompatibles Stereosignal. es lässt sich sogar das Verhältnis von Mitte und Seiten verändern ohne sich Phasenschweinereien einzuhandeln. All dies möchte uns die Firma Radial mit dem Decoder vereinfachen. Mal sehen, ob den Kanadiern das gelungen ist. 

Ein Schwergewicht

Obwohl der Decoder mit knapp 11x15x6 cm eher klein daher kommt, ist er mit etwas über 1 kg (ohne Netzteil) überraschend schwer. Ein großer Teil des Gewichts geht auf das Konto des fast 2 mm starken, pulverbeschichteten Stahlgehäuses. Das Ding ist gebaut wie ein Panzer. Ich habe keine Zweifel, dass der Decoder auch den härtesten Bedingungen auf Tour gewachsen ist. Die Bodenplatte des Decoders ist komplett mit einer weichen Antirutschmatte beklebt, welche für sicheren Stand und Schutz vor Kratzern auf der Standfläche sorgt. Die obere und untere Kante des Gehäuses sind über die Frontplatte nach vorne verlängert und formen die “Frontlip”, welche die Bedienelemente vor versehentlichem Verstellen und während des Transports schützen.

Die Bedienelemente

Die meisten Bedienelemente befinden sich auf der Frontseite, während die Pad-Schalter zur Absenkung der Eingangspegels auf Line-Niveau auf der Oberseite untergebracht wurden. Das ist nicht sehr praktisch, wenn man den Decoder mit optional erhältlichem Zubehör in einem 19″ Rack unterbringt. Ebenfalls unpraktisch ist die versenkte Montage der Pad-Schalter und der Schalter für die 48 Volt Phantomspeisung. Man benötigt einen kleinen Schraubenzieher oder ähnliches, um diese zu schalten. Eigentlich soll das die Schalter vor versehentlicher Bedienung schützen, es stört aber den Workflow ganz gewaltig.

Die Vorderseite des Decoders mit ihren Bedienelementen

Rückseitige Anschlüsse

Alle Anschlüsse liegen auf der Rückseite. Die Eingänge der drei Kanäle sind als weibliche XLR-Buchsen ausgeführt. Die Stereosumme liegt an zwei männlichen XLR-Steckern an. Eine kleine Buchse für das externe Netzteil befindet sich zusammen mit einer verschraubten Kabelsicherung ebenfalls auf der Rückseite.

Anschlüsse des Decoders

Die inneren Werte

Die Firma Radial bezeichnet den Decoder als „High Grade Mic Preamp & Op-amp based M-S Matrix“. Beim Blick unter die Haube findet man eine solide verarbeitete Verstärkerschaltung, welche dem heutigen Stand der Technik entspricht, aber sicher keine Wunder vollbringt.

Innenleben des Radial-MS-Helferleins

Die maximale Verstärkung von Mikrofonsignalen liegt bei zirka 50 dB. Allerdings fällt im direkten Vergleich mit anderen Vorverstärkern das um 15-20 dB höhere Rauschen des Decoders bei Vollverstärkung auf. Die Highpass Filter arbeiten mit 12dB pro Oktave unterhalb einer Grenzfrequenz von 100 Hz.
An allen drei Eingängen liefert die Phantomspeisung sogar 49 Volt, allerdings nur, solange keine Mikrofone angeschlossen sind. Sobald zwei Mikrofone angeschlossen sind sinkt die zur Verfügung stehende Spannung am dritten Eingang auf zirka 41 Volt ab. Dies ist unabhängig davon, welche Eingänge benutzt werden.

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Praxis

Der Radial Decoder in der Praxis

Kanal 1 ist für den Anschluss des Mittensignals vorgesehen. Für das Seitensignal ist in erster Linie Kanal 2a zuständig. Bei Verwendung eines Druckgradientenempfängers oder einer Spur für die Seiten muss das Signal dieses Kanals mit Hilfe des Link-Knopfes zusätzlich auf Kanal 2b geroutet werden. Beim Radial Decoder ist es nicht mehr nötig, in diesem Kanal die Phase umzukehren, denn er ist bereits invertiert. Am Stereo-Ausgang liegt dann das dekodierte Signal an.

Zwei Möglichkeiten, MS-Stereo aufzunehmen

Wir haben bei der Verwendung des Radial Decoders die Möglichkeit, den Druckgradientenempfänger durch zwei nach außen gerichtete Nierenmikrofone zu ersetzen. Dafür schliessen wir an die Eingänge 2a und 2b jeweils ein nach außen gerichtetes Nierenmikrofon an. Bei dieser Mikrofonierung oder bei Vorliegen entsprechender Spuren sollte der Link-Schalter nicht gedrückt sein, dafür muss jedoch der invertierten Kanal 2b mit dem 180°-Schalter zurückgedreht werden, da die Seitenmikrofone durch die Ausrichtung nach außen bereits gegenphasige Signale aufnehmen.

Der Decoders im Einsatz bei Abi Linden vom Klangarchiv

In der Praxis können durch den größeren Abstand der Kapseln zueinander Phasenprobleme und für MS-Stereo problematische Laufzeitunterschiede entstehen. Bei MS-Mikrofonierung müssen die Kapseln ja möglichst eng positioniert sein, möglichst exakt ausgerichtet und möglichst genau ausgesteuert, um eine optimale Monokompatibilität zu erreichen. Dies wird durch die nicht exakt arbeitenden Gainpotis und das Fehlen von Aussteuerungsanzeigen zusätzlich erschwert. Der Decoder warnt auch nicht vor Verzerrungen. Da helfen nur ein gutes Monitoring und gute Ohren. Ich fand es gerade in Livesituationen sehr schwierig, die Pegel am Radial Decoder sauber aufeinander abzustimmen.
Das Ergebnis sind Aufnahmen, die aufgrund der ungewollt unterschiedlichen Aussteuerung zu einer Seite kippen sowie negative Korrelationswerte der Stereokanäle.

