Wer anfängt, diesen Text zu lesen, ist wahrscheinlich Schlagzeuger, vielleicht auch “potentieller”. Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, vielleicht kennt ihr das: “Scheißidee!”, schießt es mir oft in Situationen in den Kopf, in denen ich schwitzend den Kombi bis unters Dach mit Cases voll lade oder mich darüber aufrege, nicht einfach mal eben im Wohnzimmer mein Instrument benutzen zu können. “Im nächsten Leben lerne ich lieber Querflöte oder werde gleich Sänger. Dann kann ich mich vom Konzert einfach mit einer Bierflasche in der Hand in der U-Bahn davonmachen.”
Eure Gegenargumente in Gottes Ohr: Schlagzeugspielen macht einfach höllisch Spaß und das Drumset ist sowieso das coolste Instrument auf dem Erdenrund. Da nimmt man einige Abstriche doch gerne in Kauf. Außerdem haben wir nicht mehr 1961: Mit E-Drums ist es möglich, das Hämmern des Nachbarn an die Wand oder Decke nicht nur einfach zu übertönen, sondern komplett zu vermeiden. Da es mittlerweile neben den Platzhirschen auf dem E-Drum-Markt auch deutlich preiswertere Anbieter gibt, gilt es die Frage zu klären, wie viel Geld man denn nun für ein ordentliches und amtlich ausgestattetes E-Drumkit ausgeben sollte. Das MPS-600 der Musikhaus Thomann-eigenen Marke Millenium ist zwar beileibe nicht das einzige Kit in dieser Preisklasse, doch das mit der umfangreichsten Ausstattung. Kann das gut gehen oder muss man starke Einbußen bei Qualität, Sounds, Editierbarkeit oder Spielgefühl hinnehmen?
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DETAILS Vielleicht ist es einfacher, die Beschreibung des Drumkits (entgegen jeden pädagogischen Rates) mit dem anzufangen, was das Millenium nicht bietet: Es werden keine Mesh-Heads verwendet. Anstelle von Gewebefellen findet man auch an der Snare-Position ein normales Gummi-Pad. Die Hi-Hat wird bei allen Herstellern durch Beckenpad und Controller vertreten, da eine echte Maschine mit zwei speziellen Pads teuer und nicht einfach zu realisieren ist – so auch beim MPS. Das war es auch schon an wesentlichen Punkten auf der Soll-Seite.
Auf der Haben-Seite ist die Liste deutlich länger. Alleine die Anzahl an Spielflächen lässt so manchen Konkurrenten bleich werden, denn neben Snare und Bassdrum (mit Maschine – nicht als fast unspielbarer Controller ausgeführt!) findet man nicht drei, sondern vier Toms. Das Flehen oder möglicherweise Schimpfen vieler Trommler wurde offenbar erhört, daher gibt es folgende Beckenpad-Konfiguration: Ein 12″ messendes Beckenpad für die angesprochene Hi-Hat-Lösung, zwei in ebendieser Größe für die Crashes und ein zusätzliches 14″-Ride. Mit HH, CR1, CR2 und RD hat man also das heutige Standard-Setup. Bis auf die Bassdrum, bei der es auch gar keinen Sinn ergäbe, sind alle Pads Stereotrigger. Das bedeutet, dass nicht nur auf der Snare, sondern auch auf den Toms die Rims als Trigger dienen. Die Becken sind darüber hinaus choke-fähig, können also abgedämpft werden. Über L-Halter und Beckenausleger lassen sich die Pads an einem Rack montieren, das zum Lieferumfang gehört. Dieses besteht aus einem Hauptteil mit zwei Streben zur Verstärkung sowie links und rechts zwei weiteren Rohren mit Standfuß. Dadurch ist es möglich, das gesamte Rack zusammenzufalten -vielleicht möchte man das Wohnzimmer oder den Proberaum ja auch dann und wann für andere Aktivitäten nutzen (soll ja durchaus vorkommen). Der Wanderlust von Hi-Hat-Controller und Bassdrum soll durch Klett und Spikes Einhalt geboten werden.
