Der Nutzen eines tontechnischen Hilfsmittels ergibt sich nicht aus der Summe der Bedienelemente oder der Anzahl unterschiedlicher Einstellmöglichkeiten. Als prominentes Beispiel wäre der Teletronix LA2A zu nennen, der es mit zwei Reglern auf den Olymp der Kompressoren dieser Welt gebracht hat. Die sich dort ebenfalls tummelnden Vertreter Fairchild 670 und UA 1176 haben zwar ein paar Regelmöglichkeiten mehr, doch hält sich deren Vielfalt immer noch in Grenzen. Bei EQs ist dies aufgrund des Funktionsprinzips schon eine etwas andere Sache, denn schließlich müssen neben Frequenzen und Gain oft auch Bandbreiten eingestellt werden – für mehrere Bänder.
Nicht so beim Neigungsfilter, dessen Prinzip im Grunde so einfach ist, dass eine Umsetzung bislang offenbar nur selten in Erwägung gezogen und vom gemeinen Tontechniker anscheinend auch nur selten vermisst wurde. Die schwedische Softwareschmiede Softube hat mit Tonelux-Mastermind Paul Wolff die Köpfe zusammengesteckt und ein solches Filter als kleines, niedliches Plug-In auf den Markt geworfen. Anstatt, wie sonst so oft, Software und Geräte mit zig Billiarden Einstellmöglichkeiten auseinanderzupflücken, halte ich es diesmal übersichtlich und kümmere mich um eine Oberfläche mit sage und schreibe vier Reglern und fünf Tastern. Na hoffentlich vergesse ich keinen!
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Details
Lang vergessen Geglaubtes wieder hervor zu kramen, den Staub herunter zu pusten und sich daran zu erfreuen, ja, das macht Spaß. So findet man die von ihrem Funktionsprinzip fast schon antiken Neigungsfilter heute äußerst selten in der tontechnischen Bearbeitungskette. Die Kollegen vom Lautsprecherbau etwa nutzen sie schon etwas häufiger, allerdings sieht man sie selten als Erweiterung oder gar Ersatz eines “normalen” parametrischen Equalizers. Ich wüsste nicht, dass mir einmal ein Mischpult unter die Wurstfinger gekommen ist, das mit einem Tilt-EQ ausgestattet war. Dieses dem Softube Tonelux zugrunde liegende Prinzip ist so schön wie einfach: Um einen Drehpunkt herum kann der Frequenzgang durch Kippen beeinflusst werden. Kippt man dabei Richtung hoher Frequenzen, werden diese mit kontinuierlich und linear zunehmendem Gain abgesenkt (Um ganz genau zu sein: Die Frequenzeinteilung ist ja schon an sich logarithmisch, damit im Grunde auch das Filter…). Tut man dies, wird im identischen Winkel der Freqeunzgang auf der Bass-Seite erhöht. Es gibt also schlicht und einfach eine Linie, die um diesen Punkt rotiert werden kann, wie wenn ihr diese beliebte Balanceübung mit einem Brett auf einer liegenden Röhre macht. Wenn ihr glaubt, dass man ja ein wenig eingeschränkt sei, weil man immer “um eine bestimmte Frequenz herum” arbeitet: Überlegt euch doch einfach mal, was “Gain” in diesem Zusammenhang für Auswirkungen hat. Na?
So, sonderlich komplexe Änderungen macht die Tilt-Funktion wirklich nicht (kein Wunder bei nur einem Poti)! Allerdings finden wir nicht nur einen Regler, sondern noch ein wenig mehr bei diesem Plug-In. Von der Funktion “Tilt” kann man zum “Loud”-Modus umschalten. Dieser erlaubt simultanes Anheben oder Absenken der Höhen und Tiefen im einstellbaren Winkel um den nun wirklich festgelegten Drehpunkt, ähnlich dem gekoppelten Einsatz zweier Shelves. Stereoanlagen haben oftmals einen “Loudness”-Schalter, um den dem menschlichen Gehör geschuldeten geringeren Lautheitseindruck bei geringen Abhörlautsärken durch Anhebung im Bass und in den Höhen zu kompensieren. HiFi-Amps von Yamaha übrigens haben oftmals eine regelbare Loudness. Sehr praktisch! In der “Loud”-Stellung arbeitet der Softube recht ähnlich, nur dass er noch zusätzlich absenken kann.
Um zusätzliche Standard-Bearbeitungen zu ermöglichen, ist das kleine Plug-In mit zwei weiteren Filtern ausgestattet, einem einfachen Hi- und einem Lo-Cut. Beide sind mit 6 dB/Oct Flankensteilheit eher dazu gedacht, den resultierenden Frequenzgang des Tilt etwas zu korrigieren, denn wirkliche Cuts zu setzen. Das Tiefpassfilter jedoch kann bei Bedarf auf zwei Pole gestellt werden, was dann 12 dB/Oct entspricht. Das “normale” Plug-In verfügt über ein simples Ausgangs-Gain, die “Live”-Version hat anstelle dessen einen Boost-Ceiling-Regler. Dieser sorgt dafür, dass bei Bedarf das Signal automatisch so weit negativ verstärkt wird, dass die resultierende Neigung immer negativ ist. Praktisch, denn dadurch kann der Eingangspegel niemals überschritten werden – im Live-Betrieb nicht unwichtig, denn anders als bei “normalen” EQs bewirkt der Tilt-Einsatz immer auch die Verstärkung eines Frequenzbereichs. Klasse ist, dass man hier nicht “entweder – oder” wählen muss, sondern schön gemütlich zwischen Boost-Ceiling- und Standard-Betrieb faden kann. Zudem hat man die Möglichkeit, die Phasenlage des Signals zu invertieren.
