Neumann TLM 170 R Test

Praxis

Eines für alle?

Mit seiner Grundausrichtung als Arbeitspferd ist das Neumann TLM 170 R tatsächlich eine sehr gute Besetzung. Die Neutralität ist sprichwörtlich, es wirkt unaufgeregt und irgendwie – das ist jetzt gar nicht negativ gemeint – „beamtig“. Müsste ich ein einzelnes Adjektiv finden, das den Klang treffend umschreibt, würde ich wahrscheinlich „dokumentarisch“ wählen. Es beschönigt nicht, indem es ordentlich Harmonische hinzufügt oder dynamisch stark eingreift. Sicher, ich kenne Mikros mit spritzigeren, schnelleren Transienten, doch das sind meist Kleinmembraner. 

Macht der Raute alle Ehre: Neumann TLM 170 R
Macht der Raute alle Ehre: Neumann TLM 170 R

Erstaunlich, dass das Neumann TLM 170 R über den gesamten Pegelbereich eigentlich identische Eigenschaften besitzt. Ob hohe oder geringe Pegel, das Klangbild bleibt immer annähernd gleich. Damit und mit den klassischen Eigenschaften der resultierenden Richtcharakteristiken, entsteht etwas, das im professionellen Betrieb eine höhere Relevanz bekommen kann als das letzte audiophile Quäntchen Auflösung oder eine feinsämige Reibung eines Übertragers: Voraussagbarkeit! Es lässt sich bei unterschiedlichsten Klangquellen verlässlich voraussagen, wie das Neumann klingen wird. Ein hoher Pegel sorgt nicht sofort für zu viele Harmonische und dadurch für Klangfarbenänderung, ein zu geringer macht ebenfalls nicht Kopfzerbrechen, denn das Eigenrauschen ist gemessen an den anderen technischen Parametern hervorragend gering und klingt fein und unaufdringlich. Zwar zeigen die Frequenzgraphen durchaus Unterschiede im Verlauf bei den verschiedenen Richtcharakteristiken, in der Praxis ist der Unterschied sehr gering, wodurch die Entscheidung für ein Pattern stärker von der Lage der Off Axis und der Richtwirkung getrieben werden kann als von klanglichen Aspekten. Generell gilt beim TLM 170 R: Bewegt sich die Schallquelle aus der Hauptachse heraus, nehmen schlichtweg die Höhen langsam und kontinuierlich ab. Man kann also verstehen, dass es Engineers gibt, die auf die Frage nach ihrem „Desert Island Microphone“ grinsend mit „Hundertsiebzig“ antworten. 

Audio Samples
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TLM 170 R, 10 cm, Niere TLM 170 R, 10 cm, Niere, Hochpassfilter TLM 170 R, 10 cm, Niere, 45 Grad TLM 170 R, 30 cm, Niere TLM 170 R, 70 cm, Niere TLM 170 R, 10 cm, Acht TLM 170 R, 10 cm, Kugel U 89, 30 cm, Niere Aston Spirit, 30 cm, Niere Aston Spirit, 30 cm, Kugel Aston Spirit, 30 cm, Acht

Besonders popp- und trittschallempfindlich zeigt sich das Mikrofon nicht, die Verbassung durch den Nahbesprechungseffekt ist moderat und nimmt kontinuierlich mit kleiner werdendem Abstand ab. Eine leicht seitliche Besprechung hilft sehr gut zur Unterdrückung, auch die Tiefensperre arbeitet sauber. Ist ein höherer Vordämpfungswert als um 10 Dezibel eher unnötig, wäre eine höher angesetzte zweite schaltbare Grenzfrequenz durchaus kein Beinbruch gewesen.

Das flexible Mikrofon von Neumann wird bei vielen Produktionen nicht lange in der Aufbewahrungsbox bleiben.
Das flexible Mikrofon von Neumann wird bei vielen Produktionen nicht lange in der Aufbewahrungsbox bleiben.

Bliebe ein Blick auf die Preisgestaltung. Sicher, das Mikrofon ist gut ausgestattet, sicher, es ist gut gefertigt, sicher, es ist technisch und klanglich sehr gut, sicher, da ist diese Raute auf der Vorderseite. Würde das TLM 170 R gut tausend Euro weniger kosten, könnte man es als hervorragenden Standard für alle Recording-Lebenslagen durchaus empfehlen. Bedenkt man aber, dass es umschaltbare Großmembran-Kondensatormikrofone für gut tausend Euro gibt (und ich meine: von Neumann!), dann muss man leider festhalten, dass sich das Unternehmen besonders seine verbreiteten und geliebten Klassiker sehr gut bezahlen lässt, obwohl die Stückzahlen nicht gerade verschwindend gering sein werden. 

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