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Keyboard Masterclass Workshop #1

Während solierende Jazzpianisten mit Tonleitern, die so fremdartige Namen wie „Mixolydisch“, „Halbton-Ganzton“ oder „Alterierte Skala“ tragen, nur so um sich werfen und einen abgefahrenen Bebop-Lick nach dem anderen abfeuern, beschränken sich viele Popkeyboarder beim Solo häufig auf die vertraute Bluestonleiter und versuchen, „schräge“ Noten möglichst zu vermeiden.

Dass aber auch im Popkontext ein bisschen Jazz oft nicht schadet, hat beispielsweise Kenny Kirkland mit seinem legendären Solo über  „When the world is runnig down“ (Album: Sting – Bring on the night -live) bewiesen.

©Africa Studio, fotolia.de
©Africa Studio, fotolia.de

Auch über einfache Popakkorde lässt sich mit etwas Knowhow interessant improvisieren. Dieser Workshop soll Euch anhand einzelner Phrasen zeigen, wie das gehen kann.

TIPP:  Da die theoretischen Grundvoraussetzungen hier zugegebenermaßen recht hoch sind, haben wir uns dazu entschlossen, jedem der vorgestellten Konzepte in einem separaten Workshop den Schrecken zu nehmen. Die Serie startet in Kürze.

Jetzt stürzen wir uns mit Konzept 1 ins Getümmel. Aber vorher solltet ihr euch noch die kompletten Noten des Workshops als PDF downloaden!

Die kompletten Noten des Workshops als PDF-Download

1. Pentatonik auf der V.Stufe

Die sicher am häufigsten verwendete Skala in Pop und Rock ist die pentatonische „Bluestonleiter“.Pentatonisch steht in diesem Zusammenhang für „aus fünf Tönen bestehend“. In der Tonart D-Moll wären das die Töne D, F, G, A und C, also Grundton, Terz, Quarte, Quinte und Sieben.

Ein Phrase auf Grundlage dieser Skala über einen Dm-Akkord würde z.B. so klingen.

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Konzept 1 – Beispiel 1
1_Pentaton_D_ueber_Dm_01

Besonders spannend ist das natürlich noch nicht. Interessanter wird es, wenn wir statt der D-Moll Pentatonik die A-Moll Pentatonik (A ist die fünfte Stufe von D) verwenden. Wohlgemerkt: Der zugrundeliegende Akkord bleibt weiterhin Dm. Die A-Moll Pentatonik besteht aus den Tönen A, C, D, E und G. Im Vergleich zur D-Pentatonik fehlt die Terz, dafür kommt die None hinzu. Da die None „jazziger“ klingt als die Terz, hört sich dieses Beispiel schon ein ganzes Stück interessanter an.

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Konzept 1 – Beispiel 2
2_PentatonikA_ueberDM_01

Damit Ihr Routine im Umgang mit der Skala bekommt, möchte ich an dieser Stelle empfehlen, Euch ein Playback zu basteln, das immer auf dem Akkord Dm bleibt, und dazu auf der A-Pentatonik zu jammen.
Auch im folgenden Beispiel bleiben wir dem Akkord Dm und der A-Pentatonik treu. Allerdings nutzen wir ein weiteres Konzept, um dem Ganzen einen interessanteren Anstrich zu verpassen: die chromatische Umspielung. In unserem konkreten Beispiel wären das die beiden Töne F# und F, die in der A-Pentatonik-Skala zwar nicht vorkommen, entsprechend in Szene gesetzt aber durchaus Sinn ergeben. Diese Herangehensweise ist vor allem im Bebop sehr verbreitet und sorgt für einen „jazzigen“ Charakter. Aber hört am besten selbst:

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Konzept 2 – Beispiel 1
3_Chromatik1_01

Jetzt wird es noch interessanter. Achtet einmal darauf, wie ich die zentralen Noten D (1.Takt auf der 3), H (2.Takt auf der 1) und A (3.Takt auf der 1) umspiele. Das klingt schon ein bisschen nach Charlie Parker – obwohl wir nach wie vor ausschließlich auf Dm unterwegs sind.

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Konzept 2 – Beispiel 2
4.Chromatik2_01

Und noch zwei Beispiele für den gewinnbringenden Einsatz von Chromatik – wieder über Dm.

