Electro-Voice RE320 Test

Im Gegensatz zum hier getesteten RE320 (rechts im Bild) muss das beige-graue RE20 wohl kaum vorgestellt werden. Fast jedem, der viel mit Mikrofonen zu hat, ist dieses „Ungetüm“ zumindest bekannt. Falls das anders sein sollte, empfehle ich wärmstens die Lektüre des entsprechenden Tests hier auf bonedo.de (weiter unten auswählbar). Ich arbeite viel und gerne mit dem RE20. Umso interessierter war ich, als ich auf einer Pressekonferenz in Straubing im letzten Jahr erfahren habe, dass die Familie der RE-Mikrofone fortan nicht mehr aus RE20 und RE27N/D bestehen wird, sondern auch ein weiterer Spross unterwegs ist.

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Das Electro-Voice RE320 hat zwar eine deutlich höhere Zahl in der Produktbezeichnung als das 20 und das 27, doch mit dem Preis verhält es sich genau andersherum: Mit unter 400 Euro (UVP) ist es deutlich preiswerter als die anderen beiden. Stöbert man durch die Webseite des Herstellers, erkennt man, dass dort das RE320 unter den Live-Mikros zu finden ist, während 20 und 27N/D als “Broadcast Announcer”-Mikros geführt werden. Dass man auf derartige Kategorisierungen nicht allzu viel geben sollte, ist jedoch sicher geläufig.

DETAILS

Na klar: Wenn ein neues Produkt eines Herstellers einem älteren ähnelt, verändert man möglichst ein wenig die Optik. Dies dient nicht nur der Unterscheidbarkeit, sondern ist gleichzeitig auch das deutliche Signal “Ich bin neu!”. So, das 320 ist also neu. Das scheint funktioniert zu haben – zwischen zahmem Grau-Beige und sattem Schwarz ist nun eben doch ein gewaltiger Unterschied. Das RE320 ist zwar ungefähr 50 Gramm leichter als ein RE20, doch der Body ist weiterhin aus solidem Stahlblech gefertigt und hat die exakt gleichen Maße. Auch bezüglich der Ausstattung sieht es nicht wirklich nach Rotstift aus, denn es kommen sowohl die Variable-D-Technik zum Einsatz, die der Unterdrückung des Nahbesprechungseffektes dient, als auch die Brummkompensationsspule (“Humbucker”). Der Topfmagnet, welcher die Tauchspule aufnimmt, verwendet die mittlerweile teuer gewordene, seltene Erde Neodym. Der stolze Hinweis “Made in U.S.A.”, der samt dem Herkunftsort Brunsville, Minnesota die Banderole des RE20 schmückt, ist beim RE320 nicht vorhanden. Der Platz dafür bleibt frei, anderslautende Herkunftsbezeichnungen sind beim RE320 “nicht besonders prominent aufgeführt”, um es einmal feinfühlig zu umschreiben.

Die Druckgradientenempfänger-Kapsel bewirkt durch rückseitige Schallführung die Richtcharakteristik Niere, welche nicht verändert werden kann. Der Blick in die Polardiagramme offenbart keine wirklichen Sensationen, natürlich wird die Richtwirkung zu tieferen Frequenzen hin etwas geringer, zu hohen Frequenzen hin prinzipbedingt höher und ungleichmäßiger. Die Besonderheit dieses Electro-Voice-Mikros liegt wie auch bei der RE-Verwandtschaft darin, dass dank des Variable-D-Prinzips, welches vor allem für die durchaus beachtliche Größe des Korpus und die auffälligen seitlichen Schalleintrittsöffnungen verantwortlich ist, der Nahbesprechungseffekt sehr stark reduziert wird. Zwar ist die Bassanhebung, die dieser Effekt bewirkt, oft durchaus gewollt, doch wird es besonders bei bewegten Schallquellen zum Problem, dass sich die Klangfarbe ändert.
Der Frequenzgang des dynamischen Schallwandlers ist zwischen 300 Hz und 2 kHz recht linear, oberhalb findet sich eine nicht untypische Überhöhung sowie das Resultat einer durch die aufgeklebte Schwingspule doch recht großen Membranmasse: ein Höhenabfall, der sich besonders ab 15 kHz bemerkbar macht. Unterhalb von etwa 200 Hz kann man eine kleine „Beule“ ausfindig machen, also im Grundtonbereich der meisten menschlichen Stimmen. Vergleicht man die Frequenzgänge von RE20 und RE320, stellt man fest, dass es vor allem zwischen 1 und 10 kHz durchaus Unterschiede gibt – allerdings keine signifikanten. Wesentlichere Unterschiede findet man vor allem hier:
Am rückseitigen XLR-Anschluss des Tauchspulenmikrofons findet man beim RE320 wie beim RE20 einen Wahlschalter. Am Mikrofon mit dem schwarzen Gehäuse handelt es sich jedoch nicht um ein Hochpassfilter, sondern um einen Frequenzgang-Wahlschalter, mit dem zwischen linearem Betrieb (“generic curve”) und Bassdrum-Optimierung (“kick curve”) gewählt werden kann. Dieser häufig genutzten Anwendung des RE20 wird also beim 320 eine eigene Frequenzgangkorrektur gewidmet! Wer jetzt brutale Boosts erwartet, kennt EV schlecht: In erster Linie ist es eine sanfte Kuhle bei 300 Hz, also dort, wo das “Holz” im Bassdrumsound schnell nervt. Diese Kuhle ist es auch, die den Frequenzgang beim Wahlschalter-Icon darstellt. Der leichte Support im Bereich der Stimmenbasis wandert ein Stückchen nach unten, um den Druck auf die Magenwände des Zuhörers zu gewährleisten. Weil eine ordentliche Bassdrum ja quasi ein Simultanschlag mit der geballten Faust in den Bauch und eine ordentlich klatschende Ohrfeige mit der flachen Hand sein sollte, ist der Attack ebenfalls unterstützt – mit einem Peak bei etwa 4 und einem bei 11 kHz. Das AKG D112 lässt grüßen.

