Universal Audio 175B & 176 Tube Compressor Collection Test


Es ist schon erstaunlich, das Universal Audio so lange mit der Veröffentlichung der Plugin-Versionen der 1960 erschienenen 175B und 176 für UAD-2 gewartet hat. Beide Röhrenkompressoren sind fest mit den Anfängen der Firma und natürlich Bill Putnam verknüpft, sind sogar die Vorläufer des transistorisierten 1176, dem wohl berühmtesten Kompressor aller Zeiten. Ob sich das Warten gelohnt hat?

Details

Vorgeplänkel

Mit dem 9.10er Update erhält die UAD-2 Plattform von Universal Audio 10 neue Mikrofontypen für das Townsend Mic sowie auch ein paar zusätzliche Features für die Mixing-Console der Interfaces (DSP-Kopplung für länger Plugin-Ketten und mehr Fader-Gain). Es gibt natürlich auch neue Plugins, wobei sich das Release mit nur einem Titel relativ spärlich zeigt. „175B & 176 Tube Compressor Collection“ heißt es jedenfalls und ist mal wieder für 299 USD zu haben.

Fotostrecke: 2 Bilder Sieht gammelig aus und riecht bestimmt auch so u2013 klingt aber geil: Universal Audio 175B und 176!

Vari-Mu at it‘s best

Der 175B und der 176 sind zwei klassische Röhrenkompressoren, die nach dem „Vari-Mu-Prinzip“ arbeiten und deshalb auch öfter im Atemzug mit dem Fairchild Kompressor genannt werden. 1960 kamen die beiden recht identischen Kisten raus, waren sozusagen die ersten Recording-Kompressoren überhaupt – im Gegensatz zu den damals präsenten technischen Broadcast-Kompressoren. Und sie werden noch immer geschätzt, „Old but Gold“ sozusagen. Aber da nur rund 1000 Units gebaut wurden, werden sie entsprechend teuer auf dem Gebrauchtmarkt gehandelt. 
Die beiden Units unterscheiden sich technisch und optisch nur marginal, klingen aber zumindest in der Plugin-Variante hier anders. Ob das nun an der Bauteil-Streuung, dem Alter der beiden gemodelten Vorbilder oder der Kreativität der Plugin-Macher liegt — man weiß es nicht, es ist letztlich aber auch egal. Ich hatte bisher ohnehin keine Gelegenheit, weder an dem einen noch an den anderen Originalen, herumzukurbeln. Ich besitze aber immerhin einen Manley Vari-Mu und maße mir an, zumindest ungefähr zu wissen, was mich hier erwartet. Aber Achtung, Verwechslungsgefahr: Das Prinzip des variablen Bias (Mu) ist nicht geschützt, der Markenname des Manleys schon.

Fotostrecke: 2 Bilder Der einzige u201ewahreu201c Unterschied: Der 175B hat einen extra Level-Boost (Low und Hi) und eine fixe 12:1 Ratio, der 176 hingegen eine variable Ratio!

Simple has always been beautiful

Einen Threshold gibt es hier nicht, nur der INPUT bestimmt den Arbeitspunkt. ATTACK und RELEASE können beide geregelt werden und sind sehr schnell, wenn sie müssen. Zu beachten ist, dass Release hier „seitenverkehrt“ arbeitet. Bei geringen Pegeln gibt es Art-typisch sanfte Regelungen und bei höheren Pegeln härtere, was auf die Feedback-Schaltung zurück geht. Für besondere Kreativität lässt sich der Attack bei beiden Units auch auf „OFF“ stellen, sodass Verzerrungen ohne Komprimierung möglich werden. Nicht zu verwechseln mit dem „alles-auf-super-schnell“-Trick, der auch hier eine etwas andere Art der Verzerrung liefert. Schlussendlich wird dann der Ausgangspegel bestimmt, wobei das alte Input/Output-Spiel nochmal unterschiedlichste Sättigungen und Verzerrungen generiert. Und ja, bei diesen beiden Plugins klingt das wirklich ziemlich gut!

Extras, denn früher war nicht alles besser 

Das wäre es im Prinzip auch schon gewesen, wenn uns UA nicht noch Extras spendiert hätte. Zunächst gibt es den mittlerweile obligatorischen DRY/WET-Regler für Parallelkompressionen sowie ein kleines HEADROOM-Schräubchen, um den Eingangspegel etwas von der Kompression zu entkoppeln. Außerdem wurden bei den Originalen damals die Ein- und Ausgangspegel „ge-steppt“ geregelt. Nutzt man hier den VERNIER-Schalter, werden die I/O-Gains aber auch stufenlos regelbar. Praktisch, warum also nicht bitte gleich per default? Einen SIDECHAIN-LINK (S.C.Link) gibt es zusätzlich, sodass bei Stereo-Signalen beide Kanäle identisch komprimiert werden – oder auch nicht, wie man eben will.