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Konzept 2 – Beispiel 3 Konzept 2 – Beispiel 4
5_Chromatik3_01
6_Chromatik4_01

Wer noch mehr Anwendungsbeispiele für chromatische Umspielungen sucht, der sollte sich unbedingt das Charlie Parker Omnibook besorgen. In den Solotranskriptionen findet man Hunderte von coolen Licks, die mit Chromatik arbeiten.

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Konzept 3 – Zwischendominanten

Bisher waren wir ausschließlich über dem Akkord Dm unterwegs. Als Ausbaustufe stellen wir uns vor, wir müssten über ein Popstück solieren, das aus den Akkorden Dm7 und Gm7 besteht. Eine entsprechende Phrase könnte folgendermaßen aussehen:

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Konzept 3 – Beispiel 1
7_Zwischendom_1_01

Hier gibt es zunächst zahlreiche chromatische Umspielungen. Das C# am Ende des zweiten Taktes leitet schön in den Akkordwechsel hinein, da es die Quinte und damit einen wichtigen Ton des nachfolgenden Akkordes Gm7 von unten her anspielt.

Und gleich noch eine Phrase über der Akkordfolge:

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Konzept 3 – Beispiel 2
8_Zwischendom_2_01

Interessant ist hier zunächst, dass die ersten vier Töne eine Akkordbrechung darstellen, aber nicht etwa von Dm, sondern von Am. Dadurch erhalten wir die „jazzigen“ Noten E (None) und G (Quarte bzw. 11). Ein Arpeggio über Dm würde vergleichsweise langweilig klingen. Anschließend folgt eine chromatische Umspielung, die auf das E (2. Takt auf der 1) hinleitet. In der zweiten Hälfte des zweiten Taktes finden wir die Töne Eb, D und A. Diese stammen aus dem Akkord D7b9 (D, F#, A,C, Eb). Dieser Akkord wird hier zwar nicht gespielt, würde sich aber nach Gm auflösen, da er als Dominante von Gm fungiert. Er stellt also eine schöne Vorbereitung des Akkordwechsels dar. Das C# hat bei D7b9 natürlich nichts verloren, ist aber als chromatische Anspielung des nachfolgenden D problemlos einsetzbar.
Noch deutlicher wird der Gebrauch von Zwischendominanten im nächsten Beispiel. Hier habe ich die ergänzenden Akkorde dazugeschrieben, auch wenn sie von der Harmoniefraktion (Bass, Gitarre, linke Hand des Pianisten) an dieser Stelle gar nicht gespielt werden. Sie dienen ausschließlich dazu, den Solophrasen etwas mehr harmonischen Gehalt zu geben. In unserem Beispiel kommen viele Arpeggios vor. Im ersten Takt ein Dm9 Arpeggio, im zweiten eine Brechung des D7b9 Akkordes. Dann ein Gm-Arpeggio im dritten Takt. Im vierten Takttaucht dann nicht nur die Zwischendominate A7b9 auf, die zum Dm zurückführt, sondern auch noch das Arpeggio eines Em7b5 Akkordes (E, G, Bb), der zusammen mit dem A7b9 und dem Dm eine sogenannte Moll-Zwei-Fünf-Eins Verbindung ergibt, eine im Jazz sehr häufig vorkommende Wendung. Das Ab im vierten Takt gehört weder zum Em7b5 noch zum A7b9 – es ist wieder ein chromatischer Durchgangston.
Hier passiert also harmonisch und melodisch schon wesentlich mehr, als unser Dm-Gm Popsong eigentlich hergeben würde.

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Konzept 3 – Beispiel 3
9_Zwischendomin_3_01

Konzept 4 – Alterierte Zwischendominanten

Als alterierten Akkord bezeichnet man einen Dominant-Sept-Akkord, bei dem sowohl die Quinte als auch die None erhöht oder vermindert sind. Eine „normale“ Quinte oder eine „normale“ None kommen nicht vor. D7 alteriert könnte also ein D7#5#9, D7b5b9, D7#5b9 oder D7b5b9 sein. Egal, welche Alterierungen man wählt, die Dominant-Funktion bleibt voll erhalten: D7alt löst sich also immer nach G (Dur oder Moll) auf.

