So wie ein „richtiger“ Käse aus der Schweiz, Frankreich oder Holland kommen sollte, so müssen auch die „wirklich amtlichen“ Amps amerikanischer oder britischer Herkunft sein. Soweit der Mythos. Heutzutage ist das Ganze aber häufig nur noch Fassade, denn viele Herstellern haben die Fertigung aus Kostengründen nach Fernost verlagert, Design- und Marketing-Office sitzen in den USA (klingt immer gut), und der Vertrieb wird global organisiert.
Das spart Geld und kommt im Endeffekt dem Kunden zugute, denn nie waren Röhrenamps so preiswert wie im Augenblick. Ob die Teile allerdings was taugen, ist die andere Frage. Wir haben uns einen typischen Vertreter dieser Herstellungsphilosophie, den Bugera Vintage 55HD, ins Haus geholt und ihn den harten Strapazen des bonedo-Testparcours unterzogen.
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DETAILS
Gehäuse/Optik
Auch auf den zweiten Blick hat man definitiv nicht das Gefühl, dass hier ein Röhrentopteil für gerade einmal 300 Euro vor einem steht. Der Amp ist in Vollröhrentechnik gebaut, wobei in der Vorstufe drei 12AX7 im Einsatz sind und in der Endstufe zwei 6L6 für die nötige Röhrenpower sorgen, die sich in einer Gesamtleistung von 55 Watt lautstark bemerkbar macht.
Das Multiplex-Gehäuse des Amps ist mit schwarzem Vinyl überzogen und an allen acht Ecken mit schwarzen Metallschonern armiert. Die obere Hälfte der Frontseite kleidet sich in einen cremefarbenen Vinylmantel, die Unterseite ist mit Boxenstoff bespannt. Ein goldfarbener Kunststoffkeder sorgt im Team mit einem goldglänzenden Bugera-Schriftzug für die edlen Highlights. Das Bedienfeld findet sich ganz oben auf der Frontseite und beherbergt die wesentlichen Regler, Schalter und Anschlüsse. Weitere gibt’s auf der Rückseite für Lautsprecher, FX-Loop und den mitgelieferten Fußschalter.
Das Topteil kommt mit vier großen Gummifüßen, die für stabilen Halt auf Lautsprecherboxen oder anderen ebenen Oberflächen sorgen. Mit einem Gesamtgewicht von 17 Kilo ist der Vintage 55 in die Mittelklasse einzustufen und kann gut ausbalanciert mit dem Tragegriff auf der Oberseite transportiert werden.
Bedienfeld
Passend zum beigefarbenen Front-Bespannstoff setzt Bugera in Sachen „Regelwerk“ auf cremefarbene Chickenhead-Regler. Zur besseren Darstellung der jeweiligen Position kommt jeder Regler mit einer eigenen Skalierung von 0 bis 10. Der Amp ist als Zweikanaler konzipiert, bei dem sich beide Kanäle eine Klangregelung mit Bass, Middle und Treble teilen. In der Mastersektion findet man neben dem obligatorischen Master-Volume noch einen Presence-Regler zur Kontrolle des hohen Frequenzbereichs.
Der Clean-Channel sorgt primär für unverzerrte Klänge, die Lautstärke wird mit dem Clean-Regler eingestellt. Beim zweiten Kanal, dem Lead-Channel, stehen zur Einstellung von Lautstärke und Verzerrungsgrad standesgemäß zwei Regler zur Verfügung – Gain und Volume. Der Vintage 55 ist mit Hall ausgestattet, allerdings hat man hier den Vintagegedanken nicht ganz zu Ende verfolgt, denn anstatt mit einem Federhall kommt der Amp mit einem digitalen Reverb, dessen Anteil am Gesamtsound sich mit einem Regler einstellen lässt.
Die Kanäle können entweder mit einem kleinen Schalter auf dem Frontpanel oder über den mitgelieferten Fußschalter gewechselt werden, mit dem sich auch der Reverb ein- und ausschalten lässt. Ein weiterer Mini-Schalter auf dem Frontpanel aktiviert eine Boostfunktion. Näheres dazu gibt es im Praxisteil.
Abgerundet wird die Featureliste der Front durch zwei unterschiedliche Eingänge (Normal und Bright) und den üblichen Schalter für Power und Standby nebst dazugehöriger LED in Blau.
