Neumann BCM 705 Test

Das Neumann BCM 705 wird üblicherweise in nach Preis sortierten Auflistungen von Neumann-Mikrofonen ausgelassen.

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Stattdessen werden TLM 102, TLM 103 und dergleichen genannt. Das BCM 705 ist als echtes Neumann-Mikrofon von durchaus stattlicher Größe für weniger als 600 Euro zu haben und wird in erster Linie als Sprechermikrofon beworben. Seine Besonderheit ist nicht die Upside-Down-Form eines Broadcast-Mikrofons, die es sich mit dem BCM 104 teilt, sondern das Wandlungsprinzip. Dieses ist nämlich – Tusch! – dynamisch! Ganz recht, ein dynamisches Neumann.

Details

Hyperniere mit sanftem Verlauf

Genauso wie es von Beyerdynamic auch elektrostatische Mikrofone gibt, gibt es von Neumann dynamische. Ok: eines, um genau zu sein, nämlich dieses. Der am Produktionsort auch der elektrostatischen Neumann-Kapseln in der Wedemark gefertigte Tauchspulenwandler ist schwingungsbedämpft aufgehängt und zeigt die Richtcharakteristik einer Hyperniere. Laut Polardiagramm büßt diese erst oberhalb von 1 kHz etwas an Stabilität ein. Das Wörtchen “etwas” ist bewusst gewählt, denn die Abweichung der Rear Lobe beträgt bei 180 Grad gegenüber der Front Lobe bei 0 Grad maximal 5 dB. Selbst die beiden Off-Axis-Winkel bleiben bis 1 kHz konstant, das Pegelmaximum an dieser Stelle zeigt die 16 kHz-Kurve mit etwas unter 120 dB Dämpfung gegenüber 1 kHz. Wichtiger ist sicherlich, dass die Richtcharakteristik bis 45 Grad zwar in den Höhen abfällt, dies aber sehr sanft tut.

Fotostrecke: 4 Bilder Dynamische Neumann-Kapsel, hier in der Rückansicht. Man kann die Humbuckerspule gut erkennen.

BCM 705 scheint für geringe Sprechabstände optimiert zu sein

Ohne die Bassanhebung durch den Nahbesprechungseffekt zu berücksichtigen, zeigt das Neumann BCM 705 bei frontaler Adressierung eine etwa bei 200 Hz beginnende Pegelabsenkung. Bei 5 Zentimetern Abstand hingegen liegt der Pegel im Bass gut 3 dB über der 1kHz-Marke. Das bedeutet: Das Mikrofon ist für geringe Sprechabstände konzipiert. Keine Verwunderung erzeugt, dass die Höhen ab 2, 3 kHz angehoben sind und die Kurve sich bei 10 kHz schon im freien Fall befindet, um die 20 kHz mit bald 20 dB Dämpfung zu kreuzen. Auch keine Überraschung: Mitten in dieser Anhebung gibt es eine Absenkung mit einem Zentrum bei 6 kHz. Die Mission ist klar: Das Mikrofon soll Stimmen zwar frisch und verständlich, aber nicht scharf übertragen.

18 dB(A) Ersatzgeräuschpegel

1,7 mV/Pa überträgt das 200 Ohm Impedanz erzeugende BCM 705, wenn an einer 10kOhm-Impedanz gemessen wird. Der Ersatzgeräuschpegel beträgt 18 dB, wenn auf die Messergebnisse die A-Filterkurve gelegt wird. Das liegt deutlich über den 7 dB(A) eines TLM 103, aber schließlich ist das BCM 705 ja dynamisch und 18 dB(A) ein typischer Wert.

Korb lässt sich leicht entfernen

Ganz genau ein halbes Kilogramm bringt das BCM 705 auf die Waage, mit einer Korpushöhe von 11 Zentimetern und einem Durchmesser von 6,5 ist es recht kompakt. Sehr gut: Der Korb lässt sich einfach abdrehhen und säubern, was vor allem dadurch erleichtert wird, dass er ausschließlich Metallgitter und Gaze verwendet. Ein kleiner Bügel erlaubt es, das BCM an einen Mikrofonarm zu hängen, die Buchse sitzt in einer Verlängerung. Dass Neumann nur eine runde Papptonne zur Aufbewahrung mitliefert, will ich dem Unternehmen nicht ankreiden, denn professionelle Sprechermikrofone werden im Regelfall am Mikrofonarm montiert und verrichten dort dann über Jahre ihre Arbeit.

Fotostrecke: 4 Bilder Der Mikrofonkorb, hier der Blick hinein, ist schnell abgeschraubt.

