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Die Hertiecaster Story: Die Geburt der Billig E-Gitarre

Details

Im Folgenden zeigen wir Euch die Erkennungsmerkmale und Features dieser “Underdog-Legende”: Es gibt mehrere Modellvarianten mit unterschiedlicher Ausstattung. Solltet ihr euch für so ein Instrument interessieren, denkt bitte daran, dass es bei diesen Budgetgitarren natürlich Qualitätsstreuungen geben kann und wird: Nur weil sie noch gut aussehen, müssen die 40 Jahre alten Sperrholzplatten mit Pickup nicht mehr gut bespielbar sein. Auch wenn das finanzielle Risiko nicht so groß ist, also möglichst anchecken. Das absolute Einsteiger-Modell mit nur einem einzigen Tonabnehmer gab es damals bereits für unter 100DM, die in diesem Special auch getestete Komfortversion mit zwei Tonbabnehmern und Tremolo kostete 1973 bei Hertie 128,- DM, wie die hier abgebildete Originalquittung für so ein Modell beweist.
Nur 128 Deutsche Mark kostete dieses Modell 1973 bei Hertie! (Fotos: Uli)
Nur 128 Deutsche Mark kostete dieses Modell 1973 bei Hertie! (Fotos: Uli)

In unserer Fotostrecke zur Hertiecaster gibt es noch mehr Bilder! 
Ohne Hardware sahen die Gitarren unter dem Pickguard praktisch identisch aus, denn oft war auch bei den 1-, 2- oder 3-Pickup Modellen im Korpus die Fräsung für 4 Tonabnehmer vorhanden. Hier die vier Modelle der amerikanischen Handelsmarke ‘Heit’.

(Foto: Aus dem Katalog der amerikanischen Handelsmarke Heit)
(Foto: Aus dem Katalog der amerikanischen Handelsmarke Heit)

Wie der größte Teil der als ‘No Name’ in den europäischen Kaufhäusern angebotenen Budget-Gitarren wurden auch diese Hertie-Gitarren bei Teisco gefertigt, einem japanischen Hersteller, der zwar schon seit den 40er Jahren bestand, unter dem Namen Teisco aber erst seit 1964. Als die Firma später von Kawai übernommen wurde, wurde die Gitarrenproduktion unverändert weitergeführt. Auch die Tradition, Gitarren mit jedem vom Kunden gewünschten Namen zu versehen, so lange die bestellte Stückzahl groß genug war, behielt man bei.

Sowohl bei den westlichen Herstellern als auch bei den Musikgeschäften war man zunächst sehr skeptisch, ob sich für die angebotenen Preise ernsthaft spielbare Gitarren herstellen ließen. Eigenschaften, die hierzulande längst selbstverständlich waren, wie z.B. ein Halsspannstab, wurden dort oft als Besonderheit beworben. Interessant ist auch, dass die Japaner den Stahlstab anfangs offenbar als reine Verstärkung des hölzernen Gitarrenhalses verstanden und in dem Zusammenhang berichtet wird, dass in den ersten Serien tatsächlich lediglich Stahlstangen in der Halsnut lagen, um den Hals zu verstärken. Erst später soll sich die Erkenntnis durchgesetzt haben, dass man mit einer doppelten Gewindestange die Halskrümmung einstellen konnte und der irgendwo an der Kopfplatte untergebrachte Hinweis wurde von ‘steel reinforced neck’ (Stahl verstärkter Hals) um das groß geschriebene Wort ‘adjustable’ (einstellbar) ergänzt. Gegenüber den europäischen Fabrikaten wiesen die japanischen Billiggitarren durchaus Qualitätsunterschiede auf, die im direkten Vergleich sichtbar wurden. Aber auch innerhalb der verschiedenen Modelle, die man zur Gruppe der Hertiecaster zählen muss, gab es zum Teil erhebliche Unterschiede – die teilweise darüber entschieden, ob man eine spielbare Gitarre oder ein Dekorationsstück in den Händen hielt. 
Qualitätsupgrade: Halsstab einstellbar...
Qualitätsupgrade: Halsstab einstellbar…

Korpus

Meistens aus Sperrholz (dann oft auch mit Boden- und Deckenfurnier), gelegentlich aber auch aus einfachen Hölzern wie Erle bzw. ihren asiatischen Verwandten. Die Sunburst-Lackierung mit ihrem schwarzen Rand war die ideale Tarnung, damit am Außenrand nicht die einzelnen Schichten des Sperrholzes zu sehen waren. Deshalb ist diese Lackierung wahrscheinlich etwas in Verruf geraten, auch heute noch stellt sie selbst bei Markengitarren die Assoziation zur Hertiecaster her.
Manche Modelle wurden wohl auch in deckender Uni-Lackierung geliefert, was aber eher die Ausnahme war.
Die vorherrschende Korpusform war irgendwo in der Nähe der Stratocaster angesiedelt, bei den in die USA exportierten Modellen auch oft mit einer Rundungsvariante am unteren Gurtpin, um mögliche Copyright-Probleme schon im Vorfeld zu vermeiden. Seltener gab es Modellvarianten, die an die Fender Jaguar angelehnt waren, wie es Framus schon mit den Strato-Modellen vorgemacht hatte.