Kleine Unterschiede – große Wirkung

Unterschiedliche Level-Kalibrierungen sorgen dafür, dass 175B und 176 selbst in den Grundeinstellungen nicht gleich klingen, sprich nicht mal gleich mit Pegel umgehen. Nun ja, das bräuchte ich ebenfalls nicht unbedingt, selbst wenn es „echt richtig vintage“ ist. Einen Level-Boost (LOW und Hi) gibt es nur beim 175B. Dieser befindet sich, zur Verwirrung vieler, übrigens genau an der Stelle, bei dem der „neuere“ UA 176 den RATIO-Regler sitzen hat. Der 175B hat also nur eine fixe Ration von 12:1 – und das ist auch der einzige „wahre“ Unterschied. Der 176 ist mit seiner variablen Ratio (2:1, 4:1, 8:1 und 12:1) theoretisch also das bessere Gerät. 

RATIO laut Handbuch: Die Kennlinien des 176, der 175B entspricht der 12:1.

Komplizierter als nötig

Mir gefällt der Grundklang des 175B trotzdem viel besser, was aber nicht unbedingt an der begrenzten Regelung liegen muss. Ob ein Umschalter zwischen den beiden Charakteristiken nicht zielführender gewesen wäre – oder ob dies technisch gar nicht so einfach möglich gewesen wäre – vermag ich an dieser Stelle nicht richten zu wollen. 
Beide Instanzen fressen jeweils 22.2 % (mono) und 34,3 % (stereo) DSP-Power und gehören damit zu den stärker beanspruchenden Plugins im UAD-2-Kosmos. Zum Vergleich: der Varia-Mu braucht nur 16,3 % bzw. 25 % DSP-Load. Ach, und besser lesbar sind die beiden Neuen auf meinem Retina-Display auch – der Manley hingegen wird leider nicht richtig interpoliert, aber das nur am Rande.

Mint-Condition“ aka „Leichte Rackeinbau-Spuren“: Billiger als der Manley wird das Universal Audio Doppelpack dadurch aber dennoch nicht …

Praxis

Top Produkte, schlüpfriger Text

Universal Audio gehört bei Weitem nicht zu den günstigsten Lösungen am Markt, die Produktpflege, das Ganze drumherum und auch die sauberen Updates machen das aber alles wieder wett. Regelmäßig kommen Verbesserungen, und diese sind unkompliziert zu installieren. Sogar die Firmware der Hardware wird regelmäßig aktualisiert. Die Verarbeitung der Hardware ist ebenfalls immer top, das alles steht außer Frage. Was mir allerdings oft nicht gefällt, sind die teils nebulösen Verkaufsmaschen und ihre nicht konkreten Texte: Man findet nirgends einen brauchbaren Hinweis, was der Unterschied zwischen dem 175B und dem 176 ist. Ja, der 175B hat eine fixe Ration und die Pegel werden anders gehandhabt, welchen Sinn das hat und was mir das nützt, erfahre ich jedoch nicht. Mir ist das zu verspielt, vor allem für den Preis – ich will nur wissen: Was klingt warum anders – und wann nutze ich das idealerweise. Nun gut, fairerweise bleibt so ein Job für mich übrig …

Klang

Fangen wir an: Beide Kompressoren klingen ähnlich, verdichten also wirklich gut und musikalisch, und steuern schöne Obertöne bei, wenn man sie härter tritt. Der 175B ist mit seiner fixen Ratio von 12:1 eher ein Limiter, der 176 kann mit seiner variablen Ratio auch mehr Kompressor sein – theoretisch. Ich empfinde allerdings den 175B als den deutlich gefälligeren, weicheren und angenehm runder klingenden Kollegen, der „digitale“ Härte ähnlich schön wie ein echtes Hardware-Röhrengerät wegraspelt. Der Wechsel zwischen Attack und Release geht geschmeidiger und eleganter vonstatten – der 176 prügelt mir zu sehr. Es sorgt aber auch für geringere Abstände zwischen Peak und Durchschnittslevel, soll heißen: Bei gleichen Peak-Werten klingt der 176 lauter. Außerdem verzerrt er nicht so stark bzw. früh. Damit ihr besser die Unterschiede hört, habe ich ein paar extreme Beispiele erstellt:

