Avid Pro Tools 2022.9 Test  

Praxis

Pro Tools 2022.09 – was ist neu?

Mit der neuesten AVID Pro Tools Version 2022.9 werden vor allen Dingen zwei Features die langjährigen Nutzer durchaus begeistern, Aux I/O und die Melodyne Editor Integration. Außerdem gibt es eine neue „kostenlosen“ Pro-Tools-Version, zu der ich später noch etwas sagen werde.

Tolle Melodyne Integration

Seit der Integration von „Audio to MIDI“ in Pro Tools vor geraumer Zeit, hat sich ARA bereits angekündigt. Audio Random Access, die von Celemony im Zusammenarbeit mit Presonus entwickelte Kommunikationsschnittstelle zwischen Melodyne und DAWs, wird in Pro Tools integriert. Dieser Prozess zeigt nun Erfolge. Weil Pro Tools jetzt über ARA mit Melodyne spricht, entfällt zum Beispiel das Vorspielen eines Files in Echtzeit für die Melodyne-Erkennung.

Melodyne in Pro Tools dank ARA 2
Melodyne ist jetzt über ARA2 tief in Pro Tools integriert und docked sich unten am Edit-Fenster an.

Aber die Integration von Melodyne über ARA geht noch ein ganzes Stück weiter! Melodyne wird als Docked Editor am unteren Ende des Edit-Fensters gemeinsam mit dem MIDI-Editor und den Clip Effects dargestellt. Die drei Editoren sind als Tabs organisiert, so dass immer nur einer zur Zeit angezeigt werden kann.

Die kleinste Version Melodyne Essential ist bei jedem Pro Tools dabei, außer beim kostenlosen Pro Tools Intro. Wer eine umfangreichere Version von Celemony lizenziert, kommt in den Genuss umfangreicherer Manipulationsmöglichkeiten mit Melodyne, wie zum Beispiel die Bearbeitung polyphonen Audiomaterials.

Optik = Workflow

Um den Melodyne-Editor am unteren Bildschirmrand anzuzeigen, benutzt man das Tastaturkommando „Option/Alt 8“ oder wählt im Menü View unter „Other Displays“ „Melodyne“ aus. Audio Files oder Clips, die von Melodyne analysiert wurden, erkennt man am ARA-Symbol im oberen rechten Rand des Clips und dem transparenten Noten-Overlay, das die erkannten Tonhöhen repräsentiert. Ob der Clip nur von Melodyne analysiert oder auch schon damit bearbeitet wurde, wird durch die Durchsichtigkeit des ARA-Symbols signalisiert. Ist es eher durchsichtig, liegt nur eine Analyse vor, erscheint es konturiert, ist das File schon bearbeitet worden.

Dass Melodyne ein integraler Bestandteil von Pro Tools geworden ist und nicht nur eines von vielen Drittanbieter-Plug-Ins, sieht man am folgenden Beispiel. Melodyne wird auf einer Audiospur direkt über einen Rechtsklick auf „Melodyne/Edit“ aktiviert. Melodyne taucht nach diesem Kommando auch nicht mehr in einem Insert-Slot des betreffenden Kanalzugs auf, es ist einfach ein Teil des Programms und verhält sich wie jeder andere integrierte Editor – toll.

Avid Pro Tools 2022.9 – MIDI Editor angedockt
Der unten angedockte MIDI-Editor zeigt jetzt auch die Quantize Werkzeugpalette an.

Melodyne statt Elastic

Weil Melodynes Möglichkeiten sich nicht auf die Manipulation von Tonhöhen beschränken, wird die gute Integration auch an anderer Stelle sichtbar: bei den Elastic-Audio-Einstellungen. Statt einen der internen Algorithmen zur Tempoerkennung oder -manipulation zu verwenden, kann Melodyne jetzt den Job übernehmen und die Elastic-Audio-Engine sein.

Sobald man Melodyne-Edits in Pro Tools vorgenommen hat, stellt Pro Tools weitere Track- und Clip-bezogene Kommandos bereit: Über „Clear“ können die Bearbeitungen gelöscht werden, „Bypass“ ermöglicht ein schnelles Umschalten zwischen bearbeiteter und unbearbeiteter Version und über „Render“ werden die Melodyne-Bearbeitungen in eine neue Audiodatei geschrieben.

Audio Files, die von Melodyne analysiert wurden, behalten diese Information im Track Header, solange keine Sample-Raten-Konvertierung stattfindet und können somit zwischen Sessions ausgetauscht werden. Der Status der Melodyne-Bearbeitungen lässt sich über Track Presets und den „Import Session Data“-Dialog von einer in eine andere Session kopieren.

