Sennheiser MD 21 Test

“Druckempfänger sind immer Kleinmembran-Kondensatorkapseln.” Ach ja? Völliger Käse! Das Sennheiser MD 21 ist ein Tauchspulenmikrofon mit großer Membran- oberfläche und “echter” Kugelcharakteristik – und ein Mikro, das deutlich im Schatten seiner dreistelligen Kollegen MD 421 und MD 441 steht. Das finde ich äußerst gemein, schließlich leistet das Mikrofönchen, das fast in die Faust passt, schon seit 1954 Tontechnikern, Musikern, Reportern und letztendlich auch den Konsumenten hervorragende Dienste!

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Wer in einer der zahlreichen History-Sendungen Franz Josef Strauß in Schwarz-Weiß von der Atomtechnik schwärmen sieht, den berühmten Hilferuf der Studenten des Prager Frühlings oder Minister, Sportreporter, Gesprächsrunden-Moderatoren: Die markante und in den 1950ern sicher topmoderne Flosse des MD 21 ist meist mit im Bild. Nicht trotz, sondern gerade wegen seines eher seltenen Funktionsprinzips ist das 21 eines der Spezialwerkzeuge im Tonstudio überhaupt. Dass es von Sennheiser stur als “Reportagemikrofon” bezeichnet wird, darf also getrost ignoriert werden.

Details

Klassisches Reportermikrofon

Zugegeben, das Prinzip eines Tauchspulen-Druckempfängers mit der sich daraus zwingend ableitenden Richtcharakteristik Kugel ist wirklich ungewöhnlich. Auch zugegeben: Diese Ungewöhnlichkeit hat ihre Gründe. Doch für manche Aufgaben ist eben eine eher kauzige Speziallösung das richtige Mittel. Außerdem ist es manchmal durchaus sinnvoll, sich vom klanglichen Standard ein wenig abzuheben, oder? Dabei ist das MD 21 nun wirklich nicht der Yeti, sondern hat durchaus Verwandtschaft. Das RFT Funkberater PGH beispielsweise ist ein geschätztes Mikrofon dieser Bauart, das in der ehemaligen DDR hergestellt wurde und auch heute noch zu eher moderaten Preisen auf dem Gebrauchtmarkt den Besitzer wechselt. Audio-Technica fertigt seit Jahren das Reportermikro AT 8004, Beyerdynamic das M-58 und AKG das D 230, allesamt Mitglieder dieser Kategorie.

Fotostrecke: 3 Bilder Vielseitiges, klanglich sehr ausgewogenes Mikrofon mit Kugelcharakteristik

Unempfindlich gegen Körperschall sowie Popp- und Windstörungen

Das Gehäuse des Sennheiser MD 21 ist im Wesentlichen ein unüblich geformter Metalltubus mit einer Finne. Inzwischen hat eine XLR-Buchse den früheren Kleintuchel-Schraubanschluss ersetzt. Ein Gewinde an der Unterseite dient der Befestigung, verhindert allerdings, dass das Mikrofon geneigt oder in eine Mikrofonklammer gesetzt werden kann. Von Kopf bis Fuß misst die aktuelle Version 13,7 cm, das auf den Bildern zu erkennende ursprüngliche 2er ist noch etwas kürzer. Die heutige Version verfügt über einen etwas aus dem Gehäuse herausstehenden Metalldrahtkorb mit mittig aufgebrachtem Sennheiser-Logo. Neueren wie älteren Modellen ist die große Membran gemeinsam, hinter der ein (fast) eingeschlossenes Luftvolumen liegt. Dadurch reagiert das Häutchen nicht nur auf den Druckgradienten, sondern auch auf Veränderungen des Umgebungs-Luftdrucks. Und Druckempfänger haben (bis auf die Ausnahme PZM) immer die Richtcharakteristik Kugel. Zu den Eigenschaften dieses Empfängerprinzips zählt neben dem ausbleibenden Nahbesprechungseffekt auch eine nur geringe Anfälligkeit gegenüber Popplauten oder Griffgeräuschen. Auch damit erklärt sich übrigens die hervorragende Eignung als Reportagemikrofon.

