Microtech Gefell UM 930 twin Test

Praxis

Gleichzeitige Aufzeichnung unterschiedlicher Richtcharakteristiken mit einem Mikrofon

Man soll ja auch in Testberichten nicht alles Pulver zu Beginn verschießen. Ich tue es einfach trotzdem und beginne mit den Nutzungsmöglichkeiten der getrennten Outputs. Mit einem Wort: Klasse! Nicht nur, dass man den Freiraum hat, nach der Aufnahme die Richtcharakteristik in feinster Abstufung am Pult oder in der DAW einzustellen, man kann auch ganz einfach darauf verzichten, wenn man diese Option nicht nutzen will. Nur die Niere verwenden? Kein Problem! Ganz sicher eine Acht haben wollen, um ein S-Signal zu generieren? Auch kein Problem! Der erhöhte Ressourcenbedarf durch die getrennten Kapselsignale wird also nur “auf ausdrücklichen Wunsch” in Anspruch genommen. So und nicht anders sollte Twin-Funktionalität gelöst sein! Zum Vergleich habe ich Soundbeispiele beigefügt, die in der DAW gemischt wurden und solche, die das Mikrofon intern gemischt hat. Außerdem lag im Paket aus Gefell noch ein normales 930. Da habe ich es mir nicht nehmen lassen, auch von diesem Files zu erstellen. Die Unterschiede, die bei Hörtests zwischen analoger und digitaler Summierung auffallen können, kann man hier kaum wahrnehmen. Schließlich sind es maximal zwei Signale, die miteinander gemischt werden – bei DAW-/Summierer-/Pult-Vergleichen sind es einige Busse oder sogar viele Kanäle. Auch schön ist es, sich darin sicher zu sein, dass beim Verschalten der Kapseln auch innerhalb des 930 nicht ”gemogelt” und das Signal verändert wird, wie es bei preiswerten Mikrofonen manchmal festzustellen ist. Etwas schade, dass man bei der wunderschönen dunklen Lackierung je nach Lichtverhältnis etwas Mühe hat, die eingestellte Charakteristik für den zweiten Output zu erspähen, vor allem, wenn das UM seinen Dienst in außergewöhnlichen Positionen verrichtet. Dennoch: Ein großes Lob verdient die Verarbeitung des Schallwandlers. Vom Drehring bis zur Lackierung ist alles genau so, wie man es von einem High-End-Gerät erwarten kann.

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Das Mikrofon ist für den universellen Einsatz besonders geeignet.

Was bringt schon hohe Flexibilität, wenn der Sound Käse ist? Keine Angst: Von vergorener und verschimmelter Milch ist der Klang meilenweit entfernt, denn Microtech Gefell hat mit dem UM 930 twin ein absolutes Meisterstück entwickelt. Die Geschwindigkeit ist atemberaubend, selbst brutale Pegeländerungen überträgt die bronzefarbene Schönheit ohne Wimpernzucken. Verdichtungen oder ein Schmieren auszumachen ist fast unmöglich, lediglich im Höhenbereich werden Signale etwas breiter. Das passiert allerdings recht unabhängig vom Pegel und ist nicht negativ: S-Laute erhalten das Minimum an notwendiger “Verdickung”, jedoch ohne die Transparenz und Feinheiten negativ zu beeinflussen. Insgesamt behält das Mikrofon seine Dynamik und seine Geschwindigkeit, der Einsatz als Allrounder ist also in keinem Fall gefährdet. Das gilt auch für den Frequenzgang. Zwar wird auf Linearität gepfiffen, doch genau das macht das 930 aus: Es hat einen deutlichen Großmembrancharakter, der sich vor allem in den Höhen durch leichte Wellen und die Abwärtsbewegung im Air Band bemerkbar macht, doch immer in Maßen, immer passend. Wem das nicht gefällt, der sollte sich ein Kleinmembranmikrofon kaufen, sich aber vorher überlegen, warum es wohl Großmembraner gibt.

Audio Samples
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female, 10cm female, 30cm female, 50cm male, 10cm male, 30cm Bahar Bahar (Signal der hinteren Membran)

Versierte Sänger können den Nahbesprechungseffekt gezielt einsetzen

Der Nahbesprechungseffekt des UM 930 ist deutlich, aber ausgewogen, tief genug und nicht sprunghaft – somit kann er bewusst genutzt werden, ohne den Kopf des Sängers in einem Drahtgestell vor dem Mikrofon fixieren zu müssen. Mit einer etwas verbreiterten Niere erhält man eine hohe Flexibilität bezüglich des Winkels. Die Kugel klingt genau so offen und luftig, wie man es von ihr erwartet, in den Off-Axis-Signalen herrscht kein Tohuwabohu, sondern eine recht gleichmäßig zunehmende Höhendämpfung. Hervorragend ist auch der Klang bei phaseninvertierter Zumischung des Signals der rückseitigen Kapsel. Phasenprobleme und Löcher? Nein: Die Acht klingt im Grunde wie von einem einmembranigen DGE ohne Laufzeitglied, auch in den Höhen. Perfekt!

Audio Samples
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930 Twin, Acht, intern gemischt 930 Twin, Acht, in DAW gemischt 930, Acht, intern gemischt 930 Twin, Kugel intern gemischt 930 Twin, Kugel, in DAW gemischt 930, Kugel intern gemischt 930 Twin, Automation der Richtcharakteristiken

Nicht gerade preiswert – aber seinen Preis wert!

Es bleibt mir im Grunde nichts anderes übrig, als das UM 930 twin als unfassbar hochwertig klingendes Mikrofon zu ehren. Es vereint dabei den zu erwartenden Klangcharakter eines Großmembran-Kondensers klassischen deutschen Typs mit dem, was heute technisch möglich ist: Geschwindigkeit, Feinheit, Spektrum, Rauschen, Verarbeitung, all das ist absolute und unbestreitbare Weltspitze. Gekrönt werden diese Eigenschaften durch die eingehend beschriebene Flexibilität. Klar, das kostet! Manchmal könnte ich den bekannten Spruch, dass für gute Produkte eben auch gutes Geld bezahlt werden muss, mit dem übelsten Vokabular verfluchen. Und mein Vokabular kann sehr übel sein.

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