Neumann U 87 Ai Test

Kaum ein Kondensatormikrofon hat einen vergleichbaren Nimbus wie das Neumann U 87: Es zählt zu den verlässlichsten und flexibelsten Großmembran-Kondensatormikrofonen, die der Markt jemals gesehen hat.

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Nun ist es so, dass in den letzten fünfzehn Jahren Konkurrenzprodukte wie Pilze aus dem Boden gesprossen sind. Das alteingesessene U 87 muss sich daher beweisen – und seinen Preis rechtfertigen.

Details

U 87: geschütztes Design

Schon von Weitem erkennt man ein Neumann U 87 an seiner Form. Obwohl, vielleicht ist es auch ein U 89 (fast identisch, aber kleiner), ein TLM 67 (anderer Tubus mit Georg-Neumann-Medaille), ein älteres Neumann oder ein Mikro der vielen Nacheiferer – die im Laufe der Geschichte schon teilweise ordentlich Ärger mit den verschiedenen Obrigkeiten bekommen haben (Stichwort: Gebrauchsmuster). Nur ein Neumann U 87 ist ein U 87 und nur ein U 87 darf nach einem aussehen.

Fotostrecke: 4 Bilder Das Neumann U 87 besitzt wohl die bekannteste Mikrofonform unter den Studiomikros.

Kugel, Niere, Acht

Der Aufbau des Neumann U 87 ist wie sein Äußeres, das auf dem des Röhrenmikrofons U 67 fußt, absolut klassisch. Die Großmembrankapsel im Korb wird extern polarisiert. Die beiden Rücken an Rücken liegenden Membranen sind über eine Mittenschraube kontaktiert, die gemeinsame Backplate stellt die nicht bewegliche Gegenelektrode der beiden Kondensatorseiten dar. Die beiden abgegriffenen Signale der Braunmühl-Weber-Doppelkapsel können mit dem frontseitigen Drehschalter zu drei verschiedenen Richtcharakteristika verschaltet werden: Niere, Acht und Kugel. Das Signal kann mit einem Pad um zehn Dezibel vorgedämpft werden, ein Hochpassfilter, welches zwar flach verläuft, aber schon etwas unterhalb von 500 Hz(!) Wirkung zeigt, kann ebenfalls geschaltet werden. Beide Schiebeschalter befinden sich auf der Rückseite des U 87 Ai.  

Fotostrecke: 3 Bilder Das HPF ist hoch angesetzt.

Mustergültig

Die axialen Pegelfrequenzgänge haben typische Eigenheiten für diesen Mikrofontyp. So ist der bei Großmembrankapseln nahezu unvermeidliche Abfall oberhalb von 10 kHz zu erkennen, den aber eine „Beule“ etwas unterhalb von 10 kHz leicht kompensiert. Dadurch entsteht bei vielen Großmembranern trotz etwas gedämpfter Höhen der Eindruck von „Frische“. Neumann ist geradezu mustergültig „deutsch-ingenieurig“, daher ist für die gemittelten Pegelfrequenzgänge für die drei Richtcharakteristiken auch angegeben, wie gemessen wurde. So ist der Toleranzschlauch vier Dezibel breit. Wie es im Buche steht verhalten sich auch die Polar Patterns, die für die typischen Frequenzen angegeben sind, also von 125 Hz bis 16 kHz. Ohne „Macken“ im Frequenzbild tendiert die Niere bei höheren Frequenzen zur Superniere und die Kugel zur Acht.  

