Anzeige

Universal Audio TwinFinity 710 Test

“Herr Vorverstärkerverkäufer, Herr Vorverstärkerverkäufer! Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich eher einen Transistor- oder einen Röhrenpreamp kaufen soll! Und für beides zusammen reicht mein Geld nicht, was soll ich tun?” Dies ist die Traum-Situation und die ideale Steilvorlage, auf die besagter Herr Vorverstärkerverkäufer sehnlichst wartet, wenn er den Universal Audio TwinFinity 710 an den Mann bringen will. Und vielleicht ist dies auch die Situation, für die der UA 710 gebaut wurde – jeder Vorverstärkerverkäufer dieser Welt könnte dann mit wissendem Vorverstärkerverkäuferblick und wohlwollendem Vorverstärkerverkäufergrinsen mit der offenen, flachen Hand auf den TwinFinity weisen und die Lösung sämtlicher Probleme des Rat suchenden Kunden prophezeien.

UA_TwinFinity_710201-1013395 Bild


Doch man würde dem mit Begriffen wie “traditionsreich” geradezu überfrachteten Unternehmen von der West Coast Unrecht tun, wenn man ihm unterstellen würde, ein Gerät nur aus derart niedriger Berechnung zu erstellen. Das wäre schließlich auch ein Bruch mit den angesprochenen Traditionen, denn von UA ist man materielle und vor allem auditive Qualität gewohnt.

DETAILS

9,5 Zoll und zwei Höheneinheiten sind ein wahrlich feines Format: So ein Gerät lässt sich bequem neben Audiointerface und Klapprechner auf einem Schreibtisch unterbringen, mit den Rackadaptern aber auch in großen Tonstudios zwischen die Tube-Techs, Massenburgs und Neves einschrauben, ohne deplatziert zu wirken. Bei Bedarf nimmt das Adapterkit (Dieses ist übrigens im Lieferumfang! Daaaankee!) auch einen zweiten 710er auf. Wer sich sicher ist, das Ding immer auf dem Tisch stehen haben zu wollen, kann das (dann jedoch optional zu erwerbende) “Desktop Handle Kit” erwerben.

Optisch beherrschend sind die beiden großen Regler links und rechts auf der Frontplatte – ein klares Zitat aus der unternehmenseigenen Geschichte, denn etwa im 1176 wurden die beiden groß dimensionierten Räder schon verwendet. Der Aufgabenbereich ist so simpel wie wichtig: Links befindet sich das Gain, rechts das Level. Gain (mit bis zu +60 dB) befindet sich naturgemäß vor der Verstärkungsstufe und ist somit zur Regelung der “Heat” des Signals wichtig, Level regelt das Ausgangslevel. Eingangsseitig kann zwischen Line- (10kOhm) und Mikrofon-Input (2kOhm) gewählt werden, die sich jeweils als female XLR auf der Rückseite befinden. Weil sich je nach Installationsart der 710 in einem zugebauten Rack befindet, kann über einen kleinen Kippschalter unten links ausgewählt werden, was das Gerät denn nun verstärken darf. Gedenkt man, Signale zu verstärken, die hohe Eingangsimpedanzen benötigen, kann man das tun, indem man einfach ein Gitarren- oder Bass-Signal in die Buchse unten links steckt – die rückseitigen Anschlüsse sind damit automatisch deaktiviert.

