Ob persönliche Abneigung, Inkompetenz oder der Versuch lustig zu sein – manche Musikrezensionen sind deutlich schlechter als die Musik, die bewertet wird. Wir stellen sieben Kritiken vor, auf die kein Autor stolz sein sollte.

Jet – Shine On
Es ist die berüchtigtsten und bizarrste Kritik von Pitchfork – und das soll etwas bedeuten! Im Review von ‘Shine On’, dem zweiten Album der australischen Rockformation Jet, wird ein brutales und wortloses Urteil abgebildet. Statt eines Textes ist ein zehn Sekunden langer Clip eingebettet, der einen Affen beim Trinken seines eigenen Urins zeigt. Dazu die Bewertung 0.0 von 10.
Doch wie ist es zu dieser untypischen “Kritik” überhaupt gekommen? In einem Artikel von dem Magazin “The Ringer” werden die Hintergründe beleuchtet. Verfasst wurde sie unter dem Pseudonym “Ray Suzuki”, das für Experimente innerhalb der Redaktion verwendet wurde. Die Idee stammte von Mitarbeitenden wie Ryan Kaskie und Chefredakteur Scott Plagenhoef, die mit der radikalen Form provozieren wollten – typisch für Pitchforks frühe, anarchische Phase.
Intern wurde die Aktion nicht nur als Scherz, sondern als eine Art kulturelles Statement verstanden: eine bewusste Ablehnung des “seriösen” Kritiker-Tons, kombiniert mit dem Wunsch, Aufmerksamkeit durch radikale Stilbrüche zu erzeugen. Die Kritik ist auch ein nostalgischer Blick in das Internet Mitte der 2000er, bei der Webseiten oft sehr skurrile und provokante Inhalte präsentierten.
Lou Reed & Metallica – Lulu
Die Rezension auf The Quietus beschreibt Lou Reed & Metallicas ‘Lulu’ als katastrophales Album voller Selbstüberschätzung, das selten so starke Gefühle von Wut und Abscheu ausgelöst habe.
“It wastes so much of life’s most precious commodity: time. … 95 – yes, 95! – tedious and excruciating minutes simply eats into time that could be more constructively spent watching the grass grow or perhaps wanking into a sock.”
Der Kritiker nennt es eine monumentale Zeitverschwendung, die besser mit dem Beobachten von Graswachstum oder Masturbation in einen Socken verbracht wären. Reed wirke oft, als würde er über unfertige Metallica-Demos sprechen, was das Album wie ein chaotisches Nebeneinander klingen lässt. Trotz seiner absurden Wirkung sei es kein Witz, sondern todernst gemeint – was es nur noch tragischer mache. Fazit: Lulu sei nicht nur das schlechteste Werk der Beteiligten, sondern womöglich eines der schlechtesten Alben aller Zeiten. Viele Alben hat der Rezensent wohl noch nicht gehört. Immerhin gab er ein paar Tipps für alternativen Zeitvertreib.
Spinal Tap – Shark Sandwich
Das “Shit Sandwich“-Review ist ein berühmter Gag aus dem Mockumentary-Film “This Is Spinal Tap” (1984), einer Satire über Heavy-Metal-Bands. In einer Szene des Films wird ein früheres Spinal-Tap-Album besprochen, und die fiktive Kritik dazu besteht aus nur zwei Worten:
“Shit sandwich.”
Die Band reagiert empört, ihr Manager protestiert: “Das können die doch nicht drucken!” Letztlich lebt die Szene von der Kürze, der Trockenheit und Entlarvung der Eitelkeit der Musikindustrie. Eine Szene die sowohl bei den Besten als auch bei den schlechtesten Reviews einen Platz hätte.
Radiohead – Kid A
Die Kritik an ‘Kid A’ von Mark Beaumont ist ein einziger Durchfall an Abneigung. Bei dem Review ging es dem Autoren wohl mehr darum, “lustige” Metaphern einzubauen, anstatt das Album ordentlich zu bewerten. Früh ist zu lesen: “Schon das Surren der CD-Schublade zischt Revolution, der Titel ist ein Vorbote der vom Klang übertroffenen Genetik, die Hülle stinkt förmlich nach dem Körpergeruch des Genies.”
Weiters wird das Album laut dem Kritiker der Öffentlichkeit als “der schlaffe, prahlerische, selbstgefällige, weinerliche alte ‘I-can-suck-my-own-cock’ Schrott” präsentiert. Weitere lyrische Ergüsse folgen prompt:
“Es ist der Sound von Thom Yorke, der seinen Kopf fest in seinen eigenen Hintern steckt, das Rumpeln seiner Darmwinde hört und beschließt, es mit der Welt zu teilen.”
Ist hier der Autor hier selber am projizieren, diese Kritik mit der Welt teilen zu müssen? Sind Radiohead hier nur ein Ventil zum Austeilen? Anders ist dieser Verriss schwer zu erklären.
Stone Temple Pilots – Tiny Music… Songs from the Vatican Gift Shop
Anstatt das dritte Stone Temple Pilots-Album sachlich oder künstlerisch einzuordnen, überschreitet die Kritik mehrfach Grenzen des Geschmacks. Anfangs lobt der Autor sogar noch frühere Werke der Band, ehe es schnell in Tiraden gegen den Frontmann Scott Weiland ausartet, die jede Grenze des Anstands überschreiten.