Fotostrecke: 3 Bilder Der alte Kleintuchelanschluss wurde mittlerweile vom gängigen XLR-Stecker ersetzt

Ein Blick in den Frequenzgang zeigt ein recht lineares Verhalten bis annähernd hinauf zu 2 kHz, von dort an geht es deutlich nach oben zu einem Peak bei fast 8 kHz. Oberhalb von 15 kHz macht die Frequenzgangkurve dann “den Abgang”, sodass Sennheiser als obersten Grenzwert 18 kHz angibt. Unten stehen 40 Hz in den Spezifikationen. Mit 1,8 mV/Pa liegt der Übertragungsfaktor in einem üblichen Bereich, sonst gibt es eigentlich nichts Relevantes über das Mikrofon zu berichten. Das gilt natürlich nur für Technik und Äußeres, denn ab jetzt geht es primär um unser eigentliches Thema, den Klang!

Praxis

Berichterstatter nicht nur außerhalb des Studios

Sicher, im Grunde liegt der angedachte Haupteinsatzzweck des MD 21 außerhalb des Studios, doch stellt das ja kein Verbot dar. Im Gegenteil: Es gibt viele Einsatzgebiete, in denen eine dynamische Kugel hervorragende Arbeit leistet. Allen voran sind das Toms. Die schlechtere Kanaltrennung durch die geringere Richtwirkung kann dadurch kompensiert werden, dass man das MD 21 äußerst nah positioniert. Im Gegensatz zu Druckgradientenempfängern wird das Signal dann nicht basslastiger, sondern durch Druckstau und die sowieso vorhandene Präsenzanhebung deutlich attackreicher. Unter Umständen sogar so sehr, dass man nicht selten mit einem breiten EQ zwischen 5 und 10 kHz etwas für Ruhe sorgen muss.

Audio Samples
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Bassdrum Schlagfell Bassdrum Resonanzfell Snare Hi-Hat

Angenehm anders

Wer die Werte des Sennheiser-Knubbels kennt, der weiß natürlich, dass er in den absoluten Höhen nicht zu viel erwarten sollte. Das Mikrofon ist generell recht warm, mittig und präsent – also “vintage”. Schwache Übertragungswerte oberhalb von 10 kHz lesen sich erst einmal schlecht, doch ist es oft genau das, was man in einer Mischung braucht (und was auch die alten ultra-teueren Kondensatorklassiker liefern!).
Einen kleinen Geheimtipp möchte ich noch loswerden: Das MD 21 ist ein geniales Dirtmike für das Drumkit! Positioniert man es nicht auf einem Stativ, sondern legt es wie “achtlos” einfach auf den Boden (Grenzflächeneffekt!) oder sogar in Raumecken, um die dortige Bassanhebung mitzunehmen, erhält man oft ein hervorragendes Füllsignal. Schwer komprimiert mit auffällig “saugender” Bewegung durch lange Releasezeiten – schon kommt ein bisschen mehr “Wuchtigkeit” ins Spiel. Wenn ich es aber richtig “kaputt” haben will, kommt mein Telefunken D77 zum Einsatz (das klingt allerdings nicht viel besser als das bekannte Joghurtbechertelefon).
Wer mit den üblichen Verdächtigen wie SM57 und MD 421 am Amp keine zufriedenstellenden Ergebnisse erzielen kann, der sollte auch dort einfach mal zum 21er greifen, denn dieses liefert eine deutliche und angenehme “Andersartigkeit”. Auch hier ist es insbesondere das Empfängerprinzip, das den Unterschied ausmacht. Es klingt allgemein etwas langsamer und “müder” als heutige, moderne Tauchspulenmikrofone – und schlicht und einfach nach “altem Mikro”. Im Direktvergleich wandert es leider oftmals sehr schnell wieder in seine Kiste, allerdings weniger aus Klang-, sondern eher aus Pegelgründen. Man sollte nicht vergessen, dass bei einer Kugel der Pegel des frontal eintreffenden Schalls geringer ist als bei allen anderen Charakteristiken. Also: Pegel anpassen zum Vergleich!  

Audio Samples
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Picking Hits Chords Bass

Ein dynamisches Reportermikrofon für Gesang im Studio?

Warum nicht! An den Beispielen erkennt man sehr deutlich, dass hier ein Exot im Spiel ist, doch genau das kann es ja sein und im Shoot-Out vor der Vokalaufnahme gegen sündhaft teure Boutique-Röhren-Großmembrankondenser gewinnen. Im Beispiel verstärkt ein edler Röhren-Mikrofonvorverstärker, doch auch mit Neve-Pres, APIs und Konsorten ist ein MD 21 nicht zu verachten! Aufgrund des Druckstaus und des Frequenzgangs sollte man allerdings bei naher Besprechung die S- und T-Laute unter verschärfte Beobachtung stellen.