Praxis

Es muss halt nicht immer ein Kondenser sein

Wie zu erwarten, ist das Neumann BCM 705 ist absolut hervorragend verarbeitet. Alles andere würde auch verwundern. Spannender ist da schon die Frage nach den Klangeigenschaften. Natürlich gibt es bei einem Mikrofon, an dessen Membran eine im Verhältnis ziemlich schwere Spule aus Metall hängt, weniger fein aufgelöste Höhen und hohe Pegel im zweistelligen Kilohertzbereich.
“Wozu auch?” wird so mancher jetzt einwerfen – und hat da Recht: Gerade bei Sprache gibt es dort oben keine zwingend notwendigen Anteile im Stimmensignal, wenngleich in Deutschland, dem “Land des Kondensatormikrofons” Stimmen gerne mit (übertrieben) vielen Höhen zu hören sind. Das Umschalten auf amerikanischen Originalton bei Hollywoodproduktionen oder das Hören von Podcasts oder Radiostationen von dort zeigt schnell, dass auch die weicheren, wärmeren Tauchspulenmikrofone und auch Bändchen ihren Charme haben. Klingt das BCM 705 deswegen “amerikanisch”, gar kernig wie ein SM7B? Nein, denn Neumann ist es gelungen, das BCM 705 geschickt zu positionieren; es klingt nicht kantig und klar wie typische Kondenser, sondern schickt einen zwar im Vergleich runderen und gewissermaßen stimmoptimierten, aber im Bass vorsichtigen Klang auf die Reise durch das XLR-Kabel.

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Das Presonus PD-70 ist, obwohl ebenfalls eine Tauchspule, um Längen britzeliger und höhenreicher, das EV RE20 verhaltener und neutraler, das Shure SM7B wolliger und mit mehr Brustton. Dadurch ist das Neumann ein für viele Stimmen sehr gut passendes Mikrofon, das sich mit seinem angenehmen Stimmenklang auch ohne tiefgreifende Bearbeitung gut einsetzen lässt. Problemzonen sehe ich keine, doch wird es natürlich auch Stimmen und Anwendungsfelder geben, denen die Klangeigenschaften nicht zusagen.

Im Video ist das Neumann BCM 705 mit acht weitern Broadcast-Mikros im Direktvergleich zu sehen und zu hören:
(0:33 Distanzmikrofonierung, 3:58 Nahmikrofonierung)

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Mehr Informationen

Pattern wirklich sehr stabil

Die Stabilität der Richtcharakterisitik ist nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis gut, selbstverständlich setzen Änderungen im Frequenzgang schon bei kleineren Winkeln ein als etwa bei den Nierenmikrofonen RE20 oder SM7B. Die Poppempfindlichkeit ist auch ohne Poppfilter gering, ein Windschutz, eine gute Dispziplin oder eine leicht schräge Ausrichtung sind aber sicherer. Den Nahbesprechungseffekt kann man auch bei geringen Abständen gut steuern.

Auch als Gesangsmikrofon macht das Neumann BCM705 eine gute Figur… klanglich: Es sieht zugegebenermaßen etwas ungewohnt aus, das Mikro verkehrt herum zu betreiben, aber klassische, schwere Galgenstative wie der Starbird sind dafür natürlich gut geeignet (kosten aber mehr als das Mikro…). Die Aufnahmen mit unserem Haus-und-Hof-Sänger Chul-Min zeigen, dass ein angenehmes, weil nicht zu eckiges, aber dennoch ausreichend detailliertes und ausgewogenes Signal entsteht, wenn in das BCM705 hineingesungen wird. Ausprobieren sollten das Mikro auch Rapper!Ebenfalls ein Tipp zum Ausprobieren: BCM705 am Gitarrenamp, besonders im Nahbereich! Und weil das auch für die Snare gilt (obwohl ein wenig klobig für viele Positionen), Toms und Blechbläser, scheue ich nicht davor, das Mikrofon entgegen der beworbenen Eignung für die Sprechstimme als Allrounder zu bezeichnen.

Audio Samples
0:00
Vocals, 2 cm Vocals, 30 cm, 0 Grad Vocals, 30 cm, 45 Grad Vocals, 30 cm, 90 Grad Vocals, 70 cm

Fazit

Schon die Sternchenbewertung lässt erkennen, dass das Neumann BCM 705 weder der verkrampfte Versuch ist, im Jagdgrund der RE20er und SM7Bs dieser Welt zu wildern, noch ein auf Teufelkommraus für Neumann-Verhältnisse preiswertes Mikrofon auf dem Markt zu haben. Nein: Das BCM 705 ist ein durchdachtes, standesgemäß verarbeitetes, praktikables, gut aussehendes und vor allem gut klingendes Tontechnik-Werkzeug. Es tritt erfolgreich den Beweis an, dass es nicht unbedingt immer die elektrostatische Wandlungsart sein muss. Und es zeigt, dass “Sprechermikrofone” keineswegs blass aussehen, wenn sie für andere Schallquellen genutzt werden. Für mich ist das BCM 705 eines der Top-Neumänner, und das zu einem absolut angenehmen Preis!

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Features & Spezifikationen
  • dynamisches Sprechermikrofon
  • Wandlerprinzip: Tauchspule
  • Richtcharakteristik: Hyperniere
  • Übertragungsfaktor: 1,7 mV/Pa
  • Ersatzgeräuschpegel: 18 dB(A)
  • Preis: € 575,– (Straßenpreis am 20.12.2021)
Unser Fazit:
5 / 5
Pro
  • sehr angenehmer Sprechersound
  • schlüssiges Konstruktionsprinzip
  • sehr gute Verarbeitung
Contra
  • keines
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Neumann BCM 705 Test
Für 689,00€ bei
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