Horch RM3 Test

Mein Urgroßvater aus dem schönen Nagoldtal im Nordschwarzwald war stolzer Besitzer eines Horch. Nicht, dass ihr denkt, ich stamme aus einer alteingesessenen Tontechnikerdynastie: Es war ein Auto. Dieses Fahrzeug-Label hat aber längst den Weg anderer angetreten und befindet sich damit in bester Gesellschaft mit Simca, NSU, Borgward, De Lorean und vielleicht bald leider auch Saab. Ganz anders der deutsche Mikrofonhersteller Horch, denn dessen Mikrofone sind zwar irgendwie deutlich “vintage”, doch in Wirklichkeit nagelneu und quicklebendig – und die Firmengeschichte noch gar nicht sonderlich lang. Vor allem haben sich die Herren einen beachtlichen Ruf erarbeitet, denn Horch-Mikros werden überall auf der Welt hochgelobt und genauso hoch gehandelt.

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Aus der recht übersichtlichen Produktpalette haben wir das umschaltbare Röhren-Großmembranmikrofon RM3 herausgegriffen. Nun ist der Markt hochwertiger und hochpreisiger Röhren-Doppelkondenser nicht gerade dünn, daher interessiert uns von bonedo natürlich brennend, was passiert, wenn man der Anweisung “Horch!” folgt. Kleines Anekdötchen gefällig zum Abschluss des Intros? “Horch” ins Lateinische übersetzt bedeutet “Audi”.

Details

Großmembran-Röhrenmikrofon in der Tradition der klassischen Wiener Röhrenmikrofone der 1950er und 60er Jahre

Weitaus freundlicher als die aggressive Front moderner Ingolstädter Automobile erscheint das optische Auftreten des RM3. Dennoch wirkt der simple, mattschwarze Tubus edel, das aus V2A-Edelstahl gefertigte Gitter ist eine deutliche Reminiszenz an Art-déco-Designs der 1920er. Das Bild perfekt macht die Metallkappe oberhalb des Korbes. Das Kondensatormikrofon wirkt dadurch etwas gedrungen und kompakt. Sehr schön! Vor allem in den USA, wo sich Horch-Mikrofone einer hohen Beliebtheit erfreuen, sollen wohl viele Engineers davon ausgehen, dass Horch eine deutsche Traditionsmarke sei. Für das Attribut „Traditionsmarke“ mag es noch etwas früh sein, aber es könnte durchaus Absicht dahinter stecken. Eine Raute als Firmenlogo ist auf wichtigen Mikrofonen aus Deutschland schließlich nicht unüblich. Im bonedo-Testmarathon habe ich sogar einmal versehentlich das Horch-Netzteil statt der Neumann-Spannungsversorgung angeschaltet. Mit der Schönheit ist es meinem Stilempfinden nach vorbei, wenn man das RM3 mit dem richtigen Netzteil anschaltet: Aus dem Korb glimmt ein mystisch anmutender blauer Schein. Vor fünfzehn Jahren hätte ich darüber sicher gejubelt, aber von einem Mikrofon für fast 4000 Euro netto erwarte ich, dass es mir auch in 30 Jahren nicht peinlich ist. Sicher, man kann anderer Ansicht sein, doch würde ich mir zumindest wünschen, die interne LED ausschalten zu können. Ich würde als Besitzer eines Horch sicher eine “Light Mod” vornehmen wollen und dadurch darauf verzichten, dass mein teures Mikrofon mit einem billigen Standard-Bauteil nach Aufmerksamkeit schreit. Ok, Geschmackssache.

Fotostrecke: 5 Bilder Die Anlehnung an edle traditionsreiche Mikrofone…

Auch die inneren Werte zählen

Immerhin: Durch das Leuchten kann man den Aufbau im Inneren des Horch betrachten. Es fällt eine besondere Konstruktion auf, denn die Membran ist an elastischen Bändern aufgehängt, übernimmt also die Funktion einer Spinne. Dadurch kann darauf verzichtet werden, das gesamte Mikrofon in eine elastische Halterung zu setzen und es ist möglich, das schöne beiliegende Kabel mit Verschraubung, integriertem Neiger und Stativadapter zu verwenden (manche kennen vielleicht den Neumann IC 6 mt – dieser stand sehr offensichtlich Pate). Ebenfalls in das Mikrofon integriert ist ein dünner Stoff, der als Popp- und Spuckschutz die Membran samt Konstruktion umgibt. 

