Neumann BCM 104 Test

Das Neumann BCM 104 folgt keiner der klassischen Neumann-Mikrofonformen wie der des U 47 oder des U 67, sondern ist deutlich jünger – und ganz offensichtlich für die Verwendung am Schwenkarm eines Radiosprechers optimiert.

Neumann_BCM104_1

Dass das niemanden davon abhalten soll, das Mikrofon auch in anderem Umfeld und für andere Schallquellen zu benutzen, muss man eigentlich nicht explizit erklären, oder? Natürlich ist für dieses Review aber das Hauptaugenmerk die Übertragung der gesprochenen Sprache gewesen.

Details

Typisch Neumann: Kondensatorkapsel

Anders als das dynamische BCM 705 ist das BCM 104 ein Kondensatormikrofon. Es teilt sich mit ihm prinzipiell das Gehäuse, aber als Transducer ist eine eigens entwickelte, randkontaktierte Druckgradienten-Kondenserkapsel namens K 04 tätig. Mit zwei Handgriffen ist das Gehäuse geöffnet, worüber sich die Techniker im Rundfunk sicher freuen werden: Das ohne externen Poppschutz zu verwendende BCM muss nach ein paar tausend Betriebsstunden sicher mal gereinigt oder sogar ausgetauscht werden. Wird der mehrlagige Korb entfernt, gibt er den Blick frei auf die einmembranige Kapselkonstuktion. Es handelt sich um eine Niere, die wie die meisten Konstruktionen ab den Präsenzen Richtung Super-/Hyperniere tendiert. 

Fotostrecke: 3 Bilder Der Poppschutz ist zentraler Bestandteil des Gehäuses

Kein linearer Frequenzgang – wozu auch?

Der Frequenzgang ist nicht auf absolute Linearität getrimmt. Allerdings gibt Neumann an, dass der Mikrofonverstärker des BCM104 linear arbeitet und die bewussten und vornehmlich für recht nahe Sprechstimme vorgenommenen Abweichungen in der Konstruktion der Kapsel zu suchen sind. Das ist sowohl nachvollziehbar als auch richtig so. Im Ergebnis liefert das Neumann BCM 104 einen Pegelverlauf, welcher im Freifeld annähernd linear ist. Annähernd weil es einen kleinen Tilt um 0,5 kHz gibt, der bei 30 Hz -2 und bei 4 kHz +2 dB bewirkt. Mehrere Dips formen ein Tal zwischen 4 und etwa 14 kHz, 20 kHz werden noch mit beachtlichen -2 dB durchlaufen. So sieht idealtypische, aber verhaltene und universelle Sprachoptimierung aus.  

Ja, das Mikrofon steht "verkehrt herum" – wie bei Broadcast-Mikros nicht unüblich.
Ja, das Mikrofon steht “verkehrt herum” – wie bei Broadcast-Mikros nicht unüblich.

Versteckspiel

Sprache wird bekanntlich gerne auch sehr nah mikrofoniert. Das geschieht nicht zuletzt, um den Nahbesprechungseffekt von Druckgradientenempfängern auszunutzen, der den Bassbereich anhebt (Ich nenne das gerne „Bierwerbungsstimme“.). Zwischen 100 und 150 Hz, also im Grundtonbereich männlicher Stimmen, entsteht bei 5 cm Abstand die stärkste Überhöhung im Bassbereich. Ein 12dB/oct-Hochpassfilter bei 100 Hz nimmt diese zurück und bewahrt schon vor dem Preamp den Tiefbass vor dem Zuschlammen. Die Filteraktivierung findet man dort, wo man auch das Pad von 14 dB findet: im Inneren (!) des Mikrofons. Dazu muss die Sicherungsschraube der XLR-Buchse gelöst werden, wodurch die Einheit freigelegt werden kann. Das klingt nicht nur nach viel Aufwand, das ist es auch. Sicher ist das im Musikstudio eher unpraktisch, im Broadcast aber gibt es ein Setting und jeder ist froh, wenn kein Sprecher oder gar Gast aus Versehen etwas verstellen kann – Die Sicherheit des reibungslosen Sendebetriebs hat Priorität. Dennoch ist es schlauer, wie Shure es mit den beiden Filtersettings beim SM7B machen: Wo nötig, kann einfach eine beiliegende Blindplatte darüber geschraubt werden. Und das Shure ist einen ganzen Tacken älter.

Einer der Kugelverschlüsse des Korbes
Einer der Kugelverschlüsse des Korbes

Verkehrte Welt

Wo ich wieder beim Gehäuse angekommen bin, kann ich mich gleich noch den bislang nicht genannten Eigenschaften widmen: Es ist, erkennbar beispielsweise an der Ausrichtung der Logo-Schrift in der Raute, wie einige Mikrofone von CAD (etwa das CAD Equitek E300S) „upside down“ zu betreiben, was bei den meisten Sprechersituationen sinnvoll ist (Pro/Contra Mikro verkehrt herum betreiben). Es ist kompakt, das reine Gehäuse misst gerade einmal zehn Zentimeter in der Höhe. Das geht deshalb, weil der XLR-Stecker rückseitig eingesteckt werden muss. Der Stativanschluss ist hingegen an der Oberseite – er befindet sich nicht direkt am Korpus des Neumann BCM 104, sondern an einer recht weichen Gummikonstruktion, welche die Übertragung von Trittschall einschränkt.

