Blue Microphones Baby Bottle Test

Albern? Hat hier jemand “albern” gesagt? Nun, dem kann man schnell zustimmen. Ein Unternehmen, das seine Mikrofone “Babyflasche”, “Libelle”, “Kiwi” oder sogar “Schneeball” nennt, scheint ja wohl auch von irgend etwas ablenken zu wollen, oder? Allerdings haben Blue sich nicht ausschließlich dem ausgefallenen Design und kreativen Produktbezeichnungen, sondern auch hoher Verarbeitungsqualität und hochklassigem Sound verschrieben. Wer einmal das High-End-Mikrofon “The Bottle” (genau: der “große Bruder” des Baby Bottle) benutzt hat, wird mir beipflichten. 

BlueBabyBottle_15FIN

Die Bezeichnung “Bottle” ist allerdings ausnahmsweise nicht auf Blues Mist gewachsen: Als “Flasche” (oder sogar “Hitler-Flasche”) wird das ab 1928 gebaute Kondensatormikrofon “CMV 3” der Firma Neumann bezeichnet – die Flaschenform des drei Kilogramm schweren und 40 cm hohen Geräts ist auf Bildmaterial aus dem dunklen Kapitel unserer Geschichte häufiger mal zu sehen.

Details

Familienbande

Die „Säuglingsflasche“ ist nur eines der Mikros aus der großen Range flaschenförmiger Schallwandler der Firma Blue. Beim handgefertigten Flaggschiff “Bottle” handelt es sich um ein Röhrenmikrofon mit einer Vielzahl optionaler Kapseln. Diese haben nicht nur unterschiedliche Richt-, sondern auch verschiedene Klangcharakteristiken. Die verfügbaren Kapseln lassen sich auch mit den preiswerteren “Bottle Rocket”-Mikros betreiben, die es in zwei Ausführungen (Röhre und Solid-State) gibt. Das “Kiwi” ist ein umschaltbares Doppelmembran-Kondensatormikrofon in Solid-State-Technik, das “Cactus” ebenfalls, allerdings mit Röhrenschaltung und eckigem Korpus. Technisch und optisch der “Baby Bottle” am ähnlichsten ist “Bluebird”, das durch eine höhere Linearität und einen erweiterten Frequenzgang etwas flexibler ausgelegt (und preiswerter!) ist und weniger speziell auf das Einsatzgebiet Gesang abzielt.

Fotostrecke: 2 Bilder Die Verwandtschaft zum großen Bruder ist unverkennbar.

Hoher Dynamikumfang

Anders als beim großen Blue Bottle oder gar dem Original lässt sich bei der Baby Bottle der Saugnuckel – Entschuldigung – die Kapsel nicht tauschen. Es handelt sich um eine einzelne Membran, die Richtcharakteristik Niere ist fest. Das transformatorlose Mikrofon muss mit Phantomspeisung versorgt werden. Der Frequenzgang wird mit den üblichen 20 Hz – 20 kHz angegeben. Da Infos über den Toleranzschlauch in den technischen Daten fehlen, ist diese Aussage alleine allerdings nicht zu gebrauchen. Ein Blick auf den grafischen Frequenzgang lässt erahnen, dass es unter 100 Hz und über 5 kHz flott nach unten geht. Wie wir wissen, ist dies aber ebenfalls keine wichtige Aussage bezüglich des Klangs. Der maximale Schalldruckpegel (bei einer THD+N von 0,5 %) wird mit 133 dB(SPL) angegeben. In Verbindung mit dem Eigenrauschen von nur 5,5 dB(A) lässt das aufhorchen: Rechnerisch ergibt sich ein Dynamikumfang von 127,5 dB.
Das Fläschchen schlummert in einer schmucken Holzkiste, zu der das mitgelieferte Zubehör aus Platzgründen allerdings keinen Zutritt hat. Die Spinne verfügt über zwei Verschlussschnallen, die sich fest um den zylindrischen Korpus drücken. Ein kleiner, perfekt designter Poppschutz mit unübersehbarem Label lässt sich am dünnen Hals zwischen Körper und Kapsel festschrauben.

Fotostrecke: 3 Bilder Edle Holzbox – darin könnte man auch eine kleine Flasche Wein vermuten 😉

Praxis

Auch wenn es zunächst wie an den Haaren herbeigezogen klingt: Manche Sänger haben einen enormen Respekt (um nicht zu sagen: Angst) vor diesen technischen Dingern, die da ihre Stimme einfangen sollen.

Das Baby Bottle erzeugt Mutterinstinkte bei unserer Testsängerin.
Das Baby Bottle erzeugt Mutterinstinkte bei unserer Testsängerin.

