Querschläge: Live is’ Scheiß!

Es ist schon ein paar Jahre her, dass die französische Sängerin Patricia Kaas auf dem Hamburger Rathausmarkt ein Konzert gab, bei dem die Chanteuse und ihr Orchester insgesamt drei Anläufe für ein und denselben Song brauchten. Bei Charles Mingus landen die vom cholerischen Meister befohlenen Abbrüche mitten im Song sogar posthum als „Alternate Version“ auf irgendwelchen Wiederveröffentlichungen. Und in Ella Fitzgeralds „Mack The Knife“-Fall wird es ganz absurd: Die Live-Aufnahme eines Berlin-Konzerts wurde zu einem Klassiker, eben weil sie den Text vergessen hatte. Was ich damit sagen will: Für Live-Pannen ist mir das horrende Geld, das Konzertkarten inzwischen kosten, viel zu schade. Mein Appell an die Verantwortlichen auf der Bühne: Lasst die Musik vom Band kommen und konzentriert Euch auf die Show. 

Einfach mal ableiern... für die Show! (Bild: © Fotolia / Montage bonedo)
Einfach mal ableiern… für die Show! (Bild: © Fotolia / Montage bonedo)

Mehr für’s Geld – Das Ohr sieht nicht mit
Genau, die Show. Sie ist es, wofür der überwiegende Teil des Publikums Eintritt berappt. Und nicht, wie so mancher es gern hätte, um zu beweisen, was zu beweisen sowieso nicht geht: Dass die Musiker bei den Studio-Aufnahmen nicht geschummelt haben? – Blödsinn. Als müssten die nicht üben. Als würde man einen Hollywood-Blockbuster in einem einzigen Take, mit einer einzigen Klappe drehen können… Übrigens: Je größer die Veranstaltung, desto wichtiger der Einsatz von Playback. Kein Festival-Pilger der Welt nimmt die mehrtägigen Strapazen auf sich, um seine Lieblingskünstler zu hören. Sehen und in Action erleben will man sie, sich vergewissern, dass es tatsächlich Menschen wie Du, ich und sie da hinten sind. Und dann natürlich mitsingen. Am liebsten genauso, wie man den Song von Youtube kennt – bitte nicht in einer noch nie gehörten Reggae-Version, mit ausgedehnten Soli und irgendwelchen Extra-Strophen. Was der Bauer nicht kennt, hört er sich sowieso nicht an. 
Bessere Live-Alben – dank Playback 
Mehr Playback, Autotune und dergleichen bei Konzerten hätte aber nicht nur Vorteile für das Publikum – keine falschen Töne, allgemein besserer Sound, tightere Show. Denn abgesehen davon, dass überzeugende Live-Alben (darf man die dann noch so nennen?) Standard würden und Bootleggern endgültig der Garaus gemacht werden könnte, profitieren auch die Verantwortlichen auf der Bühne davon: Sie sparen Mikrofonierung, Soundcheck-Dauer und Technik-Kosten. Sie dürfen die Bühne als persönlichen Physio-Raum missbrauchen (Hallo Axl Rose, Tachchen Mick Jagger) und dabei trotzdem klingen wie geschmiert. Und nicht zu guter Letzt: Sie können sich schon vor dem Auftritt so dermaßen abschießen und zuballern, wie sie es bislang nur von den eigenen Aftershow-Parties gewohnt waren. Wenn nur noch die bloße Präsenz zählt, eröffnen sich in Sachen Konzert-Dramaturgie ganz neue Dimensionen. Im Nachhinein hätte das womöglich auch einer Amy Whinehouse geholfen: Jeder wollte sie besoffen sehen – Amy eingeschlossen. Ärgerlich war nur, dass darunter auch die Gesangsperformance litt. Mit dem richtigen Playback wäre das nie und nimmer passiert. 

Unser neuer Kolumnist Thomas Kühnrich ist seit 2011 Redaktionsleiter bei Joinmusic.com. Dieses Online-Magazin und Label-Portal will getreu des Mottos “Good Music Only” eine Anlaufstelle für Labels und Musikinteressierte abseits der Top 20 Playlists sein. Und weil Justizia zwar blind, nicht aber taub ist, gibt sich Joinmusic subjektiv, voreingenommen und parteiisch. Mit News, Track-Tweets, Reviews und Hintergrund-Geschichten informiert das Magazin über Künstler, die den Unterschied machen. Das einzige Genre, das für sie wirklich zählt, heißt „großartige Musik“. Mit diesem Hintergrundwissen gewappnet, wird uns Thomas ab sofort mit seinen “Querschlägen” ein wenig Pfeffer in den Alltag bringen…

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Einfach mal ableiern... für die Show! (Bild: © Fotolia / Montage bonedo)

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Profilbild von Chris

Chris sagt:

#1 - 17.10.2013 um 16:30 Uhr

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Hm, seltsame Ansicht der Dinge aber jedem das Seine :)Erinnert mich ein wenig an Americn Psycho wo Managern fürs nichtstun Kohle in den A**** geschoben wird.
wenn man das bei der Musik auch so macht hat das für mich dann nimmer viel mit Kunst an zu tun. Aber abgesehen davon passierts ja eh genau so in der Welt der Billboard Stars und Sternchen.Ich finds halt immer ungemein interessant zu sehen wie die Künstler Ihre Fähigkeiten Live abrufen und einsetzen an denen Sie vielleicht ihr Leben Lang gefeilt haben und wie sie oft Magische Dinge mit ihrer Musik geschehen lassen.Live spielen ist halt für mich immer noch die ultimative Probe ob ein Künstler wirklich ein Küstler ist. Da trennt sich dann die Spreu vom Weizen.

