Vintage-Equipment kaufen: Ja oder Nein?

„Was spricht für den Kauf von Vintage-Audio-Equipment und was dagegen?“ – Hübsche Frage. Und interessant.

VIntage ja oder nein
Inhalte
  1. Preis
  2. Klang
  3. Zuverlässigkeit
  4. Maintenance
  5. Außenwirkung
  6. Fazit

Ich könnte euch allen natürlich gerne den Gefallen tun und jetzt eine handliche Liste servieren. „10 Gründe, die für die Anschaffung von Vintage-Equipment sprechen und 10 dagegen“ oder so. Wäre machbar, will ich aber nicht. Denn eigentlich wäre es nämlich ein bisschen gelogen. Das fängt schon beim auffälligsten Merkmal an, dem Preis für alte Recording-Technik.

Vintage-Equipment: Preis

Ein recht einfacher Vintage-Röhrenkompressor kann locker so viel kosten kann wie andernorts ein vollausgestattetes Tonstudio. Zunächst einmal ist es angesichts dieser Tatsache scheinbar naheliegend zu sagen: Klar, das ist ein Nachteil. Zu teuer, unwahrscheinlich, dass sich das lohnt. Andererseits ist es ziemlich sicher, dass eben genau dieser Kompressor in einigen Jahren im Wert gestiegen sein wird, also ist das Geld nicht ganz so verloren, wie es scheint. Ich könnte viele Jahre mit meinem Vintage-Boliden arbeiten und bekomme unter Umständen am Ende sogar mehr Geld raus, als ich anfangs investiert habe. Unterm Strich ist das dann nicht teuer, sondern ganz schön günstig. Wenn man das richtige Zeug kauft.
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Viel Geld ausgeben und clever investieren geht manchmal Hand in Hand.
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Klang von altem Audio-Equipment

Auch hier ist es nicht ganz einfach, wie es anfangs wirken mag. Zwar kann ich persönlich bestätigen, dass moderne Nachbauten ausnahmslos den Sound verfehlen, den ein Original bieten kann, wenn es in gutem Zustand ist. Das gilt meiner Erfahrung nach auch für Plug-ins, aber nicht selten kommt ein Plug-in dem Original näher als eine „von XY inspirierte“ analoge Schaltung. Ob das Original nun aber deswegen nötig ist, ist eine andere Frage. Wir alle kennen die Geschichte vom Vanille-Aroma. Gibt man einer Reihe von Testpersonen im Blindtest echte Vanille und synthetisches Vanillin, finden die meisten das künstliche Aroma authentischer. Warum? Weil sie damit vertraut sind. Bei der Simulation eines Studioklassikers ist es nicht anders. Wenn bei den meisten Produktionen, die ich in meinem Leben gehört habe, auf der Stimme eine Kette von klassischen Plug-ins liegt, dann ist dies das künstliche Vanillin, mit dem ich aufgewachsen bin. Da spielt es unter Umständen keine so große Rolle, ob eine echte analoge Kette besser klingt. Denn das tut sie. Dazu ein Beispiel aus meinem Studio: Neulich bat mich jemand um eine kleine Einführung ins Vocal-Mixing und ich fing mit der klassischen Kette aus 1176 und LA2A an, mit Plug-ins. Wow. Klingt ganz schön super, dachten wir und ich fing kurz an, zu befürchten, dass ich meine analogen Schätzchen vergebens gekauft habe. Ich besitze nun vergleichsweise harmlose Exemplare dieser beiden Klassiker, der Blackface-Urei ist nicht die berühmte Revision E, sondern F und mein LA2A ist nicht aus den Sechzigern sondern eines der letzten Originale, die noch in den Achtzigern gebaut wurden. Natürlich schlossen wir die beiden trotzdem im Vergleich an und waren dann doch ganz schön baff: größer klang es, detaillierter, präsenter und angenehmer zugleich. Aber, wie gesagt: Die Plug-ins hatten mich auch schon überzeugt. Ein anderes Thema ist der Geräuschspannungsabstand: Ich bin es gewohnt, mit einem Haufen uralter Köstlichkeiten zu hantieren und habe damit schon viele gute Ergebnisse erzielt. Allerdings habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, keine Aufträge anzunehmen, bei denen es auf annäherungsweise Stille zwischen den Ereignissen ankommt. Sprachaufnahmen oder die Aufnahme eines leisen Werkes für klassische Gitarre wären da Beispiele. Im Klartext: Das alte Zeug rauscht nach modernen Maßstäben wie ein Wasserfall. Es ist also kein absoluter Wert, aber immerhin ein knapper Punktsieg für Team Vintage.
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Originaler LA-2A, allerdings aus den Achtzigern
Originaler LA-2A, allerdings aus den Achtzigern