Manche Mikrofone benötigen zum Betrieb bekanntlich eine Spannungsversorgung, die hier durch einen kleinen Switch aktiviert werden kann. Zwischen diesem und dem genannten Eingangswahlschalter befindet sich noch die Möglichkeit, hohe Pegel am Mikrofoneingang um 15 dB zu verringern. Rechts der Mitte befindet sich ebenfalls eine Troika an kleinen Schalterchen, namentlich eine Phaseninvertierung (im Signalfluß noch hinter dem Level-Regler), ein Hochpassfilter bei 75 Hz (hinter dem Gain) sowie die Umschaltung für das zentrale Meter. Im Output-Modus wird direkt hinter dem Level-Poti gemessen. Zeigt das hintergrundbeleuchtete Anzeigeinstrument 0 VU an, liegen +4 dBm am rückseitigen XLR-Line-Output an, der damit auch genannt wäre. Im Drive-Modus wird hinter Gain und HPF gemessen, so dass man genau bestimmen kann, wie heiss man die Verstärkung anfährt. 0 VU bedeuten dann 1,2 % THD bei 1 kHz.
Zwei Elemente fehlen noch, um die Frontplatte abzufrühstücken: Für die Stromzufuhr aus dem 100-240V/50-60Hz-Autoswitch-Netzteil befindet sich dort ein Power-Schalter, für dessen reines Vorhandensein man einmal dankbar sein muss, aber auch für die Ausführung – er wird horizontal statt wie alle anderen vertikal geschaltet. Das ist hervorragend, denn ich habe schon im Halbdunkel irgendwelche Geräte, die ich noch nicht haptisch verinnerlicht hatte, aus Versehen ausgeschaltet.

UA_TwinFinity_7102016-1013437 Bild

War da noch was? Ach ja, die Hauptsache: Mittig befindet sich der Wunderregler, der den Sound von Tube zu Transistor blenden kann. Im Linksanschlag erhält man ausschließlich den von der Solid-State-Stufe verstärkten Sound, im Rechtsanschlag jenen der Röhrenschaltung. Ein “Wunder” ist das natürlich nicht, denn im Signalweg sieht die Chose ganz einfach so aus, dass hinter Gain und HPF ein Split stattfindet. Das Signal wird also immer mit beiden Amps verstärkt und nachher wieder zusammengemischt – wobei der frontseitige Blendregler die Balance zwischen beiden bestimmt.
Das Signal, welches durch den 12AX7-Glaskolben geschickt wird, darf sich rühmen, von einer 310-Volt-Schaltung emporgehoben geworden zu sein, die im Class-A-Modus betrieben wird. Wie viele Verzerrungsprodukte dabei in der Triodenröhre entstehen, wird mit dem Gainregler bestimmt, es sind jedoch mindestens 0,1%. Weitaus gesitteter geht es auf der Parallelspur zu, denn dort wird mit der “Transimpedance”-Schaltung dafür gesorgt, dass das Signal detaillgetreu und blütenweiß übertragen wird. 20 Hz – 100 kHz bei ± 0,2 dBU Toleranz sprechen eine deutliche Sprache.
Das klingt ja alles schön und gut. Doch klingt das auch wirklich alles schön und gut?

Anzeige

PRAXIS

Erstaunlich leicht ist der TwinFinity! Mit weniger als 2,5 kg lässt sich das kleine Gehäuse von der Erde anziehen. Und dass das Gehäuseformat verdammt praktisch ist, schreibe ich an dieser Stelle nicht zum ersten Mal. Im Betrieb wurde mir schnell deutlich, dass die Frontplatte nicht nur nach ästhetischen Gesichtspunkten erstellt wurde – das übrigens sehr erfolgreich –, sondern auch nach ergonomischen – genauso erfolgreich. Allerdings wird es bei Schummerlicht etwas problematisch, Stellungen der kleinen Switches und insbesondere deren Beschriftung zu erkennen. Ich habe öfters mal die Augen zusammenkneifen müssen wie Bud Spencer. Nach kurzer Eingewöhnungsphase kennt man seine Geräte jedoch, also ist das kein Beinbruch. Doch ich blinzle nicht nur manchmal wie der italienische Haudrauf, sondern habe auch so ungefähr seine Hände, die bestimmt nicht die eines Pudelfrisörs sind – da sind die winzigen Switches doch manchmal etwas zu “lütt”. Beim Universal Audio ist also eine gewisse Diskrepanz in der Dimensionierung von Reglern zu Schaltern zu bemerken. Doch selbst mein geliebter Tube-Tech besitzt einerseits richtig fette Gain-Rasterschalter à la sowjetisches Kontrollzentrum und andererseits mikroskopisch kleine Schalterchen. Ich frage mich bei jeder Benutzung erneut, warum.

