Rupert Neve Designs Portico 542 Tape Emulator Test

Praxis

Mit nur ein wenig Hintergrundwissen über die Funktionsweise des Tape-Recordings kommt man mit dem 542 schnell zu ansprechenden Ergebnissen. Zwischen subtilen Sättigunsgeffekten und brachialer Verzerrung deckt der 542 eine enorme Bandbreite ab, bei der man das Zusammenspiel zwischen Saturation- und Blend-Poti zu schätzen lernen wird. Es macht in der Praxis nämlich einen großen Unterschied, ob man das gesamte Signal zu 100% leicht andickt, oder ob man die Signalspitzen brachial verzerrt und dies dem Direktsignal nur leicht zumischt.
Die 15/30-ips-Optionen sorgen für weitere Variationsmöglichkeiten, wobei die Unterschiede im Frequenzgang natürlich erst bei höheren Mischungsverhältnissen des Effektsignals richtig deutlich werden. Abgerundet wird diese an sich schon gute und wandlungsfähige Sättigungsstufe durch die „Silk“-Schaltung, mit der sich weitere Sättigungseffekte realsieren lassen – es kommt sicherlich nicht von ungefähr, dass Rupert Neve die flexibelste seiner Silk-Implementierungen gerade diesem Modul spendiert hat, wo doch nichtlineares Übertragungsverhalten hier ohnehin ganz oben auf der Liste steht.

Audio Samples
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Vocals Original Vocals 15 ips, Saturation Min, 100% Wet Vocals 15 ips, Saturation Max, 50% Wet, Silk Red Max Vocals 15 ips, Saturation Max, 50% Wet, Silk Blue Max Gitarre Original Gitarre 15 ips, Saturation Max, 100% Wet Gitarre 15 ips, Saturation, Saturation Max, 100% Wet, Silk Blue Max Drums Original Drums 15 ips, Saturation Max, 50% Wet Drums 15 ips, Saturation Max, 50% Wet, Silk Red Max

All diese technischen Errungenschaften manifestieren sich schließlich in einer breiten Palette möglicher Anwendungen, was auch unsere Audiobeispiele zeigen. Vocals können gut klingend „angeschmutzt“ werden, Basslines bekommen mehr Durchsetzungsfähigkeit, Gitarren werden richtig schön „gritty“, und vor allem transientenreiche Signale wie alle Arten von Drums sind eine dankbare Spielwiese für Sättigungseffekte aller Art. Je nach Ausgangsmaterial lassen sich Effekte erzielen wie: „Mehr RMS-Pegel“, „druckvollerer Klang“, „aggressivere Mitten“, „rundere Höhen“ und vieles mehr. Kurzum: In den richtigen Händen wird der 542 zu einem ausgesprochen wandlungsfähigen Tool mit hoher Bandbreite an Einsatzmöglichkeiten.
Nur eines habe ich im Betrieb hin und wieder vermisst: Einen zusätzlichen Regler für den Ausgangspegel. Manchmal erreicht man den gewünschten Sound nur mit einem Gain-Staging, das nach außen hin nicht pegelneutral ist. Es wäre klasse, wenn man den Pegel am Ende noch anpassen könnte, aber auf der Frontplatte war wohl schlicht kein Platz mehr für ein weiteres Bedienelement.

Kann so eine kleine Kiste eine Bandmaschine ersetzen?
Kann so eine kleine Kiste eine Bandmaschine ersetzen?

Abschließend die Frage aller Fragen: Kann der 542 eine echte Bandmaschine ersetzen? Ja und Nein! Er liefert eine Palette sehr authentisch klingender Klirrspektren, aber den „Glue“-Effekt, den echtes Tape bieten kann, erzielt der 542 in letzter Konsequenz nicht – hier reiht er sich ein die Riege der ganzen Sättigungstools, die ich bislang ausprobiert habe, und das sind praktisch alle, die der Markt so hergibt. Wer Tape will, der braucht in letzter Konsequenz auch Tape. Aber das heißt nicht, dass der 542 nicht trotzdem für eine Menge „Tape-artige“ Effekte gut ist, und das zu einem geringeren Preis, mit weniger Wartungsaufwand und auch erheblich weniger Platzbedarf.

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