Fotostrecke: 3 Bilder Die mitgelieferte Halterung mit Kabelverbindung zum Netzteil…

Technische Daten sucht man vergeblich

Im Inneren des Edelstahltubus des RM3 arbeitet eine Class-A-Triodenstufe mit einer penibel ausgewählten ECC 81, der ein Übertrager nachgeschaltet ist, den Horch selbst entwickelt hat. Schaut man durch die Öffnungen des “Korbes” (der hier wenig an ein Korbgeflecht erinnert), erkennt man die 1”-Doppelmembran mit Mittenkontakt. Dass die Doppelmembranen mit Platin beschichtet sind, ist noch zu erfahren, mit weiteren Daten zum RM3 ist es aber so eine Sache. Horch erachtet es nicht für notwendig, schnöde Zahlen anzugeben. Bei Rolls Royce hieß es bei der Frage nach der Leistung der Motoren lange Zeit nur “ausreichend”. Ich möchte laut “Bravo” rufen, denn recht hat man bei Horch: Zahlen können bekanntlich wenig aussagekräftig sein, so können auch Damen mit den Maßen 90-60-90 trotzdem alles andere als “Hingucker” sein. Ich kann aber verraten, dass nach Überprüfung und Vergleich mit anderen Mikrofonen zumindest für den Frequenzgang davon ausgegangen werden kann, dass seine Ebenheit manchen Autofahrer gehörig ins Schwitzen brächte, wenn er eine Straße wäre. Das ist er aber nicht, zudem ist Linearität bei Großmembran-Kondensern im Regelfall nicht das oberste zu erreichende Ziel. Und dass ich hier berichte, dass das RM3 rauscht wie die Nordsee bei Springflut, das wird doch wohl auch keiner erwarten, oder? Also: Alles gut.

Fotostrecke: 4 Bilder Ein handgefertigtes Netzteil mit Umschalter für die Richtcharakteristik…

Eine saubere und leistungsfähige Spannungsversorgung

Die Erstklassigkeit des Horch endet nicht am Mikrofonausgang, selbst das Netzteil ist von edelster Art. Auch hier findet sich fast ausschließlich Handfertigung, das Netzteil siebt äußerst aufwendig, um aus der Wechselspannung des Netzes die 6 Volt für die Heizung und die 120 Volt möglichst stabil zu generieren. Kenner wissen: Eine saubere und leistungsfähige Spannungsversorgung ist bei analogen Audiogeräten das A und O. Wie man in dieser Liga jedoch auf einen vernünftigen Koffer verzichten kann, der Mikro, Kabel und Netzteil gemeinsam sicher aufnimmt, ist mir ein Rätsel.

Praxis

Horch, was kommt von draußen rein?

Die erste Auslenkung der Membran, die über den kürzestmöglichen Weg die Regieraumlautsprecher und somit unsere Trommelfelle in Schwingung versetzt, macht unmissverständlich deutlich, dass man es beim Horch RM3 mit einem Röhrenmikrofon nach bester deutscher Fasson zu tun hat. Wie bei vielen anderen Großmembran-Mikrofonen schwingt der Neumann-Geist auch hier deutlich mit. Mit sanfter, edler Farbe fügt der Schallwandler den Stimmen einen leichten Schimmer hinzu, der sich von den Mitten an bemerkbar macht. Vokale klingen auch bei größerem Besprechungsabstand angenehm nah und präsent, ohne aber die damit oft einhergehende Dichtheit zu entwickeln. Das Signal bleibt immer transparent, zum Komprimieren gibt es schließlich entsprechende Geräte in der darauffolgenden Bearbeitungskette. Konsonanten werden angenehm behandelt, vor allem das bei deutschsprachigen Sängern oft problematische “S” wird etwas entschärft. Dies ist nicht auf den Frequenzgang zurückzuführen, sondern der hervorragenden Balance zwischen minimaler Verlängerung und Transparenz geschuldet. Amerikanische” Konsonanten werden mit dem RM3 ebenfalls deutlich schwerer und breiter – wie man es von vielen Produktionen aus dem Dreibuchstabenland gewohnt ist. Die durchaus merklichen Unebenheiten im Frequenzgang verleihen dem Mikrofon zusätzlichen Charakter, im Beispiel harmoniert das Horch insbesondere mit den männlichen Vocals – entgegen der landläufigen Meinung, derzufolge das RM3 besonders für Frauenstimmen geeignet ist. Bei der Konstellation der getesteten Stimmen würde ich aber genau andersherum erscheinen, doch zugegebenermaßen ist die Männerstimme, die ihr dort hören könnt, nicht besonders sonor, wird durch den Support der unteren Mitten aber angenehm warm, breit und groß. Zarteren und gehauchteren Frauenstimmen kann dies sehr entgegenkommen, die Organe der beiden Damen vor dem Testmikrofon machen das aber überflüssig. In den Höhen tut allen Stimmen der Charakter aus oben angesprochenen Gründen jedoch sehr gut.