Umlaufende Banderole: Vorne steht die Bezeichnung des Mikrofons, hier die Seriennummer
Umlaufende Banderole: Vorne steht die Bezeichnung des Mikrofons, hier die Seriennummer

Der Ersatzgeräuschpegel liegt nach Anwendung der A-Bewertungskurve dort, wo auch der eines Neumann TLM 103 liegt: bei 7 dB. 0,5% Klirr-/Rauschanteil gibt das Neumann BCM 104 bei 138 dB(SPL) aus. Damit sollte auch die Kommentierung der Aufholung eines eigentlich aussichtslosen Rückstandes bei Fußball-WMs und dergleichen abgedeckt sein. Als Feldleerlauf-Übertragungsfaktor gibt Neumann 22 mV/Pa an, nach Aktivierung des Pads sind es nur noch 4,4. Die Impedanz des elektronisch symmetrierten BCM 104 ist mit 50 Ohm recht gering.

Praxis

Perfektes Gehäuse

Das Gehäuse des Neumann BCM 104 verdient einen ersten Applaus. Es ist für den hochprofessionellen Einsatz wie geschaffen. Mehr muss ich eigentlich nicht sagen. Na, vielleicht doch: Die mechanische Trittschallfilterung funktioniert sehr gut. Und wo wir gerade schon dabei sind: die Poppfilterung genauso.

Broadcastmikrofon am Mikrofonausleger
Broadcastmikrofon am Mikrofonausleger

Klanglich genau richtig

Klanglich zeigt sich, dass Neumann genau weiß, was heutzutage gefragt ist. Ohne wirklich „modern“ (und somit irgendwann möglicherweise „outdated“) zu sein, ist es sprachoptimiert. Die Höhen sind sehr detailliert dargestellt, bleiben dabei offen und natürlich. Dass der Schärfebereich etwas zurückgenommen ist, fällt kaum auf. Und das ist ein gutes Zeichen! Denn dadurch bleibt die Natürlichkeit erhalten, die S-Laute wirken nicht „versteckt“ oder „unterdrückt“, sondern spielen weiterhin schnell – nur eben mit weniger Pegel. Hier zeigt sich auch, dass Neumann ein Profi-Tool entwickelt hat: Je nach Sprecher ist weiterhin der Einsatz eines De-Essers angeraten. Mikrofone, die „fertigen“ Sprechersound liefern wollen, sind im Profi-Betrieb nicht gerne gesehen. Das Signal des Neumann BCM 104 wird sanft vormodelliert, kann aber noch problemlos in verschiedenste Richtungen gebogen werden. Stimmen sind schließlich unterschiedlich.

Audio Samples
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Sprache 20 cm Sprache 5 cm

Mitten und Tiefmitten werden trocken und präzise aufgezeichnet, genauso verhält es sich mit dem Bass. Auch bei voller Anhebung durch den Nahbesprechungseffekt schwimmt und schwabbelt nichts im Signal. Das muss auch so sein, wenn ein Mikrofon – zumal mit Neumann-Raute – ein explizites Broadcast-Mikrofon ist. Es zeigt sich dabei auch, dass das Hochpassfilter sehr gut und sauber arbeitet. Vor allem aber: Das Neumann BCM 104 klingt bei Abständen von weniger als 30 Zentimetern deutlich besser als bei größeren, die zwar noch ein schönes, rundes Klangbild liefern, aber rückwärtigen Schall stärker zulassen. Und ein Mikro wie das 104 ist nicht gerade mit dem Ziel konzipiert worden, diesen rückwärtigen oder auch seitlichen Schall möglichst natürlich klingen zu lassen. Als Raummikrofon oder als Mic mitten im Drumkit, umgeben von anderen Signalquellen, ist das Neumann BCM 104 verständlicherweise alles andere als meine erste Wahl gewesen

Feindynamik und Grobdynamik super

Toll ist, wie auch bei naher, basskräftiger Besprechung Details erhalten bleiben. Dadurch ist es ein Leichtes, das Signal nachträglich anzureichern und mit Röhrengeräten oder sonstigen Färbern anzudicken. Besonders im Broadcast wird ja gerne mit extremen Prozessoren gearbeitet, die teilweise brutale Eingriffe vornehmen, mit Multiband-Kompression, Psychoakustik-Limiting und dergleichen. Das geringe Eigenrauschen des BCM und die späte Zerrung erlauben einen hohen Pegelspielraum und auch hohe Kompressionshübe, ohne dass man dem Rauschen bei dieser Bewegung zuhören könnte.&nb