Aufnahme mit dem Radial Decoder, Kugel- und Achtermikrofon bei einem Kneipenkonzert der Band „The King Blues“ aus Köln.

Audio Samples
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Kneipenkonzert Kugel/Acht

Zum Vergleich habe ich Aufnahmen einer Akustikgitarre mit dem Radial Decoder gemacht und dann die selbe Situation mit genau denselben Mikrofonen an den gleichen Positionen mit meinem kleinen Mobilrecorder noch einmal kodiert aufgenommen. Diese zweiten Aufnahmen habe ich dann später ohne weitere Bearbeitung in Logic Pro dekodiert.

Audio Samples
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Gitarre mit Kugel und Acht Gitarre mit Kugel und Acht, in Logic dekodiert Gitarre mit Kugel und zwei Nierenmikrofonen Gitarre mit Kugel und zwei Nierenmikrofonen, in Logic dekodiert

Im direkten Vergleich zeigt sich, wie schwierig es ist die Kanäle des Radial Decoder sauber auszusteuern. Die Verschiebung des Stereobildes und die Phasenauslöschungen kommen nicht von falsch aufgestellten Mikrofonen oder falsch gepolten Kabeln, wie der Hersteller in einer Stellungnahme nahelegt, denn dann wären auch die Referenzaufnahmen verschoben.
Was bei den bisherigen Aufnahmen noch nicht wirklich auffiel, zeigt sich beim Reamping im Studio um so deutlicher: Der Decoder vertauscht die Seiten. Alles was bei der Aufnahme links war, erklingt am Ausgang des Decoders rechts! Der Gitarrist wird plötzlich zum Linkshänder. Das ist ein nicht zu vernachlässigendes Problem des Radial Decoder. Ich tippe auf einen Phasenfehler in einem der Eingangskanäle, zumindest bei meinem Testgerät. Zum Vergleich habe ich dieselben Signale mit verschiedenen Plug-Ins in Logic Pro dekodiert. Alle getesteten Plug-Ins ergeben seitenrichtige Stereosignale. Auch hier habe ich die korrekte Phasenlage der Verkabelung geprüft.

Audio Samples
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Original mit dem Radial Decoder dekodierter Mix mit einem Plug-In in Logic dekodierter Mix
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Fazit

Einer der großen Vorteile der Mid/Side-Stereofonie ist die Flexibilität sich erst bei der Mischung auf ein Verhältnis von Mitten- und Seitensignal festlegen zu müssen. Bei der Verwendung eines Decoders während der Aufnahme legen wir uns schon zu diesem Zeitpunkt auf ein Verhältnis fest. Für Anwendungen, bei denen eine sofortige Dekodierung in Echtzeit notwendig ist, macht das Sinn. Gerade in solchen Situationen (aber auch im Studio) wünsche ich mir ein Gerät, welches mir die Arbeit erleichtert, einfach einzustellen ist und mir zuverlässig ein quasi sendefertiges, seiten- und phasenrichtiges Signal liefert. Bei Aufnahmen in MS-Stereofonie mit drei Mikrofonen erschließt sich mir der Sinn des Decoders nicht ganz, denn hierfür wird keine Matrix benötigt. In diesem Fall genügen drei Spuren, welche mit jedem Mischpult oder jeder DAW korrekt im Stereopanorama positioniert werden können. Für On-Location-Einsätze ist der Decoder nur geeignet, wenn vor Ort eine Steckdose vorhanden ist. Ansonsten müssten wir zusätzlich zu dem hohen Gewicht des Decoders auch noch Batterien schleppen. Außerdem sollte ein gutes Monitoring, zum Beispiel mit einem geschlossenen Kopfhörer, gewährleistet sein. Insgesamt hat mich der Radial Decoder nicht überzeugt. Er wirkt auf mich nicht ausgereift. Wer allerdings damit leben kann, die Ausgänge vertauscht anzuschliessen und darauf angewiesen ist, MS-Stereo in Echtzeit zu dekodieren, der erhält für unter 500 Euro ein solides Werkzeug.

Unser Fazit:
2 / 5
Pro
  • solide Verarbeitung
  • neutraler Klang
Contra
  • keine Aussteuerungsanzeige
  • keine Übersteuerungsanzeige
  • unpräzise Gain-Regler
  • Pad und Phantomspeisung können nur mit Werkzeug geschaltet werden
  • Padschalter bei Rackeinbau nicht zugängig
  • Decoder vertauscht die Seiten
  • relativ hohes Rauschen bei Vollverstärkung von Mikrofonen
  • für mobile Einsätze zu schwer
  • MS-Matrix nicht abschaltbar, dadurch eingeschränkte Einsatzmöglichkeiten
Artikelbild
Radial Engineering Decoder Test
Für 429,00€ bei
Features und Spezifikationen
  • Größe: 10,7 x 15 x 5,8cm (LxBxH)
  • Gewicht: 1050g (ohne Netzteil)
  • Anschlüsse: 3 Eingänge XLR weiblich für Mic- und Linesignale
  • 2 Ausgänge XLR männlich +4dBu
  • Stromversorgung: externes Steckernetzteil
  • Besonderes Merkmal: Matrix für die dekodierte Aufnahme von MS-Stereo mit einem Mittenmikrofon und einem oder zwei Seitenmikrofonen sowie zur Decodierung von entsprechenden MS-Aufnahmen
  • Preis: € 486,67 (UVP)
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