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Niere: 12 dB(A) Eigenrauschen

Das phantomgespeiste, transistorisierte Kondensatormikrofon „zeigt“ dem Vorverstärker eine Impedanz von 200 Ohm und erfüllt damit genau den heute verbreiteten Normwert. Mit 28 mV/Pa besitzt die Nierenstellung den höchsten, die Kugel mit 20 mV/Pa den geringsten Leerlauf-Übertragungsfaktor. Die Dynamik ist definiert durch die Grenzpunkte Eigenrauschen (A-bewertet 12 dB bei Nierensetting) und den Schalldruckpegel, bei dem der Anteil von Verzerrungsprodukten und Rauschen am Gesamtsignal 0,5% überschreitet. Ohne Pad ist dies bei 117 dB SPL der Fall. Die EA 87 übrigens muss separat erworben werden – das ist die klassische Spinne, die, wie übrigens auch das U 87 Ai selbst, auch in Schwarz erhältlich ist. Zum lieferbaren Zubehör gehört auch das IC 4, ein Kabel mit Schwenkgelenk und Stativgewinde für den platzsparenden Aufbau im „Vintage Style“.  

Fotostrecke: 3 Bilder Mit der EA87, also der Spinne zum U 87, wird das Mikrofon entkoppelt.

Praxis

Ganz einfach ein Werkzeug zum Arbeiten

Ich will nicht verheimlichen, dass es tatsächlich auch „Hater“ der jüngeren 87er gibt und dass diese den ursprünglichen Varianten bis 1986 hinterher trauern. Diese volle Breitseite kann ich nicht nachvollziehen und auch keine wirklichen Probleme bestätigen. Im Betrieb zeigt sich das Neumann U 87 Ai als zuverlässiges und berechenbares Werkzeug für eine Vielzahl an Aufgaben. Es ist ein Allrounder: Ob als Sprecher-, Gesangs- oder Instrumentenmikrofon eingesetzt, das Doppelmembranmikrofon enttäuscht nie. Allerdings löst es auch keine Begeisterungsstürme auf, es ist eher ein nüchternes, zurückhaltendes Profi-Tool, mit dem man arbeiten muss, nicht eines, das einem die Arbeit abnimmt. Um es etwas konkreter zu sagen: Das Signal des U 87 Ai ist mit dem Equalizer hervorragend formbar und lässt starke Eingriffe zu, ohne dass die Signalqualität darunter leidet. Auch enorme Kompressionen steckt das Neumann gut weg. Viele preiswerte Mikrofone können das nicht.  

Arbeitspferd: Neumann U 87 Ai
Arbeitspferd: Neumann U 87 Ai

„Arbeiten“ muss man jedoch oft: Das unbearbeitete Ausgangssignal ist etwas strubbelig, harscher und unfeiner als das vieler anderer vergleichbarer Mikrofone. So wird es manchem vielleicht etwas zu „bissig“ und „kantig“ sein, aber das lässt sich bei Bedarf ja ändern. Umgekehrt lässt sich nicht so gut ein konturiertes Signal aus einem runden generieren. Ich muss gestehen, dass mir das alte U 87 insgesamt ein wenig griffiger, aber gleichzeitig mit eleganteren und edleren Höhen in Erinnerung geblieben ist – allerdings sind „alte“ U 87 eben auch gealtert, sodass man keine fabrikneuen miteinander vergleichen kann. Wer ein U 87 Ai anschafft, der weiß, was er will. Es erreicht nicht die Klasse eines U 47 fet, auch nicht eines M 149 Tube, aber das sind ja auch die Gründe dafür, weshalb es eben diese Mikrofone auch in Neumanns Produktportfolio gibt – und noch eine ganze Reihe weiterer.  

Audio Samples
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U 87, Niere, 10 cm U 87, Niere, 10 cm, HPF U 87, Niere, 30 cm U 87, Niere, 30 cm, HPF U 87, Niere, 30 cm, 45 Grad U 87, Niere, 30 cm, 90 Grad Mojave MA-201FET, 30 mc Audio-Technica AT5045, 30 cm Aston Spirit, 30 cm

Sachlich

Gut ist auch, dass das U 87 nicht mit gehypten Höhen um die Gunst des Interessenten buhlt. Im Air-Band zeigt es sich angenehm sachlich und legt den Fokus eher darauf, einen sanften Dämpfungsverlauf zu liefern als Höhenreichtum zu suggerieren und dafür wilde und zackige Pegel- und Phasenverläufe an der XLR-Buchse auszugeben. Dynamisch ist das Neumann gut aufgestellt, denn es folgt Signalspitzen sehr gut, lediglich im höchsten Pegelbereich dürften die Zerrungen gerne etwas weniger plötzlich auftreten.  