Einen weiteren Unterschied kann man ausmachen, wenn man die beiden Datenblätter von RE20 und RE320 miteinander vergleicht oder einfach beide Mikros an einen Stereoamp anschließt, identisch zur Schallquelle positioniert, Gain gleich einstellt und auf die Pegelanzeige schaut: Das schwarze 320 hat mit 2,5 mV/Pa eine um 1 mV höhere Empfindlichkeit als das Geschwisterchen.

PRAXIS

Die erste Aufgabe des Electro-Voice RE320 im Studio ist die Aufzeichnung der menschlichen Stimme, was ich auch direkt mit R’n’B-Sänger Chul-Min Yoo ausprobieren konnte. Wie ich es von meinem Mikrofon der gleichen Bauform – dem RE20 – gewohnt bin, zeigt sich auch der schwarze Schallwandler für ein dynamisches Mikro recht schnell und sogar äußerst transparent. Horcht man ein wenig in den Sound hinein und vergleicht man es mit der beige-grauen Verwandtschaft, fällt auf, dass der Klang sogar durchaus höhenreicher wirkt und eine verblüffende Nähe zu Großmembran-Kondensern aufweist.

Nachteilig finde ich jedoch, dass die Stimme im Präsenzbereich etwas kratziger, reibender und hauchiger klingt, was besonders der klaren Stimme im Beispiel nicht gerade zuträglich ist. Die Natürlichkeit, mit der das RE20 S- und T-Laute überträgt, kann das RE320 nicht in diesem Umfang liefern. Ich muss unweigerlich an den immer etwas resonierend-schleifenden Charakter eines Sennheiser MD 421 denken, wenngleich diese Eigenschaft beim 421 wesentlich ausgeprägter ist. Doch wenn man RE320 und RE20 häufiger im Vergleich hört, wirkt das hellere Mikrofon (RE20) etwas runder, ausgewogener, unaufgeregter und bodenständiger als das RE320. Eine interessante Variation des Sounds gibt der Bassdrum-Modus. Denn nur weil er so heißt, ist es schließlich nicht verboten, ihn auch bei anderen Signalen zu verwenden, gell?

Audio Samples
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RE320 an Lavry AD11, generic Mode, 10 cm RE20 an Lavry AD11, ohne Filter, 10 cm RE320 an Lavry AD11, Kick Mode, 10 cm RE20 an Lavry AD11, HPF, 10 cm RE320 an Tube-Tech MP1A, generic Mode, 10 cm RE20 an Tube-Tech MP1A, ohne Filter, 10 cm RE320 an Tube-Tech MP1A, generic Mode, 30 cm RE20 an Tube-Tech MP1A, ohne Filter, 30 cm

Es ist wirklich praktisch, eine schaltbare Bassdrum-Optimierung zu haben, besonders, wenn man wirklich eine „große Trommel“ mikrofonieren will. Denn ganz unter uns: Es ist schon ungemein praktisch, einen Schalter zu bedienen, das Mikro in die Bass zu hängen und einen nutzbaren Sound zu bekommen. Live ist manchmal einfach nicht viel Zeit, mit dem EQ und womöglich noch umfangreicher Positionierungsarbeit einen optimalen Sound zu erhalten: Nächste Band, Line-Check, los! Ich muss nicht verheimlichen, dass ich im Prinzip lieber ausreichend viel Kontrolle über mein Signal habe und schnell genervt bin, wenn mir das Mikrofon vorlaut in die Arbeit hineinredet. Schön ist deswegen, hier bei Bedarf einfach schalten zu können! Im Übrigen sorgt das auch für eine weitaus höhere Flexibilität des Werkzeugs als bei reinen Bassdrum-Mikros. Ein RE20 beispielsweise klingt auch hervorragend an Blech und Holz, an anderen Trommeln, mit Sprache, Gesang und  an Verstärkern. Das ist beim RE320 nicht anders. Natürlich muss man zugunsten der Frequenzgangänderung auf das Hochpassfilter verzichten, doch ist das im Zweifel auch am Preamp einstellbar. Eine Kombination beider wäre natürlich ideal, denn etwa am Gitarrenamp möchte man vielleicht nur den Präsenzboost mitnehmen.