Audio Samples
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Vocals Song

Klanglicher Weichensteller abseits vom HiFi-Sound

Wie man anhand des bisherigen Textes unschwer erkennt, ist das 21 eines meiner Lieblingsmikros. Wer nicht gerade als Kanaltrennungsfetischist gilt, sich die Zeit nimmt, vor der Aufnahme auch einfach mal etwas auszuprobieren, der kann mit dem süßen kleinen Sennheiser wichtige klangliche Weichen stellen. Von Hi-Fi ist das Kugelmikro durchaus etwas entfernt, allerdings soll das kein Makel sein. Die Frage nach dem Rauschen muss natürlich auch beantwortet werden. Anders als sonst bei bonedo üblich, können dies die Audiofiles nicht so gut leisten, denn für die Aufnahmen ist mein uraltes MD 21 zum Einsatz gekommen – die aktuelle Version ist deutlich “ruhiger” im Betrieb.  

Fazit

Man kann auch ohne ein MD 21 im Mikrofonpark sehr gut leben. Das bedeutet aber nicht, dass es in irgendeiner Art zu verschmähen wäre, im Gegenteil: Das Sennheiser ist immer noch ein hervorragendes Werkzeug, vor allem, wenn es um speziellere Aufgaben, unüblichere oder besondere Ergebnisse geht. Der durchaus etwas eingeschränkte Frequenzgang, der ausbleibende Nahbesprechungseffekt und die stark frequenzabhängige Richtcharakteristik: Das alles sind Eigenschaften, die das Mikrofon kauzig, aber liebenswert machen. Man muss allerdings sehen, dass sich Mikrofone, die vor vielen Jahrzehnten konstruiert wurden, im Zeitalter vollautomatisierter Produktionsstraßen und billiger, ungelernter Arbeitskraft nicht mehr zu kostengünstigen Konditionen produzieren und anbieten lassen.

Unser Fazit:
5 / 5
Pro
  • lohnenswerte Alternative zu üblichen Tauchspulenmikros
  • kompakte Bauform
  • besonderer Klangcharakter
  • sehr unempfindlich gegenüber Popp- und Windgeräuschen
Contra
  • durch Festgewinde schlechte Ausrichtbarkeit
Artikelbild
Sennheiser MD 21 Test
Für 485,00€ bei
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Technische Spezifikationen

  • Empfängerprinzip: Druckempfänger (Großmembran)
  • Richtcharakteristik: Kugel
  • Wandlerprinzip: dynamisch (Tauchspule)
  • Frequenzgang: 40 Hz (ca. -3 dB) – 18 kHz (ca. -3 dB)
  • Übertragungsfaktor: 1,8 mV/Pa
  • Ausgang bei aktueller Version MD 21 U: XLR male
  • Preis MD 21 U: Euro 558,11 (UVP)
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Dynamische_Mikrofonklassiker-16 Bild

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Kommentieren
Profilbild von Stephan

Stephan sagt:

#1 - 28.05.2021 um 08:26 Uhr

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Auf der Senmnheiser-History Seite wird das MD21 nicht mehr erwähnt.

Profilbild von dorfbarde

dorfbarde sagt:

#2 - 25.08.2022 um 16:21 Uhr

0

Bekam vor kurzem ein MD21HN geschenkt, Bj. 1954, org. verpackt mit Bedienungsanleitung und Garantiekarte. Habe mir von Kai Hofstetter ein passendes Kabel anfertigen lassen. Jetzt bin ich gespannt, wie es klingen wird, wenn es nach der Sommerpause wieder in den Proberaum geht. Das Gefühl, ein fabrikneues, fast 70 Jahre altes Mikrofon in der Hand zu haben, ist unbeschreiblich!

Profilbild von Nick Mavridis

Nick Mavridis sagt:

#3 - 26.08.2022 um 11:28 Uhr

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Hallo Dorfbarde, das ist ja mal was! Ich bin jetzt ja ungefähr genauso gespannt! Gerne hier mitteilen, wie es war… Klar, eine dynamische Kugel hat ihre Eigenheiten, aber durchaus ihre Vorteile. Viel Spaß und Beste Grüße Nick

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