Alte Audiogeräte: Zuverlässigkeit

Okay, da haben wir eine halbwegs klare Situation. Zwar wurden die meisten Studioklassiker aus vergangen Epochen nicht wie heutiges Zeug mit dem Blick auf die Kosten gebaut, sondern mit der Maßgabe, dass die Teile viele Jahrzehnte halten sollten. Mit derlei Funktechnik wurden vor 80 Jahren noch Kriege entschieden, da hat man sich nicht lumpen lassen. Also ist ein Stück Rundfunktechnik aus den Fünfzigern schon mal grundsätzlich wesentlich robuster konzipiert als alles, was heutzutage Fabriken verlässt. Aber eben auch sehr alt. Zuverlässig sind die Dinger mehr oder weniger, aber eigentlich nie zu hundert Prozent. Röhren sind Verschleißteile und waren zu keiner Zeit für die Ewigkeit gedacht. Germanium, um ein anderes Beispiel zu nennen, klingt bei jeder Temperatur anders.Nun ist es natürlich auch hier nicht so einfach, wie es zunächst scheint. Modernes Equipment wird grundsätzlich mit Blick auf die Kosten entworfen und gebaut. Da kann es durchaus vorkommen, dass die erste Reparatur schon sehr bald fällig ist oder ein Gerät von Geburt an alle Nase lang zum Service muss. Und was Plug-ins betrifft, nun ja. Ich kenne recht viele Beispiele für Lieblings-Plug-ins, die den Umstieg auf ein neues Betriebssystem nicht überlebt haben oder einfach nur nach einem Update anders heißen, was zur Folge hat, dass alte Projekte sie nicht mehr öffnen. Unterm Strich lässt sich aber schon sagen, dass neuwertige Technik, wenn sie denn funktioniert, wesentlich verlässlichere Resultate liefert als der alte Scheiß, der mitunter alle paar Minuten den Charakter ändert. Der Satz geht also an das Team Modern.

Die beste Technik bringt nichts, wenn sie nicht funktioniert.

Maintenance: Service und Reparatur von Vintage-Audio-Equipment

Wer schon einmal nach einer Hiller-Röhre für eine BV30A aus den Dreißigerjahren gesucht hat, weiß, wie schnell Vintage zu einer Sackgasse werden kann. Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, muss ich allerdings anmerken, dass auch hier der Teufel im Detail steckt. Zwar sind Ersatzteile für die ganz alten Schätzchen durchaus manchmal kaum mehr zu bekommen, andererseits kann man in fast allen Fällen davon ausgehen, dass es am Ende doch irgendwie eine Möglichkeit gibt, die Teile zu reparieren. Besagte Hiller-Röhre lässt sich mit einer leichten Modifikation der Schaltung auch durch eine AC701 ersetzen, die zwar selten und absurd teuer, aber noch zu bekommen ist. Modernes Equipment dagegen ist nicht selten von Grund auf so konzipiert, dass es nicht repariert, sondern weggeworfen wird. Und spezialisierte Ersatzteile sind in der Regel leider bei Weitem nicht so lange erhältlich, wie es wünschenswert wäre. Es kann vorkommen, dass ein unscheinbarer Chip schon nach einigen Jahren schwerer zu bekommen ist als eine Röhre, die seit einem halben Jahrhundert nicht mehr gebaut wird.
Ein anderes Thema sind freilich die Fachleute. Hier ist es meist leichter, jemanden zu finden, der deine Boutique-Modülchen zusammenflickt, als einen lebenden Techniker aufzutreiben, der noch T9-Maschinen gewartet hat. Da haben natürlich die Plug-ins die Nase vorn, weil sie nun mal nicht repariert oder gewartet werden müssen. Halber Punkt also für Team Modern, wegen der Plug-ins.
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Kalibrieren, Einstellen, Reparieren… es kann eine Menge Arbeit anfallen, allerdings ist alte Technik oft enorm robust.
Kalibrieren, Einstellen, Reparieren… es kann eine Menge Arbeit anfallen, allerdings ist alte Technik oft enorm robust.