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Alterierte Chords
10alterierte_Chords_01

Wir könnten also anstatt der Zwischendominanten D7b9 und A7b9 auch mit alterierten Zwischendominanten arbeiten, z.B. D7#5#9 oder A7#5b9. Dies würde noch einmal neue Möglichkeiten eröffnen, darüber interessante Improvisationslinien zu entwickeln. Um dies zu bewerkstelligen, brauchen wir nun allerdings die alterierte Skala. (Auweia, also doch!)

Die alterierte Tonleiter besteht aus den Funktionstönen (Grundton, Terz und Septime) sowie aus b5, #5, b9 und #9. Die D-alterierte Skala sähe also demnach so aus:

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Alterierte Skala
11_alterierte_Skala_01

Sich diese Skala zu merken ist nicht einfach, deshalb nutzen wir folgenden Trick, um sie für uns zu vereinfachen: Die Tonleiter D-alteriert enthält die Töne F (bzw. Eis), Ab, Bb (bzw. A#), C und Eb, die zusammen die F Moll Pentatonik bilden. Die Bluestonleiter in F sollte ja jedem vertraut sein. Wir merken uns also folgende kleine Regel:
Über einem alterierten Akkord kann man mit der Bluestonleiter improvisieren, die auf der kleinen Terz steht.
Demzufolge könnten wir über unsere Akkordfolge Dm – D7alt – Gm – A7alt also mit vier verschiedenen Pentatoniken arbeiten:

A Moll Pentatonik über Dm
F Moll Pentatonik über Dalt.
Dm Pentatonik über Gm
Cm Pentatonik über A7alt.

Das könnte sich z. B. so anhören:

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Konzept 4 – Beispiel 1
12_4Pentatoniken_01

Auch hier sollte man sich ein Playback anfertigen und ein paar Stunden, Tage oder Wochen mit den vier Pentatoniken herumjammen! Ihr werdet sehen: Die Routine bringt’s!

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Konzept 5 – Upper Structure Arpeggios

Ein einfacher Dm-Akkord besteht ja bekanntlich aus den Tönen D, F und A.
Bein Dm7/9/11 kommen noch die Töne C, E und G dazu. C, E und G bilden aber zusammen auch einen C-Dur Akkord. Diesen Dreiklang nennt man in diesem Zusammenhang Upper Structure, denn er bildet eine Struktur (nämlich einen Dur-Dreiklang). Aber eigentlich handelt es sich hierbei um die Obertöne des Dm7/9/11 Akkords.
Bei den alterierten Akkorden bilden #5, Grundton und #9 auch einen Dur-Dreiklang. Im Falle eines D7#5#9 wären das die Töne Bb (bzw. Ais) D und F (bzw. Eis): Also ein Bb-Dur Dreiklang. Bei einem D7b5b9 bilden die Töne Ab, C und Eb einen Ab-Dur Dreiklang.
Die Upper Structures bieten sich an, in Form von Arpeggios in die Improvisation eingebaut zu werden. Da es sich letztendlich um einfache Dur-Akkorde handelt, sind sie leicht zu „händeln“, klingen aber trotzdem sehr komplex – so wie in diesem Beispiel.

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Konzept 5 – Beispiel 1
13_upper_structure_arp_01

In Takt 1 finden wir ein C-Dur Arpeggio, in Takt 2 ein Bb-Dur Arpeggio, in Takt 3 wird ein F-Dur Dreiklang gebrochen und in Takt 4 ein Eb-Dur Dreiklang (Eb-Dur passt auch auf den #5#9 Akkord, obwohl es eigentlich die Upper Structure von A7b5b9 ist.)
Eine weitere Möglichkeit, einer simplen Akkordverbindung ein paar „schräge“ Noten zu verpassen, ist das sogenannte Inside Outside Prinzip. Es stammt aus dem modalen Jazz, wo oft minutenlang auf nur einer Harmonie herumimprovisiert wird. Als einer der „Erfinder“ dieser Technik ist John Coltrane anzusehen. Der Pianist seines Quartetts, McCoy Tyner, hat diese Stilistik dann auf das Klavier übertragen (Hörtipp: „Passion Dance“ von McCoy Tyner). Später übernahmen auch andere Pianisten diese Technik. Chick Coreas legendäres Album „Now he sings, now he sobs“ wimmelt nur so von Inside-Outside Phrasen, und auch bei Herbie Hancock und vielen anderen, modernen Jazzpianisten sind solche Licks zu hören (übrigens auch in dem oben genannten Kenny Kirkland Solo).
Das Prinzip des Inside-Outside-Spiels besteht darin, kurzzeitig die Ausgangstonart („Inside“) zu verlassen und z.B. alles einen Halbton höher zu spielen („Outside“), um dann kurze Zeit später wieder in die Ausgangstonart zurückzukehren. Damit dies nicht „chaotisch“ oder einfach nur falsch klingt, bringt man Struktur in das Ganze, indem man Phrasen sequenziert, das heißt, man wiederholt dieselbe oder eine ähnliche Phrase in der fremden Tonart, so wie im nächsten Beispiel, in dem zwei Mal von „Inside“ D-Moll nach „Outside“ Eb-Moll gewechselt wird. Die anderen Musiker wie Bassist und Gitarrist bleiben auf Dm, nur der Solist vollzieht diese Wechsel. Das erzeugt eine interessante Reibung, die sich aber sogleich wieder auflöst. Die Voicings in der linken Hand machen die Wechsel mit.

