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Technics SL-1210 Test

Es soll DJs geben, die auf dem Absatz wieder kehrt machen, wenn ein Club statt der üblichen “Technics” irgendwelche Imitate oder bunt blinkende und mit zahllosen Sondersuperfunktionen ausgestattete Alleskönnerplattenspieler in der Booth stehen hat. Der 1210 ist – natürlich im Regelfall als Paar – der absolute und unangefochtene Standardplattenspieler für alle, die mit dem “Auflegen” zu tun haben. Einen ähnlichen Status genießen in den verschiedenen Bereichen der Musik und Tontechnik mehrere Geräte. So zählen etwa die 1176- und LA2A-Monokompressoren von Universal Audio, das U87-Kondensatormikrofon von Neumann oder die NS10-Lautsprecher von Yamaha zu diesem erlesenen Kreis der nahezu unverzichtbaren Urzeitviecher. Die Klärung der Frage, ob die aktuell erhältlichen Geräte-Versionen sich auf dem exzellenten Ruf ihrer Stammväter ausruhen, oder ob -schlimmer noch- diese Position nunmehr nur noch des hohen Verbreitungsgrades geschuldet ist, ist der Grund, weshalb wir es uns zur Aufgabe gemacht haben – sozusagen stellvertretend für alle Evergreens am Markt – dem legendären 1210 etwas genauer unter die Haube zu schauen.

Die Tage, in denen Plattenspieler integraler Bestandteil einer HiFi-Anlage waren, sind schon lange Geschichte. Heute, wo Fernbedienungen und Apple Music Store üblich sind, mag sich kaum noch jemand aus seinem Sessel erheben, um die Schallplatte auf die B-Seite zu drehen und den Arm wieder auf die Rille zu setzen. Irgendwie schade, denn nicht zuletzt auch dadurch hat sich das Musikhören für viele mittlerweile zur Nebenbeschäftigung entwickelt! Dennoch: Vinyl ist nicht totzukriegen: Trotz der Konkurrenz durch Technikneulinge wie USB-Player/Mixer finden sich in vielen Clubs weiterhin zwei Plattenspieler. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen: Das Handling mit Schallplatten bereitet um einiges mehr Spaß, als das Herumfummeln an kleinen Knöpfchen oder gar einer Maus und das Starren auf Displays. Außerdem: Computer und ähnliche Systeme können abstürzen oder den Benutzer und das Publikum mit Fehlfunktionen ärgern, Schallplattenspieler nicht. Außerdem ist DJing mit Vinyl noch echtes Handwerk. Dies wird sicher Musik in den Ohren all jener sein, die sich auf dieses Handwerk verstehen und gegen die MP3-Generation wettern. Zwar sind die Möglichkeiten eines Vinyl-DJs im Vergleich zu einem bis an die Zähne bewaffneten Computer-DJ eingeschränkt, doch auch das muss kein Nachteil sein. Tatsächlich ist der Unterschied zwischen Scratching mit Vinyl und Scratching mit neuartigen Computersystemen für viele DJs vergleichbar mit dem Unterschied zwischen einem vor der irischen Küste wild gefangenen Hummer und Surimi, dem aromatisierten und gepresste Eiweiß zweifelhafter Herkunft.

Und ein weiteres Argument ist schlichtweg der Klang! Eine vollständig analoge Übertragungskette von der Rille bis zu den Ohren der Tanzenden ist trotz -oder dank- der dabei auftretenden Effekte (z.B. gewisse Verzerrungen!) durchaus angenehm. Angenehme Verzerrungen? Ja, tatsächlich! Was im Gegensatz dazu die psychoakustisch reduzierenden Digitalformate mit der schönen Musik anrichten, ist oftmals eine Zumutung. Nicht immer werden Auflösungen schlau gewählt und hochwertige Encoder eingesetzt. Selbst den Laien auf diesem Gebiet fallen vermehrt die schwimmenden Hi-Hats, klingelnden Höhen, unsauberen Obertonstrukturen, undifferenzierten Attacks und löchrigen Spektren auf, die in den Clubs auf sie warten. Plattenspieler waren, sind und werden sein. Und auch für den 1210 kann man ähnliches behaupten. Zwar gibt es eine Vielzahl sehr guter anderer Plattenspieler, die in einigen Werten sogar besser, preiswerter oder  flexibler sind und dazu noch mit Zusatzfunktionen aufwarten können – doch nur ein Original ist ein Original!