Rückseite
Auf der Rückseite warten die Lautsprecheranschlüsse auf Kontakt, zwei an der Zahl. Ihre Impedanz kann über einen Dreifach-Schiebeschalter zwischen 4Ω, 8Ω und 16Ω gewählt werden. Daneben befindet sich die Buchse für den Fußschalter, rechts außen parken die beiden Anschlüsse (Send, Return) des seriellen Effektloops. Der Vintage 55 lässt sich in zwei Röhren-Modi betreiben, die über den Mode-Schalter auf der Rückseite angewählt werden können, nämlich Pentode oder Triode. Im Triodenmodus gibt der Verstärker ca. 40% weniger Leistung ab und kann entsprechend früher in die Endstufensättigung gefahren werden. Auf diese Weise erhält man auch bei geringer Lautstärke einen druckvollen Sound mit dem entsprechenden Spielgefühl.
PRAXIS
Wichtig: Die im Rahmen der Hörbeispiele angegebenen Reglereinstellungen entsprechen der Anzeige am Amp (von 0 bis 10). Bei ´0´ ist der Regler komplett abgedreht, ´10´ bedeutet Vollanschlag. Die mittlere Position (12 Uhr) liegt dementsprechend bei ´5´.
Clean Channel Die Reise startet, wie immer, mit den unverzerrten Tönen. Diese liefert der Vintage 55 im ersten, dem Clean-Kanal. Um wirklich cleane Sounds hinzukriegen, sollte der Clean-Regler nicht weiter als bis auf ´5´ aufgedreht werden. Danach sind, je nach Output der verwendeten Gitarre, schon leichte Verzerrungen zu erwarten. Es ist aber auf jeden Fall möglich, mit dem V55 einen bühnentauglichen Cleansound zu erzeugen. Die 55 Watt machen genügend Dampf und Druck, um sich sogar mit einer Singlecoil-Gitarre gegen eine laute Rhythmusgruppe entspannt durchsetzen zu können. Nur noch einmal zur Erinnerung: Ich spreche hier von einem klaren, absolut unverzerrten Ton. Zur optimalen Anpassung an die verschiedenen Gitarrentypen hat der Vintage 55 zwei unterschiedliche Eingänge am Start. Welche Auswirkungen diese auf den Sound haben, werden wir jetzt hören. Ich habe die Klangregelung in die mittlere Position gebracht, mir meine Strat geschnappt und sie zuerst an den Normal-, dann an den Bright-Input angeschlossen.
Audio
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NormalBright
Gitarre
Clean
Gain
Volume
Bass
Mid
Treble
Master
Pres
Rev
Boost
Strat
4
x
x
5
5
5
10
5
0
off
Das klingt im direkten Vergleich auf den ersten Blick sehr extrem. In Verbindung mit dem Normal-Input liefert der Amp einen wesentlich fetteren Sound, mit Bright werden die Bässe stark abgesenkt und die Höhen noch angehoben. Dementsprechend ist der Normal-Eingang eher für Singlecoil-Gitarren zu empfehlen, mit dem Bright-Input kann man fett klingenden Gitarren wie z.B. einer Les Paul oder einer Semi-Akustik eine schnelle Schlankheitskur verabreichen. Dann wird aus dem dicken Ton einer ES-335 ein schmales Funkbrett.
Audio
Samples
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Funk
Gitarre
Clean
Gain
Volume
Bass
Mid
Treble
Master
Pres
Rev
Boost
ES-335
4
x
x
3
2,5
6
10
8
0
off
Wie schon erwähnt, ist der Ton im Clean-Kanal bei einer Gain-Einstellung bis ´5´ auch tatsächlich noch clean. Im Normal-Eingang beginnt der Amp kurz nach ´5´ schon mit einer leichten Verzerrung, der Bright-Input hat etwas mehr „Durchhaltevermögen“ und zerrt erst bei ca.´7´, sofern eine leistungsstarke Humbuckergitarre angeschlossen ist. Bei einer Singlecoil-Gitarre bleibt der Klang entsprechend länger unverzerrt. Das Ganze ist selbstverständlich auch noch abhängig von der Einstellung des Master-Volumes, mit dem man eine zusätzliche Portion Endstufenzerrung heraufbeschwören kann. Bei einer Einstellung des Masters ab ´5´ aufwärts wird die Kompression und Zerre kontinuierlich immer stärker.
Ansprache & Dynamik
Auch die Reaktion auf die Anschlagsdynamik ist sehr gut und so kann man den Amp (bei entsprechender Einstellung) problemlos per Anschlag zum Zerren bringen. Im Cleankanal funktioniert das sehr gut, wenn man den Clean-Regler so einstellt, dass der Amp bei leichtem Anschlag noch nicht zerrt, bei hartem aber schon. Wenn man jetzt mit den Fingern spielt, bleibt der Ton bei leichtem Anschlag warm und unverzerrt, langt man härter in die Saiten, reagiert der Amp mit einer crisperen Verzerrung – ein Verhalten, das den Namen Vintage zu Recht verdient hat.