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Steven sagt:

#2 - 17.10.2013 um 22:12 Uhr

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Also bitte...
ich will mich ja jetzt hier nicht echauffieren, aber aus welchen Gründen geht man denn auf ein Konzert? Sollte ein(e) Band/Künstler nicht in der Lage sein, ihre/seine Songs live ansprechend darzubieten?
Wenn die musikalische Performance entsprechend besch... bescheiden ist, sollte man sich vielleicht überlegen, lieber nicht auf ein solches Konzert zu gehen. Egal, wieviele Pyros da abgefackelt werden, oder wie knapp das Outfit ist. Diesen "Celebrityfaktor" ("Hauptsache, mal aus der Nähe gesehen!"... wenn überhaupt) finde ich hier ziemlich deplaziert.
Und das Argument, dass der Künstler damit ja auch Geld für Mikrofonierung, PA, etc. sparen kann, ist ja wohl... naja. Ja klar, aber ist die Karte ihr "horrendes" Geld dann noch wert? Sollte man den Künstler dann noch dafür belohnen, dass er sich nicht einmal die Mühe macht, sein Zeug live zu präsentieren? Wenn er sich dann schon vor der Show total wegballert? Das halte ich dann doch eher für kontraproduktiv. Nicht nur, dass er dann zu schlecht ist, um seine eigenen (oder für ihn geschriebenen...) Songs zu performen. Nein, irgendwann ist er wahrscheinlich auch zu verstrahlt, um überhaupt noch geradeaus zu gucken. Dann ist sowohl Set als auch Show im A****. Ein Teufelskreis! Playback hätte Amys Show auch nicht mehr gerettet...
Zu dem Thema "Auf dem Album wird (nicht) getrickst" kann ich nur sagen, eine gute (Live)Band ist sich dessen bewusst und wird live immer mit "abgespecktem" Line Up und Arrangement spielen. Ein guter Song funktioniert auch ohne gelayerte Synthies, riesen Orchester oder tonnenweise Overdubs. Alleine schon durch das Feedback von den Fans. Und wenn es dann doch mal sein muss, dass mit schweren Geschützen am Keyboard, etc. geschossen wird (man hat halt nur 10 Finger), dann kann man sich im Playback wenigstens auf diese Elemente beschränken und zumindest mit der Kernbesetzung live spielen. Dann muss man natürlich klickfest sein. (Soviel zum Thema "sich vorher wegballern" :D)
Außerdem empfinde ich diese Liveadaptionen als besonders interessant. Gerade beim Gesang machen leichte Variationen zur Studioversion einen gewissen Reiz aus. Stichwort Überraschungseffekt und Gänsehaut. Auch wenn dann mal der eine oder andere Ton daneben geht.
Hoffe, dass war jetzt nicht zu krass, aber diskutieren ist ja immer erlaubt ;)

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Fritz sagt:

#3 - 18.10.2013 um 10:24 Uhr

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Warum denn dann noch einen Sänger, Band, Instrumente. Nicht mehr lange und 3D-Hologramme sind kaum mehr von der Wirklichkeit zu unterscheiden.
Für manche (oder viele) stumpfsinnigen, geräuschekonsumierenden, ballermanngebildeten Zeitgenossen mag das ja eine gangbare Variante darstellen.
Für Menschen mit Hirn, deren Sinne die ihnen angestammten Funktionen wahrnehmen wird der feine kleine Unterschied auffallen. Nähmlich, daß es live keine 2 exakt gleichen Konzerte gibt. Der Künstler der bei 3 Konzerten die Woche über Monate jedesmal dieselbe Leistung, denselben körperlichen, emotionalen Zustand auf die Bühne bring - den gibt es nicht. Den Tanzäffchen die zwar kurz mächtig Kohle machen weint nach eben so kurzer Zeit keiner nach.
Solange wir unsere Sinne noch (richtig) benützen wird live vom kleinen Unterschied leben. Dieser Unterschied muss aber nicht bei jedem Vortrag positiv aufscheinen.
Ich für meine Person hätte wahrscheinlich für ein Konzert von - um beim genanngten Beispiel zu bleiben - Ella Fitzgerald das doppelte gezahlt. Wenn man mir vorher gesagt hätte das sie (unfreiwillig) beweist ein Mensch und keine Maschine zu sein. Maschinen - leben nicht!