Ist der Technics SL-1200 tatsächlich der ultimative Prototyp eines DJ-Plattenspielers?
Ist der Technics SL-1200 tatsächlich der ultimative Prototyp eines DJ-Plattenspielers?
Um im Club bestehen zu können, braucht man jede Menge Nehmerqualitäten.
Um im Club bestehen zu können, braucht man jede Menge Nehmerqualitäten.

Der Technics ist für viele eben der Technics. Nothing more, nothing less. Im Guiness Buch der Rekorde ist er als Consumergerät mit der bislang längsten Produktlaufzeit verzeichnet, man findet in manchen Diskotheken Geräte, die seit einem Vierteljahrhundert ihren Dienst tun. Aber dennoch gibt es Unterschiede: Derzeit bietet der deutsche Vertrieb fünf Modelle an, die sich in einigen wenigen Features unterscheiden. Zuallererst wäre da die Farbe. SL-1200 steht für Silber-Champagner, SA-1200 für Schwarz-Anthrazit. Versionsnummern werden im angloamerikanischen Raum (und offensichtlich auch in Japan) als MK (sprich: Mark) angegeben. Momentan auf dem Markt befindlich sind MK2 (mit der aktuellen Erweiterung XG) und MK5. Diese sind als MK5E und MK5GE erhältlich, welche zusätzlich zur Bremsgeschwindigkeitskontrolle und Pitch-Reset, über eine blaue Beleuchtung und einen alternativen Pitch-Bereich von ±16 statt der üblichen ±8% verfügt. Wir haben uns den Klassiker unter den Klassikern zur Brust genommen, also den seit 1979 fast unverändert hergestellten MK2.

Auch im HiFi-Bereich ist der 1210/1200 eine hervorragende Wahl, allerdings ist dort die Konkurrenzlage eine andere. Die Designsprache behagt vielen nicht, außerdem lässt der Technics eine in diesem Segment oft gewünschte Extravaganz gänzlich vermissen. Das fängt schon beim Firmennamen an. Dazu kommt noch, dass im Consumer-Bereich noch häufig ein Vollautomat gewünscht wird. Denn gerade die an CD und MP3 Gewohnten vergessen schnell mal das Abschalten.

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Schwer ist er, der Technics. Knappe zwölf Kilogramm sind schon ordentlich für einen Plattenspieler. Aber eins ist sicher: Der SL-1210 wiegt nicht deshalb soviel, weil Technics irgendwelche Geheimverträge mit Paketdienstleistern und Rückenschulen geschlossen,hat. Für das üppige Gewicht gibt es eine ganz einfache Erklärung: Gerade bei hohen Abhörlautstärken (ohne die eine Disko nun mal keine richtige Disko wäre) ist die Gefahr groß, dass vor allem tieffrequente Schwingungen aus den Wiedergabesystemen sich zurück auf den Plattenspieler übertragen. Richtig: Feedback. Dieses kann sich in schwammigen Bässen niederschlagen, im Extremfall sogar für eine springende Nadel sorgen. Da freut sich der DJ, wenn ihn auf einmal alle fragend anschauen. Der Schwingungsübertragung begegnet man entweder mit berechneten Federsystemen (die allerdings den Nachteil haben, nicht breitbandig genug wirken zu können und auch gerne zum Aufschaukeln neigen, was den Effekt verschlimmert), oder aber – wie hier beim Brontosaurier – mit Masse.

Das Gerät ist 45,3 breit, und 35,5 cm tief. Mit dem Tiefenmaß lässt sich tatsächlich arbeiten, da Netzkabel, Cinch-Outs und Masse fest verdrahtet sind und somit keine Stecker überstehen. Etwas unpraktisch ist der Deckel -gerade dann, wenn man den Technics im Clubbetrieb oder sogar mobil einsetzt. Klar: Er lässt sich öffnen und schließen, wie man es von ihm erwartet. Auch das Abnehmen ist kein Problem. Und das ist auch grundsätzlich gut so, denn DJs wollen den Deckel in der Regel gänzlich aus dem Weg haben. Allerdings hat man es dann mit zwei herumliegenden Acrylteilen zu tun, die nirgendwo einen festen Platz haben. Schnell werden sie “verlegt” und somit ist der arme Technics fortan auch bei Nichtbetrieb den Einflüssen der Umwelt ausgesetzt.  Ein Rollmechanismus würde zwar sicher die Designsprache des Technics verändern, wäre der Praxistauglichkeit aber zuträglich.

