sE Electronics sE2200 Test

Klar, es gibt die legendären Studiomikrofone, die zwar ganz toll sind, die sich aber nicht jeder leisten kann oder will.

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Und es gibt die, die vielleicht eher etwas unspektakulär daherkommen, aber dennoch für einen geringen Betrag richtig gute Dienste erweisen. Ein Hersteller von Mikrofonen dieses Typus ist zweifelsohne sE Electronics. Das vielleicht wichtigste, beliebteste und verbreitetste Mikrofon des amerikanisch-chinesischen Unternehmens ist das seit 2002 hergestellte 2200, welches verschiedene Versionen und Features erlebt hat. Jetzt wurde die Cardioid-Variante „runderneuert“ – wir hatten eines der ersten Exemplare zum Test erhalten.

Details

Zahlen(verwirr-)spiel

Mit dem sE2200a IIC als direktem Vorgänger nicht ganz einleuchtend ist, dass der Nachfolger nicht etwa sE2200a IIIC oder gar sE2200b heißt, sondern schlichtweg sE2200. Allerdings ist das ein Statement, das man so interpretieren könnte: „Jetzt ist das 2200 so, wie es sein muss.“ Nicht, dass das 2200a wirklich schlecht gewesen wäre, es war schon immer ein gutes Mikrofon für wenig Geld. Jetzt hat der Hersteller sE Electronics aber den noch ein paar positive Veränderungen vorgenommen.

Die Bezeichnung des Mikrofons wurde um allerhand Gestrüpp erleichtert: Das neue Mikrofon nennt sich jetzt schlicht "sE2200" – ohne irgendwelche begleitenden Zahlen oder Buchstaben.
Die Bezeichnung des Mikrofons wurde um allerhand Gestrüpp erleichtert: Das neue Mikrofon nennt sich jetzt schlicht “sE2200” – ohne irgendwelche begleitenden Zahlen oder Buchstaben.

Bewährtes bleibt

Zwei Dinge lässt sE unverändert, es handelt sich dabei um die beiden maßgeblich für die Klangeigenschaften verantwortlichen Bauteile: Der Ausgangstrafo, nach sE-Spezifikationen extern gefertigt, ist unverändert, die Ausgangsimpedanz liegt weiterhin unter 50 Ohm. Die 1“-Kapsel nicht etwa auf dem chinesischen OEM-Markt zugekauft, wie es viele andere Hersteller tun, sondern (wie auch bei den bisherigen sE-Mikrofonen) in der sE-Electronics-Fabrik in Shanghai von Hand gefertigt. Gut, der Ring für die Membranverschraubung ist jetzt rot, aber es ist weiterhin die mittenkontaktierte Mylar-Membran über M7-ähnlicher Backplate. Im sE2200 ist die (wie auch auf der Vorderseite) goldbedampfte rückseitige Membran nicht angeschlossen, sondern hat die Aufgabe, eine Schallverzögerung zu erzielen, wie dies auch bei umschaltbaren Mikrofonen mit Doppelmembrankapsel der Fall ist. Das Signal, das abgegriffen werden kann, besitzt wie bei fast allen Mikrofonen dieses Bautyps eine Nierencharakteristik. Ein Blick in das geglättete Polardiagramm zeigt, dass die Niere bis fast zum zweistelligen Kilohertzbereich bis hin zu 90° sehr konstant aufnehmen soll. Die höchste rückwärtige Empfindlichkeit weist demnach die 8kHz-, die geringste die 16kHz-Kurve auf.  

Fotostrecke: 3 Bilder Die hauseigene Doppelmembrankapsel wurde so gut wie nicht verändert.

Elektronik-Änderung

Im Zuge der Optimierung der Elektronik konnte sowohl der Signalfluss entschlackt als auch um Funktionen erweitert werden. Nein, das ist kein Paradoxon. Es konnten außerdem Bauteile mit geringeren Fertigungstoleranzen verwendet werden. Wichtig sicherlich ist der Tausch der Feldeffekttransistoren („FET“), mit deren Hilfe das Eigenrauschen auf nunmehr 12 dB (mit Filterkurve A bewertet) gedrückt werden konnte. 0,5% THD+N werden bei 125 dB(SPL) erreicht, durch ein zweistufiges Pad können 135 und 145 dB(SPL) erreicht werden. Die Empfindlichkeit gibt sE mit 23,7 mV/Pa an.  

