Im letzten Jahrtausend, genauer gesagt 1993, erblickte die Nighthawk das Licht der Welt – von Gibson erdacht und gebaut. Aber offensichtlich war die Resonanz draußen im Handel nicht ganz so groß, wie man es sich für diese Serie erwartet hatte, und nach einiger Zeit verschwand die Gitarre wieder heimlich, still und leise aus dem Programm. Aber das sollte nicht für immer gelten: Vor nicht allzu langer Zeit tauchte sie wieder auf, allerdings nicht mit dem bekannten Gibson-Logo, sondern diesmal mit dem der Tochter, und die heißt bekanntlich Epiphone.
Damit sieht es so aus, dass in diesem Fall wohl alles in der Familie bleibt und man eigentlich davon ausgehen kann, dass der Spross die traditionelle Qualität und die Vorzüge der Mutter geerbt hat, denn der Apfel fällt bekanntlich nicht weit vom Stamm. Oder sollte er diesmal doch etwas weiter weg eingeschlagen sein?
DETAILS
Optik/ Verarbeitung
Jedenfalls handelt es sich äußerlich um dasselbe Modell, das Gibson in den Neunzigern auf den Markt brachte. Insgesamt wirkt die Gitarre wie eine verkleinerte Variante der Les Paul, die sich in einer schwachen Stunde mit einer SG eingelassen hat. Deren Erbgut hat sich in der unteren Hälfte des Korpus niedergeschlagen, während in der Oberen unverkennbar die Les Paul dominiert. Der Body ist aus drei Teilen Mahagoni zusammengesetzt, die Decke ziert ein attraktiv gemasertes Flame Maple (Ahorn) Furnier. Über die Dicke kann ich leider nichts sagen, da ein weißes Binding Korpus und Zarge verbindet und den Übergang kaschiert. Was als Nächstes ins Auge fällt, sind die drei Tonabnehmer, und dabei ganz besonders der (absichtlich!) schräg eingesetzte Steg-Humbucker – ähnlich wie bei einer klassischen Fender Strat, bei der allerdings Single-Coils verwendet werden. Aber Eines sei jetzt schon verraten: Bei der einen Gemeinsamkeit wird es nicht bleiben. So befindet sich der Mitte ein Einspuler, und an der Halsposition schließlich arbeitet ein Minihumbucker, der unter einem Chromdeckel zu Hause ist, genauso wie sein Kollege am Steg, der wenigstens in einem verchromten Rähmchen sitzt. Alles das passt meiner Meinung nach sehr gut zur Gitarre.
Als Steg dient eine feste Brücke mit einzeln verstellbaren Reitern. Die Saiten werden übrigens wie bei der Strat durch den Korpus geführt. Volumen- und Tone-Poti sind für sämtliche Pickup-Kombinationen zuständig, die durch einen Fünfwegschalter und den als Push/Pull-Poti ausgelegten Tonregler verwaltet werden. Wird dieser hochgezogen, werden aus den Humbuckern Single Coils, wodurch in den Positionen 1-2-4-5 neue Sounds entstehen. Natürlich bleibt die Mittelstellung unberührt, also die 3 mit dem einzigen tatsächlichen Single-Coil.
Die Honeyburst Lackierung ist sauber aufgetragen, auf Hochglanz poliert und macht, wie die gesamte Verarbeitung, einen sehr guten Eindruck. Es kommt in keiner Sekunde das Gefühl auf, ein billiges Instrument in der Hand zu halten. Das geflammt Ahornfurnier verleiht der Nighthawk ein edles Äußeres. Ob und in welcher Weise es sich jedoch klanglich auswirkt, sei dahingestellt. Das Elektronikfach auf der Rückseite ist mit einem schwarzen Plastikdeckel verschlossen. Der Hals ist mit dem Korpus ganz Gibson-typisch verleimt und auch mit Klarlack versehen, sodass beides, also Korpus und Halsrückseite, wie aus einem Guss wirken.
Die vorerst letzte Gemeinsamkeit mit der Strat ist die Mensur. Statt der Gibson-typisch kurzen 628 mm kann die Nighthawk mit einer 648-mm-Standard-Mensur aufwarten, also mit Fender-Maßen! Der Rest ist schnell aufgezählt: Crown-Inlays zieren das Palisander Griffbrett, die 22 Bünde sind sauber eingesetzt, entgratet und poliert, der Sattel besteht aus Kunststoff. Das Halsprofil würde ich als flaches D bezeichnen, also relativ breit und nicht sonderlich dick. Als Mechaniken kommen verchromte und gekapselte Grover zum Einsatz. Der Hals ist inklusive Kopfplatte mit weißem Binding versehen, auch hier gibt es nichts zu beanstanden.
