Blue Microphones Baby Bottle Test

Praxis

Auch wenn es zunächst wie an den Haaren herbeigezogen klingt: Manche Sänger haben einen enormen Respekt (um nicht zu sagen: Angst) vor diesen technischen Dingern, die da ihre Stimme einfangen sollen.

Das Baby Bottle erzeugt Mutterinstinkte bei unserer Testsängerin.
Das Baby Bottle erzeugt Mutterinstinkte bei unserer Testsängerin.

Die Optik wirkt sich auch auf die Performance der Sänger aus

Ein Mikro wie das Baby Bottle hingegen wirkt freundlich und interessant. Entsprechend hat auch die Sängerin in unserem Testmarathon auf dieses Mikro reagiert (“Das ist ja süß!”). Unwichtig? Ganz und gar nicht, schließlich ist die Performance von Sängern und Musikern von deren Befinden abhängig. Gute wie schlechte Laune schlägt sich sofort auf die Stimme nieder, auch bei Profis. Das Blue bekommt also schon vor dem Versorgen mit der Speisespannung und dem Aufdrehen des Gains einen Pluspunkt. Andersherum: Auch wenn es klanglich vielleicht hervorragend zum Growling des schwarzseherischen Weltuntergangs-Todes-Shouters einer sauerländischen Deathmetal-Kapelle passen würde, käme ich beim Sound-Check bestimmt nicht auf die Idee, dieses niedliche Mikro anzubieten. Ich kann vor dem inneren Ohr schon die Sprüche hören: “Watt? Über datt Dingen da soll ich singen? Ich glaub, mich haun se! Hömma, unsere Mucke is nich Teenie-Schminktipp-Aktion bei Hertie, die Hupe da packse ma ganz schnell wieda wech, woll?” Ok Chef, wird gemacht.

Kein Spielzeug, sondern solides Werkzeug

Findet das Fläschchen allerdings seinen Weg auf das Stativ, ist es durchaus in der Lage, zu überzeugen. Wie ein Spielzeug oder eine nett gemeinte Marketingidee klingt es nicht. Das Baby Bottle ist ein ausgewachsenes, solides tontechnisches Werkzeug. Es sind keine Ungereimtheiten im Signal feststellbar, das Mikrofon schmiert nicht, Impulse werden flott und ohne Nachwehen übertragen. Außerdem ist das Eigenrauschen wirklich flüsterleise. Respekt! Passend zur Optik erwartet man einen “Vintage-Charakter”, der sich beim Baby Bottle jedoch eher im Hintergrund hält. Viele Konkurrenzprodukte übertreiben mit “vintage” deutlich. Beim ersten Antesten mag man zwar begeistert sein, wie toll das Mikrofon färbt, eine ganze Albumlänge ist das dann aber oft nicht auszuhalten.

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Bottle – weiblich, 10 cm Referenz – weiblich, 10 cm Bottle – weiblich, 40 cm Referenz – weiblich, 40 cm

Subtile Färbung mit luftigen Höhen

Auch die Vorbilder vieler Retro-Mikrofone machen es wie das Baby Bottle: Färbung ja, aber nicht in deckenden Neonfarben, sondern eher als subtiler Pastellton, der sich bei Bedarf im Mix weiter herausarbeiten oder fast verstecken lässt. So fällt beim Blue auf, dass die Tiefen und Mitten zwar recht kompakt wirken und sanft mit Harmonischen angereichert sind, allerdings beeinflusst das das Dynamikverhalten nicht negativ. Zudem sind die Höhen erfreulich luftig und leicht – vom Mumpf manch anderer Vintage-Wannabes keine Spur. Beim Blick auf den Frequenzgang hätte man das so nicht vermutet.

Audio Samples
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Bottle – männlich, 10 cm Referenz – männlich, 10 cm Bottle – männlich, 40 cm Referenz – männlich, 40 cm

Eine ausgiebige Testphase ist vor dem Kauf empfohlen

Neutralität wird man von diesem Mikrofon dennoch nicht erwarten können und wollen. Zwar ist es durch seine Zurückhaltung deutlich flexibler als andere “Färber”, dennoch kann man sich vorstellen, dass Stimme oder Instrument und Klangcharakter in manchen Konstellationen nicht so recht harmonieren wollen. Dies bedeutet vor allem, dass man gut beraten ist, eine Alternative zur Mini-Bottle verwenden zu können. Dennoch gilt auch hier: Wird das Mikrofon in erster Linie für Gesang angeschafft und wird es das einzige Großmembran-Kondensatormikrofon im Fundus sein, sollte dem Kauf, wenn möglich, eine ausreichend lange Testphase vorangehen. Besonders Stimmen mit ausgeprägtem Brustton können aufgrund der etwas dichteren Mitten problematisch werden. Eine preiswertere und weniger färbende Alternative stellt das hellblaue Bluebird aus gleichem Hause dar. Insgesamt lässt sich dem Blue Baby Bottle bescheinigen, fehlerfrei ein wirklich hochwertiges Signal zu generieren, das vor allem Stimmen in beliebter Manier aufzuwerten imstande ist. Das Mike klingt deutlich teurer und größer als es ist, eine Konkurrenz zur großen und saftig teuren “The Bottle” ist es aber auch nicht.

Solide Verarbeitung lässt auf lange Haltbarkeit hoffen

Die mechanische Verarbeitung des flaschenförmigen Schallwandlers bietet keine Angriffspunkte. Das Mikrofon ist solide verarbeitet, die Materialien wirken wertig und lassen auf lange Haltbarkeit und das Überleben des ein oder anderen Unglücks hoffen. Die Spinne macht einen ordentlichen Eindruck und verrichtet pflichtbewusst ihre Arbeit, jedoch habe ich schon bessere Gewinde gesehen. Dafür ist die Klemmhalterung am Mikrofonkorpus vorbildlich!

Fotostrecke: 2 Bilder Das Baby Bottle hinterlässt im Test einen soliden und wertigen Eindruck…

Poppschutz ist unbrauchbar!

Der ebenfalls zum Lieferumfang gehörende Poppschutz des Baby Bottle sieht wirklich toll aus und beantwortet die Frage von Sänger oder Sängerin, was das denn für ein Mikrofon sei, von selbst. “Blue” steht darauf, unübersehbar. Mit diesem kleinen Geflecht ausgestattet, macht das Blue einen weiteren Sprung Richtung Vergangenheit. Optisch betrachtet ist es ein großer Sprung, akustisch betrachtet allenfalls das Stolpern eines Pantoffeltierchens: Der Schutz ist wirkungslos. Wir haben bei den Aufnahmen im Studio zuerst festgestellt, dass wir im Grunde nichts feststellen. Schlimmer noch: Nach mehrmaligem Überprüfen waren wir uns sogar einig, dass der Poppfilter (Achtung, festhalten!) Poppgeräusche eher unterstützt, als sie zu unterbinden! Wirklich: Das habe ich noch nie erlebt und mein Redakteurskollege genauso wenig.

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männlich, ohne Poppilter männlich, mit Poppfilter weiblich, ohne Poppfilter weiblich, mit Poppfilter
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