Sprecher, Sänger – und dazwischen

Was für Sprecher gut ist, ist es für Sänger ebenfalls. Besonders dann, wenn die Abstände nicht so hoch sind und der Raumklang keine große Rolle spielen soll. Als Rap-Mikrofon kann es daher je nach Stimme eine tolle Wahl sein. Und an dieser Stelle will ich auf eine weitere Eigenschaft kommen, den Preis. 1000 Euro sind absolut angemessen für ein Mikrofon dieser Qualität, Servicefähigkeit und dem zu erwartenden hohen Werterhalt und Wiederverkaufswe

Audio Samples
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Neumann BCM 104, 5 cm Neumann BCM 104, 5 cm, HPF Neumann BCM 104, 30 cm Neumann BCM 104, 30 cm, 45 Grad Neumann U 87, 30 cm Aston Spirit, 30 cm Mojave MA-201FET, 30 cm Audio-Technica AT5045, 30 cm

Nur für die Stimme? Ganz und gar nicht…

An Schlaginstrumenten kann es gute Arbeit leisten, dort muss man vor allem die umgebenden, bleedenden Signale unter verschärfter Beobachtung halten. Gleiches gilt für akustische Instrumente größeren Klangkörpers: An der Akustikgitarre klang es ganz vorzüglich, wenngleich es durch den Frequenzgang eher in Konkurrenz zu Stimmen tritt. Im Auge behalten sollte man auch hier seitwärts eintreffende Signale. So klang das axiale Griffbrett-Signal einer akustischen Gitarre zwar hervorragend, mit dem Audio-Technica AT5045 beispielsweise war das seitlich eintreffende Signal des Korpus jedoch etwas natürlicher. 

Im Vergleich mit "normalen" Kondensatormikrofonen sieht das für den Upside-Down-Betrieb am Ausleger konzipierte BCM irgendwie ulkig aus.
Im Vergleich mit “normalen” Kondensatormikrofonen sieht das für den Upside-Down-Betrieb am Ausleger konzipierte BCM irgendwie ulkig aus.

Das Neumann BCM 104 ist eine ideale Ergänzung zu nicht sprachoptimierten, sehr linearen Mikrofonen, damit sind explizit auch Kleinmembraner gemeint. Sehr schön war das Mikro übrigens auch am Gitarrenverstärker. Besonders dann, wenn Höhen impulshaft übertragen werden sollen und eine hohe Detailgenauigkeit gefragt ist – ein cleanes „Fender“-Signal mit Federhall beispielsweise. Aber bei letztgenannten (zugegebenermaßen leicht zweckentfremdeten) Anwendungen ist es wirklich ärgerlich, nicht mal eben das Hochpassfilter ausprobieren oder zur Sicherheit das Pad aktivieren zu können. Dafür jedes Mal eine ambulante Operation durchzuführen ist nichts, was man im Produktionsalltag mal kurz einschieben kann.

Fazit

Neumann hat mit dem BCM 104 ein Kondensatormikrofon auf dem Markt, welches die Anforderungen mit Bravour erfüllt, die an ein modernes Broadcastmikrofon im Inneneinsatz gestellt werden. Durch die Bedürfnisse des Marktes und die Knowledge eines der ältesten und wichtigsten Hersteller von Tontechnikequipment überhaupt hat sich ein für den Einsatzzweck annähernd perfektes Produkt herausentwickelt. Aber mehr noch: Nicht nur für Sprecher, auch für Sänger und an einigen Instrumenten machte das Neumann BCM 104 im Test eine sehr gute Figur.

Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
  • schnelle, sprachgerechte Wiedergabe
  • gute mechanische Popp-/Rumpelfilterung
  • technische Filter (HPF, Pad) hervorragend
  • gute Servicemöglichkeiten
  • auch für andere Signalquellen gute Eignung
Contra
  • Erreichbarkeit der Schaltfunktionen für Studiobetrieb unpraktisch (kein Nachteil im Broadcast)
Artikelbild
Neumann BCM 104 Test
Für 999,00€ bei
Neumann_BCM104_2
Ja, das Mikrofon steht “verkehrt herum” – wie bei Broadcast-Mikros nicht unüblich.
Features und Spezifikationen
  • Wandlerprinzip: Echtkondensator
  • Empfängerprinzip: Druckgradient
  • Membrangröße: groß (1“)
  • Richtcharakteristik: Niere
  • Frequenzgang: 20 Hz – 20 kHz
  • THD+N: 7 dB(A)
  • Empfindlichkeit: 22 mV/Pa
  • maximaler Schalldruckpegel ohne Pad: 138 dB(SPL) (0,5% THD)
  • Pad: 14 dB
  • Hochpassfilter (6 dB/oct bei 100 Hz)
  • Preis: € 999,– (Straßenpreis am 22.07.2017)
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Profilbild von Georg Janser

Georg Janser sagt:

#1 - 13.02.2019 um 20:44 Uhr

0

Hm. Bei 5cm popt das Ding wie Sau, mit Hipass klingt's dünn und bei 30cm nach Telefon (gerade Studiogäste nehmen's oft (trotz Hinweis) nicht sehr genau mit Abstand und Einsprechrichtung, deshalb muss das Mic auch aus größerer Entfernung noch tragen). Perfekt ist für mich zumindest anders.

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