Kaum eine Cymbal-Schmiede hat sich in ihren Gründerjahren so schnell fast aller Kinderkrankheiten entledigt wie Anatolian. Die Manufaktur existiert erst seit 1999 und schon zu Beginn des letzten Jahrzehnts konnte man auf den Display-Ständern der Musikläden dieser Republik nahezu ausnahmslos Spitzenware antesten. Anatolian Baris-Becken sind bei den meisten Fachhändlern seit 2006 im Sortiment und konnten der kleinen Schmiede eine breite Fanbasis erspielen.
Jetzt hat jemand bei Anatolian etwas am geheimen Druiden-Mix der B20+-Legierung verändert und damit offensichtlich genügend Argumente für ein Re-Release der Anatolian Becken geliefert. Das, was uns in diesem Fall als Baris2 angekündigt wird, ist dann langsam wirklich Grund genug für einen Test, oder nicht? Das Wichtigste bleibt allerdings gleich: Es gibt wie immer viel Baris für wenig Bares.
Es geht also wieder nur ums liebe Geld? Nicht wirklich, denn immerhin kündigen die Testosteron-Boys von Anatolian ihre Ware stets als die beste der Welt an. Wenn man also beispielsweise für das angeblich beste Crash der Welt nur 179 Euro berappen muss, dann verzieht sich bei der liberalen deutschen Trommlerzunft gemeinschaftlich die Gesichtsmuskulatur, als gäbe es eine Zitronensaft-Happy-Hour. Kann nicht sein, denke auch ich und nähere mich mit Zange, Pinsel und Lupe dem Inhalt des Kartons, in dem leise und geduldig Explosives schlummert: ein fetter Satz Anatolian Baris Cymbals!
DETAILS
Wer die Details zu den Anatolian Baris-Cymbals auf der Vertriebspage durchlesen will, kann sich über eine übersichtlich strukturierte Seite freuen, auf der eigentlich alles Wesentliche schon im Werbebanner mittels kleiner Symbole erklärt wird. Mensch, die Symbole sind aber wirklich sehr klein….soll das ein Krokodil sein, das einen Stock zerbeißt? Wenn ja, dann fräst sich das Krokodil nur „medium“ durch den Stock, dieses Wort – „medium“ – versperrt nämlich die Sicht auf das eigentliche Spektakel. Über dem nächsten Symbol – drei Blöcke, die Schallwellen darstellen – ist so etwas wie „mid loud“ zu erkennen, links daneben sollen ein paar Sonnenstrahlen bedeuten, dass die Becken „bright“, also hell klingen. „B20“ – das vorletzte Symbol – ist die Bezeichnung für den Stoff, aus dem die Becken sind. B20, das steht für Bronze mit zwanzig Prozent Zinn-Anteil – der Klassiker unter den Cymbal-Legierungen. Jede Beckenschmiede behält sich allerdings einen kleinen Zusatz vor, der für den einzigartigen Sound der jeweiligen Firma steht. Was dann noch hineinfließt, sind entweder irgendwelche besonderen Lacke, Sealer oder Zusatzmetalle, vielleicht sogar Krähenfüße oder Magerquark, was genau, das bleibt geheim und bekommt bei Anatolian nur den Zusatz „+“. Das veränderte Rezept der Baris2-Linie sorgt laut Anatolian aber immerhin dafür, dass die Becken jetzt noch explosiver und heller ansprechen, als ohnehin schon. Das letzte Symbol des Banners ist dann recht deutlich zu erkennen und klar verständlich: „hand hammered“, mit einem Hammer, der hinter den Buchstaben abgebildet ist
Das ist etwas missverständlich, die Cymbals werden nicht aus einem Klumpen Metall in tagelanger Arbeit herausgeprügelt. Handgehämmert bedeutet lediglich, dass ein Beckenschmied nochmal ein paar kleine Hammermale in das bis dahin schon gewalzte, maschinell gewölbte und abgedrehte Becken setzt. Das verleiht jedem Becken Individualität. Dabei ist der anatolische Beckenmeister offensichtlich sachte vorgegangen, denn die Hammermale sind flach, genauso wie die tonal groves des Abdrehmusters. Und überhaupt, die ganzen Becken sind flach, sogar die Kuppe, welche überdies sogar noch klein ist! Skandal? Mitnichten. Denn diese kleinen Besonderheiten ergeben in der Summe einen Sound, wie ihn so vermutlich nur die Baris-Cymbals machen. Welche Bearbeitung sich auf welche Weise auf den Klang der Becken auswirkt, erfährst du im Praxis-Teil.
PRAXIS
Die Baris-Becken sind flach, das führt zu einem hohen Grundton, was zusammen mit der stattlichen Materialstärke und dem mittelhohen Gewicht der einzelnen Klangscheiben zu ebendem führt, was Anatolian als „bright“ beschreiben, nämlich einem hochfrequenten, klaren und offenen Sound. Dass die Becken dabei das Drumset übertönen, kann man auch nicht behaupten, vorausgesetzt, sie werden nicht im falschen Anwendungsgebiet eingesetzt. In dieser Rubrik gibt es allerdings vor allem zwei No-Go-Areas: Jazz und akustischer Pop. Trotzdem kann man den Baris-Cymbals keine Grobschlächtigkeit unterstellen, denn jedes der Becken hat einen fein abgestimmten Klangcharakter, passt sich in das Gesamtsetup ein und spricht sehr direkt an. Gute Tonkontrolle sorgt für intuitive Bedienbarkeit. Die relativ kleine Glocke des Ride-Beckens lädt zwar nicht unbedingt zu Fusion-Grooves ein, entspricht aber mit ihrer dezenten Lautstärke dem Klangcharakter guter, moderner Becken. Gut zu hören ist die Glocke in der Mitte des folgenden Soundfiles:

Auffällig ist auch, wie voluminös das Test-Ridebecken klingt – bei gerade einmal 20 Zoll Durchmesser. Es schaukelt sich nicht auf, bleibt immer gut kontrollierbar und projiziert einen weichen und angenehmen Ping-Ride-Sound. Das erinnert schon sehr an mein altes Zildjian-Avedis-Ride, das auch ein schwerer Brocken ist. Noch deutlichere Parallelen lassen sich zwischen den Baris Crashes und neueren Avedis-Crashes ziehen.
Beide klirren glasklar und transparent, sind dabei aber weder aufdringlich noch zu laut. Den Konstrukteuren von Anatolian muss man dazu gratulieren, dass das Sustain ihrer Baris-Becken frei von störenden Untertönen ist. Wer einfach nur rocken will, wird sich über eine ideale Tonlänge, gleichbleibenden Klangcharakter der Crashes bei natürlich unterschiedlichen Tonhöhen und geringer Tendenz zum Aufschaukeln freuen. Genauso gut lassen sich auch die Hihats kontrollieren.

Der Tschick-Sound, also jener Klang, der entsteht, wenn man eine Hihat nur mit den Füßen schließt, ist kurz und präzise. In geschlossenem Zustand gespielt klingt sie kurz und staubtrocken ohne nervig zu singen – der Schlag bleibt nur kurz stehen und endet abrupt ohne einen überlappenden Ton.
Mit seinen gerade mal 10 Zoll lappt das Splash sicher auch nirgends drüber. Interessant ist der tiefe Unterton, der bei jedem Splash-Schlag mitschwingt. Dieser ist auf keinen Fall störend, er verleiht dem kleinen Ding sogar etwas Glanz, wenn man es etwas leiser spielt.

Bei kräftigerer Spielart würgt das Becken ganz Splash-Like ab und bewegt sich ohne Frage im Fahrwasser normalbegabter Splashbecken mittlerer Preisstufe. Ihrer Alltäglichkeit können sich die Baris Becken insgesamt nicht ganz entziehen, sie klingen gut, sind hervorragend aufeinander abgestimmt und nerven nicht. Sie machen eben genau das, was sie machen sollen. Ist das nicht aber schon wieder eine Besonderheit? Bei dem Preis?
FAZIT
Die überarbeitete Baris-Linie ist für den professionellen Gebrauch geeignet, bewegt sich aber preislich im Einsteigerbereich. Der Sound ist schlicht aber hochwertig. Ich erkenne klangliche Parallelen zu den enorm populären Traditionscymbals aus der Türkei – die mit dem großen ersten Buchstaben des Alphabets im Seriennamen. Mit zwei entscheidenden Unterschieden: Anatolian liefert mit den Baris-Becken vergleichsweise konstant gute Ware und ist dabei enorm günstig. In diesem Sinne: viel Baris für wenig Bares. Davor ziehe ich meinen Hut, neige mein bares Haupt und sage „Je suis Barisien“!
- sehr gutes Preis-/Leistungsverhältnis
- makellose Verarbeitung
- –


- Material: B20-Bronze
- Wölbung: leicht gewölbt
- Gewicht: medium
- Finish: Brilliant
- Verarbeitung: Wenige Hammermale, flache Tonal Groves
- 8“/10“/12“ (Splash), 13“/14“ (Hihats), 14“/15“/16“/17“/18“/19“ (Crashes), 16“/17“/18“/19“/20“ (Power Crashes), 20“/22“ (Rides), 20“/22“ Power Rides), 12“/13“/14“ (Power Hihats), 14“/16“/18“/20“ (China)