Audio Samples
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female, 10 cm female, 30 cm female, 50 cm male, 10 cm male, 30 cm Bahar

Tieffrequenzen wie auf der Richter-Skala

Nach längerem Hören wird die Stilgebung des offensichtlichen Sound-Paten deutlicher: Es wird wohl das ELA 251 sein. Zwar ist klanglich dem RM3 die deutsche Herkunft durchaus anzumerken, doch habe ich den Eindruck, als harmoniere das Horch mit Gesangsstimmen im Allgemeinen etwas besser als aktuelle Neumänner – vielleicht durch die etwas stärkere Verbreiterung. Bei Sprache sieht es anders aus, hier würde ich ein M 149 Tube sicher vorziehen.
Deutlich auffallend ist die ausgeprägte Übertragung von Bass und Tiefbass. In gebührendem Abstand vor einer Bassdrum aufgestellt habe ich nicht schlecht gestaunt, was an Erdbebenfrequenzen da durch das Kabel geschickt wird, ich konnte meinem Subwoofer fast beim gemütlichen Hin- und Herbewegen zusehen! Unter 100 Hz erinnert mich das “Audi”-fon durchaus an Druckempfänger! Auch wenn man vielleicht aufgrund dieser Beobachtung Schlimmes bei der Nahbesprechung befürchtet: Sehr gut gefällt der hervorragend steuerbare, natürlich wirkende und nie nervende Proximity Effect, der dem Signal nicht undefiniertes Brummeln, sondern ein dickes, aber trockenes Fundament hinzufügt. Wenn, dann so, bitteschön! Der integrierte Poppfilter funktioniert wirklich auffallend gut – für einen integrierten Poppfilter. Im Nahbereich wurde es dem Seidengewebe dann aber doch schnell zu viel, sodass der externe Vertreter zum Einsatz kam.
Auf Acht gestellt, spielt das Horch RM3 seine Qualitäten erst richtig aus, wie ich finde. Es klingt genau im richtigen Maße prägnanter und aufgeräumter als die Niere – Wahnsinn! Den Klang des auf Kugel gestellten RM3 halte ich nicht für so überzeugend. Es hat zwar etwas deutlich vintagemäßiges, doch nach meiner Auffassung könnte man auf die wahrzunehmende Löchrig- und Phasigkeit gerne verzichten. Doch auch hier gilt: Für manche Stimmen und Mixes mag das genau das Richtige sein.

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Niere Kugel Acht

Soundfärbung mit Charakter

Selbstverständlich lässt sich ein Mikrofon wie das RM3 auch zu anderen tontechnischen Aufgaben heranziehen. Die Farbe wird Streichern und Akustikgitarren in manchen Mixes genau das liefern, was sie benötigen. Auch als Overheads, Shoulders, Distant-Bassdrum-Mikes oder sogar “offenen” Einzelmikrofonierungen bei Jazz- oder Big-Band-Aufnahmen würde ich sicher zum RM3 greifen wollen, um zu überprüfen, ob Mikrofoncharakter und Soundvorstellungen miteinander harmonieren – vorausgesetzt, ich hätte eines der teuren Stücke griffbereit. Diese zusätzliche Eignung des schwarzen Schmuckstücks ist nicht zuletzt dadurch gegeben, dass es ein für ein Röhrenmikrofon hervorragendes Dynamik- und Rauschverhalten an den Tag legt.