Die Optik wirkt sich auch auf die Performance der Sänger aus

Ein Mikro wie das Baby Bottle hingegen wirkt freundlich und interessant. Entsprechend hat auch die Sängerin in unserem Testmarathon auf dieses Mikro reagiert (“Das ist ja süß!”). Unwichtig? Ganz und gar nicht, schließlich ist die Performance von Sängern und Musikern von deren Befinden abhängig. Gute wie schlechte Laune schlägt sich sofort auf die Stimme nieder, auch bei Profis. Das Blue bekommt also schon vor dem Versorgen mit der Speisespannung und dem Aufdrehen des Gains einen Pluspunkt. Andersherum: Auch wenn es klanglich vielleicht hervorragend zum Growling des schwarzseherischen Weltuntergangs-Todes-Shouters einer sauerländischen Deathmetal-Kapelle passen würde, käme ich beim Sound-Check bestimmt nicht auf die Idee, dieses niedliche Mikro anzubieten. Ich kann vor dem inneren Ohr schon die Sprüche hören: “Watt? Über datt Dingen da soll ich singen? Ich glaub, mich haun se! Hömma, unsere Mucke is nich Teenie-Schminktipp-Aktion bei Hertie, die Hupe da packse ma ganz schnell wieda wech, woll?” Ok Chef, wird gemacht.

Kein Spielzeug, sondern solides Werkzeug

Findet das Fläschchen allerdings seinen Weg auf das Stativ, ist es durchaus in der Lage, zu überzeugen. Wie ein Spielzeug oder eine nett gemeinte Marketingidee klingt es nicht. Das Baby Bottle ist ein ausgewachsenes, solides tontechnisches Werkzeug. Es sind keine Ungereimtheiten im Signal feststellbar, das Mikrofon schmiert nicht, Impulse werden flott und ohne Nachwehen übertragen. Außerdem ist das Eigenrauschen wirklich flüsterleise. Respekt! Passend zur Optik erwartet man einen “Vintage-Charakter”, der sich beim Baby Bottle jedoch eher im Hintergrund hält. Viele Konkurrenzprodukte übertreiben mit “vintage” deutlich. Beim ersten Antesten mag man zwar begeistert sein, wie toll das Mikrofon färbt, eine ganze Albumlänge ist das dann aber oft nicht auszuhalten.

Audio Samples
0:00
Bottle – weiblich, 10 cm Referenz – weiblich, 10 cm Bottle – weiblich, 40 cm Referenz – weiblich, 40 cm

Subtile Färbung mit luftigen Höhen

Auch die Vorbilder vieler Retro-Mikrofone machen es wie das Baby Bottle: Färbung ja, aber nicht in deckenden Neonfarben, sondern eher als subtiler Pastellton, der sich bei Bedarf im Mix weiter herausarbeiten oder fast verstecken lässt. So fällt beim Blue auf, dass die Tiefen und Mitten zwar recht kompakt wirken und sanft mit Harmonischen angereichert sind, allerdings beeinflusst das das Dynamikverhalten nicht negativ. Zudem sind die Höhen erfreulich luftig und leicht – vom Mumpf manch anderer Vintage-Wannabes keine Spur. Beim Blick auf den Frequenzgang hätte man das so nicht vermutet.

Audio Samples
0:00
Bottle – männlich, 10 cm Referenz – männlich, 10 cm Bottle – männlich, 40 cm Referenz – männlich, 40 cm

Eine ausgiebige Testphase ist vor dem Kauf empfohlen

Neutralität wird man von diesem Mikrofon dennoch nicht erwarten können und wollen. Zwar ist es durch seine Zurückhaltung deutlich flexibler als andere “Färber”, dennoch kann man sich vorstellen, dass Stimme oder Instrument und Klangcharakter in manchen Konstellationen nicht so recht harmonieren wollen. Dies bedeutet vor allem, dass man gut beraten ist, eine Alternative zur Mini-Bottle verwenden zu können. Dennoch gilt auch hier: Wird das Mikrofon in erster Linie für Gesang angeschafft und wird es das einzige Großmembran-Kondensatormikrofon im Fundus sein, sollte dem Kauf, wenn möglich, eine ausreichend lange Testphase vorangehen. Besonders Stimmen mit ausgeprägtem Brustton können aufgrund der etwas dichteren Mitten problematisch werden. Eine preiswertere und weniger färbende Alternative stellt das hellblaue Bluebird aus gleichem Hause dar. Insgesamt lässt sich dem Blue Baby Bottle bescheinigen, fehlerfrei ein wirklich hochwertiges Signal zu generieren, das vor allem Stimmen in beliebter Manier aufzuwerten imstande ist. Das Mike klingt deutlich teurer und größer als es ist, eine Konkurrenz zur großen und saftig teuren “The Bottle” ist es aber auch nicht.