Der Blick ins Innere verrät es: Sperrholz!
Der Blick ins Innere verrät es: Sperrholz!
Andere Farben waren selten - bei USA-Modellen wurde die Form leicht variiert. (Katalogbild)
Andere Farben waren selten – bei USA-Modellen wurde die Form leicht variiert. (Katalogbild)

Hals

Bei den Hälsen war man in Bezug auf die Holzsorte nicht wählerisch, so lange es ein Hartholz war, stellte aber bald fest, dass sich in Abhängigkeit von Sorte, Lage innerhalb des Stammes und Trocknungszustand oft Verwindungen einstellten, die sich auch nicht ohne weiteres mit einem Halsspannstab beseitigen ließen. 

Deshalb wurde bei vielen Modellen die Technik kopiert, dünne Hartholzplatten zu Leimholz zu verpressen und daraus dann die Rohlinge für die Hälse zu schneiden, wie das auch bei Framus gängige Praxis war. Ob man dabei aber bereits zu Anfang auch die Technik der verzugskompensierenden Verleimung tatsächlich schon verinnerlicht hatte, darf angesichts etlicher verdrehter Gitarrenhälse in späteren Jahren bezweifelt werden.

Ein Hals aus Schichtholz.
Ein Hals aus Schichtholz.

Die Einstellung des Spannstabes erfolgte am Halsfuß mittels einer Lochmutter, was hinsichtlich der Bespielbarkeit nicht immer von Erfolg gekrönt war. Dafür war es aber überaus praktisch, da die Justage ohne Demontage und Spezialwerkzeug möglich, weshalb die Technik bei einigen Herstellern bis heute überlebt hat.

Halseinstellung unten am Hals!
Halseinstellung unten am Hals!

Kopfplatte

Sie war fast immer Fender-ähnlich und hatte bei der klassischen Hertiecaster einen verchromten Stahlbügel als Saitenniederhalter, der rückseitig verschraubt war. An der Stelle des Trussrod-Covers klebte oft nur das bereits erwähnte ähnlich geformte Schild, das auf die Verwendung eines einstellbaren Spannstabes hinwies, der aber vom anderen Halsende aus zugänglich war.

Die Hertiecaster Kopfplatte.
Die Hertiecaster Kopfplatte.

Mechaniken

Während bei den ersten Modellen meistens Einzelmechaniken verbaut wurden, wichen diese aus Kostengründen bald einem 6er Riegel, bei dem der Austausch eines einzelnen Tuners natürlich nicht mehr möglich war. Die Plastikflügel waren oft dem schnell schwergängigen Getriebe der einzelnen Tuner nicht mehr gewachsen, drehten durch oder brachen …das war die Stunde der Kombizange und damit das Ende des Vierkants. Diesen Effekt kannte man übrigens durchaus auch von den einfacheren europäischen Gitarren, wo man später deshalb dazu überging, geschraubte und damit auswechselbare Drehflügel zu verwenden.

Sechs auf einen Streich: Die Mechaniken.
Sechs auf einen Streich: Die Mechaniken.

Brücke und Tremolo

Die Brückenkonstruktionen waren bei Kaufhausgitarren durchaus unterschiedlich, von der Einfachst-Stahlstange bis hin zur Rollenbrücke war alles vertreten – auch wenn letztere natürlich entsprechend des Preises keine feinmechanischen Wunderwerke waren und die Rollen oft sogar nur vorgetäuscht wurden, aber nicht tatsächlich drehbar waren.
Bei den allermeisten Modellen war der Tremolohebel eher Dekoration, da sich bei seiner Benutzung fast immer die Gitarre verstimmte. Das lag an der Schlichtheit der Konstruktion, die darin bestand, dass man den Saitenhalter mit einer Drehachse an ein Unterteil genietet hatte und diese Konstruktion durch eine Bigsby-ähnliche Feder in eine allerdings ziemlich undefinierte Ruhestellung zurückholte. 
Unterschiedliche Brückenkonstruktionen.
Unterschiedliche Brückenkonstruktionen.

Die Drehachse war ein einfacher Stahlstift, der sich aber in seinen Lagerbohrungen hin und her bewegen ließ, was zu zusätzlichen Unterschieden im Dehnfaktor der Saiten führte, wodurch dieses Tremolo nur zur optischen Aufwertung dienen konnte, sofern kein findiger Bastler Hand anlegte.

Simpeldrehachse am Tremolo.
Simpeldrehachse am Tremolo.