UA_TwinFinity_710209-1013440 Bild

Zum “Transen”-Modus geblendet, also ganz ohne Röhrensound, klingt der TwinFinity nicht so, wie man es von seinem Design erwarten würde: Kilometerweit vom üblichen “Vintage”-Verständnis entfernt, verstärkt er Signale sehr klar und deutlich. Dabei ist zwar sehr ausgewogen und neutral, aber im Gegensatz zu anderen hochwertigen Solid-State-Amps – im Test Lavry AD11 und DPA HMA5000/HTP4000 – etwas blasser und nicht so spritzig und agil. Ein wenig mehr Sparkle und das letzte Quentchen Geschwindigkeit würde ich mir für manche Signale schon wünschen, doch insgesamt hat man es hier mit einem äußerst cleanen und zurückhaltenden Mic Pre zu tun. Dass sich dieses ändert, wenn der Blend-Regler in Richtung Röhre bewegt wird, ist nachvollziehbar. Allerdings krempelt sich nicht in jedem Fall der Charakter des Geräts auf links, denn schon auf den ersten Blick hörbar ist das nur bei höhrern Gains. Schliesslich nehmen die Verzerrungsprodukte bei Tube-Amps meist sehr sachte, aber kontinuierlich mit dem Pegel zu. Die Solid-State-Schaltung bleibt über einen langen Weg des Gain-Potis fast unverändert, die Röhre kann man hingegen wie gewünscht in die Sättigung fahren. Es setzt bei immer sehr moderatem Rauschen zunehmend die typische Farbe ein, die besonders bei hochpegligeren Bestandteilen des Signals auffällt, zudem eine leichte Einengung der Dynamik. Anders als bei sonstigen “dreckigen” Röhrenamps kann man hier allerdings schön mit dem cleanen Pfad mischen. Ich sehe daher den TwinFinity eben nicht als Alleskönner, sondern eher als Spezialisten: Ich habe einmal in einer Session schon im Recording eine starke Röhrensättigung haben wollen, die dem cleanen und transientenreichen Signal leicht zugemischt ist – und dafür schlicht und einfach zwei Mikros aufgebaut, bei denen eines in einen ultraheiß gefahrenen Röhren- und das andere in einen kreuzbraven Solid-State-Amp gesteckt wurden. Dass sich beim TwinFinity quasi diese Möglichkeit in einer Kiste befindet, eröffnet durchaus neue Perspektiven.

Audio Samples
0:00
UA 710 Transistor UA 710 Transistor Low-Cut UA 710 Tube Tube-Tech MP1A Lavry AD11 UA 710 Tube mit RE20 Tube-Tech MP1A mit RE20

Ich habe es mir nicht nehmen lassen, es mit dem 710 auch mal so richtig fies krachen zu lassen und beim Gain ordentlich Kohlen in den Ofen geschoben. Doch noch bevor die Verzerrung überhand nimmt, beginnt der Klang, nervös zu werden, fast schon kratzig und beißend. Aber keine Angst: “Tin-Finity” (“Blechdosensound”) ist das deswegen auch nicht gleich. Nur etwas seidiger hätte ich mir das Signal schon gewünscht, doch gibt es glücklicherweise ja den besagten Regler in der Mitte der Frontplatte. Außerdem lässt sich bei Bedarf in Drive-Stellung mit dem Meter der Anteil der Verzerrungsprodukte schlicht und einfach ablesen. Ich persönlich verlasse mich dennoch lieber auf meiner Hörorgane. Diese zeichnen insgesamt ein Bild der Röhrenschaltung, das zufrieden macht, aber auch nicht übermäßig begeistert. Ich würde – um den typischen UA-Röhren-Mic-Pre-Sound zu erhalten, immer noch zum 610er greifen wollen – für einen sehr attraktiven Preis ist da ja dann gleich ein T4-Kompressor mit an Bord. Wenn man “amerikanischen” Röhrensound hinbekommen möchte, ist das einfach ein phantastisches Werkzeug. Aus den Audiobeispielen hier wird auch deutlich, dass der zum Vergleich herangezogene Tube-Tech MP 1A deutlich eleganter, feingeistiger und freundlicher klingt – dafür aber eben nicht so “fat bastard”-mäßig.