Audio Samples
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Sprache, 20 cm Sprache, 5 cm

Stabile Patterns sind Gold wert

Mit dem 87 Ai lässt sich sehr gut planen, denn es ist durchaus vorhersehbar. So sind die Patterns leicht unterschiedlich schon bei frontaler Besprechung, vor allem die Acht klingt präsenter und gefällt mir sehr gut. Die Veränderungen in den Höhen bei seitlicher Besprechung, bei Mikrofonen bekanntlich unvermeidbar, haben generell einen sanften Verlauf und keinerlei abrupte Einbrüche oder enorme Spitzen, wodurch Bleeding anderer Instrumente und Raumrückwürfe sehr gut und natürlich klingen. Toll ist, dass die Kugel sehr lange ihre Form behält und erst im hohen Kilohertzbereich seitliche Dämpfungen stattfinden. Obwohl viele Kapseln anderer Mikrofone ähnlich aufgebaut sind und die Physik für alle die gleiche ist, performen viele Mikrofone hier schlechter. Für seinen satten Nahbesprechungseffekt aber die gleichzeitig erhalten bleibende Transparenz wird das U 87 geschätzt. Bei zu viel Bass hilft das sauber arbeitende Hochpassfilter.

Audio Samples
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U 87, Kugel, 30 cm U 87, Acht, 30 cm

Fazit

Es gibt ein unumstößliches Argument für den Kauf des Neumann U 87 Ai. Zwei, um genau zu sein: Es ist ein Neumann, und es ist ein U 87. Neumann ist ein klangvoller, traditionsreicher Name im Mikrofonbau, der bei anderen Engineers und Musikern gleichermaßen auf offene Ohren stößt. Das macht sich nicht zuletzt beim Werterhalt bemerkbar, denn ein derartiges Mikrofon lässt sich in Jahren oder Jahrzehnten noch besser verkaufen als irgendein „Supersound 3000 XL“. Zudem ist es ein U 87, also das Mikrofon, das sich als Arbeitstier nicht umsonst seinen Namen gemacht hat: Es liefert ein sehr gutes, voraussagbares Signal an so gut wie allen Schallquellen, das sich problemlos in jede Richtung biegen lässt – natürlich ist es dadurch auch kein Charakterkopf, sondern eher ein kühles Werkzeug. Zusammenfassend bleibt zu sagen: Das Neumann U 87 Ai ist alles andere als ein „Anfängermikrofon“, sondern ein wirklich ein sehr ordentliches Mikrofon für viele Aufgaben, aber weder ist es besonders charaktervoll und technisch anderen um Meilen voraus, noch ist es besonders preiswert.  

Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
  • sehr flexibel einsetzbares Mikrofon
  • hohe Formbarkeit des Signals
  • klare Pattern mit guten Verläufen
  • hervorragend klingende Bassanhebung durch Nahbesprechungseffekt
  • sauber arbeitendes Hochpassfilter
Contra
  • unbearbeitet etwas harsch
  • nicht gerade preiswert
Artikelbild
Neumann U 87 Ai Test
Für 2.899,00€ bei
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FEATURES UND SPEZIFIKATIONEN

  • Wandlerprinzip: Echtkondensator, Doppelmembran
  • Empfängerprinzip: Druckgradient
  • Membrangröße: groß (1“)
  • Richtcharakteristik: Kugel, Niere, Acht
  • Frequenzgang: 20 Hz – 20 kHz
  • THD+N: 12 dB(A) bei Nierenstellung
  • Empfindlichkeit: mind. 20 mV/Pa
  • maximaler Schalldruckpegel mit Pad: 117 dB(SPL) (0,5% THD)
  • Pad: 10 dB
  • Hochpassfilter (6 dB/oct bei 500 Hz)
  • Preis: Einzelmikrofon: € 2173,– (Straßenpreis am 31.08.2017)
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