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Empfehlung zur Erweiterung des Mikrofonparks

Horchs RM3 reiht sich also problemlos in die Garde hochwertiger deutscher Röhren-Großmembranmikrofone ein – fast so, als sei es schon immer da gewesen. Dennoch ist es keine reine “Copycat”, sondern positioniert sich etwas charaktervoller als die meisten heutigen Mikrofone, weiß aber die Anforderungen von Vintage-Sound und Modernität geschickt zu verknüpfen. Der blau leuchtende Wandler ist zweifelsohne ein harter Konkurrent zum M 149 Tube, diversen Gefells und amerikanischen Neumann-/Telefunken-Clones, doch gibt es ein paar kleinere Anmerkungen zum Lob: Das Mikrofon ist mit einem Bruttopreis von über 4500 Euro wirklich kostspielig, außerdem wird es natürlich nicht allen Stimmen schmeicheln können und Stimmen auf eine Art “bereichern”, die man in manchen Mischungen schlicht gar nicht benötigt. Daher kann das RM3 zur Erweiterung eines bestehenden Mikrofonparks “nach oben” empfohlen werden und als unfassbar hochwertiges Mikrofon für den Sänger und Techniker dienen – wenn es zu Stimme und Aufgabe passt. Mich persönlich hat der Sound wirklich verzaubert, aber es geht ja nicht nur um Sound und Optik: Die Verarbeitung bietet keinen noch so kleinen Anlass zur Kritik, sondern vielmehr Grund zur Begeisterung. Anders als sonst – und das leider auch ab und zu im High-End-Bereich – möchte ich in meinem Lob das Netzteil explizit mit einschließen!

Fazit

Das Horch RM3 klingt absolut hervorragend. Wer auf den edlen Großmembran-Röhrensound alter, deutscher Machart steht und Gesang aufnehmen will, der sollte sich einen Hörtest dieses Mikrofons nicht entgehen lassen. Allerdings sollte man sich seines Finanzpolsters vergewissern, weil gut viereinhalb Tausender wirklich eine Menge Holz sind. Allerdings gibt es ein echtes deutsches Mikrofon mit vergleichbarer Klang- und Verarbeitungsqualität kaum für weniger auf dem Markt. Das blaue Herumgeleuchte im Inneren der Kapsel ist schlicht und einfach Geschmackssache, mit dem offensichtlich absolut kompromisslos geplanten und gefertigten RM3 gibt es aber einen ernst zu nehmenden Neumann-Verfolger, in verschiedenen Bereichen sogar -Überholer.

Pro
  • hervorragender Klangcharakter
  • grandioser Achter-Klang
  • Klangqualität allerhöchster Güte
  • geringe Anfälligkeit für Popplaute
  • sehr gut verarbeitet
Contra
  • Charakter harmoniert nicht mit allen Stimmen und Anwendungsfeldern perfekt
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Technische Spezifikationen
  • Membrangröße: groß
  • Empfängerprinzip: Druckgradientenempfänger
  • Richtcharakteristik: Kugel, Niere, Acht einstellbar
  • Wandlerprinzip: Kondensator
  • Betriebsspannung: 48V Phantomspeisung
  • Frequenzgang: k.A. seitens des Herstellers
  • Übertragungsfaktor: k.A. seitens des Herstellers
  • THD+N: k.A. seitens des Herstellers
  • maximaler Schalldruckpegel: k.A. seitens des Herstellers
  • Röhre: Triode
  • Ausgang: 3-pol-XLR am Netzteil
  • Preis: € 4666,-(UVP)
Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
  • hervorragender Klangcharakter
  • grandioser Achter-Klang
  • Klangqualität allerhöchster Güte
  • geringe Anfälligkeit für Popplaute
  • sehr gut verarbeitet
Contra
  • Charakter harmoniert nicht mit allen Stimmen und Anwendungsfeldern perfekt
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Horch RM3 Test
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