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Thomas sagt:

#4 - 18.10.2013 um 16:29 Uhr

0

Hallo Chris - die Künstler und ihre Kunst. Das is schon so ne Sache. Ist man denn kein Künstler mehr, wenn man live nicht spielen kann? - Was sagst Du denn den Ableton-Nutzern? -Und hallo Steven - nein, Dein Beitrag ist nicht zu krass. Alles gut. Und zum geldwerten Vorteil von Konzerten - dass Künstler sich live präsentieren, genau das ist das Entscheidende. Dafür zahlen die Leute auch horrendes Geld. Ob der oder die dann auch noch live performt, ist schon nicht mehr so wichtig.Hallo Fritz - stimme Dir zu. Darauf wird es hinauslaufen. Siehe Tupac & TLC. Mit Intellekt aber hat das nichts zu tun. (Nebenbei: wer nämlich mit "h" schreibt, ist ...) Es geht um die Erwartungshaltung der Mehrheit - die will den kleinen Unterschied, der Dir so wichtig ist, einfach nicht. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Und Ella ist natürlich einfach nur geil. Punkt!

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Tobi sagt:

#5 - 20.10.2013 um 16:03 Uhr

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Haha, genial! Und so viel wahres dran... Ein Plädoyer für Playback-Mucke. Zeigt einem schön den Zustand der Welt auf. Top!

Profilbild von Wolfgang

Wolfgang sagt:

#6 - 21.10.2013 um 12:59 Uhr

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Also bitte. Ich will ja nicht beleidigend sein aber dieser Artikel(samt Meinung) findet höchstens bei Fans von Top 20 Mainstream "Musik" anklang. So wie für viele Andere hier ist es für mich von höchster Bedeutung Musik wirklich live gespielt zu hören und mind. 90% von euch verzeihen kleine Fehler. Ich denke in einem "Musikerportal" ist diese Diskussion überflüssig. Sorry, das hat hier nichts verloren. cheers

Profilbild von Chris

Chris sagt:

#7 - 21.10.2013 um 13:50 Uhr

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@Thomas: Meiner Meinung nach ist es ja so: Man fängt irgendwann, wahrscheinlich in Jungen Jahren an sich mit einem Instrument auseinanderzusetzen, man macht riesen Fortschritte und glaubt, dass einen jedes neu gelernte Lied gleich auf das Niveau der Idole hebt. Man komponiert, anfangs schlecht, dann immer besser, man findet plötzlich Musik außerhalb des Lieblings-Genres großartig, und der Musikalische Horizont erweitert sich. Irgendwann spielt man dann selber in Bands und muss wieder klein anfangen bis die Band so funktioniert und klingt, dass sie auch in der Professionellen Liga mitspielen kann. das alles ist ein Prozess und eine Entdeckungsreise die nie endet, und wenn du selber ein Instrument spielst weißt du dass jeder Live Gig dich ein Stück kompletter macht als Musiker und das ist auch eine sehr befriedigende Erfahrung und hat für mich was erstrebenswertes. Das Selbe gilt auch für Ableton, Logic,... User. Ich habe und hatte das Glück mit wirklich großartigen Musikern zusammenarbeiten zu dürfen die genau mit diesen Tools "Zaubern" können und das auch noch interaktiv. und da ist der kleine aber feine unterschied: ein paar vorgefertigte Samples und Loops über 0815 Kadenzen zusammenzuschieben und dann auf Play zu drücken macht einen noch zu keinem Profi... "Beatbau" Talent hin oder her. Es ist ja genau das Können der Musiker das bewundernswerte, egal ob Metal oder Elektro. es ist das insgeheime Wissen, dass diese Leute auf der Bühne stehen und gut sind weil sie einen Großteil ihres Lebens der Musik gewidmet haben und dadurch den Level erlangt haben Ihre Kunst auch Live so zu performen, dass Emotionen ins Spiel kommen. Und das passiert nicht wenn eine Show tag Täglich gleich klingt. es sind die kleinen Menschlichen Momente die das wichtigste in der Musik tragen: die damit verbundenen (persönlichen) Emotionen. und darum kann ich mir auch den ganzen Hochglanz Billboard Pop nicht mehr anhören weil zu 95% die Emotion draußen ist. ab und zu gibts noch ein paar Glanzmomente aber im Großen und ganzen generischer Bullshit, von den immer gleichen Songwritern und Produzenten mit den immer gleichen Mitteln gemacht. Und bei diesen Leuten ist halt die Ideologie weg, das beste zu geben weil jeder Song ein persönliches Statement ist. Da gehts halt nur mehr um die Kohle. und da ist es klar, dass die Shows halt auch nach dem selben Prinzip ablaufen. Ist das was du so beschrieben hast. Gott sei dank (meine Meinung) trifft das bis jetzt nur auf einen kleinen teil der weltweit tätigen Künstler zu und dass muss auch so bleiben. Sonst kommt der künstlerische Stillstand und dann viel Spaß bei den immer gleichen Songs von immer gleichen "Künstlern" mit immer gleichen Shows... Ich hoffe du hast dann gute Games und Filme weil die Musik dann recht schnell ziemlich langweilig werden wird... bis die Games und filme auch generisch werden... usw... In diesem Sinne, Hoffe es sind ein paar Anregungen in andere Richtungen dabei. Beste Grüße Chris

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