Elektrik

Die Schaltung der Hertiecaster war so ausgelegt, dass sie sich ohne nennenswerte Änderungen bei allen vier Modellen einsetzen ließ. Lediglich das einfachste Modell hatte keine Schalter, sondern nur den Klang-Kondensator sowie Tone- und Volumeregler.
Ab dem Modell mit zwei Pickups erhielt jeder Tonabnehmer (auch der erste!) einen eigenen Schiebeschalter. Bei einigen konnte über einen weiteren Schalter ein zusätzlicher Klangkondensator zugeschaltet werden. 
Eine ähnliche Schaltung ordnete jeweils zwei Pickups einen Tonregler zu, weshalb diese Ausführung dann drei Potis hatte, dafür aber keinen zusätzlichen Tone-Switch.
Die Schaltung der Gitarre: fast immer gleich.
Die Schaltung der Gitarre: fast immer gleich.
Als kleine Design-Spielerei wurde dann auch mal ganz im Strat-Stil einer der Pickups schräg gestellt oder es wurden die kleinen Schiebeschalter schräg angebracht, die in den meisten Fällen weiß waren, damit sie zum einen mehr auffielen und zum anderen den Höfner Vorbildern ähnlicher sahen, wo man diese Schalter schon seit den 50er Jahren einsetzte.

Tonabnehmer

Während die von Westheimer in die USA importierten frühen Modelle oft noch mit einer Variante des ‘gold foil’ Tonabnehmers ausgerüstet waren, setzte sich sehr bald aus Kostengründen ein Standardmodell durch, das möglicherweise auch von Framus inspiriert war, indem es einen weißen Spulenkörper verwendete, der in einigen Fällen auch aus Porzellan war.
Er hatte eine relativ geringe Ausgangsspannung und in einigen Fällen eine hohe Brummneigung, weil auch praktisch keinerlei Abschirmung in der Gitarre stattfand, wurde aber zumindest optisch unverändert bis weit in die 70er Jahre verbaut.

Erst Goldfolie (oben) - später eine günstigere Standardvariante.
Erst Goldfolie (oben) – später eine günstigere Standardvariante.
Kommentieren
Profilbild von Stefan Boss

Stefan Boss sagt:

#1 - 14.11.2016 um 17:33 Uhr

0

Damlas war es die Hertiecaster heute die Gitarren von C Giant-> Jack und Danny alles kommt ein mal wieder

Profilbild von Mario Reitze

Mario Reitze sagt:

#2 - 26.10.2017 um 13:06 Uhr

0

Die Soundbeispiele sind wirklich interessant! Klingt ja wirklich gar nicht übel. im Gegenteil. Das zeigt mir doch einmal mehr, dass kreativ einzusetzender, guter Sound gar nicht nur von hochpreisigen Instrumenten kommen muss - sondern solche "Schrottexoten" und Flohmarktteile dazu ebenso dienlich sein können. Überdenkenswert insbesondere für viele der Muckerpolizei Abteilung nur Teures klingt.

    Profilbild von Christian

    Christian sagt:

    #2.1 - 27.06.2023 um 20:33 Uhr

    0

    Schaut mal, mit was Jack White so spielt. BTW; ich liebe die Washburns, die von 78 - 82 in Matsomuko gebaut wurder.

    Antwort auf #2 von Mario Reitze

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Profilbild von peter reimer

peter reimer sagt:

#3 - 25.12.2017 um 16:47 Uhr

0

Puuuh....keines der Klangbeispiele überzeugt mich...die Attribute "wundervoll" und "toller Sound" finde ich unpassend und übertrieben.

    Profilbild von Nils Oliver Adam

    Nils Oliver Adam sagt:

    #3.1 - 23.04.2023 um 13:32 Uhr

    0

    Anders als im schaltplan angegeben war zusätzliche kondensator als abschaltbarer hochpass geschaltet. Bei meiner Gitarre (4 pus) war der "Tremoloarm" erstaunlich gut zu benutzen. Sicher dank des Rollensattels, der dafür 2 andere nachteile hatte: Die Rollen waren so beweglich, dass sich beim Handauflegen der Abstand zwischen den Saiten ändern konnte. Viel schlimmer war, dass man die oktavreinheit nicht einstellen konnte. Auch der Saitenniederhalter am Kopf funktionierte besser als die schrecklichen klammern für h- und e-saite bei der (damaligen) strat. Angenehm fand ich, dass die Saiten schon bei vergleichsweise niedrigen Lautstärken zur Schwingung angeregt werden konnten.

    Antwort auf #3 von peter reimer

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Profilbild von Nils Oliver Adam

Nils Oliver Adam sagt:

#4 - 23.04.2023 um 13:32 Uhr

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Anders als im schaltplan angegeben war zusätzliche kondensator als abschaltbarer hochpass geschaltet. Bei meiner Gitarre (4 pus) war der "Tremoloarm" erstaunlich gut zu benutzen. Sicher dank des Rollensattels, der dafür 2 andere nachteile hatte: Die Rollen waren so beweglich, dass sich beim Handauflegen der Abstand zwischen den Saiten ändern konnte. Viel schlimmer war, dass man die oktavreinheit nicht einstellen konnte. Auch der Saitenniederhalter am Kopf funktionierte besser als die schrecklichen klammern für h- und e-saite bei der (damaligen) strat. Angenehm fand ich, dass die Saiten schon bei vergleichsweise niedrigen Lautstärken zur Schwingung angeregt werden konnten.

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