Solide Verarbeitung lässt auf lange Haltbarkeit hoffen

Die mechanische Verarbeitung des flaschenförmigen Schallwandlers bietet keine Angriffspunkte. Das Mikrofon ist solide verarbeitet, die Materialien wirken wertig und lassen auf lange Haltbarkeit und das Überleben des ein oder anderen Unglücks hoffen. Die Spinne macht einen ordentlichen Eindruck und verrichtet pflichtbewusst ihre Arbeit, jedoch habe ich schon bessere Gewinde gesehen. Dafür ist die Klemmhalterung am Mikrofonkorpus vorbildlich!

Fotostrecke: 2 Bilder Das Baby Bottle hinterlässt im Test einen soliden und wertigen Eindruck…

Poppschutz ist unbrauchbar!

Der ebenfalls zum Lieferumfang gehörende Poppschutz des Baby Bottle sieht wirklich toll aus und beantwortet die Frage von Sänger oder Sängerin, was das denn für ein Mikrofon sei, von selbst. “Blue” steht darauf, unübersehbar. Mit diesem kleinen Geflecht ausgestattet, macht das Blue einen weiteren Sprung Richtung Vergangenheit. Optisch betrachtet ist es ein großer Sprung, akustisch betrachtet allenfalls das Stolpern eines Pantoffeltierchens: Der Schutz ist wirkungslos. Wir haben bei den Aufnahmen im Studio zuerst festgestellt, dass wir im Grunde nichts feststellen. Schlimmer noch: Nach mehrmaligem Überprüfen waren wir uns sogar einig, dass der Poppfilter (Achtung, festhalten!) Poppgeräusche eher unterstützt, als sie zu unterbinden! Wirklich: Das habe ich noch nie erlebt und mein Redakteurskollege genauso wenig.

Audio Samples
0:00
männlich, ohne Poppilter männlich, mit Poppfilter weiblich, ohne Poppfilter weiblich, mit Poppfilter

Die Baby Bottle gehört nicht in Kinderhände! Warum? Nun, es handelt sich mitnichten um Kinderkram, sondern um ein in Sachen Material/Verarbeitung, Optik und Klang absolut seriöses Stück Tontechnik, das in den meisten Fällen einen hervorragenden Beginn einer Signalkette darstellt. Dass es kein Leisetreter ist, lässt sich schon an der Namensgebung und dem Gehäusedesign erkennen –von Blue erwartet man auch nichts anderes. Etwas weniger polarisierend ist der Sound des Mikrofons, der abschließend als “edel” und “teuer” bewertet werden kann. Für einige Anwendungen mag die Farbe vielleicht eher unpassend sein. Ein absoluter Allrounder ist die Baby Bottle daher nicht, obwohl es sich für weit mehr als Stimme eignet. Sollte das Gerät als einziges Kondensatormikrofon angeschafft werden oder den Fuhrpark gründen, ist unbedingt zu überprüfen, ob es mit der Gesangsstimme harmoniert. Mit dem “Poppschutz” haben sich Blue aber ganz ordentlich in den Fuß geschossen: Mit solchen unnötigen Gimmicks liefern sie Argumente für diejenigen, die in den Blauen völlig zu unrecht einen Kasperverein mit albernen Produkten sehen. Aber so kennt man Blue: 95 % hervorragende , 3 % mittelmäßige bis schlechte Produkte (darunter eben jener Poppschutz) und 2 % ein oftmals etwas überbrodelnder Kessel Kreativität und Marketing.

Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
  • edler, hochwertiger Klangcharakter
  • ordentliche Verarbeitung
  • außergewöhnliche Optik
Contra
  • mitgelieferter Poppschutz unbrauchbar
Artikelbild
Blue Microphones Baby Bottle Test
Für 399,00€ bei
BlueBabyBottle_15FIN
Technische Spezifikationen
  • Empfängerprinzip: Druckgradientenempfänger (mit Laufzeitglied)
  • Richtcharakteristik: Niere
  • Wandlerprinzip: Kondensator (nicht vorpolarisiert)
  • Betriebsspannung: 48V Phantomspeisung
  • Frequenzgang: 20 Hz – 20 kHz (geschätzte Toleranz +/- 6 dB)
  • Übertragungsfaktor: 33,5 mV/PA
  • THD+N: 5,5 dB (A-bewertet)
  • maximaler Schalldruckpegel: 133 dB(SPL)
  • Ausgang: XLR
  • Preis: 523,60 Euro UVP
Hot or Not
?
BlueBabyBottle_15FIN Bild

Wie heiß findest Du dieses Produkt?

Kommentieren
Schreibe den ersten Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Bonedo YouTube
  • Your wireless studio with the AIAIAI TMA-2 headphone
  • Headrush VX-5 AutoTune Pedal – Demo ( no talking, just singing)
  • How to Get Legendary U47 Audio Quality Without Spending $10,000 on a #microphone