Und bei diesen Betrachtungen stellt sich unwillkürlich die Frage, wie man es schafft, ein solches Instrument, das wirklich gut verarbeitet ist und qualitativ keinerlei Angriffspunkte bietet, zu einem solchen Preis anzubieten? Ein Blick auf die Kopfplattenrückseite verrät es: Die Nighthawk wird in Indonesien hergestellt. Und er verrät auch, dass die Zeiten vorbei sind, in denen man Instrumente aus Billiglohnländern müde belächeln konnte. Unsere Kandidatin kann locker mit wesentlich teureren Gitarren mithalten. Die letzte Frage ist deshalb, ob sich der günstige Preis, wenn schon nicht im Instrumente selbst, dann vielleicht im Klang widerspiegelt?
PRAXIS
Sound/ Bespielbarkeit
Trocken angespielt fällt direkt der drahtige Sound auf. Durch ihre Ausfräsungen auf der Korpusrückseite stehen dem Musiker keine Kanten im Weg, die sich in die Rippen drücken. Die Gitarre lässt sich insgesamt sehr gut bespielen, die Saitenlage ist nicht zu flach, aber auch nicht zu hoch eingestellt, und bund- und oktavrein ist sie auch. Sie muss also nur noch durchgestimmt werden, und schon kann es losgehen. Sehr vorbildlich! Durch den tief geschnittenen Cutaway lassen sich auch die höchsten Bünde mühelos erreichen, im Vergleich zur Les Paul vergrößert natürlich die längere Mensur den Abstand zwischen den Bundstäbchen. Kommen wir zum Sound. Hier vorab die verschiedenen Schaltmöglichkeiten zur Verdeutlichung.

Im ersten Beispiel habe ich einen Fender Deluxe Combo verwendet und schalte alle fünf Tonabnehmer-Kombinationen einmal durch, wie immer beginne ich mit dem Hals-Pickup.
Schon hier fällt sofort auf, wie untypisch für eine Gibson die Nighthawk klingt. Der Sound ist eher perkussiv drahtig, in den Zwischeneinstellungen strattelt es schon sehr und auch der Steg-Humbucker gehört zu den kultivierteren seiner Zunft.
Im nächsten Soundfile habe ich das Tonpoti hochgezogen und dadurch den Split-Modus aktiviert.
Durch das Coil-Splitting werden die Sounds insgesamt ausgehöhlter und gehen jetzt gefährlich nah ran an die Stratocaster. Natürlich ist die Mittelposition von dem Splitting unberührt, aber das sagte ich ja bereits. Weiter geht es mit einem Tweed Amp. Hier habe ich in der ersten Hälfte die Position vier im Split-Mode verwendet, also den mittleren Pickup mit dem Humbucker als Hals, der nur auf einer Spule läuft. Im zweiten Teil ist das Tone-Poti wieder runtergedrückt und der Humbucker läuft wieder mit beiden Spulen.
Hier kann man sehr schön den Unterschied zwischen dem Single Coil und dem Humbucker hören. Natürlich ist Letzterer mittiger und klingt kompakter. Mit herausgezogenem Tone Poti wechselt er komplett die Charakteristik und das Frequenzbild verschiebt sich natürlich nach oben und lässt dadurch die Höhen aufblitzen.
Jetzt wird es etwas angezerrter. Für diesen Zweck habe ich einen Plexi Marshall in Kombination mit dem Halspickup im Split Mode verwendet.
In Verbindung mit dem Plexi klingt der “halbierte“ Humbucker am Hals gar nicht mehr so klingelig wie in dem Beispiel zuvor. Der Marshall kappt die Höhen etwas und rückt das Mittenbild mehr in den Vordergrund. Die Bassanteile sind wohldosiert und durch den ohnehin schlanken und drahtigen Grundsound kommt ein toll angeschmutzter Sound zustande. Ich erhöhe den Zerrgrad am Plexi und schalte die Nighthawk in die Stegposition, um dem Humbucker mal auf den Draht zu fühlen.