Jaja, die Herren bei Softube sind schon gewiefte Füchse! Nach allem, was wir in der bonedo-Redaktion von den Herren aus dem Land der Elche, Preiselbeeren und Holzhütten an Seeufern schon gehört haben, erwarte ich natürlich auch keinen schlecht umgesetzten Digitalschrott. Zuallererst möchte ich aber von dem schönen Spaß berichten, den mir dieses Werkzeug bereitet hat. Einfach an einem Knöpfchen drehen, um das Signal auszurichten – wie praktisch! “Dicker nach links, dünner nach rechts” funktioniert so einfach, wie dieser Satz es darstellt. Man kommt hier unfassbar schnell zu stimmigen Ergebnissen, so dass man sich fragt, warum nicht vor allem mehr Live-Pulte damit ausgestattet sind. Sicher, um Resonanzen oder andere nervige Signalanteile herauszunehmen oder komplex zu formen, ist dieses System nicht entwickelt worden, doch ich habe mich gefreut, für die ersten Balances im Mix mit dem Tilt arbeiten zu können – und werde es wohl in Zukunft auch tun. Auch im Mastering kann man mit einem Neigungsfilter wie dem Tilt einfach Korrekturen vornehmen. Zudem kommt da noch eine weiter Eigenschaft recht praktisch um die Ecke: Anders als bei parametrischen Equalizern, Shelves und Cut-Filtern muss man hier keine Hubbel und Phasenschweinereien im Frequenzgang befürchten. Dadurch klingt das Signal im Grunde nicht bearbeitet, sonder als sei es noch nie anders gewesen! Klasse!
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Song bypassSong Tilt/LoudSong FilterSong LoudnessDrums Tilt/LoudGitarre Tilt/Loud
Also: Highscore für die Tilt-Funktion. In den Audiofiles könnt ihr euch zudem die “Loud”-Funktion zu Gemüte führen. Klingt gut, aber hier wäre es praktisch, etwas gezielter arbeiten zu können. Wirklich: Das ist eher eine Aufgabe für Shelf-EQs oder einfache Neigungsfilter (in eine “Richtung” mit wählbarer Frequenz). Arbeitet man mit der Tilt-Funktion, passiert es möglicherweise, dass man tieffrequentes Gerumpel mit anhebt. Vielleicht hat man ein HPF am Mikrofon nicht für notwendig gehalten, hebt aber natürlich mit dem Tilt beim Kippen der Frequenzebene Richtung hohe Frequenzen die tiefen Frequenzbereiche enorm an – je näher an 0 Hz, desto mehr! Ein zusätzliches HPF macht also bei der Bearbeitung ab und zu Sinn. Bei umgekehrter Einstellung kann es sein, dass das Air-Band zu sehr angehoben wird. Korrekturen werden hier aus gutem Grund mit wenig steilen Filtern getätigt. Dass die Filter qualitativ hochwertig sind, erkennt man am Hörbeispiel, auch mit 12 dB/Oct klingt noch alles recht sauber. Dennoch halte ich auch diese beiden Filter bei einem Plug-In dieser Art für verzichtbar. “Ach, dann hätten die auch gleich noch ein parametrisches Band zum Notchen liefern können. Und einen Terzband, man weiß ja nie!”, könnte man argumentieren. Ich weiß, dass es gewagt ist, aber wenn es nach mir ginge, hätte der Tilt genau zwei Potis: “Tilt” und “Boost Ceiling”, fertig. Alles andere hat man im Rechner sowieso zuhauf in ordentlicher Qualität. Weniger ist mehr. Aber noch weniger ist noch mehr! Dem LA2A reichten doch auch zwei Regler zum Berühmtwerden!
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Ich kann mir vorstellen, dass der Tilt für Softube zum Megaseller wird, denn dieses Plug-In ist eben nicht nur noch ein EQ für den passionierten Plug-In-Sammler, sondern ein kleines, preiswertes Produkt, dass zwar ungewöhnlich ist, aber “titi-einfach” zu bedienen und vor allem vielseitig einsetzbar. Vom grundlegenden Soundschrauben bis hin zum Mastering kann man den Knirps hervorragend verwenden. Er erzielt klanglich ansprechende Ergebnisse, die oft genau das, was man mit einem Haufen phasenschmierender EQ-Bänder in mühevoller Einstellarbeit erledigen würde, tatsächlich mit einem “Handumdrehen” in Sekunden. Ein Neigungsfilter ist offenbar näher am menschlichen Hörempfinden als jedes andere Prinzip, wenn es um die einfachen Zusammenhänge “dicker” und “dünner” geht. Ich finde den Ausstattungsumfang des Equalizers mit “Loud” und den beiden Cut-Filtern im Grunde zu groß, aber jedem Tonschaffenden, der nicht ein in seiner Arbeitsweise festbetoniertes Gewohnheitstier ist, sage ich in plakativem Simpel-Sprech: “Du – Tilt – haben – muss!”
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