technics_sl1200_arm
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Ob die Bedienelemente des 1210 nun ergonomisch angeordnet sind oder nicht, darüber lässt sich im Grunde nicht diskutieren: Schließlich hat hier ein Gerät im wesentlichen Bewegungsabläufe geprägt – und nicht umgekehrt. Ob “HipHop” oder “Disko” aufgestellt – andere Plattenspieler orientieren sich an der Anordnung der Technics – und viel anzuordnen gibt es ja nicht. Im Wesentlichen sind dies Pitch-Regler, Start/Stop und 33/45-Umschaltung. Alles ist fein beschriftet. Es hat wohl noch niemanden auf der Welt gegeben, der zwar wusste, wie Plattenspieler generell funktionieren, aber mit einem 1210/1200 nicht zurechtkam. Ob für Beatmatching, Scratching oder einfach zum Musikhören: Die Bedienbarkeit ist optimal. Gelegentlich wird kritisiert, dass es vorkommen kann, beim Schubsen oder Bremsen der Platte versehentlich den runden On/Off-Regler zu bedienen. Mit ein wenig Umsicht sollte das aber zu vermeiden sein. Übrigens beherbergt der Schalter zudem das rote Licht für die Geschwindigkeitskontrolle, die wie üblich mit der Riffelung auf dem Teller kontrolliert wird

Die Anordnung der Bedienelemente des SL-1200 hat Bewegungsabläufe geprägt.
Die Anordnung der Bedienelemente des SL-1200 hat Bewegungsabläufe geprägt.

Der Technics verfügt über keinerlei Automatik, so dass auch endlose Auslaufrillen gehört werden können (Die vielleicht beste der Welt: Pink Floyd, Atom Heart Mother, Seite B: Der tropfende Wasserhahn bei Alan´s Psychedelic Breakfast tropft in der Originalversion bis zum Sankt Nimmerleinstag). Dafür wartet der Dino mit einem quartzgesteuerten Direktantrieb auf, der für seinen Gleichlauf und seine sagenhaften Anlauf- und Bremsgeschwindigkeiten von den Usern verehrt und von der Konkurrenz beneidet wird. Nach einer Viertelumdrehung der Platte läuft diese schon stabil auf Sollgeschwindigkeit und fortan mit 0,025% gemittelten Gleichlaufschwankungen. Diese auch Wow-and-Flutter genannten Störungen machen sich erst ab viel höheren Werten in Tonhöhe oder Rhythmik bemerkbar, die Deutsche Industrienorm erlaubt ein Maximum von 0,2%. Diese rekordverdächtigen Werte werden auch bei älteren Geräten eingehalten: Mit einer Timecode-Schallplatte und einem Synchronizer mit Anzeige der Abweichung lässt sich das recht schnell visualisieren. Wenn man es hören könnte, wäre definitiv etwas kaputt – und das geschieht beim Technics nicht so schnell. Der Elektromotor ist komplett ohne Kohlebürsten (Verschleissteile!) ausgelegt. Sowohl bei 33⅓ als auch bei 45 U/min, selbst im gepitchten Modus besitzt der Plattenspieler eine schier unglaubliche Laufruhe dank der ausgeklügelten Phase-Locked-Loop- (PLL-) Steuerung. Der Direktantrieb bietet gegenüber der Bewegungsübertragung durch einen Riemen sehr viele weitere Vorteile, ein Nachteil ist jedoch der hohe Preis. Beim MK2 ist die Bremsgeschwindigkeit des Plattentellers nicht vom User einstellbar, allerdings gibt es DJs, die Start- und Stopzeiten in ihren Genpool aufgenommen zu haben scheinen. Auch dem Laien ist das Pitch-Down-Verhalten aus zahlreichen (Re-)Mixes bekannt. Wer sich traut, kann dennoch auf der Platine des 1210/1200 nach dem “Brake”-Poti suchen, mit dem sich die Bremsgeschwindigkeit verändern lässt. Ein weiteres Poti ermöglicht das genaue Einstellen des 0%-Pitch-Rasters, damit der (oder die) Plattenspieler mit absolut genauer Umdrehungsgeschwindigkeit läuft. Wenn man schon so weit in die Innereien des Gerätes vorgedrungen ist, lässt sich die Mittenrasterung auch gleich mechanisch entfernen. Diese Möglichkeiten bieten die etwas jüngeren Brüder des MK2 übrigens im nutzerfreundlichen Direktzugriff.

Der Elektromotor ist komplett ohne Kohlebürsten (Verschleissteile!) ausgelegt.
Der Elektromotor ist komplett ohne Kohlebürsten (Verschleissteile!) ausgelegt.