Audio Samples
0:00
710 Hot

Der Universal Audio TwinFinity 710 ist zweifelsohne ein hervorragendes Gerät, welches auch ohne Solid-State-Signalpfad für diesen Preis ein vernünftiger Mikrofonvorverstärker wäre. Sicher ist auch die Möglichkeit des Blendings angenehm, doch könnte man theoretisch mit einem Mikrofonsplitter (teuer!) und zwei Preamps genau das gleiche hinbekommen – wenn es denn wirklich notwendig erscheint. Dass so etwas selten benutzt wird, kann nun einerseits bedeuten, dass es nicht so dringend notwendig wäre (das entspricht dann auch meiner Sichtweise), oder dass es vielen Usern bislang zu kompliziert wäre. Ich würde weiterhin dazu raten, einen vernünftigen Solid-State- und einen Röhrenpreamp auszusuchen, oder – bei kleinen Setups, “jungen” Studios oder Recordingplätzen – erst einmal ein zweites Mikrofon mit vom ersten deutlich abweichenden Charakter anzuschaffen. Mit der 610-Serie gibt es bei Universal Audio Röhrenmikrofonvorverstärker, die ich dem 710 definitiv vorziehen würde (Der 610 Solo kostet nur 200 Euro mehr!), auch wenn dieser nicht die Möglichkeiten des 710 bietet. Wer jedoch die besondere Funktionalität des TwinFinity nutzen möchte, erhält mit dem kleinen Gerät seine Traumkiste – obendrein zum moderaten Preis.

Anzeige

FAZIT

Der Herr Vorverstärkerverkäufer wird höchstwahrscheinlich kommunizieren, dass der Universal Audio 710 TwinFinity ein absolut lohnenswertes Gerät ist. Ob das tatsächlich zutrifft, wird er allerdings kaum einschätzen können – das kann man schlussendlich nur selbst beantworten. Ich persönlich halte den Gewinn, denn man durch die Möglichkeit des Blendings hat, zwar für ganz nett, aber insgesamt doch verzichtbar. Statt zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu wollen, ist man oft besser beraten, ein “No Frills”-Gerät in dieser Preisklasse anzuschaffen. Dennoch kauft man mit dem UA 710 ein professionelles Stück Tontechnik mit ordentlichem Sound und guter Ausstattung zu einem äußerst fairen Kurs.

Pro
  • Röhren- und Transistoramp überblendbar
  • kompakte, praktische Bauform
  • Preis
Contra
  • Röhrensound bei höherem Gain etwas kratzig
UA_TwinFinity_7102012-1013443 Bild
Technische Spezifikationen
  • Mikrofon-, Line- und Instrumentenpreamp mit Transistor- und Röhrenschaltung
  • Anteile der Verstärkungswege frei wählbar
  • Phantomspeisung
  • Lowcut (75 Hz)
  • Phaseninvertierung
  • 15 dB Pad
  • umschaltbares VU-Meter
  • Frequenzgang: 20 Hz – 200 kHz (± 0,2 dB)
  • eingebautes Netzteil
  • 9,5″ / 1 HE
  • Preis: € 976,- (UVP)
Unser Fazit:
4 / 5
Pro
  • Röhren- und Transistoramp überblendbar
  • kompakte, praktische Bauform
  • Preis
Contra
  • Röhrensound bei höherem Gain etwas kratzig
Artikelbild
Universal Audio TwinFinity 710 Test
Für 899,00€ bei
Hot or Not
?
UA_TwinFinity_710-1 Bild

Wie heiß findest Du dieses Produkt?

Kommentieren
Schreibe den ersten Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Bonedo YouTube
  • Your wireless studio with the AIAIAI TMA-2 headphone
  • Headrush VX-5 AutoTune Pedal – Demo ( no talking, just singing)
  • How to Get Legendary U47 Audio Quality Without Spending $10,000 on a #microphone