Ebenfalls am Rack befestigt wird das Herzstück des Kits, das für das MPS-600 namensgebende Drum-Modul. Das ovale Gerät beherbergt die Trigger-Eingänge, die Samples, das Metronom, den Sequencer, den Aux-Mixer, Kopfhörerverstärker, Audioausgänge und die Daten-Kommunikation mit der Außenwelt über MIDI-I/O und USB. Im unteren Bereich erkennt man Triggerflächen, die zum einen gespielt werden können, zum anderen anzeigen, wenn ein Triggersignal erfolgt. Auf der linken Seite findet man vor allem die Sequencer-Steuerung. Das Modul kann SMF-Dateien (“MIDI-Files”) von einer SD-Karte laden und wiedergeben. Die Aufnahme selbst gespielter Pattern und Songs ist ebenso möglich. Mit 192 TPQN (Rasterpunkte pro Viertelnote, also einer Dreihundertvierundachtzigstel) ist die Auflösung ausreichend hoch. Am MPS-600 lassen sich einige Parameter editieren, so sind die notwendigen Einstellungen für die Trigger vorhanden, Sounds lassen sich editieren und eigene Kits zusammenstellen. Insgesamt 674 Drum-, Percussion- und Effektsounds warten auf ihren Einsatz in 59 Benutzer-Kits, vorgegeben sind 40 Sets. Die maximale Stimmenzahl ist mit 64 angegeben, was durch den Einsatz von Effekten (Reverb, EQ, Delay) wahrscheinlich gemindert wird. Überraschungen in der Editierweise scheint es nicht zu geben, die Auswahlmöglichkeit von “Kit”, “Song”, “Utility” und “Menu” sprechen eine einfache Sprache. Plus- und Minus-Buttons, Jog-Wheel sowie Page +/-, “Save/Enter” und “Exit” ebenfalls. Blind editieren muss natürlich niemand, da für die optische Rückmeldung ein beleuchtetes LCD sorgt. Das mit einem externen Netzteil versorgte Modul wird mit einer Multicore-“Snake” mit den Triggern verbunden.
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PRAXIS Vor das Vergnügen drängt sich einer alten Weisheit zufolge leider oftmals die Arbeit. Bevor ich also mit den mitgelieferten Stöcken den Pads die Hintern versohlen darf, muss ich zunächst das Kit aus seinen Einzelteilen zusammenbauen. Dazu werden die Rackstangen in ihre Plastik-Kupplungen gesteckt. Wer es kennt: Das ist das “Lego-Technik”-Prinzip.
Allerdings kann sich der skandinavische Spielzeughersteller mit durchgehend hervorragender Verarbeitungsqualität brüsten. Im Falle des MPS-600 kann das Millenium leider nicht. Beim zweiten zusammenzusetzenden Holm habe ich die Bekanntschaft mit Dr. Schmerz gemacht: Den ordentlich langen und spitzen Metallsplitter von der Schnittkante einer Rackstange konnte ich zum Glück aus der Kuppe meines Zeigefingers ziehen, ohne dass er abbrach. Aua! Als jugendlicher Fachzeitschriftenleser habe ich bei der Anmerkung “saubere Entgratung” immer gedacht “Na und?”. Jetzt weiß ich, dass es sich dabei keineswegs um Füllfloskeln handelt. Bevor es weitergeht, führt mich mein Weg also zur Test-Tabelle auf meinem Computer – und dort direkt zur Box mit den Negativpunkten. Etwa zehn Minuten später besuche ich meinen Computer erneut: Diesmal ist der Flügel einer Beckenstativschraube gebrochen! Die Bruchstelle gibt den Blick auf das Metall unter der Verchromung frei. “Hochwertig” ist das nicht. Nun ja, noch gibt es eine ganze Reihe an Punkten in meinem Test, die das MPS-600 zur Aufholjagd nutzen kann.
Der weitere Aufbau gestaltet sich jedoch recht genehm. Das Ausrichten der Pads ist einfach, die Verkabelung gelingt dank des Kabelstrangs mit Farbcodierung, guter Beschriftung und angepasster Länge der einzelnen Kabel spielend leicht. Vom Kind bis zum Basketballer kann sich jeder das MPS komfortabel einrichten, auch Linkshänder werden kein Problem haben. Mit der Ausrichtung und Anordnung der Toms ist man recht flexibel, allerdings ist es nicht so einfach, etwa die letzte Floortom auf die Hi-Hat-Seite zu verfrachten. Wer den Multicore-Mantel nicht aufschneiden möchte, nimmt ein Kopfhörer-Verlängerungskabel. Die Ausrichtung der Snare erfolgt ebenfalls recht einfach, die Hat wünscht man sich aber doch etwas flexibler.