Im ersten Absatz wird nicht nur die Musik mit “sich wiederholenden Riffs” und “schwachen Texte” bewertet, sondern der Autor Ryan Schreiber wirft mit ekligen Beleidigungen um sich. Er beschreibt Frontman Scott Weiland als “drogensüchtigen son of a bitch”. Das einzig “ansprechende” an dem Album sind laut Schreiber “all die Heroinwitze, die man sich über Scott Weiland ausdenken kann”.
Am Ende werden die Lyrics auseinandergenommen: “Oh, andere aufschlussreiche Texte auf der Platte sind ‘I Can’t Walk / I Can’t Talk / Booze / I Can Booze / Steal Your Shoes’. Er ist ein Dichter, und wir wissen es nicht.” Am Ende gibt es dann noch einen unverantwortlichen und gefährlichen Suizid-Aufruf: “Also, Scott, du machst Folgendes: Steig aus dem Bett, binde dich los und falle für immer ins All. Aber tu es nicht nur für dich, tu es für mich.”
Wie so eine Kritik in einer Zeitung abgedruckt werden kann, ist schwer zu verstehen. Die Zurschaustellung der persönliche Abneigung gegenüber einem Musiker darf bei einer Album-Kritik nicht der einzige Grund für den Text sein. Zur Einordnung: Das Album wurde bei anderen Plattformen durchschnittlich bewertet.
Einen traurigen Nachgeschmack hat das Ganze auch noch: Scott Weiland ist 2015 im Alter von 48 Jahren an einer Überdosis gestorben.

Halsey – The Great Impersonator
Der YouTuber Anthony Fantano mit seinem Kanal ‘theneedledrop’ ist mit 3 Millionen Abonnenten und über 4700 Videos einer der größten Musik-Kritiker der Plattform. Mit seinen direkten, humorvollen und offenen Kommentaren ist Fantano bei seinen Zusehern auch sehr beliebt, wie an den größtenteils positiven Kommentaren und der guten Like/Dislike Ratio zu sehen ist. Nicht gut kam seine Kritik an ‘The Great Impersonator’ von Halsey an.
Halsey hatte bei dem Album die Idee, sich selbst als “Imitatorin” zu erleben, die durch verschiedene Jahrzehnte und musikalische Einflüsse navigiert. Dabei imitiert sie Songs und Stile von Stevie Nicks, Björk, Britney Spears, David Bowie und vielen anderen. Das Album entstand dabei während einer existenziellen Krise der Sängerin. Sie wurde mit Lupus und einer seltenen T-Zell-Störung diagnostiziert, ihr Mann trennte sich von ihr, ihr Hund lag im Sterben und ihr Label beendete die Zusammenarbeit.
Ohne auch nur einen dieser Fakten zu erwähnen, kritisiert Fantano die Lyrics, die nur zeigen, wie “dunkel”, “gequält” und “edgy” sie ist. Dazu beschreibt er sie als den schlimmste Fall des “Main Character Syndroms” des Jahres. Mehr Feingefühl wäre hier zu Wünschen gewesen. Auch im Nachgang kam es zu keiner Reaktion, obwohl seine Community ihn zahlreich auf die fehlende Sensibilität hingewiesen hatte. Auf Metakritik gab es für das Album übrigens 79 Punkte (von 100).
Nince Inch Nails – The Fragile
The Fragile von Nine Inch Nails wurde von Kritikern überwiegend positiv aufgenommen. Mojo lobte das Album als “vielschichtiges, befriedigend gewalttätiges Klang-Workout”, während Alternative Press es als “schlichtweg erstaunlich” bezeichnete. USA Today hob die akribische Produktion hervor, die den Hörer gleichermaßen herausfordere und verwirre, und sprach von Reznors “perversen und subversiven Wegen zum musikalischen Ruhm”. Die renommierte New York Times bezeichnete das Album als “verstörend raffinierte Musik”.
Die Bewertungen waren entsprechend gut – meist vier von fünf Sternen bzw. acht bis neun von zehn Sternen. Einen Ausreißer gab es jedoch auf Pitchfork: Der Kritiker Brent DiCrescenzo gab dem Album lächerliche zwei von zehn Sternen.
Der Rezensent verspottete Trent Reznors Texte als klischeehafte, düstere Wortlisten, die jede Synonymfunktion peinlich exakt nachahmen. Er kritisierte die langen Instrumental-Teile und bezeichnete das gesamte Werk als “104 Minuten Albatros”, der in vielen Momenten kaum Wirkung entfalte. Dabei schießt er vor allem gegen die Lyrics.
“Trent Reznor ist der schlechteste, vorhersehbarste und uninspirierteste Texter, der heute arbeitet.”
Dann bezeichnet er noch Rezner als Marilyn Manson ohne Make-up und die Musik als etwas “für ältere im digitalen Zeitalter”. Am Ende kommt dann noch die Prognose, dass die Platte in Zukunft ähnlich künstlich wirken könnte wie die Musik von ‘10cc‘. Eine ziemlich schwache Prognose, die 2017 von Pitchfork ausgebessert wurde.
Die 2017 veröffentlichte Definitive Edition des Albums wurde von dem Magazin noch einmal neu bewertet und erhielt dabei eine 8.7 von 10. Ob die neue Version wirklich so viel besser, oder die alte Kritik einfach nur so schlecht war?