Wie schlägt sich ARA-Melodyne im Alltag mit Avid Pro Tools 2022.9?

Das Vorspielen des Audiomaterials war der mit Abstand umständlichste Teil der Melodyne-Arbeit und erforderte einiges an Bounce-Disziplin. Je nach Rechnergeschwindigkeit dauert die Erkennung eines dreiminütigen Files mit ARA nun nur noch zwischen fünf und 30 Sekunden – ein offensichtliches Zeitersparnis. 

Dank der nahlosen Integration lässt es sich aber auch deutlich flinker bedienen, praktisch wie der MIDI-Editor und ist sofort zur Hand. Damit hat Avid ein altes Vorurteil wieder bestätigt. Sie sind nicht schnell in der Weiterentwicklung von Pro Tools, überraschen aber mit sehr ausgereiften, praxistauglichen Implementationen. So war es beim Comping, der Realisierung einer Freeze/Commit-Funktion und den Track Foldern, um einige Beispiele zu nennen.

Dass Melodyne den Funktionsumfang enorm erhöht, ist jedem klar, der den „Röntgen-Blick“ ins Audio schon einmal genießen durfte. Und dank dieser Erkenntnis sollte auch jedem klar sein, dass eine tiefe Melodyne-Systemintegration der DAW hilft, sich im Wettbewerb zu positionieren.    

Aux I/O (nur macOS Big Sur oder später)

Pro Tools war lange dafür bekannt, das als Playback Engine ausgewählte Audio-Interface mit Haut und Haaren zu nehmen. Das Audio aus anderen Programmen oder vom Betriebssystem musste man sich zum Beispiel über ein zweites Audio-Interface ins Pro Tools oder auf die Abhöre routen.

Zum Glück sind diese Zeiten schon länger vorbei, weil Avid seit einigen Jahren Drittanbieter-Interfaces zulässt. Mit Aux I/O wird nun die umgebende Software auf einem Mac nahezu umarmt. Jedes aktive Core-Audio-Device kann jetzt in Pro Tools im I/O Setup als Input oder Output geroutet werden. Das Core-Audio-Device kann dabei ein reales Audio-Interface oder auch ein virtuelles sein. Vorrausetzung: mindestens Big Sur (macOS 11).

AUX I/O in Avid Pro Tools 2022.9
Aux I/O öffnet das Pro Tools Mischpult für die Außenwelt: Sämtliche Core-Audio-Komponenten können jetzt als Ein- und Ausgang in Pro Tools verwendet werden.

Mit Pro Tools Audio Bridge liefert Avid gleich einen Satz an virtuellen Core-Audio-Treibern mit, die sich nur in der Anzahl der Ein- und Ausgänge unterscheiden. Wichtig zu wissen: Diese 2- bis 64-kanaligen Treiber können immer nur als Input oder Output genutzt werden.

Zoom, Skype und Co.

Die zweikanalige Ausführung der Pro Tools Audio Bridge gibt es in den Varianten A und B, um zum Beispiel bidirektionale Kommunikationskanäle für Zoom, Skype oder ähnliches ins Pro-Tools-Mischpult zu integrieren. Parallel kann ich die 64-kanalige Variante der Pro Tools Audio Bridge verwenden, um etwa 64 Audioausgänge aus Logic in Pro Tools zu streamen. Neben den drei im Beispiel genannten Pro Tools Audio Bridges gibt es drei weitere für sechs, 16 und 32 Kanäle.  Für solche Streaming-Anwendungen brauchte man bislang immer Drittanbieter-Software und es funktionierte auf Anhieb schon in den Beta-Versionen sehr gut.

Virtuelle Kanäle mit Audio Bridge in Pro Tools
Die virtuellen Audio Interfaces Pro Tools Audio Bridge können bis zu 64 Kanäle als Ein- oder Ausgang zur Verfügung stellen.

Um auch in komplexen Setups immer den Überblick zu behalten, kann man die Pro Tools Audio Bridge Devices umbenennen. Das ist aber leider nicht direkt in Pro Tools möglich, sondern nur über einen „kleinen Hack“. Tief in der Library des macOS-Systems versteckt, befindet sich eine Datei namens ProToolsAudioBridge.config. Diese Datei öffnet man mit einem beliebigen Text Editor. Hier kann man die Namen der im Audio MIDI Setup auftauchenden Devices verändern.