Der erste Kontakt mit dem Modul erweist sich als unkompliziert – Kit auswählen und los. Auch mit noch nicht aufgedrehtem Kopfhörerlevel höre ich schon etwas. Die physikalischen Schlaggeräusche auf die Pads könnten gerne etwas leiser sein. Das Spielgefühl ist aber um Klassen besser als auf Sets von vor zehn oder fünfzehn Jahren. Der Hi-Hat-Controller bleibt dank Klett an seinem Platz, das Bassdrumpad nimmt mir meine nicht ganz schulbuchmäßige Technik übel und versucht, sich aus dem Staub zu machen. Wer für Doppelschläge den Fußballen zu sehr über das Pedal schiebt, drückt das gesamte Paket aus Pedal und Pad von sich weg. Eine echte Bassdrum kann mit ihrem Eigengewicht und den Spurs dagegenhalten, ein Pad hat es da nicht so einfach. Ein zusätzlicher Dorn (erhältlich für Klimpergeld im Fachhandel) löst dieses Problem jedoch zuverlässig.
Mesh-Heads sind, was das Spielgefühl angeht, momentan State-Of-The-Art, dies macht sich vor allem auf der Snare bemerkbar. So richtig Lust auf Rolls und Co bekommt man bei den Gummiflächen nicht. Schnell genug sind sie zwar, doch von echtem Fellgefühl weit entfernt – das gilt für alle Gummiflächen der teureren Hersteller ganz genauso. Zudem sind Mesh-Heads netter zu den Handgelenken, vielleicht auch nur, weil man die Belastung besser gewohnt ist. Die Ideallinie beim Rennen um die Pluspunkte hat das E-Drumkit leider noch nicht gefunden.
Doch kaum mache ich mich über die Soundauswahl her, kommen die Punkte fast von alleine. Das MPS-600 ist mit hochwertigen Samples ausgestattet, die sich vor denen der teureren Konkurrenz bestimmt nicht verstecken müssen. Hervorzuheben sind Ride-Sounds und Bassdrums. Das Kapitel “gute Tomsounds bei E-Drumkits” behandeln wir in zehn Jahren in einem Special, in der Hoffnung, dass die Hersteller bis dahin gemerkt haben, dass man auch seltener gespielte Instrumente nicht stiefmütterlich behandeln sollte. Ich kenne kein noch so teures E-Drumkit mit wirklich guten und flexiblen Tomsounds. Die Zusammenstellung zu Preset-Kits lässt das Millenium allerdings weit hinter seinen Möglichkeiten. Mit ein wenig einfacher Editierarbeit lassen sich im Handumdrehen hervorragend klingende Drumsets zusammenstellen. Vor allem manchen Triggereinstellungen (besonders denen der Hi-Hat!) und Lautstärke-Balancen tut ein wenig Handanlegen gut. Die Audioqualität des kleinen ovalen Geräts ist überwältigend gut, keine auffallenden Wandlerartefakte trüben das Klangerlebnis. Respekt!
Möchte man mehr als nur spielen oder Audio live aufnehmen, gibt es bei einem derartigen System zwei Möglichkeiten: Entweder schickt man die gewandelten Triggersignale per MIDI an einen Computer, um sie dort aufzuzeichnen und zu editieren, oder man bemüht den eingebauten Sequencer. Sicher weniger umfangreich, ist er aber leicht zu bedienen in Trommlers Reichweite – und muss nicht dazugekauft werden. Leicht von der Hand geht sie, die Arbeit mit Parts und Songs, es ist damit weitaus mehr möglich als nur das Festhalten von Ideen. Auch das Abspielen von MIDI-Files von SD-Karte stellt niemanden vor unlösbare Aufgaben.
Die Settings im Bereich MIDI sind erwartungsgemäß recht mager, was aber sicher darin begründet ist, dass sich die Arbeitsweisen geändert haben. Dennoch fände ich es angenehmer, im Handbuch eine gute, alte MIDI-Implementationstabelle wiederzufinden. Auch die umfangreiche Ausstattung mit Dokumentation von Control-Changes und SysEx hat noch keinem Gerät geschadet. Weitaus wichtiger ist jedoch die Anpassungsmöglichkeit an den GM-Standard. Vor allem, wenn mit dem MPS ein Drumsystem auf einem Computer oder einem Hardware-Klangerzeuger angesteuert werden soll, kann man sich dadurch auf ein einheitliches Mapping verlassen. Umgekehrt vermag das Drummodul, ohne umständliches Re-Mapping auch MIDI-Files von externen oder dem eingebauten Sequencer wiederzugeben. Neben der “old school” MIDI-Schnittstelle steht für diese Zwecke auch eine USB-B-Buchse zur Verfügung, über die MIDI-over-USB möglich ist. Leider ist ein spezieller Editor für Mac oder PC nicht vorgesehen. Schmerzlich vermisst habe ich eine “MIDI-In”-LED, einen entsprechenden Hinweis auf dem Display oder zumindest “mitspielende” Triggeranzeigen, wie es beim Normalbetrieb des MPS-600 der Fall ist.