Schön kompakt drückt der Humbucker los. Interessanterweise ist der Bassanteil in diesem Beispiel recht hoch, was mir aber im Zusammenspiel mit den Mitten und den Höhen gut gefällt.
Jetzt kommt ein JCM 800 zum Einsatz.
Das ist ein wirklich sehr solides Rockbrett. Dieser Sound dürfte sich sehr gut in einen Bandkontext einfügen. Akkorde lassen sich trotz des recht hohen Gains differenziert heraushören, was auf den besagten drahtigen Grundsound zurückzuführen ist. Abschließend noch ein Leadsound. Hier wechsele ich hin und wieder zwischen Steg- und Halsposition.
Auch hier gilt das zuvor Beschriebene – keine besonderen Vorkommnisse. Ein gutes durchschnittliches Sustain, der Sound klingt ausgewogen und wenn man will, singt sie auch. Alle Anschläge kommen klar durch und insgesamt geht sie sehr solide mit dem recht hohen Gainanteil um. Auch waren während des gesamten Tests und bei keiner Einstellung irgendwelche Anzeichen zu finden, dass die Tonabnehmer mikrofonisch reagieren könnten – nicht unbedingt alltäglich in dieser Preisklasse.
FAZIT
Die Epiphone Nighthawk ist ein absolut solides, gut verarbeitetes Instrument, das nicht nur den Anfänger begeistern wird. Wer auf der Suche nach einem etwas ausgefalleneren Design ist, gepaart mit einer flexiblen Soundauswahl und das Ganze für wirklich kleines Geld – bitteschön!
- Konzept
- Preis
- Verarbeitung
- Soundvielfalt
- Bespielbarkeit
- –


- Hersteller: Epiphone
- Bauart: Solidbody E-Gitarre
- Korpus: Mahagoni, Ahorn Decke furniert
- Hals: Mahagoni, eingeleimt
- Griffbrett: Palisander
- Bünde: 22
- Mensur: 648 mm
- Tonabnehmer: Slant NHT Steg, NSX Single Coil Mitte, NHR Mini Humbucker Hals
- Farbe: Honey Burst
- Herstellungsland: Indonesien
- Gewicht: ca. 3,1 kg
- Preis: 299,00 Euro


























JoeS sagt:
#1 - 25.05.2011 um 15:28 Uhr
Hallo Bassel,
schön, dass Du die Testgitarre mal auf die Waage gestellt hast.
In den meisten Reviews fehlt eine Gewichtsangabe, wobei ich finde, dass dies ein wichtiger Punkt ist, der immer dazu gehört.
Heiko sagt:
#2 - 25.05.2011 um 16:56 Uhr
Hey Bassel,schöner Test, schöne Gitarre!
Wie ist es denn mit den gesplitteten Humbuckern in den Zwischenpositionen (also in Kombination mit dem Mittel-PU)?
Sind die brummfrei (wie bei der Strat) oder brummmmmtsssss?Viele Grüße!
Bassel sagt:
#3 - 26.05.2011 um 13:06 Uhr
Hallo Heiko,
die Zwischenpositionen sind selbstverständlich Brummfrei!
Beste Grüße,
Bassel
crimhead01 sagt:
#4 - 26.05.2011 um 15:36 Uhr
Wirklich ein nützlicher Test über eine sinnvoll ausgestattete und überaus preisgünstige Gitarre. Es darf noch angemerkt werden, dass Seymour Duncan Anfang des Jahres speziell für diese Gitarre Ersatz-Tonabnehmer auf den Markt brachte. Wegen des schräggestellten Humbuckers ist das vielleicht für unentschlossene Epi-Nachtfalken-Nutzer oder Besitzer einer Gibson Nighthawk aus den Neunzigern interessant.siehe hierzu: http://www.seymourduncan.co...
Chris sagt:
#5 - 29.12.2011 um 04:28 Uhr
Hochgradig interessant ist jedoch, dass diese Gitarre sehr oft mit ebony Griffbrett ausgeschrieben wird. Jetzt habe ich sie mit nachhause genommen und bin etwas angschlagen :(es scheint jedoch wirklich solche zu geben!?
Haltbarkeit ist mir sehr wichtig, werde mich auf die suche machen müssen :/Grüße