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Konzept 6 – Beispiel 1
14_inside_outside1_neu_01

Im nächsten Beispiel nutzen wir die Inside-Outside-Technik über unseren beiden Akkorden Dm und Gm. Im zweiten Takt springen wir nach Abm und lösen die Reibung dann nach Gm auf. Im vierten Takt wandern wir über Ebm zurück nach Dm. Wichtig ist auch hier die Sequenzierung, also die Wiederholung derselben Phrase in den verschiedenen Tonarten, damit es nicht chaotisch klingt.

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Konzept 6 – Beispiel 2

Konzept 6 – Beispiel 2 – Die Noten als PDF-Download

Hier noch ein ähnliches Beispiel. Übrigens bestehen die Phrasen auch wieder aus pentatonischem Tonmaterial auf der fünften Stufe (also A-Pentatonik über Dm, Eb-Pentatonik über Abm usw.)

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Konzept 6 – Beispiel 3

Konzept 6 – Beispiel 3 – Die Noten als PDF-Download

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Fazit

Niemand sollte enttäuscht sein, wenn er nicht schon beim nächsten Gig in der Lage ist, all diese Phrasierungstechniken anzuwenden, denn man kann sich mit jedem der genannten Konzepte wochen-, monate- oder gar jahrelang beschäftigen. Dieser Workshop kann die verschiedenen Möglichkeiten natürlich nur anreißen. Dennoch hoffe ich, Euch inspiriert zu haben, eigene Ideen zu entwickeln – und vielleicht kann die olle Bluestonleiter irgendwann mal zu Hause bleiben und ihr trumpft im Pop-Funk-Soul Kontext, in dem häufig auf nur einem oder zwei Akkorden gespielt wird, mit ein paar abgefahrenen Licks auf.
Zum Abschluss habe ich, wie eben schon erwähnt,  noch einmal ein komplettes Solo über die beiden Akkorde Dm und Gm im Discotempo 120 BPM gespielt und notiert. Vielleicht findet Ihr ja das eine oder andere Prinzip aus diesem Workshop darin wieder.
Viel Spaß beim Üben und bis bald
Xaver Fischer

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Solo

Die Noten als PDF-Download

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Profilbild von Mat

Mat sagt:

#1 - 30.06.2014 um 15:42 Uhr

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Vielen Dank für diesen ausgezeichneten Workshop. Super gemacht, gerade auch wegen der Noten- und Audiobeispiele!Danach suche ich schn seit Langem!Es wäre toll, wenn dieser Workshop (mit Einbindung aller Bilder und Audiodateien) als E-Book z.B. für's iPad erscheinen würde. Dann hätte man alles beisammen und könnte immer mal wieder reinschauen/reinhören.

Profilbild von Daniel

Daniel sagt:

#2 - 31.12.2014 um 21:10 Uhr

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Hi,
vielen für die tollen Workshops, die auf Eurer Website angeboten werden. Gerne möchte ich mich meinem Vorredner anschließen und fragen, ob die Workshops nicht als bspw. iPad App oder zumindest OFFLINE-Version zur Verfügung gestellt werden könnten. Das wäre genial!Des Weiteren wollte ich fragen, ob der hier angekündigte Workshop zu den Grundlagen für das Klavier schon erschienen ist. Ich konnte ihn leider nicht finden. Vielen Dank für die Hilfe!

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