Audio
Samples
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Crunch
Gitarre
Clean
Gain
Volume
Bass
Mid
Treble
Master
Pres
Rev
Boost
Les Paul
7
x
x
4
7
6,5
7
6,5
0
off
Boost – Clean-Channel
Um etwas mehr Gain herauszukitzeln, kann man den Boost aktivieren. Er verstärkt die oberen Mitten, der hörbare Klangunterschied ist aber minimal. In Sachen Spielgefühl sieht das aber schon ganz anders aus, denn der Amp komprimiert im Boost-Modus viel schneller. Bei deaktiviertem Boost klingt er offener. Wofür man sich im Endeffekt entscheidet, ist einmal mehr Geschmacksache, auf jeden Fall liefert der Vintage 55 einen guten AC/DC-Crunch im Cleankanal.
Audio
Samples
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Clean Boost OffClean Boost On
Gitarre
Clean
Gain
Volume
Bass
Mid
Treble
Master
Pres
Rev
Boost
SG
8
x
x
4
10
4
8
3
0
off-on
Lead-Channel
Kommen wir zum Lead-Channel und bringen die Regler in die 12-Uhr-Position, um einen Überblick über den neutralen Grundsound dieses Kanals zu bekommen. Im Team mit einer Les Paul geht es hier schon wesentlich moderner zur Sache, das heißt, es gibt eine gute Verzerrung, die aber härter komprimiert und nicht so sensibel auf die Anschlagsdynamik reagiert wie der Cleankanal. Das Ganze klingt wesentlich kompakter.
Abhängig vom verwendeten Eingang kommt es natürlich auch hier zu unterschiedlichen Ergebnissen. Für die Les Paul bevorzuge ich ganz klar den Bright-Input, hier klingt das Instrument am durchsetzungsfähigsten. Im Normal-Input ist mir der Bassbereich ein wenig zu schwammig. Schön, dass mir der V55 die Wahl lässt. Wenn man nur einen Eingang zur Verfügung hat, muss man unter Umständen mit Kompromissen leben – hier kann man das Ganze schön auf die jeweils verwendete Gitarre abstimmen.
Die Boost-Funktion führt in diesem Kanal zu einer Anhebung der oberen Mitten, dadurch kann der Amp schon etwas blechig klingen. Mir persönlich gefällt der Klang ohne Boost besser. Ihr hört jetzt vier Beispiele mit der Les Paul in beiden Eingängen, einmal mit Boost, einmal ohne.
Audio
Samples
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Lead NormalLead Normal BoostLead BrightLead Bright Boost
Gitarre
Clean
Gain
Volume
Bass
Mid
Treble
Master
Pres
Rev
Boost
Les Paul
x
5
4
5
5
5
6
5
0
off-on
Die Kanal-Lautstärke wird hier mit dem Volume-Regler eingestellt. In der Interaktion zwischen Volume und Master kommt es zu klanglichen Unterschieden. Bei gleicher Ausgangslautstärke klingt der Amp etwas fülliger (mehr Bass), wenn der Master weiter aufgedreht ist und Volume im Kanal tiefer steht. Dreht man hingegen den Volume-Regler weiter auf als den Master, wird es etwas bissiger. Hier ist der eigene Geschmack gefragt und Ausprobieren angesagt. Auf jeden Fall hat man so noch eine weitere Möglichkeit an der Hand, Einfluss auf die Performance des Amps zu nehmen.
Klangregelung
Als Nächstes wollen wir die Klangregelung ins Visier nehmen. Auch hier gibt es prinzipiell nichts Nachteiliges zu berichten, alle Potis arbeiten mit einem guten Wirkungsgrad und sämtliche Facetten von (Zerr-) Sounds sind möglich. Lediglich die beiden Regler für die hohen Frequenzen (Treble und Presence) neigen dazu, sehr scharf und spitz zu klingen, wenn sie weiter aufgedreht werden. Hier sollte man vorsichtig dosieren. Ihr hört in den folgenden Beispielen jeweils drei Einstellungen des entsprechenden Reglers, während der Rest sich in der mittleren Position befindet.