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FAZIT Dass sich umfangreiche Ausstattung, hohe Qualität und günstiger Preis gegenseitig im Wege stehen, ist ein logischer Zusammenhang, der jedem klar sein sollte. Die Ausstattung des Millenium MPS-600 ist bis auf fehlendes, aber preiswert nachrüstbares Mesh-Head und eine in dieser Preisklasse wirklich nicht realisierbare “echte” Hi-Hat-Lösung schlicht und ergreifend Aufsehen erregend. Die UVP von knapp eintausend Euro ist nur gesundes Mittelfeld, der Straßenpreis von 600 Euro jedoch wirklich erstaunlich. Die größten Einbußen muss der Käufer bei der Qualität der Hardware in Kauf nehmen, das ist zwar ärgerlich, aber dennoch besser, als wenn das Modul problematisch wäre. Das Herzstück des Kits ist ungefähr die Hälfte des Straßenpreises wert, der Rest geht für den Preis wirklich in Ordnung. Natürlich geht es an vielen Stellen besser, solche Kits kosten auf dem Markt dann aber gerne an die 1500 oder sogar 2500 Euro! In der freien Marktwirtschaft kann der Kunde sich für eine Balance aus den drei oben genannten Faktoren entscheiden, die Nachfrage bestimmt das Angebot. Verletzungsgefahr und minderwertige Hardware sind natürlich unentschuldbar, bei dieser Preiskategorie aber auch kaum vermeidbar, das kostet dem Millenium Punkte. Zumindest mit einem Hinweis auf scharfe Kanten sollte die Aufbauanleitung des MPS versehen sein, auch wenn das dem “Bitte benutzen sie das Gerät nicht in der Badewanne” amerikanischer Bedienungsanleitungen nahekommt. Insgesamt schlägt sich das MPS-600 ordentlich, zaubern kann man bei Millenium aber bedauernswerterweise auch nicht. Dennoch: Das Preis/Leistungsverhältnis stimmt!
Unser Fazit:
3,5 / 5
Pro
verwendete Samples
Anzahl Pads
Ausstattung Drum-Modul
(Straßen-)Preis
Contra
Verarbeitungsqualität der Hardware teilweise mangelhaft
zumindest Snare sollte als Mesh-Trigger ausgeführt sein
Hallo liebe Redaktion,ich habe mir vor dem Kauf dieses Drums euren Bericht aufmerksam durchgelesen. Dieser hatte mich überzeugt das Set zu kaufen. Ich spiele das E-Drum jetzt seit ca. 15 Monaten und muss sagen, dass alles, was ihr geschrieben habt stimmt. Ich hatte die Kiste auch schon zu einem Gig mit (war nur gedacht als Übungs-Drum für zuhause damit meine Frau noch bei mir bleibt) und muss sagen, dass es auch hier mehr als ausreichen seine Dienste getan hat. Die Snare werde ich noch austauschen, dann ist es zum Üben und für kleine Auftritte perfekt.Vielen Dank für eure Entscheidungshilfe.Gruß Jörg
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Joerg sagt:
#1 - 29.12.2011 um 00:11 Uhr
Hallo liebe Redaktion,ich habe mir vor dem Kauf dieses Drums euren Bericht aufmerksam durchgelesen. Dieser hatte mich überzeugt das Set zu kaufen. Ich spiele das E-Drum jetzt seit ca. 15 Monaten und muss sagen, dass alles, was ihr geschrieben habt stimmt. Ich hatte die Kiste auch schon zu einem Gig mit (war nur gedacht als Übungs-Drum für zuhause damit meine Frau noch bei mir bleibt) und muss sagen, dass es auch hier mehr als ausreichen seine Dienste getan hat. Die Snare werde ich noch austauschen, dann ist es zum Üben und für kleine Auftritte perfekt.Vielen Dank für eure Entscheidungshilfe.Gruß
Jörg