Audio Samples
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kik – dry kik – 175b kik – 176 snrz – dry snrz – 175b snrz – 176 snrz – 175b -u003e 176 snrz – 176 -u003e 175b summ compression with EQ simple stem mix
  • Beispiel 1: Techno-KIK. Mit dem 175B bounct die Kick sexy und der Pump macht guten Rhythmus. Der 176 hingegen holzt stumpfer und weniger groovy vor sich hin, dafür knallt die Kick auch mehr. Beides ist Geschmacksache, ich finde den 175B dennoch delikater.
  • Beispiel 2: Techno-SNR/Perc. Hier hört man gut die unterschiedliche Verzerrung der beiden Units, der 176 verzerrt deutlich später bzw. der 175B hingegen viel früher und damit stärker. Der 175B klingt dann auch deutlich eher nach „kaputt“ als nach „nice“. Die Schnelligkeit des 176 wiederum tut hier dem Signal hier gut. Am besten klingen aber beide zusammen und unterschiedliche Reihenfolgen machen unterschiedlichen Sound 🙂
  • Beispiel 3: Summenkompression KIK/SNR und KIK/SNR/Bass. Beide Kompressoren kleben die Einzelsignale gut zusammen und sorgen für weitere, interessante Rhythmik.
  • Beispiele 4: Bass. Auch hier wird die Dynamik praktikabel eingegrenzt und der Bass kriegt so mehr Mojo.
  • Beispiel 5-7: Crunch, Lead, Strumming. Die unterschiedlichen Gitarren bekommen Fundament und Durchsetzungsfähigkeit, bei starker Verzerrung außerdem einen ganz neuen Charakter.
Audio Samples
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bass – dry bass – gentle compression crunch – dry crunch – charakter crunch – drive only lead – dry lead – hard drive 175b (!loud!) lead – hard drive 176 strumming – dry strumming – 175b-u003e176 strumming – 176-u003e175b

Grundsätzlich bin ich nicht der größte Fan von Plugin-Kompression, insbesondere bei stärkeren Verdichtungen und kreativer Arbeit klingt es meist nicht so geil. Hardware hat nach wie vor die Nase vorn. Aber ich muss sagen, dass mir der 175B und der 176 dafür dennoch ausgesprochen gut gefallen, kommen sie dem Ganzen wirklich nahe. Die Verzerrungen klingen schmackhaft und überzeugend – Aliasing-frei sind sie aber auch nicht und das stört verwöhnte Ohren durchaus etwas. Dazu ein kleines Video, was die Unterschiede deutlich machen soll:

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Mehr Informationen

Ich gebe einen Sinus-Testton in den 175B und erwartungsgemäß sollten wenn nur Vielfache oberhalb des Grundtons auftauchen. Alles darunter wären Rückwürfe durch die Verletzung des Nyqvist-Theorems („fmax= fs/2“). Diese mache ich stärker hörbar, indem ich mit einem Filter den eigentlichen Testton filtere, sodass nur noch die Aliasing-Artefakte – spektral gedrehte Klone unseres Ausgangssignals – übrigbleiben. Zusätzlich moduliere ich die Testton-Frequenz, damit ihr besser seht, dass sich die Rückwürfe in die entgegengesetzte Richtung bewegen. Das klingt hier natürlich alles schlimmer als es wirklich ist, weil ich ja auch nochmal 35 dB booste, es soll ja nur der Anschaulichkeit dienen. Probiert das ruhig mit anderen Plugins, ihr werdet kaum eins finden, bei dem dies nicht der Fall ist. Benutzt ihr höhere Samplerates wird es im Allgemeinen aber besser. Merke also: Nichtlineare Verzerrungen sind noch immer schwer zu modeln!

Fazit

Die Universal Audio 175B & 176 Tube Compressor Collection für die UAD-2 Plattform bietet zwei wirklich gute Kompressoren, die das Mojo vergangener Tage schön einfangen. Sie bieten sich nicht nur für technisches Verdichten an, sondern machen auch als Kreativ-Tool mit den komplexen Verzerrungen viel Spaß. Beide klingen unterschiedlich und verhalten sich auch etwas anders in ihrem Regelverhalten, sodass sich die Reproduktion beider Units tatsächlich gelohnt hat. Der Preis ist – wie bei allen anderen UAD-2 Plugins – stolz.

Pro
  • Vintage-Sound
  • musikalisches Regelverhalten
  • zwei Geschmacksrichtungen in Form von getrennten Plugins für 175B und 176
  • Verzerrungen und Färbung auch ohne Kompression möglich
Contra
  • stolzer Preis
Features
  • Vintage Röhrenkompressor Emulation
  • UA 175B mit fixer Ratio
  • UA 176 mit variabler Ratio, 2:1, 4:1, 8:1 & 12:1
  • Input- & Output-Gain, Attack & Release
  • Klanggestaltung dank gut gemodelter Verzerrungen, sogar losgelöst von der Kompression via Attack=off nutzbar
  • Zusätzliche Funktionen: Sidechain Link, Dry/Wet-Mix, Headroom und Balance-Regler
  • Universal Audio Artist Presets
Preis
  • USD 299,-
Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
  • Vintage-Sound
  • musikalisches Regelverhalten
  • zwei Geschmacksrichtungen in Form von getrennten Plugins für 175B und 176
  • Verzerrungen und Färbung auch ohne Kompression möglich
Contra
  • stolzer Preis
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Universal Audio 175B & 176 Tube Compressor Collection Test

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