Vintage Audio: Außenwirkung

Schon wieder so ein zweischneidiges Schwert. Man sollte annehmen, dass ein Schrank voll mit Kostbarkeiten aus Omas Zeit immer ganz schön was hermacht. Allerdings sind die Leute, die entscheiden, welches Tonstudio gebucht wird, recht selten in der Lage, den praktischen Wert alter Technik richtig einzuschätzen. Es ist meiner Erfahrung nach nicht schwer, einem Studio einen Vintage-Ruf zu verleihen, indem ein paar kaputte Bandmaschinen dekorativ herumstehen, während die eigentlichen Produktionen dann doch komplett digital zurechtgezimmert werden. Das ist natürlich wesentlich preiswerter als der wahre Gral und ein paar meiner Kollegen sind damit recht erfolgreich. Außerdem gibt es ja nicht die eine gültige gute Außenwirkung. Wenn ich möchte, dass mein Studio modern wirkt, kann es ratsam sein, sich eher auf ein stilvolles Raumdesign und ein paar repräsentative Monitore zu konzentrieren als auf einen wirren Haufen rostiger Kisten und Steckfelder.

"Schindet Eindruck?" Schon, aber nicht bei allen Kunden.
“Schindet Eindruck?” Schon, aber nicht bei allen Kunden.

Fazit

Also, ein Fazit ist das nur halb, weil es nur teilweise eine Zusammenfassung der bisherigen Punkte darstellt. Wir haben gesehen, dass sich sowohl bei den Punkten Preis, Klang, Zuverlässigkeit und Außenwirkung nichts ganz Eindeutiges sagen lässt. Der Preis von Vintage-Geräten ist hoch, der Wiederverkaufswert aber auch. Der Klang von alter Technik ist unnachahmlich, aber nicht zwingend notwendig. Die Zuverlässigkeit alter Schätzchen ist häufig zwar bauartbedingt hoch, aber altersbedingt schwach, während moderne Schaltungen zwar eben neu, aber von vornherein weniger robust sind. Lediglich beim Punkt Maintenance gibt es (allerdings nur in der Sparte Plug-ins) einen klaren Sieger: Das Plug-in braucht sie nicht. Insgesamt lässt sich die Frage viel besser beurteilen, wenn ich um die näheren Umstände weiß. Wer will, dass Produktionen offen, groß, präsent und warm klingen, in der Lage ist, das nötige Geld in Anschaffung und Reparatur zu stecken und wessen Kundschaft das auch nachfragt, kommt an der echten Vintage Technik nicht vorbei. Und es tut mir leid, ich muss hier allen widersprechen, die sagen, das ließe sich heutzutage ersetzen. Nein. Das lässt sich nicht ersetzen. Mit nichts.Aber: Das muss auch nicht unbedingt sein. Für Produktionen, die hochwertig, klar und modern klingen, brauche ich das ganze Tamtam nicht. Ich bekomme viele Vorteile, wenn ich auf Vintagetechnik verzichte. Einen deutlich besseren Rauschabstand zum Beispiel, oder auch Total Recall.
Aber die eigentliche Moral von der Geschicht‘ lautet noch ein bisschen anders: Der vielbeschworene Unterschied zwischen digital und analog ist ja ganz allgemein überbewertet. Gute Algorithmen klingen schon seit langer Zeit um Lichtjahre besser als mittelmäßige Analogschaltungen. Wenn wir die Frage nur ein bisschen anders stellen, kann ich eine recht hilfreiche Antwort geben. Die Frage könnte nämlich lauten: Welche Art von Vintage-Technik bringt wirklich einen Vorteil gegenüber welcher Form von modernem Equipment? Da ist meine Einschätzung klar und ja, es ist eine subjektive Einschätzung: Halbe Sparsamkeit lohnt sich nicht. Man kann mit Digitaltechnik hervorragende Ergebnisse erzielen, die fast nichts kosten. Das Niveau, das meiner Einschätzung nach mit ein paar guten Plug-ins erzielt werden kann, ist so hoch, dass es sich klanglich selten lohnt, einen billigen Klon von irgendwas anzuschaffen, also abgesehen davon, dass die Knöpfe sich besser anfassen als die eines Plug-ins. Und es gibt natürlich Ausnahmen – in der Regel sind alte Geräte nur dann unnachahmlich, wenn sie Bauteile wie etwa Übertrager aufweisen, die mit zunehmendem Alter besser klingen. Das für die Nerds. Aber als Grundregel möchte ich dennoch klipp und klar feststellen: Wenn man will, dass es wirklich besser wird als in the box: Get the real shit. Ja, das ist teuer. Aber es ist, im Gegensatz zu der Anschaffung irgendeines Nachbaus, ganz sicher kein rausgeworfenes Geld.

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