Audio Samples
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RE320 Bassdrum, erst Generic Mode, dann Kick Mode RE20 Bassdrum, erst ohne dann mit HPF

Das Ergebnis des schwarzen Rüssels in der Großen Trommel ist tatsächlich ein dicker Bassdrumsound mit patschigem und sehr durchsetzungsfähigem, aber immer kontrolliertem Attack. Doch auch hier ist es meist ratsam, in den Tiefen etwas anzuheben – da tut es zur Not auch ein simpler Low-Shelf-EQ. Im Vergleich zum weicheren RE20 klingt das RE320 an der Bassdrum weitaus moderner. Wofür man sich letztlich entscheidet, ist dabei natürlich Geschmackssache.

FAZIT

Keine Frage: Electro-Voice hat mit dem RE320 ein Tauchspulenmikrofon auf den Markt gebracht, dessen optische Ähnlichkeit mit dem berühmten RE20 gerechtfertigt ist. Hier handelt es sich nicht um die Ausnutzung eines Zugpferdes im Programm, um irgendwelche halbgaren Lösungen als legitime Nachfolger einer Legende zu verkaufen: Das 320 ist ein grandioses Mikrofon, welches tatsächlich eine stimmige Erweiterung zum 20er darstellt. Es ruht weniger in sich selbst und ist ein wenig aufgekratzter als das RE20, aber so sind die jüngeren nun einmal. Der geneigte Tontechniker kann nun auswählen, welche Funktionen und klanglichen Eigenschaften ihm wichtiger sind – die des 20 oder die des 320. Allerdings sollten die Unterschiede der beiden von den Amerikanern etwas besser kommuniziert werden, wie ich finde.

Pro
  • robust
  • Bassdrum-Pre-Shape
  • gute Auflösung
  • geringer Nahbesprechungseffekt
  • flexibel einsetzbar
  • unempfindlich gegen Brummen
  • preiswerter als RE20 und RE27N/D
Contra
  • etwas kratzige Hochmitten
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Technische Spezifikationen
  • Empfängerprinzip: Druckgradientenempfänger (mit Laufzeitglied, fast ohne Nahbesprechungseffekt)
  • Richtcharakteristik: Niere
  • Wandlerprinzip: dynamisch (Tauchspule)
  • Frequenzgang: 45 Hz (ca. -5 dB) – 18 kHz (ca. -5 dB)
  • Übertragungsfaktor: 2,5 mV/Pa
  • Schaltfunktion: Veränderung des Frequenzgangs zur Bassdrum-Optimierung
  • Ausgang: XLR male
  • Preis: € 391,55 (UVP)
Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
  • robust
  • Bassdrum-Pre-Shape
  • gute Auflösung
  • geringer Nahbesprechungseffekt
  • flexibel einsetzbar
  • unempfindlich gegen Brummen
  • preiswerter als RE20 und RE27N/D
Contra
  • etwas kratzige Hochmitten
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Electro-Voice RE320 Test
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Bonedoleser sagt:

#1 - 25.07.2012 um 08:29 Uhr

0

Hallo Nick,
das RE20 wird ja auch ganz gerne zur abnahme von Amps, sowohl Gitarre als auch zB an einer 8x10 Bassbox, eingesetzt.
Eignet sich da das RE320 deiner Meinung nach gleichermaßen?

Profilbild von Hel

Hel sagt:

#2 - 25.07.2012 um 15:56 Uhr

0

Klar, siehe dazu auch EV's homepage...ideal for capturing the critical details of voice, amplified, and acoustic instruments. Bereits selbst ausprobiert und für sehr gut empfunden.

Profilbild von Nick

Nick sagt:

#3 - 25.07.2012 um 23:12 Uhr

0

Hallo "Bonedoleser",ich kann mich "Hel" und EV anschließen. Natürlich ist die Frage nach der Eignung von vielen Faktoren (vor allem der Soundvorstellung) abhängig, aber verkehrt ist auch das RE320 sicher nicht. Die Charakterunterschiede, die bei der Stimme deutlich geworden sind, lassen sich auch auf andere Schallquellen übertragen.Beste Grüße,
Nick

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