Die erste Zahl bezeichnet die Kanalanzahl, darauf folgt der Name. Nach den Änderungen muss die Datei gespeichert und der Mac neu gestartet werden. Das ist zwar für den Anwender zu schaffen, auch wenn er sonst nicht auf der Ebene in Programmen stöbert. Es ist dennoch sehr unkomfortabel – das ist aber auch der einzige echte Kritikpunkt, den ich an der neuen „Offenheit“ in Pro Tools habe.

Miscellaneous Feature – der Kleinkram von Avid Pro Tools 2022.9

Unter dem Stichwort „Sonstige Verbesserungen“ werden von Avid immer die kleinteiligen Verbesserungen genannt, die nur kleinere Workflow-Verbesserungen mit sich bringen. Dazu gehört zum Beispiel die mögliche Marker-Anzahl. 32.000 statt bisher 999 sind zukünftig möglich. Ich verliere schon bei mehr als 50 Track-Markern schnell den Überblick, aber es gibt bestimmt Workflows (etwa im Synchronbereich), für die das wichtig ist.

Über die präzisere Positionierung des Timecode-Overlays auf der x- und y-Achse im Video-Fenster freue ich mich indes sehr. Leider ist diese Funktion auf die teure Version Pro Tools Ultimate beschränkt.

Clip Effects in Pro tools 2022.09
Die Clip FX sind vom oberen ans untere Ende des Edit-Fensters „umgezogen“. Der Funktionsumfang bleibt unverändert.

Neue Locations

Die Werkzeugpalette zur Quantisierung von MIDI-Daten und die Anzeige der Clip Effects haben ebenfalls eine Änderung erfahren. Viele Quantisierungsparameter werden direkt im MIDI-Editor und im Edit-Fenster angezeigt und nicht mehr ausschließlich auf der „Quantize“-Seite des Menüs „Event Operations“. Und die Clip Effects werden jetzt statt oben unten im Edit-Fenster dargestellt. Sie passen sich damit der so genannten Docked-Editor-Darstellung an, die auch für MIDI-Daten und für Melodyne (siehe unten) zur Anwendung kommt.

An die Benutzer von Control Surfaces wurde ebenfalls gedacht. Mit den beiden Voreinstellungen „Edit Window Follows“ und „Mix Window Follows“ legt man fest, dass die Auswahl eines Tracks am Controller dazu führt, dass der betreffende Track als erster oben im Edit-Fenster bzw. am linken Bildschirmrand des Mix-Fensters angezeigt wird.

Pro Tools Intro – wirklich kostenlos?

Alle bisher kostenlosen Pro-Tools-Versionen haben zwei Gemeinsamkeiten. Sie wurden nach kurzer Zeit immer wieder eingestellt und boten zum Teil krude Einschränkungen. So ließen sich mit dem alten Pro Tools Free nur Projekte in der Cloud verwalten, lokale Sessions waren nicht möglich.

Beim neuen Pro Tools Intro wirken die Beschränkungen auf den ersten Blick vernünftig. Vier Kanäle Audio I/O, bis zu acht Mono- oder Stereospuren, vier Aux-Kanäle, acht Instrument Tracks, acht MIDI-Tracks und ein Master Fader. Pro Track können wiederum bis zu zehn Inserts und zehn Sends benutzt werden.

Für kleine Produktionen

Produziert werden kann außerdem mit bis zu 192 KHz und 32 Bit Floating sowie mit einer automatischen Latenz-Kompensation von bis zu 16.383 Samples. Kleinere Sprachproduktionen oder Videovertonungen kommen mit diesem Angebot sicherlich klar und können so vermeintlich kostenfrei in die Pro-Tools-Welt eintauchen.

Sollte man die mit Pro Tools Intro erstellten Sessions später noch einmal benötigen, sollte man besser damit rechnen, dieses Angebot nicht mehr nutzen zu können und Sessions dann nur mit einer lizenzpflichtigen Version öffnen zu können. Letztendlich ist die Intention hinter den kostenlosen Versionen bei Avid – wie bei allen anderen DAW-Herstellern – Nutzer erst auf die Plattform und dann später das Geld aus der Tasche zu locken.

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Profilbild von Stephan Ozsvath

Stephan Ozsvath sagt:

#1 - 24.09.2023 um 19:58 Uhr

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Hallo, ich nutze seit Jahren Pro Tools. Mittlerweile Pro Tools Studio - an einem iMac (bj. 2015) Neuerdings funktioniert das Bouncing auf Festplatte nicht mehr. Bis jetzt keine Lösung gefunden - habt Ihr eine Idee? Danke. Grüße Stephan O.

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