Querschläge: Metalstadl – Metal ist der neue Schlager

Die neue Mitte: Kreator und Amon Amarth an der Spitze der Album-Charts? Rammstein im Heino-Cover? Ähm, Manowar? – Der Metal scheint in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein. Sämtliche Insignien des Metal (doch, so etwas gibt es!) konnten ihren Status von „Subkultur-Element“ zu „Kulturgut“ verbessern: Von der Pommesgabel, über Sticker-Weste und Band-Shirt bis zum Headbangen. Diese Begleiterscheinungen stehen auf sehr viel sichererem gesellschaftlichen Boden als Ecstasy und Früh-Club-Kultur. Wie kann das sein, wo doch gerade die Metaller für ihre rückwärts abspielbaren Todesdrohungen und Kommentare auf Tonträgern, bierselige Unangepasstheit und die stets schrecklichen Frisuren vor allem berüchtigt – nie aber berühmt waren? Niemand weiß es, einen Erklärungsversuch ist dieses Phänomen dennoch mehr als wert.

Hossa, Hossa - Pommesgabel! (Foto: © Fotolia/bonedo)
Hossa, Hossa – Pommesgabel! (Foto: © Fotolia/bonedo)

Günstige Begleiterscheinungen und andere äußere Umstände 
Zum einen wären da jene Entwicklungen, für die der Metal als solcher wenig kann, und trotzdem davon profitiert: Da sind erstmal die musikalischen Geschmackszyklen zu nennen, die handgemachter (und durchaus lauter) Musik im Dekaden-Rhythmus Auftrieb bescheren. Dann natürlich das Erstarken der Live-Komponente beim Musik-Konsum und der Konsens darüber, dass ein durchschnittliches Metal-Spektakel noch immer aufregender ist als ein Super-Duper-Club-Wochenende.Auch die Akzeptanz von modischen Manierismen, die noch vor 15 Jahren als „asozial“ gehandelt wurden:  von der Tätowierung bis zum Augenbrauen-Piercing. Und nicht zuletzt die Tatsache, dass Metal Musik von Könnern ist – anders lassen sich die tonalen und klanglichen Extreme gar nicht auf die Beine stellen – und in Zeiten Oli Pochers deshalb einen mehr als sympathischen Gegenpol darstellt. Nach diesem Argumentationsstrang hat sich die Welt zu Gunsten des Metal verändert, ist für diesen aufnahmefähig geworden und hat ihn letztlich in seiner Mitte aufgenommen. Soweit, so wahr. 

Riten und Traditionen – wo sich Hardrock und Schlager gleichen 
Das Hardrock bzw. Metal mit ihrer gesamt-gesellschaftlichen Akzeptanz nur knapp hinterm Schützenfest rangieren, lässt sich mit günstigen Randbedingungen alleine jedoch nicht erklären. Wohl aber damit, dass der Wohlfühl- und Schunkel-Faktor bei einem Konzert von  – sagen wir: Iron Maiden – ähnlich hoch ist wie bei Semino Rossi.  Das mag angesichts der Lautstärke, fehlender Sitzmöglichkeiten und der Bühnendeko nicht gerade plausibel scheinen, entpuppt sich aber auf den zweiten Blick als durchaus vergleichbar: Jede Geste – ob vor oder auf der Bühne – ist ritualisiert; Texte (in der Regel über den Tod, Fabelwesen und anderen selten real-weltlichen Schnulli) werden besinnungslos mitgegröhlt; das uniformierte Outfit garantiert Zusammengehörigkeit. Die Lebenswelt Metal bietet einen sicheren Hafen vor den Wirren der Gegenwart, ohne diese dabei zu verleugnen oder so zu tun, als könne man sich von ihnen lossagen. Bei aller Liebe zu jedem einzelnen Dezibel – es geht um Tradition (wem gelingt das unleserlichste Band-Logo?), konservative Werte (Männer sind stark und Frauen im Bikini) und Handwerk (Coolness kann man nicht messen, Haarlänge und Saiten-Taps pro Sekunde schon). Das ist es, was den Metal letztlich zu einer attraktiven Freizeit-Alternative mit hohem Zerstreuungswert macht. Und das ist es, was den Metal näher als alles andere an den volkstümelnden Schlager rückt. Beides funktioniert nur, weil zwischen Akteuren und Publikum die gleiche Übereinkunft herrscht: Für diesen Moment machen wir uns die Welt, nicht wie sie ist, sondern wie sie uns gefällt. Die Sehnsucht nach Weltflucht bedient Doro genauso wie Helene Fischer. Und wer weiß schon, von wem der nächste Echo moderiert wird?