Für die Elektronik des sE2200 (hier von der Rückseite zu sehen) gab es eine Entschlackungskur und ein Qualitäts-Upgrade.
Für die Elektronik des sE2200 (hier von der Rückseite zu sehen) gab es eine Entschlackungskur und ein Qualitäts-Upgrade.

Frequenzgang – und seine Eingriffsmöglichkeit

Der dem Mikrofon beigelegte Frequenzgang besitzt mittelmäßige Aussagekraft, denn trotz geringer Fertigungstoleranzen gibt es immer noch Abweichungen, außerdem ist offenbar stark geglättet worden. Dennoch lässt sich ablesen, dass unterhalb von 2 kHz möglichst hohe Linearität erzielt wurde, darüber eine kleine Präsenz- und Höhenabhebung stattfindet – mitsamt der heute üblichen Rücknahme des Schärfebereichs zwischen 5 und 10 kHz. Zumindest in der Grafik kreuzt die Frequenzgangkurve die 20kHz-Marke noch über dem Wert von 1 kHz. Hm: Ob wir es hier mit einem dieser künstlichen Boosts mit unnatürlichem Klang und erweiterten Rauschen zu tun haben? Der Praxistest wird es zeigen. In den Tiefen kann klanggestalterisch Einfluss genommen werden, indem dort Pegel zurückgenommen wird. Man hat nun die Wahl, ob man mit einem -3dB-Punkt von 80 Hz mit 6 dB pro Oktave abschwächen will oder eine Oktave darüber, also bei 160 Hz.

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Schutz

Die Elektronik ist mit einem kräftigen Metallkorpus geschützt, sodass das sE2200 611 Gramm auf die Waage bringt. Ebenfalls notwendigerweise aus Metall ist der Drahtkorb. Einen Schutz vor Rumpeln liefert eine einfache, elastische Halterung des sogenannten „Isolation Packs“, Plopplaute versucht ein Metallgeflechtschirm zu unterbinden, der praktischerweise einfach in die Spinne eingeschoben werden kann.   

Praxis

Hervorragend für diesen Preis

Ja, es ist erstaunlich, wie „groß“ und „edel“ ein Mikrofon für diesen Preis klingen kann. Im hart umkämpften Markt der hochwertigen Budget-Mikrofone hat sE Electronics das sE2200 noch einmal auf den neuesten Stand gebracht – und das kann man hören! Von dem befürchteten „Billigmikrofon-Höhenhype“ ist nichts zu spüren, das Signal klingt noch einmal etwas „teurer“ als zuvor, was sich besonders auf kurzen Konsonanten der Stimme bemerkbar macht. Auch technisch gibt es nichts auszusetzen. Die Klangeigenschaften bleiben bis hinauf zu hohen Pegeln konstant, die Pads schränken die Agilität der Impulswiedergabe kaum ein.

Optisch unauffällig, klanglich ganz vorzüglich ist es, das neue, preiswerte Studiomikrofon von sE Electronics.
Optisch unauffällig, klanglich ganz vorzüglich ist es, das neue, preiswerte Studiomikrofon von sE Electronics.