Audio
Samples
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BassMiddleTreblePresence
Gitarre
Clean
Gain
Volume
Bass
Mid
Treble
Master
Pres
Rev
Boost
Les Paul
x
7
4
5
5
5
6
5
0
off
Bei maximalem Gain kommt der Amp dann doch etwas an seine Grenzen. Wenn zum Beispiel ein Mid-Scoop-Metalsound angesagt ist und die Bässe noch etwas angehoben werden sollen, dann schwächelt der Bugera im Bassbereich, was dazu führt, dass die Töne besonders auf der tiefen E-Saite nicht deutlich wiedergegeben werden.
Audio
Samples
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Max Gain
Gitarre
Clean
Gain
Volume
Bass
Mid
Treble
Master
Pres
Rev
Boost
Les Paul
x
10
7
6
3
7
7
6
x
off
Reverb
Der digitale Hall ist in Ordnung, aber den typischen Vintagesound eines scheppernden Federhalls kann man hiermit nicht simulieren. Am Anfang bei einer geringen Dosierung erzeugt er einen leichten räumlichen Klang, allerdings ist bei höheren Einstellungen der Ton sehr verschwommen. Ihr hört als Nächstes drei verschiedene Einstellungen des Reverbs (3, 5, 8).
Audio
Samples
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Reverb
Gitarre
Clean
Gain
Volume
Bass
Mid
Treble
Master
Pres
Rev
Boost
Les Paul
7
x
x
6
7
6
6
6
3-5-8
off
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FAZIT
Ich bin wirklich positiv überrascht, was man hier für schlappe 300 Euro geboten bekommt. Der Vintage 55 ist ein bandtauglicher Vollröhrenamp mit zwei unterschiedlichen Kanälen. Der erste weist eine eher vintageorientierte Charakteristik auf, er hat einen offenen, klaren Ton mit guter Ansprache und dynamischem Verhalten. Hier kann man je nach Gain-Einstellung vom Cleansound bis zum AC/DC-Brett einiges an Klangvariationen herausholen. Wer es etwas härter mag, der wird mit dem Lead-Channel bedient, mit dem Zerrsounds in verschiedenen Abstufungen problemlos machbar sind. Die Klangregelung arbeitet mit gutem Wirkungsgrad und der Amp besitzt neben der Standardbestückung (Effekt-Loop, mitgelieferter Fußschalter, Reverb) auch noch eine Boost-Option, zwei unterschiedliche Eingänge und die Möglichkeit, zwischen Pentoden- und Triodenbetrieb auszuwählen. Verarbeitung und Optik sind gut und ich bin sicher, der Amp ist ein zuverlässiger Partner für den „Working Musician“ und wird viele Gigs schmerzfrei überstehen. Lediglich bei den Hi-Gain-Sounds kann er nicht ganz überzeugen, hier wird es im Bassbereich etwas indifferent. Wer einen günstigen Röhrenamp sucht, der sollte den Bugera Vintage 55 auf jeden Fall antesten, denn das Preis-Leistungsverhältnis ist ausgezeichnet.
Unser Fazit:
4 / 5
Pro
Ausstattung
Optik, Verarbeitung
Preis
Klangregelung
Contra
Bei Hi-Gain Sounds wird der Bassbereich undeutlich
Wieder einmal beweist Bugera, das fantastische Amps, nicht Unsummen kosten müssen. Der V55HD ist auf einer 2/12 Box, die wunderbare Ergänzung zu meinem Bugera 333XL, den ich Hauptsächlich im Metalberich einsetze. Wenn es mal etwas "gediegener" zugeht, wie zum Beispiel bei balladesken Songs oder 70er Sachen ala DP, schalte ich auf den V55 HD um. Für mich sind die Bugera Amps, unschlagbar, auch wenn selbsternannte Fachleute anderer Meinung sind.
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mrbeam123 sagt:
#1 - 14.09.2011 um 01:13 Uhr
Yo man, kann ich nur Bestätigen. Ist ein Hammerteil !
Uwe Weber sagt:
#2 - 18.05.2020 um 05:54 Uhr
Wieder einmal beweist Bugera, das fantastische Amps, nicht Unsummen kosten müssen. Der V55HD ist auf einer 2/12 Box, die wunderbare Ergänzung zu meinem Bugera 333XL, den ich Hauptsächlich im Metalberich einsetze. Wenn es mal etwas "gediegener" zugeht, wie zum Beispiel bei balladesken Songs oder 70er Sachen ala DP, schalte ich auf den V55 HD um. Für mich sind die Bugera Amps, unschlagbar, auch wenn selbsternannte Fachleute anderer Meinung sind.