Unser Kolumnist Thomas Kühnrich ist seit 2011 Redaktionsleiter bei Joinmusic.com. Dieses Online-Magazin und Label-Portal will getreu des Mottos “Good Music Only” eine Anlaufstelle für Labels und Musikinteressierte abseits der Top 20 Playlists sein. Und weil Justizia zwar blind, nicht aber taub ist, gibt sich Joinmusic subjektiv, voreingenommen und parteiisch. Mit News, Track-Tweets, Reviews und Hintergrund-Geschichten informiert das Magazin über Künstler, die den Unterschied machen. Das einzige Genre, das für sie wirklich zählt, heißt „großartige Musik“. Mit diesem Hintergrundwissen gewappnet, wird uns Thomas ab sofort mit seinen “Querschlägen” ein wenig Pfeffer in den Alltag bringen…

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Hossa, Hossa - Pommesgabel! (Foto: © Fotolia/bonedo)

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Profilbild von Gerald

Gerald sagt:

#1 - 04.10.2013 um 17:59 Uhr

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Kurzer, aber interessanter Beitrag. Mit gefällt vor allem die Feststellung, dass die gegenwärtige Metal-Szene eigentlich von ziemlich konservativen Werten geprägt ist. Als in den 1990ern Death Metal aufkam, war noch Provokation das erklärte Ziel und hat auch noch super funktioniert. Heute schreckt man mit gegrowlten Vocals und Blastbeats höchstens noch die Oma ;-)Ich möchte zu der ganzen Sache noch eine Kleinigkeit anhängen: meiner Meinung nach ist die Metal-Szene genau deshalb ein solches Auffangbecken für Sonderlinge und exzentrische Persönlichkeiten, eben weil durch die Riten und "Regeln" der Szene ein klares und überschaubares Verhaltens- und Aussehens-Muster vorgegeben wird.
Und meiner Meinung nach fühlen sich eben gerade Leute, die sich insgeheim vom Alltag überfordert fühlen, hier wohl, weil es einfacher ist, den Erwartungen und Regeln einer Szene gerecht zu werden als denen einer durchgemischten, schwer greifbaren Gesellschaft. Es geht also letztendlich um Akzeptanz und soziale Zugehörigkeit.Genau deswegen gibt es auch sogenannte "Szene-Polizisten", die jedes neue musikalische oder modische Element sofort verdammen: weil sie im Prinzip Angst davor haben, dass sich etwas an dem System, an das sie sich gewohnt haben, ändern könnte. Also wiederum eine Angst davor, ausgegrenzt zu werden oder den Anschluss zu verlieren.Gibt sicher genug Leute, die mir hier nicht Recht geben werden, aber nach dem, was ich in den letzten 10 Jahren so alles mitbekommen habe, dürfte ich mit meiner Annahme nicht komplett daneben liegen ;-)

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alex sagt:

#2 - 06.10.2013 um 17:37 Uhr

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Auf der einen Seite werden Sachen angesprochen, die Fakten sind und stimmen (Uniformierung, Zusammengehörigkeitsgefühl, etc.), auf der anderen Seite trieft es hier wieder vor Klischees und Pauschalisierungen, dass mir übel wird. Dass der Metal mittlerweile in der gesellschaftlichen Mitte angekommen ist, dürfte seit ZDF Übertragungen vom Wacken keiner mehr bezweifeln, ich stelle aber die These auf, dass die meisten Leute sich nur oberflächlich damit beschäftigen. Hat man bestens an den Fragen der Moderatoren in Interviews gemerkt, dass die im Grunde keine Ahnung von den Bands bzw. der Materie hatten. Ich sag einfach mal, dass sowas wie Wacken einfach nur ein Spektakel für viele ist und die das auch mal miterleben wollen, ihnen die Musik dahinter relativ schnuppe ist. Und trotz steigender Verkaufszahlen bei bekannten (!) Bands können heute die meisten Bands trotzdem nicht nur mit Tonträgerverkäufen überleben, vielleicht auch der Zeit geschuldet. Die angesprochene "Realittätsflucht" ist bei Clubgängern ebenso vorhanden wie z.B. bei HipHop Musikern und Fans, also kein Alleinstellungsmerkmal. Äußere Umstände wie Tatoos, schwarze Klamotten etc. die dazugehören mögen heute gesellschaftlich anerkannt(er) sein, aber erwartet nicht, dass demnächst in Malotze alle Iron Maiden mitgröhlen oder die Bild statt über Florian Silbereisen über James Hetfield schreibt. Das mag mal vorkommen, aber das Metal anders als Schlager gesellschaftlicher Gesamtkonsens ist, davon ist es noch weit entfernt. Mich würde man rein äußerlich auch nicht in die Metalecke stecken und ich hör auch andere Musik, gehe mit Freunden in die Clubs und kann auch mit vielen Metallern nichts anfangen, obwohl die meisten doch recht freundlich sind. Die Musik auf der anderen Seite gibt mir unglaublich viel und is eine der spannendsten und facettenreichsten, was ich von Schlager ebenfalls nicht behaupten kann. Peace, I'm out

Profilbild von Steven

Steven sagt:

#3 - 17.10.2013 um 22:50 Uhr

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Ich würde ganz gerne noch bemerken, dass der Tanz des Metals vom Mainsteam zur Randbewegung hin in die gesellschaftliche Mitte sich wohl darauf begründet, dass gerade in den letzten Jahren die Bandbreite des Genres (innerhalb gewisser Rahmenbedingungen) sehr gewachsen ist. Wo vor 30 Jahren z.B. Maiden und Priest und später dann Metallica und Helloween waren, sind heute Bands von Linkin Park (wenn man es denn als eine Art Metal bezeichnen will) bis Dimmu Borgir vertreten. Da sollte wohl für jeden was dabei sein. Schlager ist halt Schlager und zieht trotzdem ähnlich viele Leute an, aber auf einem wesentlich schmaleren musikalischen Grad. Außerdem ist die Metalszene (entgegen weitreichender Meinungen) sehr offen und kollegial, was sie wahrscheinlich für viele Leute sehr attraktiv macht. Anders als z.B. im HipHop, wo jeder die dicksten Eier und die tiefsten Hosen haben will. Ich weiche zwar ungern von den musikalischen Aspekten ab, aber das gehört wohl auch dazu. Den Punkt, dass Metal und Schlager gerade Live große Ähnlichkeiten aufweisen, möchte ich damit aber nicht ausschlagen. Der Grund, dass viele Metalbands heute in den Charts gut positioniert sind, ist übrigens darauf zurückzuführen, dass die Fans wesentlich solidarischer sind, als die Laufkundschaft der Popmusik. Hier wird Kunst (inkl. Cover, Booklet, etc.) zelebriert. Die Fans kunsumieren den Künstler und nicht nur die Musik (in ihrer Schnelllebigkeit). Deshalb kaufen 10.000 Amon Amarth Fans mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr Platten dieses Künstlers, als 100.000 Leute, die im Radio gerne die aktuelle Single von Lady Gaga hören, von ihr. Gerade, weil solche Popkünstler eh das ganze Album als Single auskoppeln und es keinen Grund gibt, den Longplayer zu kaufen. Und warum machen die das? Weil Popmusik ein Produkt der Wegwerfgesellschaft ist. Ähnlich wie Einwegrasierer oder Papiertaschentücher. Kein Mehrwert! Aber das nur am Rande.

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