Das aktuelle Nieren-2200 ist sehr schnell und detailliert, bleibt aber stets fein. Bei der Stimme des Sängers der Testfiles bin ich sowieso meist geneigt, noch ein wenig die Schärfe herunterzuregeln, für die meisten Anwendungen kann man aber absolut glücklich sein. Amy Winehouse hätte auch diese neueste Version des 2200 gut gestanden (Ja, sie hat tatsächlich mit einem sE2200 aufgenommen!). Ich will keine falschen Erwartungen wecken, aber das sE Electronics sE2200 ist ein wirklich vorzügliches Arbeitsgerät. Besonders die hohe Auflösung der so wichtigen Mitten ist erstaunlich, hier überträgt das Mikro mit einer angenehmen Leichtigkeit. Es liefert zudem genug „Fleisch“, um auch starke Filterkurven in der Nachbearbeitung anzuwenden, ohne dass das Signal löchrig wird und zerbricht. Fein ist auch die gut steuerbare und nicht zu „boxy“ klingende Bassanhebung durch den Nahbesprechungseffekt. Das Signal bleibt bis zu kurzen Distanzen recht straff und verschwimmt erst spät. Die beiden unterschiedlichen Filter arbeiten glatt und sind daher eine große Hilfe. Mit der schaltbaren Vordämpfung kann man sich mit dem sE2200 ein durchaus an pegelstärkeren Quellen als der Stimme gut agierendes Mikrofon anschaffen. Bassdrum, Gitarrenlautsprecher, Snare-Bottom, Blech und Holz – all dies lässt sich mit dem preiswerten Mikrofon nicht nur „passabel“, sondern sehr gut einfangen. Ein wenig vermehrtes Augenmerk sollte dabei aber dennoch dem Schall aus dem Bereich der Off-Axis gelten, denn jenseits der seitlichen Einfallsrichtung und somit abseits des sehr breiten und konstanten Aufnahmebereichs gerät der Frequenzgang bisweilen ordentlich durcheinander. Bei komplexen Aufbauten mit vielen wichtigen Anteilen von Sekundärsignalen, etwa im Drumkit oder dort, wo der Raum eine große Rolle spielen soll (sehr hohe Aufnahmedistanzen, sehr reflektive Räume und Booths), ist das 2200 vielleicht etwas überfordert, mit absolutem Profiwerkzeug mitzuhalten. Aber kann man das einem Mikrofon verübeln oder gar ankreiden, das wengier kostet als die elastische Halterung eines deutschen Mikrofonklassikers? Ich denke nicht. Auch die Tatsache, dass es deutlich sichere und weniger färbende Poppfilter gibt als das sE-Metallblech, will ich hier nicht allzu stark gewichten.  

Audio Samples
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sE ELectronics sE2200, 10 cm sE ELectronics sE2200, 10 cm, HPF 80 Hz sE ELectronics sE2200, 10 cm, HPF 160 Hz sE ELectronics sE2200, 30 cm sE ELectronics sE2200, 30 cm, 45 Grad sE ELectronics sE2200, 30 cm, 90 Grad Aston Origin, 10 cm Aston Origin, 30 cm Mojave Audio MA-201FET, 10 cm Mojave Audio MA-201FET, 30 cm Audio-Technica AT5045, 10 cm Audio-Technica AT5045, 30 cm

Fazit

Das sE Electronics sE2200 ist ein erstaunliches Mikrofon. Es liefert eine hohe Auflösung, einen offenen, kompletten und leicht „modernen“ Frequenzgang im breiten Sweet-Spot und eine funktionale Ausstattung – für wirklich sehr wenig Geld. Es steht damit in starker Konkurrenz zu Mikrofonen dieses Preissegments von anderen Herstellern und sogar aus eigenem Hause! Sicher, ein Sehnsuchtsmikrofon mit Feenglanz und mystischem Namen ist das sE2200 wohl kaum, aber dafür bekommt man ein wirklich vortreffliches Werkzeug für einen sehr geringen Betrag.

Pro
  • detaillierter Klang
  • gute Höhendarstellung
  • breiter Sweet-Spot
  • zweistufige Vordämpfung und Filter
  • sehr gutes Preis-/Leistungsverhältnis
Contra
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FEATURES UND SPEZIFIKATIONEN
  • Großmembran-Kondensatormikrofon
  • Empfängerprinzip: Druckgradientenempfänger
  • Richtcharakteristik: Niere
  • Wandlerprinzip: Kondensator
  • Übertragungsfaktor: 23,7 mV/Pa
  • Eigenrauschen: 12 dB(A)
  • maximaler Schalldruckpegel: 125 dB SPL (0,5% THD+N, ohne Pad)
  • Pad: 0, -10, -20 dB
  • HPF: 80 Hz, 160 Hz
  • Frequenzgang: 20 Hz – 20 kHz
  • Betriebsspannung: 48 V Phantomspeisung
  • Spinne und Poppschutz im Lieferumfang
  • Preis: € 229,– (Straßenpreis am 29.11.2017)
Unser Fazit:
5 / 5
Pro
  • detaillierter Klang
  • gute Höhendarstellung
  • breiter Sweet-Spot
  • zweistufige Vordämpfung und Filter
  • sehr gutes Preis-/Leistungsverhältnis
Contra
  • keines
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sE Electronics sE2200 Test
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