Die Justagemöglichkeiten eines Plattenspielers sind wichtig für die Klangeigenschaften, und den störungsfreien Betrieb. Nadeln und Schallplatten sind zwar prinzipbedingt Verschleissteile, jedoch führt schlechtes oder unterlassenes Einstellen häufig dazu, dass das ursprüngliche Präzisionsgerät als Vinylraspel umfunktioniert wird. Ein Einlesen in die Tonarmjustage sei jedem (je-dem!) Besitzer eines Plattenspielers dringend empfohlen! Eine der wichtigsten Einstellung ist die Balance des Armes, welche auf recht einfache Weise mit einem Gegengewicht erledigt wird. Ist der Arm kopflastig, leiden Platte, Nadel und Sound. Bei zu starkem Gegengewicht besteht die Gefahr, dass bei mechanischer Erschütterung oder hochpegeligen, tieffrequenten (eventuell auch stark unkorellierten) Signalen die Nadel aus der Rille hüpft. Weil die unterschiedlichen Abnehmersysteme verschiedenes Eigengewicht haben, ist es sinnvoll, diese nach einem Wechsel kurz nachzustellen. Die komplette Höhe des S-förmigen Arms wird mit einer Helikoideinstellung getätigt (Ein Helikoid ist eine spiralförmig bewegte Gerade – also wie eine Wendeltreppe ohne Stufen), das bei Radialtonarmen notwendige Skating-Gegengewicht ist einfach und sinnvoll konstruiert und lässt sich nach einiger Übung sehr gut justieren.

Für viele DJs ist der Unterschied zwischen Scratching mit Vinyl und Scratching mit neuartigen Computersystemen vergleichbar mit dem Unterschied zwischen einem vor der irischen Küste wild gefangenen Hummer und Surimi, dem aromatisierten und gepresste Eiweiß zweifelhafter Herkunft.
Für viele DJs ist der Unterschied zwischen Scratching mit Vinyl und Scratching mit neuartigen Computersystemen vergleichbar mit dem Unterschied zwischen einem vor der irischen Küste wild gefangenen Hummer und Surimi, dem aromatisierten und gepresste Eiweiß zweifelhafter Herkunft.

Der Technics-Plattenspieler aus dem Hause Matsushita (zu dem auch Panasonic gehört) werden ohne Tonabnehmersysteme geliefert. Schliesslich gibt es eine Vielzahl von Systemen unterschiedlicher Bauart und Eignung auf dem Markt. So ist etwa die Form des Nadelschliffs ausschlaggebend für die Klangqualität und die Robustheit. Einige Nadeln können recht schnell in den Müll wandern, wenn sie – wie beim Scratchen bekanntermaßen üblich – auch rückwärts bewegt werden. Übrigens: Für ganz Verrückte sind Modifikations-Kits erhältlich, mit denen der Plattenteller nach Doppelklick auf Start/Stop rückwärts läuft.

Es erscheint fast unnötig, die Verbreitung auf irgendwelche Fehler zu überprüfen. Ich habe es dennoch getan. Die Herstellungstoleranzen sind sehr gering: Wenn man zwei Stück kauft, gleichen sie sich wie ein Ei dem anderen. Selbst die Schrauben sind qualitativ hochwertig, alle Lötstellen sauber ausgeführt, nie wurden die billigsten Bauteile verwendet. Die Geräte scheinen weiterhin vor Verlassen des Werkes eine ausführliche Qualitätssicherung zu durchlaufen. Das erklärt den doch recht stolzen Preis.
Zum Extremtest à la Stoß mit einem Hammer, Rütteltest auf der schleudernden Waschmaschine, Sturz aus zwei Metern Höhe, Saunaaufguss-Tiefkühlfach-Wechselprogramm und ähnlichem konnte ich mich dann aber  doch nicht durchringen. Alle Angaben des Herstellers über die Audiowerte können nachvollzogen werden.

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FAZIT

Tja, was soll man da noch sagen? Der 1200/1210 ist der Plattenspieler Nummer Eins, und wird dies aller Voraussicht nach auf ewig bleiben. Es würde nicht wundern, wenn dieses Modell in vierzig Jahren als einziger Serien-Plattenspieler überhaupt erhältlich wäre. Vielleicht ist es dann nur noch eine kleine Gruppe DJs, die weiterhin auf dieses heute schon altertümliche System setzten, aber ihre Wahl wäre mit Sicherheit auch dann noch der “Zwölfzehner”. Diesen Saurier kann so schnell nichts erschüttern. Der Technics hat seinen Ruf zu Recht, alle Erwartungen werden erfüllt, die Qualität ist grandios. Punkt.
Es gibt überhaupt keinen Grund, am Konzept des Gerätes auch nur irgendetwas zu verändern, nach möglichen Nachteilen muss man schon sehr gezielt suchen.

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